Es hätte ein richtiges Topspiel sein können, letztlich war es auf und neben den Rängen nicht das erwartete Spektakel. Trotzdem fährt der VfB mit einem unterm Strich souveränen Auftritt den neunten Sieg im zwölften Spiel ein.
Ein Tor in der ersten und eines in der letzten Minute der Halbzeit, ein Schiedsrichter, der sich verletzt auswechseln muss, ein Spiel ohne ein Tor von Serhou Guirassy und schließlich eine erst größtenteils leere, dann stumme Heimkurve: Was ein Fußballfest und der Zuschreibung durch die Liga als Topspiel gerecht hätte werden können, war am Ende ein für den VfB erfolgreiches, aber irgendwie auch ein ganz komisches Spiel. Zunächst soll es dabei ums Sportliche gehen, aber auch das Geschehen neben dem Platz ist leider auch in diesem Spielbericht Thema — etwas das hoffentlich nicht zur Regel wird.
Brandgefährlich und ein wenig leichtsinnig
Es gibt zwei Szenen, die verdeutlichen, zwischen welchen Extremen der VfB in diesem Spiel agierte. Als alte Bruddler fangen wir natürlich mit dem Negativen an: Alex Nübel schlug in der 26. Minute einen entgegen seiner Gewohnheit ziemlich unpräzisen Abschlag irgendwo ins Mittelfeld, auch Angelo Stiller war in dieser Szene nicht ganz auf der Höhe. Der Ball rollte postwendend wieder aufs Stuttgarter Tor zu, Philipp Max flankte, Waldemar Anton hielt seinen Schädel in diese Flanke und der Ball eierte über den machtlosen Alex Nübel ins Tor. Unkontrollierter Spielaufbau und ein bisschen Pech — kennen wir. Aber als Gegenbeispiel: Der Führungstreffer. Maxi Mittelstädt setzt sich an der Außenlinie gegen drei Frankfurter durch, spielt einen Strahl von einem Pass auf den zentral postieren Enzo Millot und der steckt den Ball sofort auf Deniz Undav durch, der zwischen Abwehr und Torwart durchwackelt und das Spielgerät im Zeitlupentempo — so zumindest meine Wahrnehmung im Block — ins Tor kullern lässt. Der VfB in Frankfurt, er war brandgefährlich und manchmal ein wenig leichtsinnig.
Das zeigte sich auch ganz gut im offensiven Pressing. Ständig wuselten zwei bis drei Stuttgarter zwischen Kevin Trapp und seinen Vorderleuten hin und her, in der Hoffnung, diesen möge ein ähnlicher Fauxpas unterlaufen wie den Hamburgern im Sommer in der Relegation. Der Nationaltorhüter behielt aber die Nerven, was wiederum bedeutete, dass der VfB mit diesem hohen und teilweise etwas wilden Pressing gegen eine der laufstärksten und schnellsten Mannschaften der Liga durchaus mit dem Feuer spielte. Dann die zahlreichen Ausrutscher auf einem seifigen Rasen, dem wohl auch das Kreuzband von Felix Brych zum Opfer fiel. Das hätte durchaus schief gehen können, tat es aber nicht, weil die Brustringträger ihr Tor wie die Löwen verteidigten. Ich übertreibe? Nun, für einen Waldemar Anton, der einem verloren gegangenen Ball über den halben Platz nachjagt und in der Frankfurter Drangphase einem Gegenspieler ohne Foul die Kugel ablief, fällt mir kaum ein anderer Begriff ein. Der Auftritt eines Kapitäns.
Luxussturm
Es war auch wieder so ein Spiel, wo die alten Reflexe greifen: Am Ende hatte die Eintracht laut Understat einen xG-Wert von 0,72 Toren. Die größte Chance hatte Ebimbe in der achten Minute, als er freistehend aus acht Metern an Alexander Nübel scheiterte. Es war Nübels einzige Parade und sie wäre am Ende wohl irrelevant gewesen, denn Ex-VfB-Spieler Omar Marmoush hatte sich bei seiner Hereingabe auf Ebimbe ins Toraus gedribbelt. So richtig gefährlich wurde die Eintracht also nicht, man hatte aber gerade in der zweiten Halbzeit häufiger das Gefühl, sie könnte es bald werden. Als dann auch der nach 60 Minuten eingewechselte Serhou Guirassy — welch ein Luxus, einen 15-Tore-Stürmer schonen zu können, weil sein Kollege den sechsten und siebten Saisontreffer erzielt — seine Chancen nicht nutzte, war klar, dass wir wieder bis in die Nachspielzeit würden zittern müssen. Und irgendwie nicht, denn der VfB spielte es allen Wacklern zum Trotz souverän runter gegen eine Frankfurter Mannschaft, die ihre zweifellos vorhandene Gefährlichkeit zu selten auf den Platz brachte, was aber den Auftritt des VfB genauso wenig schmälern sollte, wie bei der Hälfte der Liga, die zufällig immer gegen uns schlechte Tage haben.
Dass die SGE-Spieler ihre Leistung nicht wie aus den letzten Spielen gewohnt auf den Platz brachten, lag nach Ansicht mancher Beobachter daran, dass die Nordwestkurve lange größtenteils leer und danach stumm blieb — als hätten die anderen knapp 50.000 Heimfans weder Hände zum Klatschen, noch Münder zum Singen. Aber es passt natürlich ins Narrativ, dass die, die immer für eine beeindruckende Stimmung sorgen, nicht nur für eine Eskalation mit der Polizei gesorgt haben sollen, sondern auch für einen Punktverlust. Nun, ich war zu diesem Zeitpunkt nicht hinter der Frankfurter Kurve und Handyvideos dienen mir da genauso als ausreichende Bewertungsgrundlage für die Ereignisse wie die Berichte von Polizei und Fanhilfe. Wer allerdings während der Eskalation auch nicht hinter der Frankfurter Kurve stand sondern im Gästeblock: Sogenannte “rivalisierende Fangruppen”.
⚽️#SGEVfB
Auf dem Stadiongelände suchten rivalisierende Fangruppen zunächst die Eskalation untereinander, gingen dann beim Einschreiten unserer Einsatzkräfte dazu über, diese vehement anzugreifen.
Wir haben weitere Einsatzkräfte inkl. Wasserwerfer zur Unterstützung entsandt.
— Polizei Frankfurt (@Polizei_Ffm) November 25, 2023
Verhältnismäßig und nachvollziehbar?
Ich finde es einigermaßen erstaunlich, dass die Frankfurter Polizei eine solche offentlichliche Fehlinformation verbreitet und auch später nicht korrigiert. Letztlich wurde nicht nur beim Blick in den Gästeblock offensichtlich, dass alle organisierten Gruppen, die überhaupt groß genug wären, um sich auswärts in Frankfurt mit der heimischen Szene anzulegen, im Block waren. Selbst Eintracht Frankfurt widersprach dieser Darstellung.
Wenig später hieß es dann
⚽️#SGEVfB
Aktueller Sachstand:
Ordner wurden bedrängt und angegriffen.
Es folgte ein Notruf an die Polizei, zu unterstützen.Die Polizeikräfte wurden bei ihrem Eintreffen unmittelbar angegriffen und setzten sich u.a. auch mit Reizstoffen zur Wehr.
All das spielte sich im…
— Polizei Frankfurt (@Polizei_Ffm) November 25, 2023
Hier kann ich natürlich nicht auf eigene Beobachtungen zurückgreifen. Was man aus dem Gästeblock sah, waren lediglich erschreckend große Wolken, die sich später als Reizgas herausstellten und auch bei komplett unbeteiligten Stadionbesuchern zu Verletzungen führten. Dass Fans jedoch in ihrem eigenen Stadion in größerem Maße Ordner angreifen, die sie ja nicht nur alle zwei Wochen im Stadion sehen, sondern ihnen vermutlich auch außerhalb mal über den Weg laufen, macht mich zumindest skeptisch. Zumindest bei uns könnte ich mir so etwas nicht vorstellen, wenn ich in der Cannstatter Kurve den Umgang zwischen Szene und Ordnungspersonal beobachte, das muss sich aber nicht auf Frankfurt übertragen lassen.
Dennoch lässt mich die erste Behauptung der Frankfurter Polizei — jene, die auch VfB-Fans eine Mitschuld an der Eskalation gibt — skeptisch zurück. Wenn dieser Aussage von allen Seiten widersprochen wird, wie sehr kann man darauf vertrauen, dass spätere Äußerungen der Situation der Wahrheit entsprechen. Vor zwei Wochen erklärte die Stuttgarter Polizei, man habe VfB-Fans festgenommen, weil nicht zu erwarten gewesen sei, dass diese dem ausgesprochenen Platzverweis Folge leisten würden. Jetzt wird in Frankfurt von rivalisierenden Fangruppen fabuliert, die außer der Frankfurter Polizei niemand gesehen hat. Es mögen für Manchen Randnotizen sein, für mich offenbaren die Ordnungskräfte hier ein Glaubwürdigkeitsproblem. Gerade weil sie das staatliche Gewaltmonopol verkörpern, müssen ihre Aktion verhältnismäßig und nachvollziehbar sein. Die Verhältnismäßigkeit kann ich nicht abschließend beurteilen, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, welche deeskalierende Wirkung großflächig verteilte Kampfstoffe haben sollen. Nachvollziehbar sind Äußerungen wie der erste Tweet der Polizei für mich nicht. Ich hoffe, dass das nicht zum Trend wird — bereits am kommenden Samstag steht das nächste Flutlichtspiel im Neckarstadion an, am Nikolaustag kommt schon wieder Dortmund. Ich habe keine Lust, hier jede Woche die Stirn über sowas runzeln und mir demnächst wieder wohlfeile Forderungen von Innenministern und privaten Gewerkschaftsvereinen nach verschärften Maßnahmen — “gerade im Hinblick auf die anstehende Europameisterschaft” — anhören zu müssen. Hatten wir schon zur Genüge und sie werden kommen.
Spannender Dezember
Zurück zum Sportlichen: Was soll man sagen? Der VfB hat mit neun Siegen aus den ersten zwölf Spielen den zwanzig Jahre alten Rekord der Spielzeit 2003/2004 eingestellt. Bis Weihnachten stehen jetzt noch vier Ligaspiele und eine Pokalpartie an. Es erscheint nach den letzten Auftritten nicht ausgeschlossen — vorsichtig formuliert — dass die Brustringträger gegen Bremen und Augsburg jeweils einen Heimsieg einfahren und mit dann mindestens 33 Punkten schon sehr nah am Klassenerhalt wären. Bereits vor dem Spiel in Frankfurt merkte ich, dass die gewohnte “Wenn wir das heute verlieren, sieht es wieder ganz düster aus”-Anspannung dem Gefühl wich, dass eine Niederlage in Frankfurt weder vorprogrammiert, noch der Weltuntergang wäre. Erfreulich häufig überrascht uns der VfB dann positiv, so dass mir auch vor den kommenden Spielen nicht bange ist. Wie schon erwähnt, ich freue mich sogar darauf, zu sehen, was die Mannschaften gegen Leverkusen und in München rausholen kann und ob es ihr gelingt, Dortmund noch einmal zu schlagen. Gerne auch in einem komischen Spiel — aber bitte mit Fans.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass sieht einen Spektakulär unspektakulären VfB.
Titelbild: © DANIEL ROLAND/AFP via Getty Images