Der Tag der genutzten Chancen: Mit dem 1:0 gegen Gladbach setzt sich der VfB in der Tabelle ab, weil der Gomczek-Sturm Werbung für sich macht.
Irgendwie hatte ich ein gutes Gefühl. Oder sagen wir ein Gefühl, dass der VfB im ersten Heimspiel unter dem neuen Trainer Korkut eben nicht das tun würde, was alle von ihm erwarten: die schlechten Ergebnisse der Konkurrenz ungenutzt lassen. Natürlich ist das auch ein gutes Gefühl, denn VfB-Siege sind immer gut, gleichzeitig schleicht sich der bittere Beigeschmack ein, dass die Brustringträger scheinbar mal wieder einen Trainerwechsel brauchten, um den Hintern hoch zu bekommen. Wie auch immer: Ich verfolgte das Spiel recht entspannt im Ticker, während ich mir in der Münchner Pinakothek der Moderne diese wirklich sehr interessante Ausstellung ansah, um hier mal ein bißchen Art-Content rein zu bringen.
Als ich mir dann das ganze Spiel nochmal im Re-Live anschaute, war ich zwar immer noch recht entspannt — weil ich wusste, wie es ausgehen würde — gleichzeitig drängte sich mir aber die Frage auf: Brauchte die Mannschaft wirklich diesen Trainerwechsel, oder war die fast 85-minütige Abwehrschlacht nur einer der knappen Hinrunden-Siege in anderem Gewand? Nicht falsch verstehen: Ich möchte Tayfun Korkuts Trainerarbeit nicht kleinreden. Ich bin sogar bereit, mich for the time being mit ihm zu arrangieren, weil es immer noch um den verdammten Klassenerhalt geht, weil er sich ehrlich Mühe gibt, ein paar interessante Ansätze hat — dazu gleich mehr — und das Problem der fehlenden Kontinuität und der mangelnden Rückendeckung für Trainer in diesem Verein nicht seine Schuld ist. Die muss man ein bis zwei Etagen weiter oben suchen. Aber darum soll es heute erstmal nicht gehen.
Gentner vorn? I like it
Korkut wiederholte seine Aufstellung vom Wolfsburg-Spiel insofern, als dass er Aogo neben Ascacíbar auf die Sechs stellte und Christian Gentner nach vorne zog, um den erstmals von Beginn an auflaufenden Doppelsturm mit Gomez und Ginczek zu unterstützen. Hinten blieb vieles beim Alten: Beck rechts, Pavard und Baumgartl innen, Insua außen. Aber es war zunächst vor allem die Offensivabteilung, die auf sich aufmerksam machte und schlussendlich das Spiel entscheiden sollte. Endlich einmal begriff die Mannschaft, dass man sich in der Bundesliga keine 45 Minuten Zeit lassen kann, bevor man ins Spiel eingreift. Nach einer schönen Pass-Stafette über Gentner, und Gomez machte Ginczek mit seinem vierten Saisontor das 1:0.
Ich bin ja bekanntermaßen kein großer Fan von Christian Gentner. Das bezieht sich weniger auf seine fußballerischen Fähigkeiten, wobei er mit denen jetzt auch keine Bäume ausreißt. Nein, mir geht es vielmehr darum, dass er als Kapitän nicht in der Lage ist, das Ruder rumzureißen, wenn es das Schiff zu kentern droht — schiefes sprachliches Bild und fünf Euro fürs Phrasenschwein, ich weiß. Gegen die Borussia überzeugte er mich aber in beiderlei Hinsicht. Ich hatte ja letzte Woche schon angesprochen, dass ich Gentner weiter vorne für besser aufgehoben halte, weil er offensiv wesentlich effektiver ist, als wenn er im defensiven Mittelfeld Bälle abläuft und den Spielaufbau verlangsamt. Um es kurz zu machen: Christian Gentner ist kein Defensivspieler. Nicht umsonst ist eine seiner denkwürdigsten Szenen im Brustring der finale Ausgleich im Dortmunder Westfalenstadion:
(Ja, ich habe mir die Zeit genommen, Gentner-GIF zu basteln, via GIPHY)
Nicht nur, dass er das 1:0 einleitete, auch sonst tauchte er immer wieder vorne auf, setzte entweder seine Mitspieler ein oder versuchte es selber. Aber auch seine beiden Kollegen vorne, vom Vertikalpass schon Dario Gomczek getauft, spielten gut zusammen und zeigten, dass dieses Zwei-Stürmer-System — welches ich ja sowieso bevorzuge, wenn auch nicht unbedingt mit diesen Spielertypen — ein Rezept für den Klassenerhalt sein könnte. Disclaimer: Bevor jetzt einer kommt “… und jetzt jubelt ihr Gentner wieder zu!”. Sein Verhalten nach den Spielen in Mainz ist immer noch unter aller Sau und ich hoffe, dass wir auf Sicht jemanden finden, der sein Amt übernimmt. Aber am Sonntag fand ich ihn gut. So einfach ist das.
This is Abstiegskampf
Ein Sonderlob gebührt auch erneut Erik Thommy. War ich bei seiner Vorstellung im Blog noch skeptisch, ob er im Abstiegskampf einen Unterschied machen würde, kann ich mir das nun durchaus vorstellen. Es ist weniger seine Torgefahr, als viel mehr seine von den Augsburg- und Regensburg-Experten angesprochene Ballsicherheit, verbunden mit einer ziemlichen Energie und Geschwindigkeit. Auch und insbesondere Benjamin Pavard tat sich in diesem Spiel als furchtloser Abwehrkämpfer hervor und ist deshalb ein Sondererwähnung wert.
Auch, weil genau das den Großteil des Spiels ausmachte: Der VfB ging für seine Verhältnisse sehr früh in Führung und fuhr dann den Offensivfußball Stück für Stück zurück. Selbst das Pressing, in der ersten Viertelstunde noch vorbildlich praktiziert, beschränkte sich in der zweiten Halbzeit darauf, die Gladbacher aus dem eigenen Strafraum herauszudrücken. Kurzum, der VfB spielte nach der Führung so wie immer in dieser Saison: Hinten mit ein paar Unsicherheiten — leider erneut auch zwei Situationen, in denen Ron-Robert Zieler die Strafraumbeherrschung vermissen ließ — vorne manchmal glück‑, häufig einfallslos.
Der Unterschied zu den vergangenen Partien war nur, dass sich die Brustringträger diese Spielweise leisten konnten, da sie eine 1:0‑Führung im Rücken hatten. Während sie gegen Wolfsburg und Schalke auf diese Art und Weise einem Rückstand hinterher trabten, war es am Sonntag gegen einen ziemlich guten Gegner nicht das schlechteste Rezept. Denn Gladbach kam zwar zu Chancen, anders als im Hinspiel konnten sie jedoch nicht diese wie das berühmte Damokles-Schwert über dem Nacken des VfB schwebende ständige Torgefahr ausstrahlen. Nicht, dass sie es nicht versucht hätten — 8:1 Ecken für die Gäste sprechen eine deutliche Sprache — aber ähnlich wie am 18. Spieltag gegen Berlin wollte der Ball nicht ins Tor.
Hat es das jetzt gebracht?
Womit ich zu der Frage komme, die uns wahrscheinlich auch noch die kommenden Wochen beschäftigen wird: Was macht Tayfun Korkut anders als Hannes Wolf und was hat der Trainerwechsel gebracht? Was Korkut anders macht und in meinen Augen sinnvoll ist, habe ich bereits beschrieben. Das Spielkonzept gegen Gladbach war jedoch kein Neues. Ich habe es eben schon angesprochen: Nach dem 1:0 das eigene Tor verbarrikadieren, indem man Holger Badstuber von der Bank bringt und später noch Marcin Kaminski, das hat schon gegen Berlin geklappt. Während Dzenis Burnic jetzt wieder in Abseits geraten ist, ersetzte bereits zum zweiten Mal Orel Mangala Dennis Aogo auf der Sechs — ohne dass er dem Spiel damit unbedingt seinen Stempel aufdrückt.
Apropos Aogo: Der hat wie beschrieben unter Korkut wieder seinen Platz in der Startelf, wenn auch auf einer anderen Position. Und er macht seine Aufgabe: Solide. Vielleicht weil er hier nicht so unmittelbar in auffällige Situationen eingebunden ist wie auf der Außenbahn. Er macht eben das, was er am Besten kann. Bälle weiterleiten.
74 Prozent laut squawka. Aber eben auch viel quer und zurück. Und kurz. Solide trifft es eigentlich ganz gut. pic.twitter.com/Ta5mHAguSV
— Lennart Sauerwald (@l_sauerwald) February 12, 2018
Und dann war da noch Andreas Beck. Der hatte — mal wieder — nicht seinen besten Tag, was dazu führte, dass gegen Ende der ersten Halbzeit die ersten Pfiffe gegen ihn laut wurden. Geht’s noch? Ich bin auch nicht begeistert von dem, was er auf den Platz bringt, wenn er auf selbigem steht. Aber bei einer 1:0‑Führung gegen Gladbach den eigenen Spieler auszupfeifen ist halt echt einfach nur dumm.
Womit wir zur allgemeinen Stimmungslage im Neckarstadion kommen. Viel war in den letzten Wochen zu lesen von Fans, denen die erneute Trainerentlassung den letzten Nerv und die Lust auf einen Kick im Brustring geraubt haben. Aber das sind ja nur die doofen sozialen Netzwerke, in Wirklichkeit erhälst Du mehr Zu- als Widerspruch, gell Wolfgang? Ich war ja nicht im Stadion, aber auch am Sonntag soll die Stimmung, angesichts des Ergebnisses, verhalten gewesen sein. Chapeau, die Herren. So kann man auch den letzten Funken Aufstiegseuphorie ersticken.
Also: Hat es den Trainerwechsel gebraucht? Am Ende lautet die Antwort wahrscheinlich ja, ohne dass da irgendjemand stolz drauf sein müsste. Tayfun Korkut hat gute Ansätze und die Frage, ob wir das Spiel auch mit Hannes Wolf gewonnen hätten ist genauso schwer zu beantworten wie die, ob Jan Schindelmeiser noch einen tauglichen Rechtsverteidiger geholt hätte, hätte man ihn gelassen. Ich ärgere mich weiterhin, dass man beim VfB auch unter neuer Führung und mit neuer Mannschaft als erstes den Trainer absägt, wenn die Mannschaft ein intrinsisches Motivationsproblem hat.
Tomorrow, Wolle
Aber ich erkenne auch die Realität an, dass wir den Klassenerhalt jetzt halt mit der Mannschaft und dem Trainer schaffen müssen, den wir haben. Ich bin nicht bereit, ein weiteres Jahr in der zweiten Liga hinzunehmen, nur um Dietrich scheitern zu sehen. “Tomorrow, my friend”, wie mal jemand im Abstiegskampf gesagt hat. Momentan hat der VfB den Vorsprung auf den direkten Abstiegsplatz erstmal auf sieben Punkte ausgebaut. Eben weil fast die gesamte Konkurrenz patzte. Auf den Relegationsplatz sind es immerhin vier.
Das muss alles nichts bedeuten, 2015/2016 hatten wir im Februar einen zweistelligen Punktevorsprung auf die Abstiegsplätze. Am kommenden Wochenende hat die Mannschaft die erneute Chance zu beweisen, dass sie mit neuem Trainer plötzlich wieder Fußball spielen kann. Ein Auswärtssieg in Augsburg wäre vielleicht auch genau das Signal, dass die Fans brauchen: Wir wollen wieder. Über alles andere werden wir — müssen wir — später reden.