Mit der Rückkehr von Deniz Undav stellt der VfB nur wenige Wochen nach der Verpflichtung von Ermedin Demirovic den nächsten Transferrekord auf und erfüllt seinen Fans damit den vermeintlich größten Wunsch dieser Sommerpause. Wirft man in Bad Cannstatt also mal wieder alle Zurückhaltung über Bord? Oder haben sich die Zeiten einfach nur geändert?
Es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern, wann eine Vertragsunterschrift in der Mercedesstraße das letzte Mal derart euporisch begleitet wurde wie die Rückholaktion von Deniz Undav, der ja gefühlt nur im verlängerten EM-Urlaub war. Bei der Verpflichtung von Ermedin Demirović zog ich Vergleiche zu Jon Dahl Tomasson, der 2005 von der AC Milan nach Bad Cannstatt wechselte, dort aber nie an seine Zeit im rotschwarzen Dress anknüpfen konnte. Vielleicht kann man die aktuelle Euphorie um den 18-Tore-Stürmer der vergangenen Saison noch am ehesten mit der Rückkehr von Alex Hleb vergleichen, den der VfB für die Champions-League-Saison 2009/2010 vom FC Barcelona auslieh. aber so richtig passt das alles nicht.
Mal ganz abgesehen davon, dass die 2000er bald 20 Jahre her sind, hat sich der Fußball allgemein und in den letzten Jahren auch der VfB massiv verändert. Auch bedingt durch die Löcher, die eine Pandemie, ein Stadionumbau und zwei Abstiege in die Clubfinanzen gerissen hat, musste der Verein in den letzten vier Jahren diverse Leistungsträger ziehen lassen und nahm damit jeden Sommer mindestens 30 Millionen Euro ein: Gregor Kobel, Nico Gonzalez, Orel Mangala, Sasa Kalajdzic, Konstantinos Mavropanos, Borna Sosa, Wataru Endo, Hiroki Ito, Waldemar Anton, Serhou Guirassy. Ähnliche Summen kamen bisher nur zusammen, als man die beiden Abstiege gegenfinanzieren musste.
Entwicklung und Tore
Anders als 2021 und 2022 führten die Abgänge im vergangenen Saison aber nicht zu einer weiteren Saison im Abstiegskampf sondern zu einem Sturm auf die europäischen Plätze und die damit verbundenen Geldtöpfe. Lässt sich damit also rechtfertigen, dass der VfB mit mindestens 50 Millionen Euro Ablöse sehr viel Geld in zwei Spieler bindet, statt wie in der Vergangenheit die Abgänge von Leistungsträgern allein mit der Entwicklung neuer Leistungsträger zu kontern? Der Vertikalpass kommentiert das folgendermaßen:
Der VfB verlässt mit den jüngsten Transfers ein Stück weit den Weg, auf die Entwicklung der Spieler zu setzen. Die enormen Wertsteigerungen von einigen Profis in den letzten drei Jahren haben den VfB vor einer finanziellen Schieflage bewahrt. Dass Demirovic und Undav einmal ähnliche Mehrwerte erzielen, ist angesichts Summen der beiden Transfers nicht unbedingt wahrscheinlich. Aber es ist nicht unmöglich, siehe Füllkrug. Zudem stehen mit Millot, aber auch mit Stiller, Stergiou, Rieder, Rouault und nicht zuletzt Diehl nach wie vor Spieler im Kader, die in Zukunft Transferüberschüsse einbringen dürften.
Ein eindeutiges Jein also. Mir geht es ähnlich: Einerseits ist die Ablöse für Demirović und Undav für bisherige VfB-Verhältnisse obszön hoch. Die beiden kosten zusammen in etwas so viel wie Gonzalez, Kabak, Guirassy, Kuzmanovic und Silas zusammen. Andererseits hat Fabian Wohlgemuth bereits im Frühjahr angefangen, mit Nick Woltemade, Yannik Keitel und Justin Diehl drei ablösefreie Perspektivspieler zu verpflichten, hinzu kamen die Leihen von Fabian Rieder, Frans Krätzig, der günstige Transfer von Ramon Hendriks und schließlich die Verpflichtung eines gestandenen Bundesliga-Spielers wie Jeff Chabot zusammen mit den nach Leihen fest verpflichteten Jamie Leweling, Anthony Rouault und Leonidas Stergiou war der VfB bis zur Verpflichtung von Demirovic also finanziell ein überschaubares Risiko eingegangen.
Wo kommt das Geld her?
Wie groß das Risiko bei Undav und Demirovic ist, lässt sich auch nur anhand dessen bewerten, dass man für 50 Millionen Euro wahrscheinlich mehrere Spieler hätte verpflichten können, die eventuell zu gleichen Leistungen imstande wären — oder das Geld für schlechte Zeiten zurücklegen. Danny Galm hat in seinem Artikel zur Undav-Verpflichtung auf ZVW.de zwei bemerkenswerte Sätze geschrieben:
Schließlich hätten die Kontrollgremien am Wasen der millionenschweren Transferoffensive nicht ihren Segen gegeben, wenn das muntere Geldausgeben nicht solide durchdacht und abgesichert ist. Das ist zumindest die Hoffnung der Fans, die in der Vergangenheit schon viel zu oft erlebt haben, dass der alte Spruch, dass im Erfolg die größten Fehler gemacht werden, gerade im roten Clubhaus an der Mercedesstraße ein ums andere Mal eindrucksvoll bewiesen wurde.
Auf den Aufsichtsrat in der jetzigen Besetzung würde ich an dieser Stelle in der Tat weniger vertrauen. Denn es macht schon stutzig, dass nach Recherchen von Benni Hofmann der VfB ohne den Porsche-Deal trotz Klassenerhalt im vergangenen Jahr in eine bedrohliche finanzielle Situation gerutscht wäre und nun andererseits dank Vizemeisterschaft und fertigem Stadion scheinbar aller finanziellen Sorgen entledigt ist oder wie es Alexander Wehrle auf der Mitgliederversammlung verlauten ließ, nach der anstehenden Saison seine wirtschaftliche Konsolidierungsphase abgeschlossen hat.
Das macht es in letzter Konsequenz auch so schwer, den diesjährigen Transfersommer finanziell zu bewerten: Wie viel Geld hat man für Transfers beiseite gelegt, ohne an die Notgroschen zu gehen? Wie ist die Gehaltsstruktur im Kader und sinken die Gehälter wirklich, wenn der VfB 2025/2026 nicht mehr europäisch spielt? Es mag kleinlich wirken, in der aktuellen Phase auf den solchen Sachen herumzureiten, aber wir haben alle erlebt, wie beim VfB zehn Jahre lang Geld in Kader versenkt wurde, die kontinuierlich schlechter wurden.
Neue Ziele?
Wenn man das Ganze von der sportlichen und damit auch von der emotionalen Seite betrachtet, haben der Vorstandsvorsitzende und sein Sportvorstand genau ins Schwarze getroffen. Unser neues Sturmduo befindet sich im besten Fußballeralter und hat vergangene Saison bereits seine Torgefährlichkeit unter Beweis gestellt. Sollte man noch irgendwo Geld für einen rechtsfüßigen Innenverteidiger auftreiben, hätte man auch den vielbeschworenen Ausverkauf abgewandt und stattdessen wichtige Spieler wie Millot, Führich, Mittelstädt, Undav oder Nübel gehalten, genauso wie den Trainer. Wenn man mal für einen Moment das One-Season-Wonder-Syndrom beiseite lässt, dass den VfB nach erfolgreichen Spielzeiten traditionell befällt, gibt es derzeit wenig Grund für Pessimismus. Zumal dem Verein mit Undav nicht nur ein treffsicherer Stürmer erhalten bleibt, sondern auch eine Integrationsfigur auf und neben dem Platz, wie wir sie lange nicht mehr hatten — wie man auch bei seiner Einwechslung gegen Bilbao beobachten konnte.
Dennoch: Mit derartigen Investitionen steigen auch die Ansprüche. 50 Millionen Euro — trotz der Einnahmen — auszugeben, um erstmal 40 Punkte anzupeilen, erscheint unpassend und kann auch nicht das Ziel des neuen Sturmduos sein. Gleiches gilt für die Champions League. Auch wenn da spätestens in der Zwischenrunde, über die man sich fürs Achtelfinale qualifiziert, Schluss sein dürfte, muss dieser Kader eigentlich durch Punktprämien in der Königsklasse zur eigenen Refinanzierung beitragen. Und auch wenn die Gehälter gestaffelt sein mögen: Damit sich die Investitionen wirklich nachhaltig lohnen muss der VfB eigentlich auch in der übernächsten Saison wieder europäisch vertreten sein. Und das — ich wiederhole mich da — nur ein Jahr nach einem abgewendeten sportlich und finanziel desaströsen Abstieg.
Aber warum, verdammt noch mal, soll der VfB bei allem berechtigten Pessimismus, den wir uns antrainiert haben, nicht auch mal wieder eine Erfolgsgeschichte schreiben können? Ich bleibe dabei: Der Verein muss die aktuelle Phase als Chance begreifen, wieder in ruhigere Fahrwasser zu gelangen und sich sportlich und finanziell wieder zu etablieren und zu konsolidieren. Aber vielleicht können wir dabei auch ein wenig Spaß haben.