Der VfB kommt gegen Köln stark ins, Spiel und lässt nach dem Ausgleich stark nach. Warum man mit dem Punkt zufrieden sein muss — und kann.
Die vergangene Woche, jene nach dem überraschenden Sieg bei der Hertha, hielt für VfB-Fans etwas Neues oder vielmehr lang Vergessenes bereit. Der VfB war talk of the town und zur Abwechslung mal nicht wegen aufsehenerregender Unfähigkeit. Nein, der Hypetrain — gut zu erkennen an lobenden Artikeln in überregionalen, nicht sport-spezifischen Publikationen wie faz.net (“Die derzeit aufregendste Mannschaft der Bundesliga?”) und SpiegelOnline (“Jung, modern und kaum zu bremsen”) — machte halt in Bad Cannstatt. Ganz findige Köpfe rechneten sogar aus, dass die Brustringträger, einen angeblich nicht unrealistischen hohen Sieg vorausgesetzt, von Freitagabend bis Samstag Nachmittag sogar Tabellenführer werden könnten. Juchhe! Fragt sich noch jemand, woher die angeblich himmelhohe Erwartungshaltung in Stuttgart kommt?
Ein Gedicht
Ulkigerweise stieg die im Vergleich zum Hertha-Spiel unveränderte VfB-Mannschaft auf das Gelaber ein und erzielte vom Anstoß weg innerhalb von 24 Sekunden die Führung. Ein Gedicht von einem Angriffszug, sicherlich auch begünstigt von der Nicht-Existenz einer gegnerischen Mannschaft zu diesem Zeitpunkt: Castro spaziert durchs Mittelfeld, Castro auf Didavi, Didavi auf Kalajdzic, Kalajdzic auf Mangala und der schlenzt das Ding aus 17 Metern aufs Tor. Zwei Minuten später kloppt Didavi einen Freistoß an den Pfosten. Bumm! Believe the hype!
Aber mal ernsthaft: Dass die Mannschaft zu Spielbeginn so wach ist, dass sie einen Gegner derart überrumpelt, ist ein gutes Zeichen. Das gute Ergebnis in Berlin und das anschließende Lob von allen Seiten scheint zur Abwechslung mal das Selbstvertrauen des Teams gestärkt zu haben und nicht die Selbstgefälligkeit. Die Brustringträger ruhten sich nicht wie so oft in der Vergangenheit auf dem Erreichten aus, sondern wollten gleich nachlegen. Das Pferd springt endlich mal so hoch wie es kann und will und nicht nur, so hoch, wie es muss. Erfreulich. Man kommt derzeit aus dem Augenreiben kaum raus als VfB-Fan.
Nicht mehr im Griff
Und die wären vielleicht wund davon, die Augen, wäre der aufregenden Spielweise unserer Elf nach etwas mehr als 20 Minuten nicht kurzerhand der Stecker gezogen worden. Es ist nun müßig zu diskutieren, ob es das Elfmetertor war, das Atakan Karazor dem FC durch seine unbedachte Armbewegung schenkte, oder das blutende Ohr von Marc Oliver Kempf und dessen Auswechslung: Plötzlich wachten die Gäste auf und der VfB verlor den Faden. Kam mit dem ansteigenden Pressingdruck der Kölner nicht mehr so gut klar und leistete sich absurde Fehl- und Gefahrenpässe, vor allem in Richtung von Gregor Kobel, der in seiner Not sogar einmal Stürmer Andersson anschoss. Zwar kriegte der VfB seine Defensive irgendwann wieder in den Griff, die Kölner aber nicht mehr. Das Spiel war nicht nur vom Ergebnis her offen.
Dass die Mannschaft dennoch entweder durch Tanguy Coulibaly oder den eingewechselten Nico Gonzalez den Lucky Punch hätte setzen können, spricht für ihre Einstellung und ihren Offensivgeist. Gleichzeitig wurde in diesem Spiel aber deutlich, dass wir eben nicht — logischerweise — auf dem Weg zur Tabellenführung sind, sondern am Freitagabend den achten Punkt gegen den Abstieg geholt haben. Viel mehr als dieser eine Punkt war am Ende auch nicht drin, nachdem man die Kölner zurück ins Spiel gebracht hatte. Natürlich ist jeder Punkteverlust auf dem Weg zum Klassenerhalt ärgerlich, gleichzeitig war Köln eben am Ende auch nicht so schlecht, wie es der Tabellenstand und die bisherigen Spiele vermuten ließen.
Dem Druck standhalten
Ich hätte mir gewünscht, dass Pellegrino Matarazzo in der Halbzeit eine deutlichere Antwort auf den Kontrollverlust in der erste Hälfte gefunden hätte. Vielleicht ist das auch für einen Aufsteiger unrealistisch, aber gegen Mannschaften wie Schalke — immer noch ohne Sieg und mit einer veritablen Derbyniederlage im Nacken — umso wichtiger, denn diese stehen unter einem immensen Druck, der sich manchmal eben so entlädt wie im Kölner Spiel nach dem Ausgleich. Zulegen muss auch Nico Gonzalez noch, der zwar beinahe den vermeintlichen Siegtreffer erzielte, auf seiner Außenbahn jedoch nur offensiv zu finden war und bei den Kölner Gegenangriffen häufig noch kopfschüttelnd in deren Hälfte des Spielfelds verweilte. Es war also nicht nur die körperliche Fitness, die dem VfB-Topscorer der Zweitliga-Saison fehlte.
Man muss natürlich nach so einem Spiel und mit der Vorgeschichte, die der VfB hat, aufpassen, dass man das Ergebnis realistisch einordnet und es weder auf die leichte Schulter nimmt, noch in Krisenstimmung verfällt. Einerseits schenkte die Mannschaft die Kontrolle über das Spiel zu leicht her, brachte sich selbst durch Nervosität in die Bredouille und verpasste so einen Sieg gegen einen möglichen Konkurrenten. Andererseits ist die Mannschaft nicht nur defensiv ersatzgeschwächt, sondern auch sehr jung und deshalb vielleicht verständlicherweise vom aggressiven Pressing der Kölner, die plötzlich Morgenluft schnupperten, überfordert. Und schließlich darf man nicht vergessen, dass sich das Team auf Bundesliga-Niveau immer noch in einem Lernprozess befindet — das klappt mal besser und mal schlechter. Das Glas ist, wie die Kölner Kollegen bei effzeh.com schreiben, “zu gleichen Teilen halbvoll und halbleer” — auch beim VfB. Wichtig ist jetzt vor allem, vor dem Spiel gegen Schalke am kommenden Freitag daraus zu lernen und deren Druck standzuhalten.
Titelbild: © Ronald Wittek — Pool/Getty Images