Aufsteigen bitte!

16 Spie­le hat der VfB noch, um den völ­lig unnö­ti­gen Abstieg des letz­ten Jah­res zu kor­ri­gie­ren. Ist der Ver­ein bereit dafür?

„Es wäre trau­rig für den VfB, der seit 125 Jah­ren besteht,”, so Claus Vogt, der neu­ge­wähl­te Prä­si­dent des VfB Stutt­gart 1893 e.V. im Gespräch mit den Stutt­gar­ter Nach­rich­ten, “wenn die nächs­ten fünf Mona­te allein über die Zukunft des Ver­eins ent­schei­den wür­den.“ Und damit herz­lich will­kom­men in der Rest-Rück­run­de der Sai­son 2019/2020, in der vor dem Auf­takt am Mitt­woch gegen Hei­den­heim schein­bar gilt: Alles kann, nichts muss.

Vom Risiko ins Risiko

Hat er genügend Zeit? © VfB-exklusiv.de
Hat er genü­gend Zeit? © VfB-exklusiv.de

Oder? Natür­lich ist das etwas zuge­spitzt, aber man wird das Gefühl nicht los, dass uns nach einer anstren­gen­den Hin­run­de eine eben­so schwie­ri­ge Rück­run­de bevor­steht. Dafür sorgt nicht zuletzt der Trai­ner­wech­sel. Den kann man für sinn­voll oder über­flüs­sig hal­ten, letzt­lich führ­te er aber in jedem Fall dazu, dass die Mann­schaft ihre Win­ter­vor­be­rei­tung unter einem Trai­ner absol­vie­ren muss­te, als ihre Som­mer­vor­be­rei­tung. Das drückt sich dann in so Zita­ten aus wie jenen, die am Mon­tag auf der ers­ten Pres­se­kon­fe­renz von Pel­le­gri­no Mat­a­raz­zo fie­len:

“Wir haben eini­ge Auto­ma­tis­men, wie wir noch bre­chen müs­sen. Bei den defen­si­ven Abläu­fen bin ich zufrie­den, aber offen­siv gibt es noch zu tun.”  (Quel­le: StZ)

und

“Kei­ne Zeit” war hin­ge­gen bis­lang für die Rubrik Ball­ge­winn. Die ande­ren Inhal­te “haben wir rein­ge­presst, zudem viel Kopf­ar­beit geleis­tet”. (Quel­le: kicker)

Kommt einem alles irgend­wie bekannt vor, oder? Schließ­lich hieß es auch zu Beginn der Sai­son häu­fig, Tim Wal­ter brau­che Zeit, um sein neu­es Spiel­sys­tem zu imple­men­tie­ren. Oder wie Sven Mislin­tat es nach der 2:6‑Pleite in Ham­burg for­mu­lier­te: “„Jun­ge Men­schen brau­chen auch mal die Zeit, um Feh­ler zu machen. Wir haben uns für die­sen Weg ent­schie­den und müs­sen akzep­tie­ren, dass wir auch mal einen auf die Fres­se krie­gen.“ Nach der Hin­run­de waren es dann wohl doch ein paar Schlä­ge zu viel, die Geduld war auf­ge­braucht. Müs­sen wir uns jetzt wie­der gedul­den, bis die offen­si­ven Abläu­fe funk­tio­nie­ren? Bis die Auto­ma­tis­men im Offen­siv­spiel auf­ge­bro­chen sind? Bis die Mann­schaft weiß, dass sie einen gewon­nen Ball mög­lichst schnell ver­ti­kal wei­ter­spie­len muss, statt ihn erst­mal von Sei­ten­li­nie zu Sei­ten­li­nie zu tra­gen? Hat man nicht Mat­a­raz­zo auch des­we­gen ver­pflich­tet, weil er kei­nen kom­plet­ten Bruch zu sei­nem Vor­gän­ger dar­stellt, son­dern des­sen Fuß­ball offen­siv ver­fei­nern und defen­siv absi­chern soll­te?

Hat seinem Nachfolger scheinbar viel Arbeit hinterlassen: Tim Walter. © Getty/Bongarts
Hat sei­nem Nach­fol­ger schein­bar viel Arbeit hin­ter­las­sen: Tim Wal­ter. © Getty/Bongarts

Wie man es dreht und wen­det: Einen Trai­ner zu ver­pflich­ten, der die Mann­schaft fuß­bal­le­risch auf links dreht und ihn nach einem hal­ben Jahr wie­der zu ent­las­sen, nur damit sein Nach­fol­ger die Mann­schaft wie­der zurück­dre­hen muss, birgt ein ziem­li­ches Risi­ko. Ein Risi­ko, dass wir uns ange­sichts von drei Liga-Spie­len in den nächs­ten zwei Wochen eigent­lich nicht leis­ten kön­nen. Zumal mit Hei­den­heim die bes­te Defen­si­ve der Liga ins Neckar­sta­di­on kommt, so dass eigent­lich eher die Offen­si­ve schon ein­satz­be­reit sein soll­te. Zumal die Rest­ver­tei­di­gung eigent­lich nicht mehr das domi­nie­ren­de The­ma war, nach­dem Wal­ter sei­ne Spiel­idee als Reak­ti­on auf das Deba­kel in Ham­burg etwas kon­ser­va­ti­ver gestal­te­te. Ganz im Gegen­teil: Die Tore von Sand­hau­sen, Osna­brück und Darm­stadt fie­len nach Stan­dard­si­tua­tio­nen, auch bei den Toren gegen Han­no­ver stan­den genü­gend Leu­te zwi­schen Ball und Tor und man betrach­te zur Ver­an­schau­li­chung nur mal den 1:2‑Anschlusstreffer von Hei­den­heim im Hin­spiel, als sich Lei­pertz durch eine voll­be­setz­te VfB-Abwehr wursch­tel­te. Viel ekla­tan­ter war eigent­lich in den bis­he­ri­gen 18 Spie­len, dass der Mann­schaft nicht wirk­lich viel ein­fiel, um die Anzahl der gefähr­li­chen Tor­chan­cen in eine sol­che Höhen zu trei­ben, dass allein von der Wahr­schein­lich­keits­rech­nung her auch gegen einen Mann­schafts­bus im Straf­raum mal genü­gend Tore für einen Aus­wärts­sieg fal­len muss­ten.

Skepsis aus Erfahrung

Man ver­zei­he mir die Skep­sis, aber ich kann sie nach dem unzäh­ligs­ten Neu­an­fang mit­ten in der Sai­son nicht mehr unter­drü­cken. Die Pha­se des tri­al and error, die Tho­mas Hitzl­sper­ger und Sven Mislin­tat schein­bar im letz­ten hal­ben Jahr durch­lie­fen, muss jetzt been­det sein. Und auch die Mann­schaft darf sich nicht mehr sol­che unter­ir­di­schen Auf­trit­te mehr leis­ten wie in der ers­ten Halb­zeit in Han­no­ver. Und Aus­re­den will ich nicht mehr hören: Wenn es an Tim Wal­ter lag, dann hat man das Pro­blem ja jetzt gelöst und wenn es trotz­dem an Tim Wal­ter liegt, dann hat man den Feh­ler bereits im Som­mer began­gen. An wir­ren VAR-Ent­schei­dun­gen und schlech­ten Platz­ver­hält­nis­sen lei­den wir nicht exklu­siv und genü­gend Geld für eine Ver­stär­kung der Mann­schaft wäre auch da.  Ich will hier übri­gens nicht die Arbeit von Pel­le­gri­no Mat­a­raz­zo kri­ti­sie­ren oder pro­phe­zei­en, dass der Rück­run­den­start in die Hose geht und der Auf­stieg futsch ist. Nein, es geht dar­um, dass wir uns in eine Situa­ti­on manö­vriert haben, in der  ein neu­er Trai­ner schein­bar nicht genü­gend Zeit zur Vor­be­rei­tung hat und ein Prä­si­dent meint, den Druck vom Kes­sel neh­men zu müs­sen. Und die Erfah­rung ver­bie­tet mir, dar­an zu glau­ben, dass beim Ver­ein für Bewe­gungs­spie­le jetzt urplötz­lich alles wie am Schnür­chen läuft. 

Natür­lich muss der Prä­si­dent des Tabel­len­drit­ten der  zwei­ten Liga erst­mal Ruhe und Beson­nen­heit ob der sport­li­chen Situa­ti­on aus­strah­len.  Und auch wenn alle Ver­ant­wort­li­chen immer wie­der beto­nen, dass der Wie­der­auf­stieg über allem steht, möch­te ich es an die­ser Stel­le noch ein­mal beto­nen: Es darf nicht zur Gewohn­heit wer­den, dass der VfB in der zwei­ten Liga spielt, er muss wie­der auf­stei­gen. Des­halb muss ich auch Claus Vogt teil­wei­se wider­spre­chen: Die nächs­ten Mona­te sind für den Ver­ein von gro­ßer Bedeu­tung. Noch­mal zur Erin­ne­rung: Die schlech­tes­te Bun­des­li­ga-Sai­son der Ver­eins­ge­schich­te und der drit­te Abstieg lie­gen gera­de ein­mal ein hal­bes Jahr zurück. Ein wei­te­res hal­bes Jahr Wohl­fühl­oa­se kön­nen wir uns nicht leis­ten. 

Das liebe Geld

Was kostet der Umbau des Neckarstadions? © Xocolatl/Wikipedia unter CC0
Was kos­tet der Umbau des Neckar­sta­di­ons? © Xocolatl/Wikipedia unter CC0

Denn eine Ver­län­ge­rung des Auf­ent­halts im Unter­haus hät­te schwer­wie­gen­de Fol­gen. Auch wenn es immer heißt, der Ver­ein kön­ne das ver­kraf­ten: Die Ein­schnit­te wären spür­bar. Schon allein finan­zi­el­ler Natur. Nach­dem vor die­ser Sai­son schon Würth abge­sprun­gen ist, stellt sich die Fra­ge, wel­che ande­ren Spon­so­ren ihr lang­fris­ti­ges Enga­ge­ment im glei­chen Umfang unter den Vor­be­halt des sofor­ti­gen Wie­der­auf­stiegs gestellt haben. Auch im Fern­seh­gel­dran­king wür­de der VfB wei­ter abrut­schen. Und dann ist da noch die Fra­ge der Sta­di­onpacht, bezie­hungs­wei­se des Umbaus des Neckar­sta­di­ons. Die Pacht ist der­zeit redu­ziert, müss­te aber in Zukunft wie­der erhöht wer­den, um den Anteil des VfB an der Sanie­rung zu finan­zie­ren. Manch ein Stutt­gar­ter Lokal­po­li­ti­ker ist gar der Mei­nung, ein Auf­stieg des VfB wäre die Vor­aus­set­zung für die Arbei­ten am Sta­di­on. 

Die finan­zi­el­le Lage hät­te auch Aus­wir­kun­gen aufs Per­so­nal und zwar jenes mit Fuß­ball­schu­hen und jenes ohne. Schon beim Abstieg muss­ten die Mit­ar­bei­ter der Geschäfts­stel­le Ein­bu­ßen hin­neh­men. Ich glau­be kaum, dass sich das ändert, wenn das Geld weni­ger wird. Und nicht, dass ich beson­ders scharf auf einen zwei­ten Inves­tor wäre, aber irgend­wie muss Geld ja rein­kom­men. Aber hat man da als Zweit­li­gist, der den Auf­stieg dann schon ein­mal in den Sand gesetzt hat, die gro­ße Aus­wahl, oder muss man eben neh­men, wer kommt? Was uns die Aus­glie­de­rung vor zwei­ein­halb Jah­ren über­haupt in Sachen sport­li­cher Kon­kur­renz­fä­hig­keit gebracht hat, soll­te man sich sowie­so zu einem spä­te­ren Zeit­punkt mal genau­er anschau­en.

Identifikationsfiguren?

Müssen wir uns in der Krise an einem Plüschalligator festhalten? © Getty/Bongarts
Müs­sen wir uns in der Kri­se an einem Plüschal­li­ga­tor fest­hal­ten? © Getty/Bongarts

Natür­lich lie­ße sich ein Teil der zu erwar­ten­den Min­der­ein­nah­men so wie im ver­gan­ge­nen Som­mer durch Trans­fers aus­glei­chen. Zumin­dest durch Pablo Maf­feo oder Nico­las Gon­za­lez käme viel­leicht fri­sches Geld rein. Ande­re Spie­ler, die auch Stüt­zen der Mann­schaft sein könn­ten, wären hin­ge­gen ein­fach so weg. Denn es ist nicht zu erwar­ten, dass die Leih­spie­ler Gre­gor Kobel, Pas­cal Sten­zel oder Wata­ru Endo ihre Zukunft in der zwei­ten Liga sehen. Die Mann­schaft wäre dann erneut einem Umbruch aus­ge­setzt.  Ein Umbruch, der auch dazu führt, dass sich den Fans kaum noch Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren bie­ten. Mario Gomez wird even­tu­ell im Som­mer sei­ne Kar­rie­re been­den und konn­te die Rol­le des Publi­kums­lieb­lings seit sei­ner Rück­kehr genau­so wenig aus­fül­len, wie der nach dem Abgang von Emi­lia­no Insua dienst­äl­tes­te VfB-Feld­spie­ler Hol­ger Bad­s­tu­ber. Und Dani­el Dida­vi? Der hat jetzt wie Chris­ti­an Gent­ner auch zwei von drei Abstie­gen in der Ver­eins­ge­schich­te in der Vita ste­hen. Nicht gera­de der Stoff, aus dem Legen­den gemacht sind. Nicht umsonst kon­zen­triert sich der­zeit viel auf die Per­son von Tho­mas Hitzl­sper­ger, der aber im Miss­erfolgs­fall und nach einem mög­li­chen wei­te­ren Trai­ner­wech­sel eben­falls eine ange­schla­ge­ne Repu­ta­ti­on hät­te. Nicht, dass ich es für sinn­voll hal­te, sei­ne Zunei­gung zum Ver­ein von einer Per­son abhän­gig zu machen. Aber es wäre schon schön, auch in Kri­sen­zei­ten jeman­den zu haben, von dem man weiß, dass man sich auf ihn ver­las­sen kann.

Wes­we­gen soll­ten die Fans also in der ins­ge­samt fünf­ten Zweit­li­ga-Sai­son, der zwei­ten in Fol­ge, noch so zahl­reich ins Sta­di­on strö­men, wie sie das bis­her getan haben? Schon jetzt macht sich eine gewis­se Müdig­keit breit, die nichts mehr mit der “Das eine Jahr zwei­te Liga neh­men wir jetzt auch noch mit”-Stimmung von 2016/17 zu tun hat. Auch beim HSV, der in vie­ler­lei Hin­sicht sehr ähn­lich gestrickt ist wie der VfB, sind die Zuschau­er­zah­len im zwei­ten Zweit­li­ga­jahr rück­läu­fig. Zumal auch ein Auf­stieg 2021 kein Selbst­läu­fer wär, denn mit den immer eher nach oben stre­ben­den Kon­kur­ren­ten aus Nürn­berg und Han­no­ver hät­te der VfB schon alle Hän­de voll zu tun, zudem müss­te man den Sta­tus als Platz­hirsch der Liga dann an die neu­en, finan­zi­ell gut aus­ge­stat­te­ten Abstei­ger abge­ben. Der Auf­stieg ist dann natür­lich trotz­dem nicht unmög­lich, aber stellt Euch mal vor, wie in Ham­burg der Baum brennt, wenn es die­ses Jahr nicht klappt, was ja tabel­la­risch kei­nes­falls undenk­bar ist. Der Druck wür­de auch beim VfB nicht klei­ner. 

Bitte nicht stolpern!

Schlägt hier also wie­der das schwie­ri­ge Umfeld durch, dass den Teu­fel an die Wand malt und den Unter­gang vor­her­sieht, bevor die VfB-Spie­ler das ers­te Mal unter Pel­le­gri­no Mat­a­raz­zo in einem Pflicht­spiel gegen den Ball getre­ten haben? Nein. Denn der Auf­stieg ist natür­lich immer noch pro­blem­los erreich­bar, das offen­bart schon die Tabel­len­si­tua­ti­on. Mich besorgt nur, dass sich der VfB auf dem Weg in eine erfolg­rei­che­re Zukunft mal wie­der selbst ein Bein stel­len könn­te. Durch die glei­che erra­ti­sche Per­so­nal­po­li­tik und die glei­chen Bequem­lich­kei­ten auf dem Platz wie in der Ver­gan­gen­heit. Des­we­gen müs­sen den ein­deu­ti­gen Wor­ten jetzt end­lich auch die ent­spre­chen­den Leis­tun­gen fol­gen. Kei­ner darf sich mehr hin­ter den hohen Anfor­de­run­gen des Trai­ners, der spie­le­ri­schen Pas­si­vi­tät der Geg­ner, aberkann­ten Tore und der­glei­chen ver­ste­cken. Nie­mand darf sich dar­auf ver­las­sen, dass wir dann eben 2021 auf­stei­gen oder dass ein Nicht-Auf­stieg nicht erheb­li­che Fol­gen hät­te. 

Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Des­we­gen lasst uns bit­te ein­fach auf­stei­gen.

Titel­bild: © Getty/Bongarts

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