Das große Warten

Auch in Freiburg…ach ihr wisst schon.

Wenn VfB-Fans ein kön­nen soll­ten, dann ist es War­ten. Im War­ten haben wir jede Men­ge Erfah­rung. Wor­auf war­tet man so als VfB-Fan? Nun, wir war­ten bei­spiels­wei­se dar­auf, dass Sascha Ste­ge­mann sich von vom Video “Assistant” Refe­ree davon über­zeu­gen lässt, sich Sze­nen, die er mit eige­nen Augen gese­hen hat, noch­mal solan­ge an einem Bild­schirm anzu­schau­en, bis er eine Kame­ra­ein­stel­lung gefun­den hat, die den gan­zen Video­zir­kus recht­fer­tigt. Wäh­rend­des­sen war­ten wir natür­lich auch und fra­gen uns statt­des­sen, was fle­xi­bler ist: Die soge­nann­te Ein­griffs­schwel­le des Video­as­sis­ten­ten oder unser Ner­ven­kos­tüm. Denn wir wir seit Wies­ba­den 2020 wis­sen, hat der VAR nie unrecht und not­falls legt man es sich beim DFB so, wie man es gera­de braucht, um die­ser Mischung aus schlech­ter Aus­bil­dung und schlech­ter Umset­zung die Daseins­be­rech­ti­gung zu ret­ten. Not­falls sieht man im Gespräch mit sei­nem Video­as­sis­ten “gar nix”, auch nicht mit Hin­ter­tor hoch und behaup­tet dann vorm Sport­ge­richt das Gegen­teil.

Span­nend ist für uns auch immer die Fra­ge, zu wel­chem Zeit­punkt des Spiels der VfB ein­bricht und sich selbst ein Bein stellt. Und vor allem wie? Wir hat­ten ja schon alles, von Rekord-Eigen­to­ren über frü­he und spä­te Gegen­to­re bis hin zu Gegen­to­ren, die direkt nach unse­rer Füh­rung fie­len. Sich sel­ber in Elf­me­ter­si­tua­ti­on manö­vrie­ren hat­ten wir gegen Mainz erst, aber zwei Mal in einem Spiel? Hüb­ch, mal wie­der was Neu­es. Klar kann man hier die gan­ze Schuld beim in bei­den Situa­tio­nen sehr höl­zern wir­ken­den Dan-Axel Zag­adou abla­den und dem Trai­ner, der ihn auf­ge­stellt hat. Zum einen lässt man damit aber außer acht, dass Zag­adou zusam­men mit Bor­na Sosa gera­de in der ers­ten Halb­zeit ein kla­res Upgrade auf der lin­ken Hälf­te der Vie­rer­ket­te dar­stell­te. Und zum ande­ren, dass die Pro­ble­me viel tie­fer lie­gen.

Jedes Tor ein Naturereignis

Wo soll man anfan­gen? Viel­leicht beim 1:0, das im Grun­de dadurch zustan­de kam, dass der VfB kurz vorm Frei­bur­ger Straf­raum den Ball ver­lor und ihn erst wie­der unter Kon­trol­le hat­te, als Fabi­an Bred­low ihn aus sei­nem Tor­netz hol­te. Der gan­zen Sze­ne vor­aus­ge­gan­gen war ein ver­meint­li­ches Aus­gleichs­tor, vor dem den VfB nur eine äußerst genau kali­brier­te Linie im Köl­ner Kel­ler bewahr­te. Es war, als hät­te die­se Mann­schaft mit dem Brust­ring, die bis dahin gegen einen unge­wöhn­lich schwa­chen Geg­ner soli­de ver­tei­digt hat­te und durch ein Traum­tor von Chris Füh­rich in Füh­rung gegan­gen wäre, in die­sem Moment gemerkt, dass sie nicht unver­wund­bar ist. Obwohl es wei­ter­hin 1:0 für sie stand, gaben die Spie­ler des VfB die Par­tie kom­plett aus der Hand und erlaub­ten den Frei­bur­gern Offen­siv­ak­tio­nen, die letzt­end­lich in den bei­den Elf­me­ter­si­tua­tio­nen ende­ten.

60 Minu­ten enga­gier­ter, wenn auch nicht inspi­rie­ren­der Fuß­ball also kom­plett für die Katz. Bezeich­nend auch die schwa­che Leis­tung von Wata­ru Endo, der sich in der zwei­ten Halb­zeit dem dro­hen­den Kon­troll­ver­lust auch nicht mehr ent­ge­gen stel­len konn­te. Viel­leicht hät­te da jemand wie Dinos Mavro­pa­nos gehol­fen, der zwar auch nie kom­plett feh­ler­frei agiert, als Ein-Mann-Büf­fel­her­de aber bis­wei­len offen­siv mal für ein wenig Unru­he sor­gen kann. Aber nein, Wal­de­mar Anton, der sich vor dem 0:1 von außen (!) über­lau­fen ließ und der dem Offen­siv­spiel erneut kaum Impul­se gab, muss­te ja spie­len. Also kam Mavro­pa­nos erst rein, als man ver­such­te, den Aus­gleich mit der Brech­stan­ge und einem groß gewach­se­nen Innen­ver­tei­di­ger im Sturm zu erzwin­gen. Und setz­te sonst auf One-Hit-Won­der Füh­rich und die zu ver­spiel­ten Dias und Perea. Erneut schaff­te es die Mann­schaft nicht, den Deckel drauf zu machen und über die gesam­te Spiel­zeit die Span­nung hoch­zu­hal­ten. Vor ein, zwei Jah­ren war man sich noch sicher, dass irgend­wer schon gleich noch das zwei­te Ding machen wür­de und so kam es dann meist auch auch. Mitt­ler­wei­le muss man jedes Tor für ein Natur­er­eig­nis hal­ten.

Sind wir bald da?

Womit wir wie­der zum War­ten kom­men. Noch immer war­ten wir auf den ers­ten Aus­wärts­sieg seit vier­zehn Mona­ten. Oder mal auf ein Heim­spiel zu Null. Vor allem war­ten wir dar­auf, dass es bes­ser wird. “Trust the pro­cess” hieß es lan­ge, wenn auch nicht in die­sem Wort­laut von allen Sei­ten. Ob von Sven Mislin­tat, der über­zeugt war, dass sei­ne Trans­fer­stra­te­gie und Kader­pla­nung lang­fris­tig Früch­te tra­gen wür­de, nicht nur finan­zi­ell, son­dern auch sport­lich. Oder von Alex­an­der Wehr­le, der den anwe­sen­den Jour­na­lis­ten im Sep­tem­ber emp­fahl, sich mal zu ent­span­nen, als es um die nicht abge­spro­che­ne Ein­stel­lung von Chris­ti­an Gent­ner ging. Oder zuletzt von Bru­no Lab­ba­dia, dem schein­bar nach fünf Rück­run­den­spie­len und unzäh­li­gen Trai­nings­ta­gen zwi­schen Beginn sei­ner Amts­zeit und dem Rest­run­den­auf­takt die Zeit fehlt, um (s)eine erfolg­rei­che Visi­on vom Fuß­ball zu imple­men­tie­ren und der des­we­gen in jedem Spiel stur das glei­che pro­biert, in der Hoff­nung, es wür­de irgend­wann funk­tio­nie­ren. Ver­traut ein­fach dem Pro­zess!

Das Pro­blem an der Sache: Die­se Hal­tung, bezie­hungs­wei­se die­ser Aus­spruch kommt aus dem US-Sport. genau­er gesagt von den Phil­adel­phia 76ers, die Mit­te des Jahr­zehnts vor der Her­aus­for­de­rung stan­den, die Fran­chise sport­lich vom Grund auf wie­der­auf­zu­bau­en — das in aller Kür­ze, Bas­ket­ball-Fans mögen mir ver­zei­hen, falls es zu ver­kür­zend ist. Und wäh­rend “The Pro­cess” in Phil­adel­phia schein­bar sei­ne Wir­kung zeig­te, lässt sich das gan­ze natür­lich nur schwer­lich auf den Fuß­ball über­tra­gen. Wenn Du im US-Sport wesent­lich mehr Spie­le ver­lierst als gewinnst, hast Du höchs­tens eine ver­ä­ger­te Fan­ba­se und ein paar gute Draft-Picks. Im Fuß­ball steigst Du ab. Die Fra­ge ist also: Wie lan­ge müs­sen wir noch war­ten, bis der VAR end­lich so funk­tio­niert wie er soll, bis die Mann­schaft end­lich mal ein Spiel sau­ber über die Büh­ne bringt, bis hane­bü­che­ne Auf­stel­lun­gen funk­tio­nie­ren und bis die­se Mann­schaft end­lich das Poten­zi­al abruft, dass ich und ande­re ihr seid Jah­ren zuschrei­ben?

Fuck the process

Nach dem 20. Spiel­tag ist der VfB durch das lei­der über­haupt nicht über­ra­schen­de 4:1 von Her­tha gegen Glad­bach auf den vor­letz­ten Tabel­len­platz abge­rutscht. Nur drei Sie­ge ste­hen in die­ser Sai­son zu Buche, so wenig wie in 55 Jah­ren Bun­des­li­ga nicht. Die aktu­ell auf dem Punk­te­kon­to ver­zeich­ne­ten 16 Zäh­ler wären eben­so ein Nega­tiv­re­kord, hät­te es da nicht einen VfB-Trai­ner namens Mar­kus Wein­zierl gege­ben. Wir haben von den letz­ten 54 Liga­spie­len nur gan­ze zehn Spie­le gewon­nen und dabei teil­wei­se ent­we­der erschre­cken­den Fuß­ball gespielt oder und erschre­ckend dumm ange­stellt. Von den 95 Gegen­to­ren in die­sem Zeit­raum mal ganz zu schwei­gen. Ich sehe kei­ne Ent­wick­lung. Weder kurz­fris­tig, also in den letz­ten fünf Spie­len, noch lang­fris­tig, also über die letz­ten ein­ein­halb Jah­re. Und mein Ver­trau­en in den Pro­zess schwin­det mehr und mehr, vor allem wenn der Pro­zess uns in die zwei­te Liga bringt. Natür­lich hat uns kurz­fris­ti­ges Den­ken genau­so dort­hin gebracht.

Aber wenn wir uns schon in eine Lage manö­vriert haben, in der die Zahl der Nie­der­la­gen wöchent­lich steigt und die der ver­blei­ben­den Spie­le sinkt, dann möch­te ich ger­ne erst ein­mal eine kurz­fris­ti­ge Lösung haben. Und dann möch­te ich irgend­wann wis­sen, wann es end­lich wie­der bes­ser wird. Ich hab das War­ten näm­lich satt.

Zum Wei­ter­le­sen: Der Ver­ti­kal­pass erin­nert an Alex­an­der Wehr­les Recht­fer­ti­gung für die Ein­stel­lung von Bru­no Lab­ba­dia, der­zu­fol­ge am Ende die sport­li­chen Ergeb­nis­se zäh­len.

Titel­bild: © Arnd Wiegmann/Getty Images

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