Zum Auswärtsspiel des VfB bei Union Berlin gibt es nach Abpfiff zwei Sichtweisen: Entweder zwei Punkte verspielt oder einen Punkt gerettet. Warum zehn Punkte aus vier Spiele gut sind und warum es eigentlich zwölf hätten sein müssen.
Der VfB begann das Spiel bei den Köpenickern nach einem bewährten Rezept: Einfach ein Tor schießen, bevor der Gegner sich irgendwie auf die Brustringträger einstellen kann. Dafür, dass man gegen den Tabellenfünften spielte, funktionierte das schon fast zu einfach: Mané, Gentner, Terodde, Körpertäuschung, Tor. Terodde, der früher für Union spielte, hielt also mit seinem insgesamt achten Saisontor seine gute Form. Und auch in der Folge spielte der VfB zunächst so, wie man sich das von einer Spitzenmannschaft erhoffte. Die von Trainer Hannes Wolf neu eingeführte Dreierkette aus Kaminski, Baumgartl und Pavard bot den Unionern kaum Gelegenheit zum Torschuss, mitunter arbeiteten sogar Terodde und Mané nach hinten mit und erkämpften sich die Bälle am eigenen Strafraum.
Langerak und die Dreierkette
Ob die Dreierkette beim VfB Zukunft hat, wird spannend zu beobachten sein . Wie wir bereits wissen, passt Wolf seine Aufstellung an den jeweiligen Gegner an, es muss also gegen Nürnberg in einer Woche nicht unbedingt erneut dazu kommen, dass das eben genannte Trio die letzte Kette bildet. Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, dass der dadurch “frei” gewordene Spieler einen ausgeprägten Effekt auf das Spiel hatte. Insua und Klein spielten dementsprechend im Mittelfeld auf den Flügeln, vorne sollten Mané und Özcan Terodde mit Bällen füttern, in der Mitte spielten Gentner und Zimmermann. Wirklich neue Impulse für das Spiel, sei es offensiv oder defensiv, konnte ich nicht erkennen. Aber für eine qualifizierte Analyse empfehle ich da den Kollegen von VfBtaktisch.
Mit einem 1:0 aus Gästesicht ging es in die Pause und man hatte schon zu diesem Zeitpunkt das Gefühl, der VfB müsste eigentlich noch ein Tor nachlegen, um die zu diesem Zeitpunkt errungene Tabellenführung zu konsolidieren. In der zweiten Halbzeit gelang aber leider genau das nicht. Eiserne und Brustringträger überboten sich in den zweiten 45 Minuten darin, möglichst aufsehenerregend Großchancen liegen zu lassen, wobei die Berliner am Ende leichte Vorteile davon trugen. Bestraft wurde für die Fehlschüsse schließlich der VfB. Wobei der Passiv hier eigentlich nicht angebracht ist. Denn nach einer eher harmlosen Flanke aus dem Halbfeld legten sich Langerak und Kaminski in einer slapstickhaften Co-Produktion ein Ei ins eigene Tor: Der Schlussmann kam raus, faustete den Ball quer durch den Strafraum und prallte gleichzeitig mit seinem Vordermann zusammen, was es den Berlinern einfach machte, den Ball an beiden vorbei ins Tor zu schießen. So weit, so unnötig.
Wieder die Führung nicht ausgebaut
Dass der VfB ein Problem damit hat, die eigene Führung auszubauen und sich stattdessen meist darauf verlegt, sie zu verwalten, haben wir in den letzten Spielen gesehen. Gegen München, Karlsruhe und Bielefeld ging das am Ende auch gut, man kam noch zu seinen Chancen und verwertete diese. Union ist aber in dieser Liga eine andere Hausnummer und so drohte das Spiel am Ende völlig unnötig zu kippen. Immer wieder wurde bereits erwähnte Dreierkette jetzt überspielt und es war nur der ebenfalls bereits erwähnten Unfähigkeit der Union-Stürmer zu verdanken, dass das Spiel in einem Remis endete.
Was macht man also jetzt emotionsmäßig mit einem 1:1 im Spitzenspiel? Eine englische Woche reicht diesmal nicht, anders als beim 1:1 in Bochum, als Erklärung. Betrachtet man die erste Halbzeit, wie einfach der VfB zu seinen Chancen kam und wie gut er die Berliner in Schach hielt, kann man nur von zwei verlorenen Punkten sprechen. Betrachtet man das Spiel vom Ende her, so haben die Brustringträger einen Punkt gerettet. Verdientes Unentschieden also? Mag für den neutralen Betrachter so aussehen. Aus VfB‑, beziehungsweise aus meiner Sicht, war es jedoch die Fortsetzung alter Fehler mit einem weniger glücklichen Ende.
Natürlich sind ein zweiter Platz und die Punkteausbeute der letzten Spiele alles andere als ein Grund zum Bruddeln. Aber man hat das Gefühl, dass beim VfB noch das letzte Quäntchen fehlt. Quäntchen was? Motivation? Wille? Kraft? Vielleicht ist es am ehesten das Letztgenannte und auch die Abgeklärtheit, die spielerische Qualität im Kopf, die verhindert, dass wir den Punktverlust der Braunschweiger ausnutzen und in einem Spiel gegen einen Gegner auf Augenhöhe die Tabellenführung erobern. Hannes Wolf hatte diese Schwächephasen bei eigener Führung in den letzten Wochen immer wieder angemahnt, ausgeblieben sind sie dennoch nicht.
Punktepolster dringend gebraucht
Aus diesem Grund muss man auch nach diesem Spiel festhalten: Das Ergebnis ist, wie schon in den letzten Wochen, nicht oder kaum zu beanstanden. Es kommt aber darauf an, wie es zustande gekommen ist. Gegen 1860 zitterte man lange, gegen Karlsruhe war es etwas klarer und gegen Bielefeld musste man wiederum erstmal den Ausgleich hinnehmen, bevor Terodde seine Gala fortsetzte. Der VfB steht dieses Jahr erneut unter Druck, aber der Druck ist ein anderer. Diesmal geht es nicht darum, einen Platz zwischen 1 und 15 zu belegen. Nein, man muss Platz 1 oder Platz 2 holen. Jeder Punkt, der das Punktepolster auf den mit Unwägbarkeiten verbundenen Relegationsplatz vergrößert, wird dringend gebraucht.
Natürlich wird der Aufstieg nicht am 13. Spieltag entschieden, aber es wäre schön gewesen, wenn der VfB die Rolle, die ihm schon seit Saisonbeginn zugeschrieben wird, heute einmal über 90 Minuten ausgefüllt hätte und diesen Big Point gelandet hätte. Das heißt nicht, dass man die Erfolge der letzten Wochen nicht würdigen sollte. Aber man muss eben wachsam bleiben, damit in ähnlichen Spielen gegen Nürnberg und Hannover die Schwächephasen nicht dazu führen, dass man am Ende ganz ohne Punkte da steht und Platz 2 in Gefahr bringt.
Ein etwas anderer Verein
Abschließend noch ein paar Worte zu den Gastgebern und dem für viele VfB-Fans bisher unbekannten Stadion. Der Eindruck, den der Kollege vom Textilvergehen im Interview vor dem Spiel vermittelt hat, bestätigte sich vor Ort: Eine insgesamt sehr angenehme Atmosphäre in einem, wie viele in dieser Liga, leider etwas zu kleinen Stadion, dass aber trotzdem einen gewissen Charme hat. Gegen einen Verein, der gefühlt, auch wenn mich das wahrscheinlich den nächsten Kurzen kostet, doch ein wenig anders zu sein scheint. Sei es der schrullige, von Nina Hagen gesungene Stadionsong oder die inbrünstig durchs Stadion geschmetterten “Eisern Union” Wechselgesänge oder der Stadionsprecher, der mit einem Humor, der vielen seiner Kollegen, gerade in der ersten Liga, völlig abgeht, die mitgereisten Gästefans aus Stuttgart und dem Prenzlauer Berg begrüßt. Wäre schön, dort nochmal hinfahren zu können, dann aber bitte in der Bundesliga.