Cannstatter Räterepublik

VfB-Prä­si­dent Claus Vogt hat ange­kün­digt, einen Exper­ten­rat ins Leben zu rufen. Wert­vol­ler Blick über den Tel­ler­rand oder nur ein wei­te­rer Koch in der Küche?

Ver­eins­vor­stand, Ver­eins­bei­rat, Auf­sichts­rat der AG, Prä­si­di­al­rat der AG, Vor­stand der AG — an Pos­ten und Gre­mi­en herrscht beim VfB wahr­lich kein Man­gel. Kein Wun­der, hat man ja durch die Aus­glie­de­rung im Jahr 2017 mit der VfB Stutt­gart 1893 AG eine ganz neue Orga­ni­sa­ti­on aus dem Boden gestampft und das bis­her recht über­schau­ba­re Orga­ni­gramm des ein­ge­tra­ge­nen Ver­eins ent­spre­chend erwei­tert. Zumin­dest rein for­mell liegt die Hoheit über das Gebil­de VfB jedoch wei­ter­hin beim Prä­si­den­ten des ein­ge­tra­ge­nen Ver­eins, der bis­lang öffent­lich­keits­wirk­sam noch nicht viel prä­sen­tie­ren konn­te, von einem Trai­ner­wech­sel kurz nach Amts­an­tritt mal abge­se­hen.

Mehr oder min­der neben­bei hat Claus Vogt aber in der ers­ten Aus­ga­be des Mit­glie­der­ma­ga­zins dun­kel­rot “fal­len las­sen” — also mit dem zustän­di­gen Redak­teur abge­stimmt, dass er das The­ma gern plat­zie­ren wür­de — dass er sich mit dem Grü­nen-Poli­ti­ker Cem Özd­emir gut ver­steht und ihn sich in einem Exper­ten­rat gut vor­stel­len kön­ne, der “in Kür­ze sei­ne Arbeit auf­neh­men wird.” In Kür­ze? Oha, da heißt es auf­ge­merkt, wo doch vie­le VfB-Mit­glie­der bei den Ver­samm­lun­gen im Herbst nicht mal wuss­ten, dass die Zei­ten, in denen man dem Auf­sichts­rat die Ent­las­tung ver­wei­gern kann, vor­bei sind. Wer blickt bei so vie­len Räten noch durch?

Expertenrat statt Mitgliederausschüsse

Beim VfB weiß man natür­lich um die Beden­ken, die die Bil­dung eines wei­te­ren Gre­mi­ums mit sich bringt. Vogt betont des­halb auch direkt, dass das Gre­mi­um “aus einem klei­nen, hoch­ka­rä­tig besetz­ten Per­so­nen­kreis” bestehen, aber ledig­lich bera­ten­de Funk­ti­on haben wird und bei Bedarf um “sach­kun­di­ge Ver­eins­mit­glie­der oder Exter­ne” ergänzt wird. Die Vor­schlä­ge des Exper­ten­rats wür­den dann in die Gre­mi­en ein­ge­bracht und dort gege­be­nen­falls ent­schie­den. Ange­sie­delt sei der Exper­ten­rat direkt beim Prä­si­den­ten, also bis min­des­tens zum 11. Okto­ber die­ses Jah­res bei ihm.

Zunächst ein­mal hört sich das alles nicht schlecht an. Gera­de im Fuß­ball ist die Gefahr für Ver­ei­ne und Ent­schei­dungs­trä­ger hoch, im eige­nen Saft fest­zu­schmo­ren und sich nur auf die eige­ne Exper­ti­se zu ver­las­sen. Im Kon­text der Bil­dung des Exper­ten­rats dürf­te auch die Auf­lö­sung der bis­he­ri­gen Mit­glie­der­aus­schüs­se, nament­lich Ver­eins­ent­wick­lung und Nach­wuchs­leis­tungs­zen­trum zu sehen sein. Wie effek­tiv die­se gear­bei­tet haben, ver­mag ich von außen nicht zu beur­tei­len: Im Aus­schuss für das NLZ saßen neben Timo Hil­de­brand ver­schie­de­ne Eltern aktu­el­ler und ehe­ma­li­ger VfB-Spie­ler, die Aus­schüss­ler für Ver­eins­ent­wick­lung kamen mir das letz­te Mal bei der abge­bro­che­nen Mit­glie­der­ver­samm­lung im Som­mer 2019 unter, als eini­ge VfB-Mit­glie­der aus die­sem Kreis vehe­ment eine Lan­ze für Wolf­gang Diet­rich bra­chen — unter des­sen Ver­eins­füh­rung die Aus­schüs­se ja auch ein­ge­rich­tet wur­den.

Vernetzung mit Politik und Wirtschaft

Zur Stutt­gar­ter Zei­tung “sicker­ten” übri­gens sogleich auch ein paar mög­li­che Kan­di­da­ten für den Exper­ten­rat durch: Neben dem bereits von Claus Vogt ange­spro­che­nen Cem Özd­emir mit dem CDU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Chris­ti­an von Stet­ten ein wei­te­rer Poli­ti­ker sowie Edin Rahic — Ende 2018 als Geschäfts­füh­rer beim dama­li­gen eng­li­schen Dritt­li­gis­ten Brad­ford City ent­las­sen — und Man­fred Boschatz­ke von der Alli­anz. Jetzt muss man durch­ge­si­cker­te Namen, von dem Özd­emirs, der schon meh­re­re Avan­cen Vogts und des VfB bis­her abge­wehrt hat, mal abge­se­hen, natür­lich mit Vor­sicht genie­ßen. Den­noch zeich­net sich ab, dass sich Vogt, sel­ber Unter­neh­mer, vor allem im Bereich der Poli­tik und der regio­na­len Wirt­schaft noch stär­ker ver­net­zen und die­ses Netz­werk für den VfB nut­zen will.

Auch das ist ange­sichts der der­zei­ti­gen wirt­schaft­li­chen Aus­nah­me­si­tua­ti­on grund­sätz­lich kei­ne schlech­te Idee, schließ­lich will oder sogar muss der Ver­ein noch die Sanie­rung des Neckar­sta­di­ons für die EM 2024 stem­men, deren Finan­zie­rung, so war aus der Stadt­po­li­tik zu hören, am Auf­stieg des VfB hängt. Gleich­zei­tig bie­tet man mit die­sem Gre­mi­um, sechs bis acht Per­so­nen — so die Anga­be in der StZ — wie­der ein neu­es Betä­ti­gungs­feld. Gesche­hen die Bera­tun­gen hin­ter ver­schlos­se­nen Türen und blei­ben es die Ergeb­nis­se der Bera­tun­gen auch so lan­ge, wie es sinn­voll ist? Wün­schens­wert wäre das, die Ver­gan­gen­heit hat uns beim VfB immer wie­der eines bes­se­ren belehrt. Ver­fol­gen ein­zel­ne Exper­ten­rä­te eige­ne Agen­das sowie das in der Ver­gan­gen­heit ver­mut­lich die Ver­tre­ter des heu­ti­gen Anker­in­ves­tors taten? Man kann es grund­sätz­lich nicht aus­schlie­ßen. Und wozu bera­ten die­se — geht man von den bis­he­ri­gen Namen aus übri­gens aus­schließ­lich — Her­ren Claus Vogt eigent­lich: In sei­ner Funk­ti­on als Prä­si­dent des e.V. oder als Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der der AG? Da sind ja durch­aus unter­schied­li­che The­men an der Tages­ord­nung.

Klare Zuständigkeiten bei der Investorensuche

Zum Bei­spiel: Der sagen­um­wo­be­ne zwei­te Inves­tor, der sich nichts sehn­li­cher wünscht, als Geld in einen Ver­ein zu ste­cken, der vor nicht mal einem Jahr zum zwei­ten Mal in drei Jah­ren abstieg und sich orga­ni­sa­to­risch bis auf die Kno­chen bla­mier­te. Ok, las­sen wir die Pole­mik, aber obwohl Wolf­gang Diet­rich sich ja red­lich Mühe gab, so zu tun, als habe er den Daim­ler an Land gezo­gen und nicht umge­kehrt, stan­den wei­te­re Inves­to­ren bis­her nicht unbe­dingt Schlan­ge. Das Geld könn­te der VfB nach der Coro­na-Kri­se jedoch gut gebrau­chen — objek­tiv gese­hen, ich per­sön­lich brau­che kei­nen wei­te­ren Inves­tor.

Claus Vogt spricht das The­ma im Inter­view mit der Mit­glie­der­zei­tung an und auch die Stutt­gar­ter Zei­tung greift es auf: Vogt bringt eine Mit­tel­stands­be­tei­li­gung ins Spiel und zielt des­we­gen wahr­schein­lich in der Zusam­men­set­zung des Exper­ten­rats auch auf die eben ange­spro­chen Ver­net­zung mit der regio­na­len Wirt­schaft. Hei­ko Hin­rich­sen ver­weist in sei­nem Arti­kel wie­der­um auf eine Aus­sa­ge Tho­mas Hitzl­sper­gers, der die Vor­stel­lung einer Mit­tel­stands­be­tei­li­gung als roman­tisch bezeich­net. Natür­lich bege­ben wir uns hier wie­der ins Reich der Spe­ku­la­tio­nen, zwei Fra­gen sind aber ange­bracht: Gibt es hier eine Dis­so­nanz zwi­schen Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­den und Prä­si­dent einer­seits und dem Vor­stands­vor­sit­zen­den ande­rer­seits? Und ist die­se Dis­so­nanz ein Pro­blem?

Schließ­lich hat­ten wir ja bis letz­ten Som­mer de fac­to einen Allein­herr­scher, der im e.V. die Rich­tung vor­gab und in der AG mehr agier­te als beauf­sich­tig­te. Dass Hitzl­sper­ger und Vogt nicht immer einer Mei­nung sind, liegt also in der Natur der Sache und soll­te den VfB eigent­lich vor­an­brin­gen. Unter ver­schie­de­nen Vor­aus­set­zun­gen: Ähn­lich wie beim Exper­ten­rat soll­ten die Kom­pe­ten­zen klar gere­gelt sein. Nach mei­nem Ver­ständ­nis ent­schei­det über den Ver­kauf wei­te­rer Antei­le an der AG der Mehr­heits­ei­gen­tü­mer und nicht das Objekt des Ver­kaufs sel­ber. Soll hei­ßen: Tho­mas Hitzl­sper­ger darf natür­lich eine Mei­nung zum zwei­ten Inves­tor haben und die­se auch äußern — die letzt­end­li­che Ent­schei­dung trifft aber Claus Vogt. Gleich­zei­tig soll­te sich Claus Vogt, anders als Wolf­gang Diet­rich, aus dem ope­ra­ti­ven Geschäft des AG-Vor­stands unter Tho­mas Hitzl­sper­ger her­aus­hal­ten. 

Eigene Meinung — zum Wohle des VfB

Soweit die Theo­rie und mei­ne Erwar­tungs­hal­tung. Man darf aber bei aller Sym­pa­thie für sowohl Vogt auch als Hitzl­sper­ger nicht ver­ges­sen, dass bei­de auch ihre eige­nen Zie­le haben: Vogt möch­te im Herbst oder wann auch immer die nächs­te Mit­glie­der­ver­samm­lung statt­fin­det wie­der­ge­wählt wer­den und muss dafür bis dahin zumin­dest einen Teil sei­ner ange­sto­ße­nen Pro­jek­te umge­setzt haben. Tho­mas Hitzl­sper­ger muss als Haupt­ver­ant­wort­li­cher für den Pro­fi­fuß­ball beim VfB lie­fern — sport­lich und damit ver­bun­den auch wirt­schaft­lich. Gleich­zei­tig ist er nach sei­nem stei­len Auf­stieg der neue star­ke Mann beim VfB und wird die­se Posi­ti­on auch zemen­tie­ren wol­len.

Also: Gre­mi­en mit Exper­ti­se und unter­schied­li­che Mei­nung inner­halb des Gesamt­kon­strukts VfB ger­ne. Aber bit­te mit klar abge­grenz­ten Kom­pe­ten­zen, ver­trau­li­chem Umgang mit Inter­na und kon­struk­ti­ver Zusam­men­ar­beit. Mit ande­ren Wor­ten: Zum Woh­le des VfB.

Titel­fo­to: © Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

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