Rund um den nächsten Gegner: Im Gespräch mit Leverkusen-Experte Dorian Audersch

Am Sonn­tag reist Tabel­len­füh­rer Bay­er Lever­ku­sen zum Abschluss einer eng­li­schen Heim­spiel­wo­che des VfB ins Neckar­sta­di­on. Vor der Par­tie spra­chen wir mit Lever­ku­sen-Exper­te Dori­an Audersch von der Rhei­ni­schen Post.

Rund um den Brust­ring: Hal­lo Dori­an und dan­ke, dass Du Dir Zeit für unse­re Fra­gen nimmst. Dass die Begeg­nung zwi­schen dem VfB und Lever­ku­sen im Dezem­ber ein Duell Ers­ter gegen Drit­ter ist, hät­te im Som­mer wahr­schein­lich nie­mand vor­aus­sa­gen kön­nen. Der drit­te Tabel­len­platz des VfB über­rascht die Liga — über­rascht Dich der Tabel­len­füh­rer?

Dori­an: Es war nach der ver­gan­ge­nen Sai­son sicher nicht zu erwar­ten, dass Lever­ku­sen einen der­ar­ti­gen Durch­marsch an die Spit­ze hin­le­gen und wett­be­werbs­über­grei­fend 21 Spie­le in Serie nicht ver­lie­ren wür­de, bei nur zwei Unent­schie­den gegen Dort­mund und beim FC Bay­ern. Im Moment pur­zeln die Klub­re­kor­de nur so dahin, das zeigt ja schon, wie außer­ge­wöhn­lich der Lauf ist. Die Sta­bi­li­tät und vor allem Resi­li­enz – also die Fähig­keit, sich ver­schie­dens­ten Wider­stän­den ent­ge­gen­zu­set­zen und auch rich­tig schwie­ri­ge Spie­le für sich zu ent­schei­den – über­rascht ver­mut­lich vie­le am meis­ten. Dass es eine sehr gute Sai­son wer­den wür­de, war aller­dings schon im Som­mer zumin­dest zu erah­nen.

Ich war mit Bay­er im Trai­nings­la­ger in Öster­reich, habe vie­le Ein­hei­ten gese­hen und dabei erlebt, wie akri­bisch Xabi Alon­so mit der Mann­schaft gear­bei­tet und sie Stück für Stück geformt hat. Er ver­sprüht schon einen bemer­kens­wer­ten Spi­rit, spielt in den Ein­hei­ten auch mal mit, ist immer klar in der Ansa­ge, manch­mal streng, manch­mal moti­vie­rend, aber immer sehr auf­ge­räumt. Dazu, das ist wie­der­um kei­ne Über­ra­schung, wenn man auf sei­ne Kar­rie­re als Pro­fi schaut, ver­steht er extrem viel von Fuß­ball und hat eine kla­re Phi­lo­so­phie. Inso­fern: Über­ra­schend ist die Tabel­len­füh­rung in ihrer Form durch­aus, noch über­ra­schen­der wäre für mich aber gewe­sen, wenn die Mann­schaft wie­der so eine ver­korks­te Hin­run­de wie in der ver­gan­ge­nen Sai­son hin­ge­legt hät­te. Dafür ist die Qua­li­tät im Kader ein­fach zu hoch.

Wo siehst Du die Grün­de für Lever­ku­sens Stär­ke und von wel­cher Schwä­che könn­te der VfB am Sonn­tag pro­fi­tie­ren?

Neben den bereits erwähn­ten Aspek­ten zur Arbeit des Trai­ners, die einen gewal­ti­gen Teil des Erfolgs aus­macht, sind es natür­lich die Zugän­ge im Som­mer. Sport­ge­schäfts­füh­rer Simon Rol­fes und die ande­ren Ent­schei­der im Klub haben die rich­ti­gen Schlüs­se aus der Vor­sai­son gezo­gen. In Gra­nit Xha­ka kam ein Top­spie­ler der Pre­mier League, der sofort die ihm ange­dach­te Füh­rungs­rol­le über­nom­men hat und der Mann­schaft nicht nur mit sei­nem exzel­len­ten Spiel, son­dern auch sei­nem Cha­rak­ter gut tut. Ale­jan­dro Gri­mal­do kam ablö­se­frei von Ben­fi­ca Lis­sa­bon und hat die Dau­er­bau­stel­le hin­ten links beho­ben – was für ein sen­sa­tio­nel­ler Trans­fer, nicht nur wegen sei­nes Hangs, Traum­to­re zu schie­ßen.

Dann noch Vic­tor Boni­face, der ein­fach einer die­ser trick­rei­chen und unvor­her­seh­ba­ren Angrei­fer ist, für die man ger­ne ins Sta­di­on kommt. Jonas Hof­mann wur­de als erfah­re­ner deut­scher Natio­nal­spie­ler geholt und schlug sofort ein. Das passt also alles sehr gut mit den vie­len hoch­klas­si­gen Spie­lern, die ja ohne­hin schon im Kader waren. Es spricht Bän­de, dass im Grun­de nie­mand mehr an Moussa Dia­by denkt, der ver­gan­ge­ne Sai­son noch Bay­ers Tops­corer war. Da wur­de sehr, sehr viel rich­tig gemacht. Es ist momen­tan schwie­rig, Schwä­chen klar zu benen­nen, das ist ja auch Sebas­ti­an Hoe­neß wäh­rend der PK vor dem Spiel gefragt wor­den und blieb eher vage. Natür­lich wird auch Lever­ku­sen irgend­wann ein Spiel ver­lie­ren. Stutt­gart ist mit Sicher­heit ein Här­te­test für die Serie.

Es fällt auf, dass anders als Bay­ern und Stutt­gart Lever­ku­sen nicht den einen her­aus­ra­gen­den Stür­mer hat, statt­des­sen ver­ei­nen Boni­face, Gri­mal­do und Hof­mann 20 Sai­son­tor auf sich. Ist die offen­si­ve Varia­bi­li­tät ein Vor­teil?

Das ist auch einer der rich­ti­gen Schlüs­se, die aus der Vor­sai­son gezo­gen wur­den. Durch das extre­me Tem­po auf den Außen, vor allem auf der rech­ten Sei­te mit Jere­mie Frim­pong und Dia­by, war Bay­ers Spiel rela­tiv aus­re­chen­bar auf Umschalt­mo­men­te und schnel­le Läu­fe in die Tie­fe aus­ge­legt und Geg­ner konn­ten sich dar­auf ein­stel­len. Das ist jetzt viel schwie­ri­ger. Wenn es im Spiel mal nicht läuft, kommt Gri­mal­do mit einem direkt ver­wan­del­ten Frei­stoß daher, wenn Boni­face nicht trifft, machen es eben Hof­mann oder Wirtz oder viel­leicht auch Jona­than Tah, der auch schon bemer­kens­wer­te drei Tref­fer auf dem Kon­to hat. Dazu ist natür­lich ein Spiel­witz und eine Krea­ti­vi­tät in der Mann­schaft, die jedem Geg­ner über 90 Minu­ten extrem viel abver­langt. Und gedul­dig spie­len kön­nen sie auch, wenn es sein muss.

Man hat es zuletzt beim 1:1 gegen Dort­mund gese­hen: Der Vize­meis­ter hat in Lever­ku­sen nach der frü­hen Füh­rung gespielt, wie es ein kla­rer Außen­sei­ter machen wür­de. BVB-Coach Edin Ter­zic sag­te hin­ter­her, dass die­se “tak­ti­schen Kom­pro­mis­se” not­wen­dig gewe­sen sei­en, weil Lever­ku­sen eben so varia­bel und gefähr­lich ist. Frei­burgs Trai­ner Chris­ti­an Streich hat sich ähn­lich geäu­ßert, nach­dem er mit einem eher destruk­ti­ven Ansatz 1:2 in der BayA­re­na ver­lo­ren hat­te. Man hat aber auch in bei­den Spie­len gese­hen, dass sich die Werks­elf mit Geg­nern schwer tut, die sehr tief ste­hen und sich ein­igeln. Dort­mund haben immer­hin nur rund 15 Minu­ten für einen Sieg gefehlt, Frei­burg kam zumin­dest nah an ein Remis her­an. Ich kann mir aber nicht vor­stel­len, dass der VfB am Sonn­tag so auf­tritt.

Traust Du den “Vize­ku­se­nern” in die­sem Jahr den Titel zu?

Die Fra­ge wird natür­lich mit jedem Sieg aku­ter. Zutrau­en? Klar, war­um nicht? Im Moment ist die­ser Mann­schaft alles zuzu­trau­en. Aller­dings fehlt mir noch ein biss­chen die Fan­ta­sie. Dafür ist die Sai­son ein­fach noch zu lang und es gibt zu vie­le Unwäg­bar­kei­ten wie etwa den Afri­ka-Cup im Januar/Februar. Frag das doch noch­mal vor dem Rück­spiel. Im Pokal ist sicher auch viel drin, aber da könn­te es ja auch ein schnel­les Wie­der­se­hen mit dem VfB geben, wer weiß?

Xabi Alon­so ist seit etwas mehr als einem Jahr Trai­ner in Lever­ku­sen. Was zeich­net ihn dei­ner Mei­nung nach aus?

Dazu habe ich ja schon ein paar Din­ge gesagt, aber ergän­zen wür­de ich, dass er mit jeder Faser vor­lebt, was er pre­digt und dem Team eine Serio­si­tät und Rei­fe ver­passt hat, die ich zumin­dest in den sie­ben, acht Jah­ren, die ich Bay­er jetzt inten­si­ver beob­ach­te, noch nicht gese­hen habe. Hin­zu kommt natür­lich sei­ne unglaub­li­che Kar­rie­re als Spie­ler. Er ist ein Star des Welt­fuß­balls, gleich­zei­tig aber total geer­det und mit einer natür­li­chen Auto­ri­tät aus­ge­stat­tet. Ich glau­be, es ist schon was Beson­ders, wenn in der Kabi­ne Xabi Alon­so die Anspra­che hält. Er weiß ganz genau, wovon er spricht. Das gilt für vie­le ande­re Trai­ner auch, aber er hat eben als Spie­ler alles gewon­nen, was es zu gewin­nen gibt – außer iro­ni­scher­wei­se die Euro­pa League. Das kann er ja jetzt viel­leicht mit Bay­er nach­ho­len.

Wer fehlt bei Bay­er am Sonn­tag und mit wel­cher Start­elf rech­nest Du?

Bei Flo­ri­an Wirtz wird es ein Wett­ren­nen gegen die Zeit. Er hat im Pokal gegen den SC Pader­born einen Schlag aufs Sprung­ge­lenk abbe­kom­men. Der Knö­chel war danach stark geschwol­len, struk­tu­rell ist aber wohl nichts pas­siert. Dann ist da noch Arthur, ein wei­te­rer Som­mer­zu­gang aus Bra­si­li­en, der gera­de als er auf dem Weg Rich­tung Come­back war, erneut eine Mus­kel- und Seh­nen­ver­let­zung im Ober­schen­kel erlit­ten hat und wei­te­re drei Mona­te aus­fällt. Ich glau­be nicht, dass Alon­so irgend­was an sei­ner Start­elf ändern wird, die bis­lang in der Liga so über­zeugt hat, wenn er nicht muss.

Zum Abschluss: Dein Tipp fürs Spiel?

Ich blei­be diplo­ma­tisch und sage 2:2.

Titel­bild: © Adam Pretty/Getty Images

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