Wie man es dreht und wendet: Die Situation des VfB nach dem neunten sieglosen Saisonspiel in Folge und der Entlassung von Pellegrino Matarazzo ist einfach nur zutiefst frustrierend.
Am Ende wirkte alles irgendwie so absehbar: Dass der VfB am Sonntagabend kein Tor mehr schießen würde, während Union eine müde Leistung mit einer aufmerksam durchgezogenen Standardsituation belohnt. Dass der Mannschaft im Duell des Vorletzten gegen den Letzten am kommenden Wochenende nicht nur der einzige brauchbare Stürmer fehlt, sondern auch der seit 1015 Tagen amtierende Trainer. Wer da am Ende im Clubhaus in der Mercedesstraße wirklich den Daumen gesenkt hat, wissen wir nicht, aber ich hatte es schon im Interview bei Dazn vor dem Spiel angesprochen: Auch ein Sven Mislintat will nicht absteigen und kommt vielleicht irgendwann zu dem Entschluss, dass sich etwas ändern muss. Aber egal auf welcher Seite man in der ewigen Debatte steht, die sich am Besten mit dem The Clash-Klassiker beschreiben lässt: Die Tatsache, dass der VfB sich jetzt gezwungen sah, die Zusammenarbeit mit Pellegrino Matarazzo zu beenden, ist zum Heulen.
Die Haltung fehlt
Einerseits, weil die Mannschaft unter ihren Möglichkeiten spielt. Nicht wahnsinnig weit, aber für die Ausbeute der ersten neun Saisonspiele gibt es eigentlich keine logische Erklärung. Denn der Kader gibt mehr her, als er an Punkten einsammelt und wird in dieser Saison auch nicht dermaßen vom Schicksal gebeutelt, wie das letzte Saison der Fall war. Man kann den Verlust von Mangala und Kalajdzic beklagen, Naouirou Ahamada wurde aber seit Jahren für genau diese Rolle im zentralen Mittelfeld aufgebaut und ein Serhou Guirassy hat gezeigt, dass er Kalajdzic sowohl was Kaltschnäuzigkeit, als auch Einbindung ins Offensivspiel angeht, in wenig nachsteht.
Was der Mannschaft fehlt, und zwar nicht erst am Sonntag, ist die richtige Haltung zum Spiel. Sie bemüht sich, ja, nimmt sich dafür aber auch jedes Mal kollektiv Auszeiten. Dass Bälle knapp vorbeigehen oder vom Pfosten abprallen hat natürlich auch mit dem Pech zu tun, dass Dir als Abstiegskandidat eh an den Hacken klebt. Aber weiterhin erspielt sich die Mannschaft zu wenige hochkarätige Chancen, um dieses Glück zu erzwingen. Fast schon symptomatisch das Scheibenschießen im Union-Strafraum, als es niemandem gelang, den Ball über die Linie zu drücken. Zudem verwässert die Spielidee des VfB zusehends. Die große Weiterentwicklung von Tim Walter zu Pellegrino Matarazzo bestand ja darin, dass unter letzterem der Ballbesitz nicht zum Selbstzweck mutierte, sondern nach vorne orientiert war. Das senkte zwar die Passquote, erhöhte durch kluges Gegenpressing nach Ballverlusten aber die Torgefahr. Überfallartige Gegenangriffe wurden vor zwei Jahren zum Markenzeichen des VfB. Jetzt entstehen Räume höchstens noch durch Diagonalbälle und wenn doch mal Platz da ist, will am Liebsten jeder selber das Ding aus 20 Metern unter die Latte knallen. Hinzu kommen Fehlpässe im Offensivdrittel, die den VfB nicht voranbringen. Wenn sich ein Silas schon den Vorwurf gefallen lassen muss, das Spiel zu verlangsamen, dann weiß man, wie weit wir vom Weg abgekommen sind.
Ekstase umsonst
Vom Weg abgekommen ist der VfB nach Ansicht mancher auch mit der am Montag beschlossenen Freistellung von Pellegrino Matarazzo. Wie der Vertikalpass schreibt: Wir wollten es so sehr! Nämlich dass die Mannschaft nach der Derbypleite 2020 und dem Berlin-Debakel 2022 ein weiteres Mal die Kurve kriegt und sich und ihren Trainer aus dem Sumpf zieht. Dass die Ekstase gegen Köln nicht so umsonst war wie die Klassenerhaltsfeier in Paderborn 2015. Dass Trainer und Mannschaft aus der schwierigen letzten Saison gelernt haben und, wie ich im Mai schrieb, den emotionalen Klassenerhalt als Basis nutzen, um sich in der Liga zu etablieren. Alles Geschichte und mit Pellegrino Matarazzo geht jetzt nicht nur einer der VfB-Trainer mit der längsten Amtszeit, sondern auch ein Hoffnungsträger des vermeintlich neuen VfB, der nach den Verwerfungen der letzten zehn Jahre scheinbar auf neuen Pfaden wandelte. Unaufgeregt, sympathisch und für eine Saison auch so erfolgreich wie lange kein VfB-Trainer mehr. Dass diese Zeit nun zu Ende geht, darüber kann man ruhig mal ein paar Tränen verdrücken. Auch wenn es zum Business gehört, mit dem der VfB sein Geld verdient. Genauso übrigens wie Freiburg und Union, die in einer ähnlichen Situation ähnlich handeln würden, träten sie denn derzeit bei ihnen ein.
Ja, ich weiß. Freiburg hat vor sieben Jahren an Streich festgehalten, als sie statt des VfB in die zweite Liga mussten. Und Urs Fischer trainiert Union jetzt auch schon länger als es Matarazzo den VfB tat. Aber es wird auch gerne vergessen, dass der Trainer beim ersten Aufeinandertreffen des VfB mit den Köpenicker noch Jens Keller hieß, der in der Folgesaison auf Platz 4 stehend entlassen wurde. Und anders als Freiburg, die damals erst am letzten Spieltag, nach einem 2:1‑Heimsieg gegen die Bayern in der Vorwoche, von Hannover, dem VfB und dem HSV überholt wurden, kann sich der VfB einen Abstieg schlichtweg nicht leisten. Nicht mit Nachwirkungen der Corona-Verlusten, die Du nur mit dem Verkauf von erstklassigen Spielern auffangen kannst. Nicht mit einem Stadion, das Du teuer für eine Europameisterschaft umbaust, das Du aber in der zweiten Liga nicht immer vollkriegst und für das Du immer noch eine stark verminderte Pacht zahlst — Geld, das wiederum im laufenden Betrieb fehlt und von der Stadt bereitgestellt werden muss und somit Spielball parteipolitischer Interessen werden kann. Die Situation des VfB ist mit prekär noch nett umschrieben, weswegen auch die Trainerentlassung am Ende vielleicht wenig überraschend ist.
Warum liegen hier eigentlich Sägespäne?
Was zunächst wirkt wie konsequentes Handeln im Angesicht der Krise, zieht natürlich intern wie extern einen ganzen Rattenschwanz an Kommentaren nach sich. Der VfB ist und bleibt ein instabiles Gebilde, in dem jetzt, wo der sportliche Misserfolg sein erstes Opfer gefordert hat, scheinbar wieder fröhlich an den Stützbalken gesägt wird. Da dringen Trainernamen an die Öffentlichkeit und des Doppelpass liebster Dampfplauder holt die alte Schallplatte mit dem Sprung wieder raus und schwadroniert was von zu viel Macht und zu wenig Sportkompetenz — wie damals, als er in der Weißbier-Runde dem damaligen VfB-Präsidenten gegenüber saß. Und auch in den Gremien wird es den ein oder anderen geben, der nach der von Mislintat mitgetragenen Entscheidung bei internen Diskussionen jetzt Oberwasser hat. Wohin das noch führt: Keine Ahnung. Aber die Vorahnung, dass beim VfB gerade sehr viel mehr falsch als richtig läuft, ist — richtig — zum Heulen. Dabei geht es nicht einmal um die Entlassung Matarazzos an sich, sondern um die Begleitumstände.
Ich bin gespannt, wem man dessen Fußstapfen jetzt zutraut. Nicht unbedingt sportlich, denn da gibt es viel Verbesserungspotenzial. Aber wird der VfB einen Trainer finden, der uns die Hoffnung geben kann, dass man als Fan des Brustrings vielleicht mal mehr als nur eine nicht komplett katastrophale Saison am Stück erlebt?
Titelbild: © Stuart Franklin/Getty Images