Am heutigen Sonntag feiert der VfB seinen 125. Geburtstag — ein Tag zum Feiern und Gratulieren. Aber auch ein Tag der Reflektion.
Bevor ich in die Reflektion einsteige: Wir hatten bereits in Podcast-Folge Nr. 40 angekündigt , dass wir das 125jährige Gründungsjubiläum des VfB auch im Blog und im Podcast begleiten werden. Mit diesem Text beginnen wir eine Reihe von Blogartikeln und Podcast-Folgen, die sich in den kommenden Monaten mit der Geschichte des VfB Stuttgart beschäftigen und unter dem Titel “Rund um den Brustring Legenden” firmieren. Unser Ziel ist es dabei nicht, die Historie des Vereins von 1893 bis 2018 nachzuerzählen. Stattdessen wollen wir einzelne Aspekte herausgreifen und näher beleuchten. Dazu zählen beispielsweise das VfB-Trikot, die Cannstatter Kurve und die darin beheimateten Fans, ehemaliger Spieler, aber auch die Zeit des Brustrings unter dem Hakenkreuz und deren Aufarbeitung, auch wenn, und das ist uns bewusst, der Titel “Legenden” an dieser Stelle nicht passen wird. Wir hoffen, Euch damit ergänzend zu den vom Verein ausgerichteten Feierlichkeiten einen weiteren Einblick in die Geschichte des VfB bieten zu können. Wir freuen uns über Eure Rückmeldungen und eigenen Eindrücke, auch zum nun folgenden Text.
125 Jahre sind also mittlerweile vergangen seit der Gründung des FV Stuttgart, der Keimzelle des VfB, am 9. September 1893 im Gasthaus zum Becher. Ein und ein Viertel Jahrhundert, in dem der Verein mehrere Metamorphosen durchmachte: Von der Vereinigung mit dem Kronenclub Cannstatt zum Verein für Bewegungsspiele am 2. April 1912 zum süddeutschen Spitzenverein und nationalsozialistischen Vorzeigeverein. Vom doppelten Meister und Pokalsieger der Nachkriegszeit zum Bundesliga-Gründungsmitglied. Vom dreifachen Bundesliga-Meister mit gelegentlichen Europapokal-Abenteuern zur VfB AG der Neuzeit. Möchte man dem Verein also zu seinem 125jährigen Bestehen gratulieren, stellt sich die Frage: Wem gratuliert man eigentlich?
Was ist der VfB und wie kann man ihn lieben?
Oder anders gefragt: Was ist der VfB, was macht ihn aus? Ist es die, rechnen wir die Fusion mit ein, seit 125 Jahren in dieser oder ähnlicher Weise bestehende Rechtsform? Oder ist es die im 124. Jahr des Bestehens ausgegliederte Fußballsparte? Ist es der rote Brustring, der sich seit 1925 auf den Trikot befindet? Oder das 1949 eingeführte Wappen mit dem roten Schriftzug, dem Gründungsjahr und den drei schwarzen Hirschstangen auf gelbem Grund, welches 2014 sein Comeback feierte? Ist es die Mannschaft oder die sportliche Leitung, deren Gesichter in den letzten Jahren viel zu häufig gewechselt haben? Oder sind es am Ende gar die Fans und Mitglieder des Vereins?
Daran schließt sich noch eine weitere Frage an: Zu was gratuliert man dem VfB? Zu 125 Jahren Existenz? Können wir auf die gesamte 125jährige Geschichte unseres Vereins stolz sein? Natürlich gibt es viel, worauf man als VfB-Fan stolz sein kann, auf das man mit Wohlwollen zurückblicken kann. Aber, ich habe es eingangs schon angesprochen und es wird auch dieses Jahr endlich vom VfB wissenschaftlich aufgearbeitet: Die Zeit des Nationalsozialismus ist war für keinen deutschen Fußballverein ein Ruhmesblatt, für den VfB war sie beschämend, denn nur allzu bereitwillig diente sich der Verein den faschistischen Machthabern an. Kann man stolz zurück blicken auf einen Gerhard Mayer-Vorfelder, der sich sicherlich um den Verein verdient gemacht hat, ihm aber auch einen hohen Schuldenstand hinterließ und während seiner Amtszeit nicht nur einmal mit politisch mehr als zweifelhaften Äußerungen auf sich aufmerksam machte? Auch die Beteiligung am Bundesliga-Skandal in den 1970ern, als Hans Arnold, Hartmut Weiß und Hans Eisele je 15.000 DM von Arminia Bielefeld annahmen oder die Dopingfälle in den 1980ern sind Teil der Vereinsgeschichte.
Mein Verhältnis zum VfB
Zur Klarstellung: Ich möchte mit diesen Fragen weder dem VfB, noch uns allen das große Jubiläum vermiesen, welches übrigens vom Verein, beziehungsweise dessen Marketingabteilung, sehr schön und stilvoll begangen und begleitet wird. Ich freue mich schon auf den Besuch der Jubiläumsausstellung, die heute im Mercedes-Benz-Museum eröffnet, das dazu erschienene Buch genauso wie ich mit Begeisterung das Spiel der Legenden am Tag des Brustrings verfolgt habe und seit ein paar Tagen fleißig Sticker ins VfB-Panini-Album klebe. Das soll also keineswegs das bruddelnde, miesepetrige Gegenstück zu den Feierlichkeiten des Vereins sein.
Im Gegenteil: Vielmehr möchte ich das heutige Jubiläum zum Anlass nehmen, mein Verhältnis zum VfB zu reflektieren, zu ergründen, warum ich Fan dieses Vereins bin und es hoffentlich noch lange bleiben werde, auch wenn Spieler, Trainer und Präsidenten mit der Zeit wechseln und die Geschichte des Vereins auch tiefdunkle Flecken hat. Denn ich bin offensichtlich nicht Fan dieses Vereins, weil er jedes Jahr Meister wird oder den schönsten Fußball der Liga spielt. Einen lokalen Bezug zum VfB habe ich auch nicht.
Der VfB als Idee
Warum bin ich also VfB-Fan und von was genau bin ich eigentlich Fan? Bin ich Fan des eingetragenen Vereins oder der AG? Bin ich Fan der Mannschaft, die aktuell den roten Brustring trägt? Natürlich kann jeder und so auch ich diese Fragen nur für sich selber beantworten und nur für sich sprechen. Für mich, und dieses Gefühl hat sich vor allem in den turbulenten letzten Jahren verstärkt, ist der VfB mehr als die Personen, die in ihm wirken, mehr als das Wappen, der Brustring oder das Neckarstadion, das schon seit 25 Jahren nicht mehr so heißt. Der VfB ist für mich eher so etwas wie eine abstrakte Idee, ein Gebilde, das per se nicht “schlecht” sein kann und deswegen Objekt meines Fanatismus ist, wenn man das Wort Fan auf diesen Begriff zurückführen möchte. “Schlecht” und damit schlecht für den Verein können nur handelnde Personen sein: Spieler, die den Verein sportlich in die Bredouille bringen, Vereinsverantwortliche, die den Verein in anderer Weise schlecht da stehen lassen.
Das hört sich natürlich, das ist mir bewusst, ziemlich esoterisch und ein bißchen plemplem an. Es drängen sich auch Parallelen auf zu der weit verbreiteten nationalistischen Idee einer Nation, die irgendwie unantastbar und heilig ist, im Gegensatz zum menschengemachten und ‑kontrollierten Staat mit seinen Fehlern. Ideologisch gesehen ein gefährliches Pflaster also. Die Vorstellung vom VfB als über den Dingen schwebende Idee, macht es natürlich auch einfacher, ihn unabhängig von den handelnden Personen zu sehen und zu lieben. Auf der anderen Seite verschließt man damit natürlich auch die Augen davor, dass diese Personen den Verein prägen — im Guten wie im Schlechten. Aber anders kann ich mir und anderen meine Begeisterung für den VfB nicht erklären.
Die Gegenwart
Warum bin ich VfB-Fan geworden? Weil der VfB im Jahr 1997, als ich begann, mich für Fußballvereine zu interessieren, für mich die einzige Alternative zu den damals sportlich und was die Anzahl der Fans anging dominanten Vereine aus Dortmund und München war. Einen lokalen Bundesliga-Verein hatte ich in Nordhessen nicht und Stuttgart war der sympathische Underdog, sportlich mit dem Pokalsieg auch ein wenig erfolgreich, aber eben nicht Teil des FCBVB-Duopols der späten 90er.
Warum bin ich immer noch VfB-Fan, obwohl ich heute ein größeres politisches Bewusstsein habe als im Alter von zehn Jahren, obwohl auch mein Verein jetzt nicht mehr komplett im Besitz seiner Fußballabteilung ist? Wie vereinbart man es mit sich selber, dass der eigene Lieblingsverein wesentlich wertkonservativer und mitunter immer noch provinzieller ist, als man das selbst gerne hätte, dass man sich beim VfB kaum gesellschaftlich positioniert — nicht weil die handelnden Personen es nicht wollen, sondern weil es einfach nicht Art des VfB ist, bei einer Ligaversammlung gegen die anderen zu stimmen, weil man beim VfB immer schon alles getan hat, um mit den Großen mitzuschwimmen? Warum bin ich immer noch Mitglied, obwohl die Rechte der Mitglieder noch weiter marginalisiert wurden, als sie das im Profifußball sowieso schon sind? Warum gehe ich weiter zu fast jeder unsäglichen Anstoßzeit, der auch der VfB in dieser Form zugestimmt hat ins Stadion, um eine Mannschaft anzufeuern, deren Vorgänger mich in den letzten Jahren aufs Bitterste enttäuscht haben?
Weil der VfB, eben diese Idee des VfB, mittlerweile ein Teil meines Lebens, ein Teil von mir ist. Wenn der VfB absteigt, steige ich mit ab. Wenn der VfB irgendwann wieder in den Europapokal kommt, bin ich auch im Europapokal. Wenn die im Verein handelnden Personen etwas falsch machen und damit dem VfB schaden, fühle auch ich mich geschädigt. Ich kenne Leute, die sich nach der Ausgliederung vom Verein entfernt haben. Ich hingegen kann einfach nicht anders, als weiterhin mit ihm zu hoffen und zu bangen, über die Menschen im Verein zu meckern, wenn es etwas zu meckern gibt und sie zu loben, wenn es etwas zu loben gibt. Denn auch das ist Teil meines Fanseins: Ich habe mich schon lange davon verabschiedet, diese Art der Verehrung einem Spieler oder Verantwortlichen zuteil werden zu lassen. Denn: Entsteht aus der Liebe zum VfB heraus nicht auch die Pflicht, jene zu kritisieren, die dem Verein Schaden zufügen? Es geht am Ende immer um das Wohl und Wehe des Vereins, dieses Teils von mir.
Die Zukunft
Wird das ewig so sein? Ich möchte mir nicht mal ansatzweise ausmalen, wie sich Fans des FC Wimbledon oder von Austria Salzburg gefühlt haben, als ihre Vereine einfach in der bisherigen Form aufhörten zu existieren. Endete damit auch die Existenz dieser abstrakten, von handelnden Personen losgelösten Idee des Vereins, oder lebte sie in den MK Dons und Red Bull Salzburg weiter? Oder im AFC Wimbledon und der neugegründeten Austria. Was, wenn in wahrscheinlich nicht mehr allzu ferner Zukunft die 50+1‑Regel fällt und der VfB im Wettbewerb mit dem Rest der Liga seine Identität an einen Investor verliert. Wäre ein fiktiver Verein “Mercedes-Benz Stuttgart” noch mein Verein, ein Teil von mir?
Ich kann diese Frage nicht seriös und abschließend beantworten. Diese rote Linie meines Fanseins ziehe ich dann, wenn sie kommt. Bis dahin bleibe ich Fan des VfB Stuttgart und bin dankbar für die Freude die er mir gebracht hat und bringt: Die Erfolge, wie meine einzige bewusst erlebte Meisterschaft 2007. Die emotionalen Momente, wie der 33. Spieltag 2006/2007, oder die erfolgreichen Abstiegskämpfe oder auch einfach der Ausgleich zum 4:4 in Dortmund damals. Bis dahin werde ich Fehlentscheidungen und schlechte Leistungen, die dem Verein schaden ansprechen und kritisieren. Und ich werde auch weiterhin die dunklen, abstoßenden Kapitel der Vereinsgeschichte im Gedächtnis behalten, die man weder ausblenden noch glorifizieren sollte, sondern als Teil der 125 Jahre akzeptieren und aus ihnen lernen muss.
Also lieber VfB, alles Gute zum 125. Geburtstag. Du wirst auch in Zukunft ein Teil von mir sein und ich werde dich weiterhin mit kritisch-liebevollem Blick begleiten.
Was macht den VfB für Dich aus? Schreib es in die Kommentare!
Bild: © Birthday Cake von Omer Wazir unter CC BY-SA 2.0