Wie 2019 steht der VfB erneut nach einer Mitgliederversammlung ohne Präsident und geschäftsfähiges Präsidium da. Und auch sonst scheint man im eingetragenen Verein für Bewegungsspiele vereinspolitisch nicht wirklich vorangekommen zu sein.
Natürlich: Es gab am Sonntag weder ein W‑Lan-Gate, noch hatte Claus Vogt versucht, die Mitglieder mithilfe einer mysteriösen Fake-Fan-Facebookseite hinters Licht zu führen. Und auch sonst verbieten sich viele Vergleiche zwischen Wolfgang Dietrich und Claus Vogt. Und manche leider auch nicht. Gescheitert sind sie auf jeden Fall beide. Dietrich trat nach der mutmaßlich ersten abgebrochenen Mitgliederversammlung der Vereinsgeschichte und einem wirr anmutenden Facebook-Post zurück, Vogt wurde als erster Präsident der Vereinsgeschichte von den Mitgliedern abgewählt. Einerseits ein Zeichen für eine lebendige Vereinsdemokratie, unter den Begleitumständen aber auch ein Zeichen der Zerrissenheit des Vereins. Auch daran hat sich seit 2019 wenig bis gar nichts verändert.
Über die Gründe und die Notwendigkeit der Abwahl lässt sich trefflich streiten. Stellvertretend möchte ich hier die Blogbeiträge von Christian Prechtl und Martin verlinken, die ich beide inhaltlich nicht vollständig teile und die gleichzeitig, die Autoren mögen es mir verzeihen, stellvertretend für die unterschiedliche Bewertung Vogts stehen. Bemerkenswert ist allemal, dass Claus Vogts Präsidentschaft nicht durch das mediale größtenteils unsachliche und einseitige Dauerfeuer aus dem Boulevard und von einem Redaktionstisch im Möhringer Pressehaus beendet wurde, nicht durch anonyme Blogs oder lieblos hingerotzte Abwahlanträge wie jene im vergangenen Jahr. Nein, am Ende waren es sachlich und schlüssig formulierte Abwahlanträge der Ultragruppierungen Commando Cannstatt und Schwabensturm 02. Also jenen, denen man vorwarf, Vogts Machtbasis im Verein zu sein — neben den in Lohn und Brot stehenden Bloggern und Podcastern natürlich. 😉
Dass es dieses Schubladendenken gab und gibt und Menschen unterstellt wird, sie würden Personen über den Verein und seine Strukturen stellen, ist leider auch Ausdruck des insgesamt schlechten Umgangs, der im Verein und teilweise auch in der Mitgliedschaft herrscht. Ich war wie gesagt selber aus triftigen persönlichen Gründen nicht vor Ort, wer der Meinung ist, ich sollte mich deswegen nicht zum Ablauf der Mitgliederversammlung äußern, möge deshalb jetzt den Browser-Tab schließen. Ich hoffe, dass es bei der nächsten Mitgliederversammlung wieder klappt. Für diejenigen, die bis hierhin weitergelesen haben. Natürlich war die Platzierung der Abwahlanträge gegen Vogt und Adrion ans Ende der Tagesordnung kein Zufall, sondern basierten sehr wahrscheinlich auf dem Kalkül, dass sich zu später Stunde keine Dreiviertel-Mehrheit mehr für eine Abwahl finden würde. Ebenso wie einseitig interpretierte Mitgliederumfragen oder eilig vorab veröffentlichte Finanzzahlen.
Unwürdig
Mindestens genauso unwürdig ist es aber auch, dem mutmaßlich scheidenden Präsidenten und dessen Stellvertreter noch nicht einmal die auf jeder Mitgliederversammlung anstehenden Tagesordnungspunkte “Bericht des Präsidiums” und “Entlastung” zuzugestehen. Selbst wenn man, wie Carlos Ubina ausnahmsweise mal richtig anmerkte, es kritisch betrachten kann, wenn der Präsident nicht wie üblich als erstes, sondern nach Vorstand und Vereinsbeirat berichtet. Die Redebeiträge zu den Abwahlanträgen habe ich wie gesagt nicht gehört und will mir darüber kein Urteil erlauben, ebensowenig über die Replik des Präsidiums — sie werden sich vermutlich entlang der bekannten Argumentationslinien bewegt haben. Dass das Präsidium nicht erst einmal über das abgelaufene Jahr berichten kann und sich der Abstimmung über eine Entlastung stellen kann, ist eines Vereins wie dem VfB unwürdig — dass nach Berichten und Aussprache drei Stunden später über 500 Mitglieder und damit etwa ein Viertel der Teilnehmenden weniger da sind als bei den Abwahlanträgen ebenso. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Mitgliederversammlung für viele nur aus dem einen Grund attraktiv war: Vogt abzuwählen.
Strukturen, Strukturen, Strukturen
Warum ich diese Abwahl für richtig halte, habe ich schon vor der Mitgliederversammlung dargelegt. Der Vertrauensverlust, dass dieses Präsidium auch in Zukunft die Interessen der Mitglieder angemessen vertreten kann, war zu groß. Gleichzeitig sind damit auch jene am Ziel, die schon seit Jahren versucht haben, Vogts Präsidentschaft zu verkürzen oder zu verhindern. Wieviel dran ist an der angeblich schlechten Sitzungsführung oder dem Störfaktor bei Sponsoringverhandlungen muss jede*r mit Blick auf jene, die diese Vorwürfe äußern, selbst entscheiden. Ich kann es nicht nachprüfen, was mich einerseits mit dem Gefühl zurücklässt, dass es möglich ist und andererseits mit jenem, dass solche Vorwürfe Mittel zum Zweck sind. Dabei ging es zumindest mir nie um die Person Vogt. Nicht als der Vorstandsvorsitzende es für eine gute Idee hielt, als Präsident zu kandidieren — was bei einer erfolgreichen Wahl übrigens schon damals das Ausgliederungsversprechen hätte brechen müssen. Nicht als der Vereinsbeirat versuchte, den Mitgliedern die Beurteilung über die Amtszeit des Präsidenten abzunehmen, indem sie ihn 2021 nicht aufstellen wollte. Nicht als die möglichen Gegenkandidaten Volker Zeh oder Pierre-Enric Steiger hießen und wilde Ideen hatten. Und auch nicht, als Aufsichtsrat, Investor in spe und Vorstand mindestens großen Druck auf ihn ausübten.
Nein, es geht immer um Strukturen. Um eine in dieser für Mitgliedereinfluss denkbar ungeeigneten Gesellschaftsform der AG möglichst starke Position von demokratisch legitimierten und den Mitgliedern verpflichteten Funktionären — egal wie sie heißen. Aber auch um Kontrolle und Balance. Darum, dass es irgendwann wirklich nur noch einen VfB gibt, in dem Profifußball betrieben wird — gern auch erfolgreich — diesem aber nicht automatisch alles geopfert wird. Fast jedes Schlupfloch, mit dem Mitgliederrechte in den vergangenen sieben Jahren beschnitten wurde, musste mühsam durch Satzungsänderungen gestopft werden, zuletzt am Sonntag mit der überwältigenden Mehrheit für einen Wahlausschuss. Was hingegen nicht durchging war der geschickt als Paket verschnürte Vorschlag, alle drei Präsidiumsmitglieder in den Aufsichtsrat der AG zu entsenden und diesen moralisch dazu zu verpflichten, ein Präsidiumsmitglied zu seinem Vorsitzenden zu wählen. Erinnerungen werden wach an das “Demokratisierungspaket” Wolfgang Dietrichs 2016, welches sinnvolle und gefährliche Satzungsänderungsanträge enthielt und deshalb genauso krachend scheiterte, wie der Versuch, die Zusagen zum Aufsichtsratsvorsitz zu verwässern.
Retter, Vermittler, Sieger?
Entstanden war dieses Paket in einer vom AG-Vorstand einberufenen Arbeitsgruppe. Und es ist ebenjener AG-Vorstand, insbesondere der Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle, der aus all den Verwerfungen der letzten Monate als Sieger hervorgeht — wenn man in diesem Fall von Siegern sprechen kann. Unlängst deckte der Kicker (Paywall) in Person von Benni Hofmann auf, dass die VfB AG ohne die Beteiligung von Porsche in eine bedrohliche finanzielle Situation hineingelaufen wäre — was Corona zum Trotz ziemlich viele Fragen aufwirft. Etwas mehr als ein Jahr nach dem scheinbar finanziell überaus gefährlichen Fast-Abstieg hat man nach eigener Aussage den “wirtschaftlichen Turnaround” geschafft und die “wirtschaftliche Konsolidierung” nach der anstehenden Saison abgeschlossen. Sportlich steht der VfB vor einer Champions League-Saison ohnehin blendend da. Der Vorstandsvorsitzende also als Verantwortlicher für den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg und gleichzeitig als Vermittler zwischen e.V. und Investoren. Wer redet da noch über die wichtige Rolle, die der AG-Vorstand beim Bruch des Ausgliederungsversprechens spielte?
Und damit der einzige, der aus dem Hickhack um den Aufsichtsratsvorsitz scheinbar unbeschadet hervorgeht. Porsche dürfte, nach den bekannt gewordenen Forderung eines Rücktritts des Vereinspräsidenten und der Beanspruchung des Aufsichtsratsvorsitzes für sich all der Millionen zum trotz bei vielen Fans nicht uneingeschränkt gut gelitten sein. Das e.V.-Präsidium besteht Stand Montagabend aus dem neu gewählten Andreas Grupp — herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle — und Rainer Adrion, der kurz vor dem angekündigten Rücktritt steht. Als Kandidat für den vom Vereinsbeirat zu berufenden Interimspräsidenten und damit wohl auch Aufsichtsrat, fällt immer wieder der Name von Erwin Staudt — Ehrenpräsident und vor allem Wehrles ehemaliger Vorgesetzter, der ihm in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich zur Seite sprang. Es gab schon unbequemere Zeiten für den Vorstandsvorsitzenden und dabei sitzt sein ehemaliger Kölner Geschäftsführerkollege Armin Veh noch gar nicht im Aufsichtsrat.
Während ich an Staudt im e.V. als Übergangspräsidenten wenig auszusetzen habe, halte ich es für ein schlechtes Zeichen, ihn als Kontrollinstanz seines ehemaligen Referenten einzusetzen. Denn genauso wie die Mitglieder über das Wohl und Wehe eines Präsidenten zu entscheiden haben und nicht der Vorstand oder ein Investor, genauso wenig sollte sich ein Sportdirektor seinen eigenen Sportvorstand aussuchen können. Und genauso wichtig sind stabile Strukturen in der AG und es bleibt zu hoffen, dass sich der Vereinsbeirat erinnert, dass die scheinbar attraktivste Lösung nicht immer die Beste ist.
Was bleibt?
Aber zurück zu Claus Vogt. Was bleibt von seiner Amtszeit? Strukturelle Verbesserungen im e.V., mehr gesellschaftliche Verantwortung, der überfällige Start des Frauenfußballs in Bad Cannstatt, ein Ausbau des Breitensports, auch wenn das alles natürlich nicht ihm allein zuzuschreiben ist, genauso wenig wie ein Aufstieg, zwei Fast-Abstiege und eine Vizemeisterschaft. Dafür muss man ihm genauso dankbar sein, wie man neben vielen Fehlern enttäuscht sein kann von der Tatsache, dass er den Verein emotional etwa im gleichen Zustand zurücklässt, in dem er ihn vorgefunden hat. 2019 erlag ich der Illusion, es würde mit dem Rücktritt Wolfgang Dietrichs vieles besser. Das war aber nur vordergründig der Fall. Im Kern gibt es beim VfB AG immer noch zu viele Menschen, die ihre persönlichen Befindlichkeiten ausleben und denen dazu jedes Mittel recht ist. Und das wird sich auch mit der Abwahl von Vogt und Adrion nicht ändern. Es sei denn, man glaubt, der unabgestimmt ankündigte und an sich erfreuliche Abschied von Winamax als Hauptsponsor sei auf Druck von kritischen Fans und Mitgliedern zustande gekommen.
Man kann die Mitglieder und Fans nur gebetmühlenartig daran erinnern, wachsam zu bleiben, wer das jetzt entstandene Machtvakuum nutzt. Das soll keineswegs Misstrauen gegenüber neuen Gremienvertretern ausdrücken — ich freue mich über die Wahl des Wahlausschusses und stehe Andreas Grupp völlig unvoreingenommen gegenüber. Aber nicht jeder, der ankündigt, alles im Sinne des Vereins und dessen Mitgliedern zu tun, hat dies auch wirklich im Sinn. Schließlich gibt es ja beispielsweise in Kitzbühel nicht nur schöne Chalets, sondern auch einen Eishockeyverein. Unabhängig davon, wer kommt, lässt mich diese Mitgliederversammlung (in Abwesenheit) mal wieder ermüdet und frustriert zurück. Nicht wegen der Ergebnisse. Sondern wegen der ewigen Grabenkämpfe, den faulen Tricks und des generellen Umgangs miteinander. Wer auch immer Claus Vogt im kommenden Jahr im Präsidentenamt nachfolgt, hat eine riesige Aufgabe vor sich.
Titelbild: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images