Drei Rücktritte und zwei Rauswürfe an einem Wochenende — solch ein Stühlerücken gab es beim VfB zuletzt nach dem Abstieg 2016. Ist das System der Mitgliederverarsche damit am Ende oder ist das alles zu gut, um wahr zu sein?
Auf den Tag genau vor 19 Monaten erblickte ein Facebook-Post das Licht der Welt, auf den viele VfB-Mitglieder, wenn vielleicht auch nicht in der Form, lange gewartet hatten. Wolfgang Dietrich trat als Präsident des VfB Stuttgart zurück und machte, so schien es, den Weg frei für ein neues Miteinander im Verein für Bewegungsspiele. Denkste! Schon im Präsidentschaftswahlkampf Ende 2019 wurde sichtbar, was beim VfB nach wie vor System hat: Intrigen, ausgefochten über willfährige Medien — damals in Bezug auf Christian Riethmüller und aus dem Kontext gerissene Aussagen in einem Mitgliederausschuss. Auch der Betrug von Mitgliedern und die Geringschätzung ihrer Interessen gehörten zum System Dietrich, aber das konnte man sich Ende 2019 nicht erlauben zu groß war die Aufmerksamkeit.
Am vergangenen Wochenende schien das System endlich zu kollabieren: Noch vor dem Hertha-Spiel entschied der Aufsichtsrat der VfB AG einstimmig, Finanzvorstand Stefan Heim und Marketingvorstand Jochen Röttgermann, abzuberufen, also rauszuwerfen. Jener Stefan Heim, der uns stets erklärte, durch die Ausgliederung würde niemandem etwas weggenommen, sondern der VfB baue sein Häusle schlichtweg aus. Nur dass der Anbau eben dem Daimler gehört und der nicht in seinem Anbau bleibt, sondern im Ganzen Haus sein Unwesen treibt. Auch Jochen Röttgermann musste sich zurecht einiges an Kritik für wirklich gruselige Marketingideen anhören, es wird aber keiner für geklaute Video-Ideen oder schiefe Analogien gefeuert. Nein, beiden müssen einen erheblichen Anteil, und sei es nur die Verantwortung als Führungskräfte, an der Mitgliederverarsche und der unerlaubten Datenweitergabe vor der Ausgliederung gehabt haben. Endlich zeigt also der sonst viel gescholtene Aufsichtsrat Rückgrat und selbst jene, die 2016 im Falle ihrer Amtsenthebung und einer Ablehnung Dietrichs noch eine Schutt-und-Asche-Apokalypse heraufbeschworen, stimmen mit.
Wird endlich alles gut?
Da konnte das letztlich etwas enttäuschende Spiel gegen Berlin schon mal in den Hintergrund geraten und erst recht am Sonntag Abend. Einen Tag nach dem AG-Aufsichtsrat tagte nämlich der e.V.-Vereinsbeirat (ich schreibe AG und e.V. deshalb dazu, weil ich bei Fans und Medien in den letzten Wochen eine geradezu erschreckende Unkenntnis selbst grundlegendster Strikturen beim VfB bemerkt habe). Das Ergebnis der Sitzung war die bisher überraschendste Wendung in diesem ganzen Klepperles-Vereinstheater. Bereits vor Sitzungsbeginn traten mit Claudia Maintok und James Bührer zwei Beiräte aus dem Gremium zurück, die, so würde berichtet, den Mitgliedern bislang die Möglichkeit, über den amtierenden Präsidenten auf einer Mitgliederversammlung zu entscheiden, verwehren wollten. Am Ende nahm auch der Vorsitzende Wolf-Dietrich Erhard seinen Hut, davor benannte der in seinen Mehrheitsverhältnissen nun anders gewichtete Vereinsbeirat Claus Vogt als einzigen Kandidaten für die derzeit für den 28. März angesetzte Mitgliederversammlung.
Möchte man den VfB in Lager einteilen, dann war dieses Wochenende und vor allem der Sonntag also ein durchschlagender Erfolg für das Lager um Claus Vogt, ja eigentlich für alle, die sich in den letzten Monaten wieder fühlten, als hätten sich die alten Seilschaften, deren Symptom Dietrich war, den Verein endgültig unter den Nagel gerissen: Claus Vogt wird sehr wahrscheinlich bis 2025 VfB-Präsident bleiben und drei Personen, die das verhindern wollten, haben aufgegeben. Die AG hat erste Konsequenzen gezogen und handelt nun endlich im Sinne der Mitglieder und ihrer Rechte. Brechen nun, mit 19 Monaten Verspätung doch endlich gute Zeiten für den VfB an?
Der Bock ist immer noch der Gärtner
Schön wäre es, denn wir hätten es nach dem ganzen Mist des letzten Jahrzehnts verdient. Allein, ich bleibe weiterhin skeptisch. Zu schnell habe ich mich damals mit dem Rücktritt Wolfgang Dietrichs zufrieden gegeben, zu voreilig darauf gepocht, Gräben zuzuschütten und damit den Maulwürfen und Heckenschützen Deckung zu geben. Fangen wir mal bei der AG an, deren Aufsichtrat im Zuge der Entlassung von Heim und Röttgermann gleichzeitig dem Dritten im Vorstand, Thomas Hitzlsperger, sein Vertrauen aussprach. Ob er das verdient hat, darüber wurde seit Ende letzten Jahres ausgiebig diskutiert. Auf jeden Fall darf er dadurch bereits zum zweiten Mal als Schutzschild für jene herhalten, die mitschuldig sind an den derzeitigen Zuständen im Verein, blickt man zurück ins Jahr 2016 vielleicht sogar ursächlich.
Die Rede ist natürlich von den Aufsichtsratsurgesteinen Wilfried Porth und Hartmut Jenner, aber auch Bernd Gaiser. Sie ermöglichten und stützten die Präsidentschaft Wolfgang Dietrichs. Und selbst wenn keiner von ihnen direkt in die Mitgliederverarsche zur Ausgliederung verstrickt war: Das berühmt-berüchtigte Guerilla-Marketing durch pseudoneutrale Facebook-Seiten war nur ein Ausdruck der Amtsführung Wolfgang Dietrichs. Alle drei haben beim VfB so viel Schaden angerichtet, dass man den Bock zum Gärtner machte, ließe man sie weiter die VfB AG beaufsichtigen. Leider (und auch das ist mangels Kenntnis der Strukturen leider nicht allen klar) haben wir als Vereinsmitglieder auf Porth und Jenner seit der Ausgliederung keinen Einfluss mehr.
Nicht alle Rücktritte sind die beste Lösung
Anders sieht es im e.V. aus. Bernd Gaiser ist nämlich gleichzeitig auch eines von zwei Präsidiumsmitgliedern, die beide die Chuzpe besitzen, die Mitglieder zu verarschen und dann der Ansicht zu sein, sie würden weiterhin in deren Namen handeln. Das andere Präsidiumsmitglied heißt Rainer Mutschler und ist Stand Montag morgen immer noch nicht zurückgetreten, obwohl er im Esecon-Bericht schwer belastet wird, schwerer noch als Gaiser, der wohl “nur” versuchte, die in den Bericht mündenden Ermittlungen von Esecon zu behindern. Beide wollen weiterhin eine digitale Mitgliederversammlung am 28. März, beide stimmten gegen eine Veröffentlichung des sie belastenden Esecon-Berichts. Beide müssen dringend zurücktreten, wenn sie das Ansehen des VfB nicht weiter beschädigen wollen.
Das ist sowieso schon empfindlichst ramponiert. Nicht zuletzt durch das Verhalten von jenen Teilen des Vereinsbeirats, die schon vor Ende 2020 keine gute Figur als VertreterInnen der Mitglieder abgaben und deshalb eigentlich auch an jenem Tag vor 19 Monaten ihren Rücktritt hätten einreichen müssen. Oder, und das wäre mir fast noch lieber, bei der nächsten Gelegenheit hätten abgewählt werden müssen. Denn so sehr ich mich in diesem Verein immer wieder an bestimmten Personen abarbeite, sind das grundsätzliche Problem die Strukturen, die das Handeln der Personen ermöglichen. Aus struktureller Sicht wäre es mir lieber, die Mitglieder hätten Wolfgang Dietrich des Amtes enthoben, anstatt dass er das mit einem schwurbeligen Facebook-Post selber tut. Mir wäre es auch lieber gewesen, die Mitglieder würden entscheiden, wer im Vereinsbeirat sitzt und wer nicht (mehr). Eigentlich gilt das auch für das Präsidium, aber hier muss etwas passieren, bevor de facto nicht mehr legitimierte Personen weiterhin weitreichende Entscheidungen treffen. Abgesehen davon kann man sich nach Rücktritten auch trefflich als Opfer der Umstände oder in diesem Falle des Umfelds gerieren — Wolfgang Dietrich hat es vorgemacht. Aus struktureller und vereinsdemokratischer Sicht wäre es auch besser, man hätte durch das Verhalten der Gremien nicht jegliche Herausforderer für den Amtsinhaber vergrault. So haben wir, wie all die Jahre, wieder nur einen Kandidaten. Klar: Wenn es sonst niemand gibt, dann ist das so. Dass man allerdings nach der Vielzahl an Bewerbungen 2019 nun gar niemanden hat, stimmt bedenklich.
Um eines klarzustellen: Der 13. und 14. Februar 2021 waren zwei gute Tage für den VfB, weil Fehlverhalten. auch abseits des Sportlichen endlich Konsequenzen hat. Aber es kann erst der Anfang sein auf dem Weg vom “Verein für Betrüger”, wie es auf einem Spruchband AM Stadion hieß, hin zu einem VfB der Mitglieder. Dafür müssen sich nicht nur Personalien ändern, sondern auch Strukturen.
Titelbild: © imago
Hitz und Vogt müssen sich jetzt zusammenraufen
Wenn jetzt noch weitere personelle Konsequenzen getroffen werden ( die getroffen werden müssen ) wäre es an der Zeit, dass Hitz sich nochmals bei Vogt entschuldigt und zugibt, dass er von den kriminellen Seilschaften hinters Licht geführt wurde und darauf reingefallen ist
Er müsste sich bei Vogt für die Beauftragung vom esecon und seine Hartnäckigkeit zum Wohle des Vereins (und der AG) bedanken
Er muss zugeben, dass er zu naiv war und zusammen mit Vogt das beste für den VfB will inklusive neuer Köpfe
Das hätte immerhin Größe und würde ihn nicht als Verlierer und Spalter (Sonnenkönig 2.0) dastehen lassen