Zum vierten Mal in Serie gehen die Brustringträger als Sieger vom Platz. Nach einem Spiel in Darmstadt, welches sie vor zwölf oder 24 Monaten vermutlich verloren hätten. Das Repertoire der Mannschaft ist um eine Facette reicher.
Diese Saison hat unser VfB wirklich alles im Angebot: Furiose Auftritte, in denen er über Gegner wie Augsburg, Bochum, Freiburg oder sogar Leipzig hinwegfegt. Konzentrierte Auftritte wie in Köln oder gegen Dortmund, wo er wenig zulässt und dann zuschlägt. Offene Schlagabtausche wie gegen Leverkusen. Selten auch schwache Auftritte mit den konsequenten Punktverlusten. Am Samstag in Darmstadt kam ein dreckiger Auftritt hinzu, in dem der VfB vieles falsch machte, viele Widerstände überwinden musste und am Ende trotzdem als Sieger vom Platz ging. Wie eine Spitzenmannschaft, die man mit 15 Saisonsiegen und 46 Punkten aus 22 Spielen und nur noch vier Zählern Rückstand auf Platz 2 wohl unvermeidlicherweise ist.
Dass ein Auswärtsspiel bei einem Abstiegskandidaten schwer sein würde, war allen klar. Dass sich der SVD mangels individueller Qualität in ihrer Spielweise an den Namen der geschätzten Fanpodcast-Kollegen aus Darmstadt anlehnen würde, ja offensichtlicherweise musste, ebenso. Dass der VfB sich hingegen bereits vor dem Platzverweis so schwer damit tat, überraschte dann schon etwas. Zum Glück stand es zu diesem Zeitpunkt schon 1:0 für die Gäste, nachdem die Lilien zwei Mal hintereinander die gleiche Flanke im Fünfmeterraum nicht wegverteidigt kriegten. Immer wieder blitzte auch danach die individuelle Klasse des VfB auf, regelmäßig verhob sich die Mannschaft aber offensiv an ihrer Schönspielerei und wäre kurz vor der mittlerweile obligatorischen Unterbrechung fast mit einem Gegentor für diese (Fahr-) Lässigkeit bestraft worden.
Kratzen und Beißen
Auch nach der Unterbrechung und dem Seitenwechsel kam der VfB nicht wirklich besser ins Spiel und hatte Glück, dass es den Darmstädtern in weiten Teilen leider wirklich an der Qualität für die Bundesliga fehlt, die sie zu selten durch engagierte und kämpferische Auftritte aufwiegen können. Ich schreibe das nicht nur, weil ich hier wohne, aber es sind natürlich genau die Worte, die wir in den letzten beiden Jahren Abstiegskampf nicht hören wollten: Couragierte Leistung, aber leider keine Punkte. Wobei gerade beim ersten Gegentor auch deutlich wurde, warum der SV98 ligaweit die meisten Tore kassiert hat.
Aber genug vom Gegner, denn bei allen Unzulänglichkeiten der Brustringträger zeigten sie sich nach der Halbzeit von einer ganz anderen Seite. Pascal Stenzel hatte seinem Gegenspieler etwas unbeholfen blind ins Gesicht gepatscht und sah vom in dieser Szene zwar fehlerlosen, sonst aber von der Bissigkeit der Partie überforderten Schiedsrichter Tobias Welz die zweite Verwarnung des Spiels. In der Vergangenheit hätte wohl selbst die limitierteste Mannschaft dem VfB noch zwei Standardtore reingedrückt. Aber diese Saison ist halt alles anders. Die Brustringträger kratzten und bissen — im übertragenen Sinne — ließen sich fallen, schlugen den Ball weg, ließen sich Zeit und machten schließlich dank Neuzugang Mo Dahoud den Deckel auf ein qualvoll anzuschauendes Spiel.
Das Ziel nimmt Form an
Alles Eigenheiten, über die sich VfB-Fans in der Vergangenheit unerklärlicherweise bei gegnerischen Mannschaften im Abstiegskampf erzürnt hatten. Und in der Tat wirkte es nicht wie das Duell des Tabellendritten gegen das Schlusslicht, sondern mehr wie ein übliches VfB-Auswärtsspiel in den vergangenen zehn Jahren gegen einen Konkurrenten um den Klassenerhalt. Nur wir jetzt Spieler in unseren Reihen haben, die wirklich einen Unterschied machen können. Wie Serhou Guirassy, der beim Startelfdebüt direkt seinen 18. Saisontreffer netzte. Oder Enzo Millot, der nicht nur das 2:0 einleitete, sondern auch mehr Struktur ins Unterzahlspiel der Mannschaft brachte.
Nach zwei Dritteln der Saison nimmt das lange erhoffte und häufig besungene Saisonziel langsam Formen an. Unnötig zu erwähnen, dass wir noch nie zuvor 15 der ersten 22 Spiele einer Saison gewonnen haben, dass der Führungstreffer von Guirassy das 50. VfB-Tore dieser Saison war. Oder dass der VfB mit einem Heimsieg gegen Köln den Klassenerhalt auch rechnerisch perfekt machen kann. Es kommt noch besser: 17 Punkte groß ist aktuell der Vorsprung auf Werder Bremen, die den ersten nicht-europäischen Platz belegen. 13 Punkte steht der VfB vor Eintracht Frankfurt auf dem Conference-League-Platz, sechs vor Leipzig auf dem Europa-League-Platz und fünf Punkte vor Dortmund auf Platz 4.
Abgesehen davon, dass auch diese Mannschaften nicht jede Woche gewinnen, ist das eine komfortable Situation. Und man traut sich schon gar nicht nach oben zu blicken, wo der FC Bayern dem VfB schon auf vier Punkte entgegen gekommen ist. Dem VfB gelingt in dieser Saison vieles. Fußballfeste, Schützenfeste, Abzockfeste und eben auch Schlammschlachten. Mal schauen, wo das noch endet.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass erklärt den VfB zum Fight Club. Stuttgart.international findet solche Siege die schönsten Siege.
Titelfoto: © KIRILL KUDRYAVTSEV/AFP via Getty Images