Der VfB siegt nach zwei Gomez-Toren auch in Freiburg und befindet sich sieben Spieltage vor Saisonende in einer geradezu paradiesischen Tabellensituation.
Gestern habe ich mal wieder eine neue Serie bei Netflix angefangen: The Good Place. Keine Sorge, keine Spoiler. Nur so viel: Eine Frau stirbt und kommt in so etwas ähnliches wie den Himmel. Ein Ort, zu dem nur jene Zutritt haben, für die das System bei der Bewertung der guten und schlechten Taten im Leben zu einem außerordentlich positiven Wert kommt. Der Clou: Die Hauptdarstellerin war, nach eigenen Worten, ein eher “mittelmäßiger” Mensch, ihre Anwesenheit in diesem Himmel also ein Fehler im System.
Unwirklich, befriedigend, erleichternd
Ok. Ich gehe nicht davon aus, dass das System Fußball-Bundesliga wegen des anhaltenden Erfolgs des VfB genauso verrückt spielt wie in der Serie. Und nachdem ich die erste Staffel fast beendet habe, ist auch klar, dass sie philosophische Implikationen hat, die die Komplexität eines Fußballblog-Eintrags bei weitem übersteigen. Dennoch: Die Tabellensituation unseres Herzensvereins hat etwas unwirkliches: Sieben Spieltage vor Saisonende haben die Brustringträger zwölf Punkte Vorsprung auf einen Relegations- und 17 Punkte Vorsprung auf einen direkten Abstiegsplatz. Fünf Siege und zwei Unentschieden aus den letzten sieben Spielen unter Trainer Tayfun Korkut bedeuten derzeit Platz 8 in der Tabelle und, just for the record, zwei Punkte Rückstand auf einen wahrscheinlich zur Teilnahme am Europapokal berechtigenden Platz 7. Aber mit so einem Blödsinn will ich hier gar nicht erst anfangen. Es geht um den Klassenerhalt. Punkt.
Um auf die Parallelen zu “The Good Place” zurück zu kommen: Lange war ein Blick auf die Bundesliga-Tabelle für VfB-Fans nicht mehr so befriedigend und erleichternd wie an diesem Wochenende. Die Wahrscheinlichkeit, dass das alles noch komplett in die Hose geht, ist sehr, sehr gering.
Werder Bremen and Hannover 96 will play Bundesliga next season. Not yet mathematically certain, but practically. pic.twitter.com/evJ9gNeggr
— Goalimpact (@Goalimpact) March 17, 2018
Entspannung im Mai?
Zum ersten Mal seit 2013 geht es für den VfB im Mai: Wahrscheinlich um gar nichts mehr. Damals machte man den Klassenerhalt am 30. Spieltag mit einem 2:1‑Heimsieg perfekt — ironischerweise gegen den SC Freiburg. Natürlich stand damals noch das Pokalfinale an, aber zumindest in der Liga konnte man sich im letzten Monat der Saison entspannt zurücklehnen. Es ist ein Gefühl, dass mir die letzten Jahre wirklich gefehlt hat. Denn in der Folge verschob der VfB den Zeitpunkt zum Entspannen immer weiter nach hinten, so dass man sich nach einem schweißgebadeten 34. Spieltag erstmal eine längere Auszeit wünschte. Aber der August war schneller da, als einem lieb war. Abgesehen von meinem Seelenleben bringt der frühzeitige Klassenerhalt natürlich auch Michael Reschke mehr Planungssicherheit, sicherlich auch ein Problem der vergangenen Spielzeiten.
Aber wie weit sollen wir mit den Analogien gehen? Ist der VfB wirklich nur mittelmäßig und aufgrund eines Fehlers im System in der oberen Tabellenhälfte?
Es ist schwer zu sagen. Der kicker bescheinigt dem VfB, “ein wenig im Stile einer Spitzenmannschaft” in Freiburg gespielt zu haben. Ganz so weit würde ich zwar nicht gehen, aber die Partie am Freitagabend zeigte exemplarisch, warum der VfB in der Tabelle dort steht, wo er steht, und wie er da hin kam.
Frühe Führung und gewonnene Zweikämpfe
Da ist zum einen die frühe Führung, die der Mannschaft nicht nur das oftmals entscheidende Tor Vorsprung beschert, sondern zunächst auch die nötige Sicherheit und die Möglichkeit, den Gegner aus einer geordneten Defensive heraus auszukontern. Gegen Freiburg fiel das erste Tor in der vierten Minute, also noch früher als in den Spielen gegen Mönchengladbach (5.), Frankfurt (13.) oder Augsburg (27.). Während die anderen Führungstreffer aus teilweise abstrusen Abwehrfehlern der Gegner entstanden, war auch hier ein wenig Glück dabei. Ganz kohärent ist die Argumentation des DFB bezüglich des 1:0 und des aberkannten 2:0 jedenfalls nicht. Sei es drum: Einer von beiden Treffern hätte meiner Meinung nach mindestens zählen müssen, deswegen geht die Führung auch in Ordnung.
Zwar verpasste es die Mannschaft in der Folge, die Führung weiter auszubauen, sie konnte sich dabei aber auf ihre zweite Tabellenkletterhilfe verlassen: Die Zweikampfstärke. Es brauchte auch deshalb erst einen Fehlpass und einen schlecht postierten Ron-Robert Zieler für den Ausgleich, weil die Brustringträger vorher in der Defensive fast alle Freiburger Angriffe bereits abräumten, bevor der Ball überhaupt in den Strafraum kam. Irgendwie fanden sie immer eine Möglichkeit, die Fußspitze ans Spielgerät zu bringen und es damit aus der Gefahrenzone zu befördern. Nils Petersen beispielsweise gewann nur 15 Prozent seiner Zweikämpfe. Normal für einen Stürmer? Nun, selbst Erik Thommy und Daniel Ginczek, die beide offensiv nur eine mittelmäßige Partie ablieferten, hatten Werte von 50 und 38 Prozent, respektive. Die Freiburger blieben auch deswegen offensiv so harmlos, weil sie so zweikampfschwach waren…oder der VfB so stark.
Der Wunder-Beck
Jede gute Analyse hat natürlich drei Punkte und hier ist mein dritter: Schafft es der VfB mal nicht, die 1:0‑Führung bis zum Abpfiff aufrecht zu erhalten, geht es am Ende doch noch irgendwie gut. Zugegebenermaßen, die Grundgesamtheit ist mit zwei Spielen etwas zu klein, um wirklich einen Trend ableiten zu können. Aber wie schon in Köln passiert plötzlich das Unwahrscheinliche und die Punkte gehen nach Stuttgart. Vor zwei Wochen war es ein Tor von Andreas Beck, diesmal eine Flanke. Sieben mal hatten Beck und Insua versucht, den Ball auf diese Weise vors Tor und Mario Gomez und Daniel Ginczek damit in Schussposition zu bringen.
Dass Andreas Beck seine Stärken in der Defensive hat, darüber brauchen wir nicht weiter zu diskutieren, ebenso wenig darüber, dass ihm das System mit Viererkette mehr entgegen kommt, weil er sich eben auf die Defensive konzentrieren kann. Umso unglaublicher ist es, dass eine Flanke von ihm, ihm Nachschuss, die Führung und den Siegtreffer einleitet.
Verdient? Unverdient? Egal
Ja, wenn alle diese Sachen zusammen kommen — eine frühe Führung, Zweikampfstärke und der nötige Schuss Außergewöhnlichkeit — dann steht der VfB auch zurecht auf Platz 8 der Tabelle. Und wird wahrscheinlich erst in seinem Lauf gestoppt, wenn eine Mannschaft herausgefunden hat, wie sie die Phase nach einer frühen VfB-Führung zu ihrem Vorteil nutzen kann. Denn so eindrucksvoll es ist, wie schnell die Mannschaft die Partie an sich reißt, so erschreckend ist auch, was darauf meist folgt. Mit der Führung im Rücken fiel den Brustringträgern außer langen Bällen nur noch wenig ein. Nicht einmal ist es uns bisher gelungen, den Gegner so an die Wand zu spielen, dass man mit einer komfortablen Führung in die Pause geht. Noch schlimmer wurde es nach dem Ausgleich: Für circa zehn Minuten agierte die Mannschaft völlig kopflos und hätte sich gut und gerne noch ein Tor einfangen können. Auch hier der Verweis auf die erste Halbzeit in Köln.
Also alles doch nicht so toll? Steht der VfB zu unrecht auf Platz 8? Keineswegs. Aber wir dürfen uns auch nicht vom derzeitigen Erfolg blenden lassen. Ja, es wird höchstwahrscheinlich nicht mehr so einen Absturz geben wie vor zwei Jahren. Aber es ist auch nicht realistisch, dass es jetzt bis Saisonende so weitergeht. Und selbst wenn dem so sein sollte, müssen wir uns für nächste Saison etwas neues einfallen lassen. Sollte der Klassenerhalt bald nach der Länderspielpause auch rechnerisch feststehen, haben Michael Reschke und Tayfun Korkut genügend Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie den Fußball und die Mannschaft im Brustring weiter entwickeln wollen. Lasst uns bis dahin, ohne blinden Optimismus oder übertriebenen Pessimismus einfach den Status quo genießen. Im Good Place.
Titelbild: © VfB-Bilder.de