Gleich zwei Mal trifft der VfB in den nächsten vier Tagen auf den Hamburger SV. Über beide Spiele und die Lage beim Aufstiegskonkurrenten haben wir uns mit HSV-Fan Karo (@KaiserKaro) unterhalten.
Rund um den Brustring: Hallo Karo und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Erzähl doch mal: Wie bist Du HSV-Fan geworden?
Karo: Moin Zusammen, sehr gerne. Dazu kann ich keine bewegende Geschichte im Sinne der Fussball-Romantik aus meiner Kindheit oder Jugend erzählen. Ich komme aus Polen und bin Anfang der 90er nach Deutschland gezogen. Auch danach bin ich wegen des Jobs meines Stiefvaters oft umgezogen, nach Australien, Österreich und mehrfach innerhalb Deutschlands. Witzigerweise habe ich auch in Stuttgart gewohnt. Mein Studium verschlug mich nach Ravensburg, wo ich mich in einen Hamburger Jung verliebte. Ich folgte ihm danach in die Hansestadt, und wurde herzlich im HSV Umfeld aufgenommen. Die Geschichte des HSV und das ganze drum herum haben mich schnell gefesselt, sodass ich nun immerhin auf 10 Jahre aktives Fandasein komme, Mitglied beim HSV und Supporters Club, sowie Gründungsmitglied eines Fanclubs, Dauerkarteninhaberin und regelmäßig auswärts anzutreffen bin. Die Liebe ist verflossen, der HSV ist geblieben. Mittlerweile beschäftigen mich der Fussball und der HSV jeden Tag.
VfB und HSV haben ja jahrelang förmlich darum gebettelt, absteigen zu dürfen. Nach unserem dritten und Eurem ersten Abstieg spielen wir das erste Mal in der zweiten Liga gegeneinander. Wie wurde der Abstieg 2018 in Hamburg aufgenommen und verarbeitet?
Erstaunlich positiv. Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht Jahre auf dieses Geschehnis mental vorbereiten konnten. Wir waren alle am Ende einfach nur erleichtert. Es war aber zunächst natürlich unendlich traurig und sehr emotional. Der Dino war plötzlich ausgestorben, das letzte Stück Fussballromantik im Millionen-Fussballbusiness war abgelöst worden. Es gibt so viele Anekdoten zu diesem Tag, ich kann dem gar nicht gerecht werden das zu beschreiben. Jeder in der Stadt wusste was auf dem Spiel steht, selbst die größten Anti-Fussballer haben wochenlang über nichts anders geredet und das Thema ausgeschlachtet. Das war, neben den Jahren davor, eine schwere Zeit als HSVer, in der einem viel Häme von Kollegen und im Netz entgegenschlug. Als dann wirklich der Abstieg kam, setzte sich eine Welle der Bekenntnis zur Raute in Bewegung, knapp 7.000 neue Mitglieder sind in der Saisonpause in den Verein eingetreten, Dauerkarten waren schnell vergriffen, die Warteliste ist noch länger geworden. Das ist schon sehr verrückt. Ich bin mir sicher, alle im Verein und drum herum waren sehr ergriffen über die Reaktionen. Wir sind dadurch noch näher zusammengerückt.
Was war die größere Enttäuschung: Der erstmalige Abstieg oder der verpasste direkte Wiederaufstieg? Und was lief letztes Jahr schief, dass es dazu kam? Schließlich ist ein zweites Jahr in der Zweitklassigkeit eine Sorge, die auch uns umtreibt.
Beide Geschehnisse habe ich persönlich nicht als Enttäuschung empfunden, sondern als notwendige aber schmerzhafte Einschnitte. Die wahre Enttäuschung waren eher die letzten Jahre vor dem Abstieg – als die Führungsriege medienwirksam in kopflosen Aktionismus verfallen ist und wir die Lachnummer der Nation waren. Letzten Endes ist es doch wie im wahren Leben: Die Angst vor dem vermeintlichen Worst Case ist oft viel schlimmer, als wenn dieser wirklich eintritt. Nun hat sich der HSV besonnen, hat alte Zöpfe abgeschnitten, den Kader umgekrempelt, es ist vergleichsweise ja wirklich Ruhe eingekehrt. Mit vorsichtigem Blick auf die aktuelle Entwicklung zeigt der Trend nach oben. Der hat sich letzte Saison auch schon abgezeichnet, wurde aber noch nicht mit dem Wiederaufstieg gekrönt — Ein grundlegender Wandel braucht Zeit und muss Schritt für Schritt mit Leben gefüllt werden.
Im Sommer verließ Ex-VfB-Spieler und Euer Kapitän Gotoku Sakai den Verein, Berkay Özcan, erst im Winter gekommen, wurde in die Türkei verliehen. Was waren die Gründe für die Wechsel?
Gotoku hatte sich in der Saison 17/18 direkt nach Abpfiff des letzten Spiels gegen Gladbach, als der Abstieg des HSV besiegelt war, unter Tränen weiter zum HSV bekannt. Er war insgesamt vier Jahre bei uns, trug davon 3 Jahre die Kapitänsbinde und war immer ein sehr geschätzter Ansprechpartner innerhalb der Mannschaft. Er war immer bemüht sein bestes zu geben und kein extrovertierter Angeber wie so viele andere im Fussballbusiness. Letzten Endes gilt aber die Leistung auf dem Platz und diese hat die Verantwortlichen am Ende nicht mehr überzeugt. Er ist gleichzeitig bekennender Familienmensch, daher macht es natürlich Sinn, wenn seine Kinder in Japan aufwachsen sollen, dass er dorthin zurück gekehrt ist (auch, wenn ich ihn als großer Fan schmerzlich vermisse). Vollkommen ungerechtfertigt waren die Pfiffe im Volkspark bei seiner Einwechslung in der 83. Minute in der vergangenen Saison am letzten Spieltag gegen den MSV Duisburg. Dort entlud sich der Frust der Zuschauer, vielleicht auch, weil er als Identifikationsfigur für den Abstieg & verpassten Wiederaufstieg mit-verantwortlich gemacht wurde. Ich hätte ihm aus ganzem Herzen einen schöneren Abschied gegönnt, das hat er wirklich nicht verdient.
Die genauen Details zu Berkay´s Leihe an Istanbul Basaksehir FK kennen nur er selbst und Dieter Hecking. Ich denke jedoch, dass sich Hecking zu diesem Schritt entschieden hat, weil wir im Mittelfeld u.a. mit Kittel, Fein und Dudziak erst mal gut aufgestellt sind und Berkan in Istanbul weitere Spielpraxis sammeln soll.

Welche Fehler hat unser und mittlerweile auch Euer Ex- Trainer Hannes Wolf Deiner Meinung nach gemacht?
Mit Blick auf die vergangene Saison hat Wolf, nachdem er Christian Titz nach 10 Spieltagen beerbt hat, den HSV zum Herbstmeister gemacht und die Mannschaft bis ins Halbfinale des DFB-Pokals gebracht. Wir Fans trauten unseren Augen kaum, so viele Siege waren wir wirklich nicht gewohnt. Er hat demnach zunächst erst mal vieles richtig gemacht. Leider war die Rückrunde dann das genaue Gegenteil. Die Gründe für die getrennten Wege des HSV und Hannes Wolf sehe ich u.a. in unglücklichen Spielerwechseln bzw. unterlassenen Auswechslungen die manchen Spielen aber gut getan hätten, eines seinerzeit sportlich limitierten Kaders und einer Mannschaft, die sich noch formieren musste.
In dieser Saison läuft es bisher gut für Euch, Ihr geht als Tabellenführer ins Spiel am Samstag. Wie zufrieden bist Du mit dem bisherigen Saisonverlauf und wie bewertest Du die Arbeit von Wolfs Nachfolger Dieter Hecking?

Den HSV als Spitzenreiter in der Tabelle zu sehen ist jedes Mal Balsam für die geschundene HSV-Seele nach den miesen Jahren vor dem Abstieg. Schon allein deshalb macht Dieter Hecking vieles richtig. Die Floskel mag abgedroschen klingen, aber er ist eben auch ein guter Fussball-Lehrer, sehr besonnen und erfahren, was bei unserem wirklich jungen Kader (der zweitjüngste der Liga!) sehr gute Früchte trägt. Insgesamt ist der bisherige Saisonverlauf absolut in Ordnung. Nach 10 Spieltagen haben wir 6 Siege eingefahren, davon 5 Siege zu Null, und insgesamt 18 Tore geschossen. Nach der bisher einzigen Niederlage, im Derby gegen den FC St. Pauli, hat die Mannschaft mit einem 4:0 Kantersieg gegen Aue anschließend genau das richtige Zeichen gesetzt und sich trotz Derbyniederlage nicht entmutigen lassen. Wobei wir aber mit unserem Eigentor dem Stadtteilverein noch Schützenhilfe geleistet haben 😉 Der Saisonverlauf ist leicht volatil aber insgesamt positiv.
Beim 1:1 in Bielefeld am Montag verpasste es der HSV, sich an der Tabellenspitze etwas Luft zu verschaffen. Wie sinnbildlich ist das Spiel für Eure bisherige Saison?
Für mich gilt das nicht nur für die aktuelle Saison, auch vorher schon neigte der HSV dazu, nach einem Führungstreffer das Fussballspielen einzustellen. Das war am Montag in Bielefeld zwar nicht der Fall, aber ich sehe noch Luft nach oben im Hinblick auf konsequente Punktesicherung. Mit unserem Etat MÜSSEN wir oben mitspielen, es ist aber völlig in Ordnung, dass nicht alles leicht von der Hand geht. Seit dem Abstieg hat sich der Kader nahezu komplett neu zusammen gesetzt und jetzt gilt es, ein neues eingeschworenes Team zur Reife zu bringen. Hier bin ich guter Dinge, mit der Erfahrung kommt auch die Routine, das Selbstvertrauen und die Kaltschnäuzigkeit die notwendig ist.
Wie nötig hat der HSV den Aufstieg in dieser Saison und wie siehst Du Eure Chancen?

Dieses Thema betrachte ich immer aus zwei Perspektiven. Ich habe Gefallen an der Zweiten Liga gefunden. Der Fussball ist viel mehr im Vordergrund, er ist ehrlicher, die Stadien charmant-rustikal und das Groß der medialen Aufmerksamkeit konzentriert sich eher aufs Oberhaus, auch wenn das ein oder andere Blatt (das mit den vier Buchstaben) immer wieder versucht Unruhe zu stiften (#TeamJatta!). Auf der anderen Seite ist Fussball ein Wettkampf und daher muss es der Anspruch sein, gewinnen zu wollen. Der Aufstieg ist auch wichtig um die finanzielle Schräglage wieder etwas gerade zu rücken. Wenn wir vor langen Verletzungsausfällen gefeit bleiben und Hecking die Mannschaft so weiter festigt, sehe ich sehr gute Chancen für den Aufstieg – am liebsten direkt, ohne Relegation 😉
Kommen wir zu Eurem Kader: Wie zufrieden bist Du mit den sommerlichen Neuzugängen, insbesondere unseren Ex-Spielern Tim Leibold und Martin Harnik?

Das Transferfenster wurde ausgiebig genutzt, wir haben 12 Neuzugänge und 18 Abgänge, da wurde viel Arbeit reingesteckt. Ich hoffe, dass neben der Trainer- nun auch und die Spielerrochade aufhört. Wir haben nun Qualität im Kader mit der man wirklich arbeiten kann. Gute spielerische Ansätze unter den Neuzugängen sehe ich natürlich bei Kittel und Fein, das macht Spaß denen zuzuschauen. Tim Leibold war an jedem der bisher 10 Spieltagen von Anfang an auf dem Platz und hat als Linksverteidiger großen Anteil daran, dass der HSV mit den wenigsten Gegentoren der Liga die beste Abwehr stellt. Seine 4 Torvorlagen runden das Bild ab. Martin Harnik punktet mit seiner Erfahrung und Abgeklärtheit, er ist zusammen mit Aaron Hunt einer der erfahrensten Spieler der Mannschaft. Ich bin guter Dinge, dass er seine Liebe zu Hamburg auf dem Platz mit entsprechender Leistung zeigen wird. Ein Tor sowie eine Torvorlage in 5 Spielen für den HSV sind ein guter Anfang.
Die Frage stellen sich wahrscheinlich viele Fans beider Vereine: Wenn Du Dich entscheiden müsstest, würdest Du eher einen Sieg am Samstag in der Liga oder am Dienstag im Pokal bevorzugen?
Am liebsten hätte ich natürlich zwei aufeinanderfolgende Heimsiege. Ich sag mal so: Lieber im Pokal eine Runde weiter — die Liga geht ja noch eine Weile, sodass wir noch Zeit haben die Tabellenspitze zu verteidigen.
Beim letzten Aufeinandertreffen im Pokal gewann der VfB im Dezember 2011 durch zwei Tore von Cacau bei einem Eigentor von Kvist mit 2:1. Mehr Videos von VfB-Spielen findet Ihr in unserem Videoarchiv und auf unserem YouTube-Kanal.
Was sind die Stärken Eurer Mannschaft, vor wem müssen wir uns in Acht nehmen und welche Schwächen hat Eure Elf?
Gerade nach dem 1:1 in Bielefeld bin ich ganz angetan von der Qualität unserer Passgenauigkeit. Ich erinnere mich an Spiele, da wolltest Du Dich am liebsten in Luft auflösen, so schlecht war das Spiel mit dem Ball. Mit Rick van Drongelen haben wir einen starken Vize-Kapitän der die Jungs auf dem Platz führt und durch sein Doppelpack bei der Niederländischen U21 gerade richtig präsent ist. Sonny Kittel hat das Selbstbewusstsein aufs Tor zu schießen und ist ein Wirbelwind im offensiven Mittelfeld, Jatta ist ein flinker Flügelflitzer. Die Mannschaft agiert als Team und liefert ein insgesamt schlüssiges Bild auf dem Platz ab. Das ist schön anzusehen, da hat Hecking echt einen guten Job gemacht. In manchen Belangen könnte die Ballbehauptung einzelner Spieler noch ausgebaut werden und ich habe die Befürchtung, dass das Umschaltspiel bei gegnerischen Kontern zu langsam ist.
Welche Themen beschäftigen die HSV-Fans derzeit abseits des grünen Rasens?
In unmittelbarer Nähe des heutigen Volksparkstadions steht noch ein Stück alter Zaun von der Bettonschüssel, dem alten Volksparkstadion. Dieses Stück soll gemeinsam mit dem Verein, Vertretern der aktiven Fanszene, sowie freiwilligen Helfern restauriert und als Denkmal hergerichtet werden. Dieses Vorhaben soll vor allem einen möglichen Abriss des Zauns im Rahmen der Vorbereitungen auf die EM 2024 verhindern.
Viele VfB-Fans fahren ja schon früher hoch nach Hamburg und werden zwischen den Spielen dort bleiben. Hast Du einen Geheimtipp, was man in Hamburg gesehen oder getan haben sollte, was aber nicht jede schon hundert Mal gesehen oder getan hat?
Klar, es gibt viele schöne Dinge die man unternehmen kann! Ob Hamburger oder Gast, der Hafen ist immer sehenswert, bei Wind und Wetter. Eine Hafenrundfahrt geht immer, dazu am Besten in die Fähre 62 (Landungsbrücken, Brücke 3) einsteigen und bis Finkenwerder und wieder zurück fahren — Das ist viel günstiger als mit einem teuren Touri-Schiff. Die besten Fischbrötchen gibt es bei „Fisch und so“ im Holzhafen in der Großen Elbstraße 117. Wer auf den Kiez möchte, dem empfehle ich insbesondere die kleinen Seitengassen um die Reeperbahn herum. Da ist das Bier günstiger und man kommt mit den verschiedensten Leuten ins Gespräch. Einfach ein Bier pro Kneipe und weiter ziehen. Keine Angst, noch nie hat jemand den Kiez an einen Abend durchgespielt, auch nicht an zwei 😉 Leckeres Frühstück gibt es im Café Klatsch in der Glashüttenstr.17 unweit des Millerntorstadions im Karo-Viertel und zwar bis 19.30 Uhr! Ein gutes Abendessen zu fairen Preisen bei guter Stimmung gibt es in der Trattoria Remo´s in der Hein-Hoyer-Strasse 75 (Kieznähe!). Wer es ruhiger angehen möchte, dem empfehle ich das Planetarium im Stadtpark und für ein ehrliches Stück Hamburger Kultur einen Besuch im Pulverfass – ein Travestie Cabaret mit monatlich Abwechselnden Shows und seit 40 Jahren inhabergeführt. Aber Achtung, nichts für zartbesaitete!
Abschließend: Deine Tipps für die beiden Partien?
Ligaspiel: 2:2
Pokal: 3:2 nach Verlängerung
NUR DER HSV!