Fast vergisst man angesichts der sportlichen Turbulenzen, dass der VfB immer noch seine Jubiläumssaison feiert. Für Rund um den Brustring Legenden haben wir uns das dazu erschienene Buch “Der VfB 1893 — 125 Geschichten aus dem Leben des Vereins für Bewegungsspiele Stuttgart” durchgelesen.
Dies ist der zweite Teil unserer Serie “Rund um den Brustring Legenden”, mit der wir das 125. Jubiläum des VfB Stuttgart im Blog und im Podcast begleiten wollen. Den ersten Teil, eine Reflektion über das Leben als VfB-Fan findet Ihr hier. Unser Ziel ist es dabei nicht, die Historie des Vereins von 1893 bis 2018 nachzuerzählen. Stattdessen wollen wir einzelne Aspekte herausgreifen und näher beleuchten. Dazu zählen beispielsweise das VfB-Trikot, die Cannstatter Kurve und die darin beheimateten Fans, ehemaliger Spieler, aber auch die Zeit des Brustrings unter dem Hakenkreuz und deren Aufarbeitung, auch wenn, und das ist uns bewusst, der Titel “Legenden” an dieser Stelle nicht passen wird. Wir hoffen, Euch damit ergänzend zu den vom Verein ausgerichteten Feierlichkeiten einen weiteren Einblick in die Geschichte des VfB bieten zu können. Wir freuen uns über Eure Rückmeldungen und eigenen Eindrücke, auch zum nun folgenden Text.
Da sage noch einer, Print sei tot! Auch in Zeiten, in denen sich der Verein für Bewegungsspiele und seine AG in den eSport vorwagen und auch im Marketing neue digitale Wege beschreiten, veröffentlicht er zu seinem Jubiläum einen 272 Seiten starkes Buch mit 125 Geschichten aus seiner Geschichte. Rein haptisch keine leichte Lektüre, denn diese Seiten kommen im quadratischen Hardcover daher. Eher ein Buch für den Coffee Table, als für die Bettlektüre. Es hat also auf den ersten Blick ebenjene Wucht, die Sportdirektor Michael Reschke immer wieder seinem Arbeitgeber zuschreibt, wenn es darum geht, die Anziehungskraft des VfB zu verdeutlichen.
Der VfB — mehr als Fußball
Dieses, das hundertfünfundzwanzigste, ist selbstredend nicht das erste Jubiläum, welches der VfB feiert. Und natürlich gehörte in früheren Zeiten erst recht zu jedem dieser Feiertage eine entsprechende Publikation. Während aber das Buch zum 100. Geburtstag des Vereins nicht nur vom Format, sondern auch inhaltlich sehr klassisch daherkam — hochkant, mit drei Vorwörtern, mehreren Seiten langen Texten und dem angesichts des Erscheinungsjahres unvermeidlichen Fokus auf die Ereignisse des 16. Mai 1992 — hat der VfB, in Person des Herausgebers und Vereinsarchivars Dr. Florian Gauß, dem Rückblick auf seine Geschichte einen neuen, zeitgemäßeren Anstrich verpasst.
Das geht schon los mit dem Aufbau des Buches, dass sich, wie der Titel bereits verrät, aus 125 Geschichten zur Historie des Vereins aus Bad Cannstatt zusammensetzt. Viele geschrieben von Florian Gauß und Mitarbeitern des VfB, aber auch andere kommen zu Wort: ehemalige Spieler wie Helmut Roleder, Fanszenen-Faktotum Ralph Klenk oder der frühere Finanzvorstand Ulrich Ruf. Nicht zuletzt natürlich auch die Mitglieder der Fußballabteilung und — und das ist eine der Besonderheiten dieses Buchs — die Mitglieder anderer Abteilungen. Und dies nicht in einem Kapitel 12 im hinteren Drittel des Buches, sondern immer wieder zwischen die sich natürlich in der Mehrheit befindlichen Beiträge zum Fußball eingestreut. Bei aller Strahlkraft, Verzeihung, Wucht, die die Fußballer haben ein schönes Zeichen an diejenigen, die unter dem VfB-Wappen Tischtennis, Faustball, Hockey spielen, Leichtathletik betreiben oder als Unparteiische auf dem Fußballplatz stehen.
Kompakte Texte, interessante Bilder
Auch in anderer Hinsicht ist dieses Jubiläums-Buch moderner als seine Vorgänger. Die Artikel zu den einzelnen Geschichten erstrecken sich nicht mehr über mehrere Seiten, sondern haben ein handliche Länge, die gut auf die eingangs beschriebenen quadratischen Seiten passt. Es mag am Format des Coffee Table Books liegen oder daran, dass man dem Leser der 2010er Jahre keine längeren Texte mehr zumuten will, auf jeden Fall wird kein Wort zu viel verloren. Was angesichts dessen, dass Verfasser von Jubiläumstexten gerne mal ins Schwafeln verfallen, vielleicht nicht die schlechteste Idee war.
Was das Buch an Textlänge spart, macht es an Fotos wieder wett — unter anderem gibt es Bilder aller zehn A‑Jugend-Meistermannschaften im Brustring zu sehen, ebenso wie das Sitzungsprotokoll der Fusion 1912, Giovane Elber, der das Internet zu einer Zeit erkundet, als es wirklich noch Neuland war und nicht zuletzt das Glückwunschschreiben aus Degerloch anlässlich der “Einreihung in die Bundesliga, der künftigen höchsten deutschen Spielklasse”, welche “Ihre geschätzte 1. Vertragsspielermannschaft, durch eine nicht zu überbietende Energieleistung” erreicht hatte, verbunden mit der “Hoffnung, dass Ihnen auch in den kommenden Jahren Glück und stets Erfolge beschieden sind”. Unter dem Strich eine gelungene Mischung aus zumindest mir teilweise noch unbekannten Fotos und Dokumenten und kompakten, interessanten und leicht verdaulichen Texten.
Ein Schritt nach vorne
Einen Schritt nach vorne hat der VfB aber nicht nur beim Format und der Textlänge gemacht, sondern auch bei einem Thema, welches er viel zu lange viel zu stiefmütterlich behandelt hat. Noch vor 25 Jahren war man sich nicht zu schade, das sogenannte “VfB Lied” in Gänze und daher auch mit den Liedzeilen “Die Parol heißt zum Wohl und aus Lieb zum Vaterland,/ Ihm zur Ehr, immer mehr, stählen wir uns unverwandt!/ Und bei jedem frischen, frohen Spiel, denken wir an unser höchstes Ziel:/ Daß es neu und stark ersteh’ dafür ’spielt’ der VfB” abzudrucken. Verbunden mit dem Hinweis, es möge vom Inhalt her nicht mehr zeitgemäß erscheinen, “aber es ist ein tradiertes Vereinsgut, das wert ist, erhalten zu werden.” Dass ein nach dem ersten Weltkrieg entstandenes, den Revisionismus jener Zeit atmendes Lied nicht nur nicht mehr zeitgemäß ist, sondern auch in einem Jubiläumsbuch nichts zu suchen hat, weiß man beim VfB mittlerweile. Viel mehr noch: Wurde die Tatsache, dass man den Nationalsozialismus beim VfB mit offenen Armen empfang, 1993 noch als unvermeidlicher Umstand der Zeitgeschichte dargestellt, bezieht man dazu endlich deutlicher Stellung: “Der VfB marschierte im Gleichschritt mit der damaligen Propaganda ins Finale” der Deutschen Meisterschaft 1935 und auch ein Stadion kriegt der Verein durch den persönlichen Kontakt zum nationalsozialistischen Oberbürgermeister. Es scheint vielleicht vermessen, diesem Teil des Buches derart viel Platz einzuräumen, aber es ist ein wichtiger Teil: Er kennzeichnet einen Fortschritt im Umgang des VfB mit seiner Vergangenheit und er ist erfreulicherweise erst der Anfang:
Der #VfB lädt zum Pressegespräch mit zwei Autoren und dem Präsidenten, da eine Arbeit (Buchform) mit dem Titel: „Der VfB Stuttgart und der Nationalsozialismus“ erscheinen wird. Das ist in mehrerlei Hinsicht lobenswert.
— Philipp Maisel (@philmaisel) October 15, 2018
Ein Nachschlagwerk ohne Zahlenkolonnen und Textwüsten
Lohnt es sich also, die 34,90 Euro für dieses Buch auszugeben und seine Sammlung an VfB-Büchern damit zu erweitern? Meiner Meinung nach auf jeden Fall. Selbst wenn nicht auf jeder Seite bisher unbekannte Vereinsschätze ausgegraben werden und beispielsweise auch den derzeitigen Sponsoren eine Seite gewidmet wird: Es ist ein umfassendes, inhaltlich wie äußerlich modernes und zu großen Teilen sehr interessantes Nachschlagewerk, ohne den Leser mit Zahlenkolonnen und Textwüsten aus 125 Jahren VfB zu erschlagen. Stattdessen decken die Texte neben den kleineren Vereinsabteilungen fast alles aus der Geschichte der Fußballer ab: Meisterschaften, Pokalsiege, Europapokalfinals, Aufstiege, Abstiege, Spieler, Trainer, Präsidenten, Fans und Stadion.
Es gibt ja häufig genug Grund, über den VfB zu bruddeln und net bruddelt isch eigentlich gnug globt, aber mit diesem Buch und der ebenfalls am 9. September eröffneten Ausstellung (Bilder und einen Bericht von Martin vom BrustringTalk gibt es beim Vertikalpass!) ist es dem VfB gelungen, sein Jubiläum angemessen und in einem tollen Rahmen zu begehen. Das muss man an dieser Stelle mal so deutlich sagen.
Das Buch “Der VfB 1893 — 125 Geschichten aus dem Leben des Vereins für Bewegungsspiele Stuttgart” ist im Verlag Die Werkstatt erschienen und kostet 34,90 Euro. Titelbild: © Verlag die Werkstatt