Der VfB setzt seine Erfolgsserie fort und schlägt auch Darmstadt. Auf ihre Chancenverwertung kann sich die Mannschaft zwar nicht verlassen, dafür offenbart sie andere Qualitäten.
Drei Mal schoss der SV Darmstadt 98 am Freitagabend auf das Tor von VfB-Torwart Alexander Nübel: Matthias Baders Schuss in der 43. Minute ging ebenso vorbei wie der Kopfball von Aaron Seydel gegen Ende der Partie. Philip Stojilkovics Versuch in der 54. Minute wurde geblockt. Es war ein bisschen wie im Pokalspiel in Paderborn zu Anfang des Jahres. Alles musste der VfB im Spiel gegen die Südhessen selber machen. Sogar um den Rückstand nach etwas mehr als einer Viertelstunde kümmerte man sich, als Dan-Axel Zagadou eine harmlose Flanke am bereits in Fangposition wartenden Nübel vorbei ins kurze Eck schob. Das Gegenteil von gut gemacht ist…na ihr wisst schon. Und auch ansonsten sprachen die Statistiken für den VfB: 18 Schüsse, davon 11 aufs Darmstädter Tor, knapp 60 Prozent Ballbesitz und am Ende 3:1 Tore.
Und das ist das Bemerkenswerte, wenn ich mein in der Spielvorschau angesprochenes emotionales Gedächtnis bemühe. Wie häufig hieß es in der Vergangenheit: Der VfB macht das Spiel, der Gegner die Tore? Ok, Osnabrück und Wehen sind schon eine Weile her (hallo, HSV!), aber auch in der jüngeren Vergangenheit schafften es Mannschaften, die später in die zweite Liga abstiegen, uns nach einer frühen Führung auf Distanz zum eigenen Tor zu halten und unsere Stürmer zur Verzweiflung zu bringen. Nunja, verzweifelt sind aktuell nur die Torhüter, die das Pech haben, gegen Serhou Guirassy auf dem Platz zu stehen: den Ausgleich unter Bedrängnis mit gutem Auge für Enzo Millot aufgelegt, das 2:1 ansatzlos aus 17 Metern selber reingeknallt, ein Millimeter-Abseitstor von Führich aufgelegt und am Ende das erlösende 3:1 erzielt. Was natürlich nicht die Leistung seiner Mitspieler schmälern soll: Pascal Stenzel etwa, der die meisten direkten und indirekten Torbeteiligungen hatte (drei goal creating actions laut FBref) oder Enzo Millot und Chris Führich, die immer wieder für Unruhe im Darmstädter Strafraum sorgten oder Angelo Stiller und Atakan Karazor, die die meisten Kilometer abspulten, mit die meisten Ballkontakte hatten und mit einer Passquote von 94 Prozent die Angriffsmaschine des VfB ständig am laufen hielten. Oder, oder, oder.…
Rückstand? Egal!
Wenn man der VfB-Mannschaft, speziell in der zweiten Hälfte, einen Vorwurf machen will, dann den, dass das Spiel nicht schon viel früher entschieden war. Stattdessen setzte offensiv eine gewisse Sorglosigkeit ein, die sich auch in der Rückwärtsbewegung offenbarte, als Darmstadt immer wieder Raum für Gegenangriffe hatte, die jedoch samt und sonders — siehe oben — versandeten. Es war also nicht die Kaltschnäuzigkeit, die den VfB diesmal auszeichnete und Serhou Guirassy seine phänomenale Torausbeute weiter nach oben schrauben ließ. Am Samstag musste man sich sogar von den Bayern als torgefährlichste Mannschaft ablösen lassen. Dafür zeigte der neue Tabellendritte andere Fähigkeiten, die dazu führen, dass der VfB in seiner gesamten Bundesliga-Geschichte nur einmal nach fünf Spieltagen besser da stand als jetzt. Denn zum einen hatte die verhältnismäßig frühe Führung der Darmstädter auf das Verhalten der VfB-Elf genau überhaupt keinen Einfluss. Die Brustringträger spielten weiter, als sei nichts gewesen und hatten binnen 15 Minuten das Spiel gedreht.
Und auch wenn Sebastian Hoeneß erneut in der zweiten Halbzeit den prinzipiell defensiver orientierten Mittelstädt für Silas reinbrachte, verlegte sich der VfB zu keinem Zeitpunkt darauf, die knappe Führung zu verwalten. Das führte, wie eben beschrieben, zwar zu einigen Räumen für die Darmstädtern, die dem leidgeplagten VfB-Fan mitunter das Herz in die Hose rutschen ließen, führte aber dazu, dass sich die Mannschaft mit Guirassys Treffer in der Nachspielzeit verdientermaßen belohnte, nachdem bereits das abgepfiffene Tor von Führich eigentlich für Klarheit hätte sorgen müssen. Kurz: Die Mannschaft bewies Widerstandsfähigkeit, sowohl als sie gegen einen sehr defensiven Gegner in Rückstand geriet, als auch beim wiederholten erfolglosen Versuch, das Spiel zuzumachen. Und auch wenn der Sieg am Ende völlig verdient war, wähnt man sich als VfB-Fan derzeit im falschen Film. Ist das wirklich (zu großen Teilen) die Mannschaft, die vor knapp vier Monaten noch in der Relegation um den Klassenerhalt kämpfte? Die sich jeden Punkt mühsam erkämpfen musste und nun bereits so viele hat wie in den Vorjahren nach etwa zehn Spielen?
Geht das jetzt so weiter?
Es gilt weiterhin, die Situation zu genießen und sich an dem bereits vorhandenen Punktepolster zu erfreuen. Nach zwei schweren Saisons und insbesondere zuletzt einer dramatischen Spielzeit mit drei Trainerwechseln und dem Abschied von Sven Mislintat ist die aktuelle Situation sehr wohltuender Balsam auf unsere geschundenen Seelen. Wenn die Akteure im e.V. jetzt mal ein paar Monate die Füße stillhalten und der VfB so weitermacht, könnte das endlich mal wieder ein entspannter Herbst und Winter werden. Natürlich wird es nicht genauso so weitergehen. Bereits am kommenden Samstag wartet mit Köln die dritte bisher sieglose Mannschaft in Folge auf uns. Immerhin mit weniger Gegentoren als die Konkurrenz da unten, aber auch mit erst vier erzielten Toren, von denen zwei auf das Konto von Davie Selke gehen. Gebürtiger Schorndorfer. Der wird doch nicht…? Und wenn schon! Wird in den kommenden Wochen irgendjemand Serhou Guirassy so sehr auf den Füßen stehen, dass ihm keine zwei Buden pro Spiel mehr gelingen? Mit Sicherheit. Wird irgendjemand uns auch mal mehr als ein Tor einschenken? Bestimmt. Aber bis es so weit ist, machen wir es wie im Spiel gegen Darmstadt: Weiter, immer weiter. Und danach hoffentlich auch.
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Titelbild: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images