Schon lange haben sich HSV und VfB nicht mehr in einem Pflichtspiel getroffen. Vor den Relegationsspielen haben wir mit Fan und Podcaster Lasse vom Volksparkgeflüster gesprochen.
Rund um den Brustring: Hallo Lasse und danke, dass Du Dir nach diesem ereignisreichen Wochenende Zeit für unsere Fragen nimmst. Ich will nicht, dass Du den Sonntagnachmittag nochmal nacherzählen musst. Aber wie ist die Stimmung in Hamburg nach dieser späten und herben Enttäuschung?
Lasse: Moin Lennart, erstmal lieben dank für eine Einladung. Tatsächlich sind wir beim HSV ja Kummer und Drama gewohnt, daher waren die Ereignisse vom Sonntag natürlich ein Downer, tatsächlich aber nichts, was die Fans und der Verein nicht wegstecken können. Glaubt man den Spielern und Tim Walter, hat sich innerhalb der Mannschaft bereits ein „jetzt-erst-recht-Spirit“ entwickelt.
Zuletzt trafen der VfB und der HSV vor drei Jahren im Mai 2020 in der zweiten Liga aufeinander. Wie hat sich der HSV seitdem verändert?
Nach dem Trainerwechsel von Daniel Thioune zu Tim Walter, hat sich tatsächlich einiges beim HSV geändert. Alles anzusprechen, würde hier den Rahmen sprengen. Heruntergebrochen kann man jedoch sagen, dass der HSV durch Tim Walter und seine Art Fußball zu spielen, eine eindeutige Spielidee und Philosophie erhalten hat. Diese lautet einfach gesagt attraktiver Offensivfußball und das Aufbauen von jungen Spielern, rund um eine Achse aus Spielern mit mehr Erfahrung. Es wird nicht mehr wild eingekauft, sondern selbst entwickelt und mit klugen Transfers punktuell verstärkt. Diese neuen sportlichen Strukturen stärken den Verein, sodass es auch bei Unruhen außerhalb des sportlichen Bereichs relativ ruhig bleibt.
Nachdem es letztes Jahr schon knapp war, steht uns in den beiden Relegationsspielen ein Duell mit unserem ehemaligen Trainer Tim Walter ins Haus, der im Winter 2019 entlassen wurde und jetzt schon die zweite Saison beim HSV im Amt ist. Wie zufrieden bist Du mit ihm, unabhängig vom Saisonausgang?
Die Betrachtung von Tim Walter ist ein sehr komplexes Thema. Ich habe Tim Walter wegen seiner taktischen Ausrichtung durchaus öfter mal kritisiert bei uns im Podcast. Trotzdem hat er es zusammen mit Jonas Boldt geschafft, dem HSV wieder eine Identität zu geben. Der HSV steht wieder für etwas, was der aktuelle Hype rund um den Verein auch ganz klar widerspiegelt. Die Fans können sich wieder mit dem HSV identifizieren. Sollte sich der HSV auch in der Relegation vernünftig präsentieren, kann ich mir auch bei verpasstem Aufstieg eine Zusammenarbeit mit Boldt und Walter vorstellen. Tatsächlich muss man ja auch sagen, dass der HSV mit den geholten 67 Punkten der beste Dritte seit Bestehen der 2. Bundesliga ist.
In seiner Zeit bei uns ging es ihm viel um Kontrolle, der VfB hatte in der zweiten Liga regelmäßig wesentlich mehr Ballbesitz und spielte in der Regel doppelt so viel Pässe wie der Gegner. Hat sich daran etwas geändert? Wie ist der HSV in dieser Saison unter ihm aufgetreten?
Über weite Phasen der Saison ist Tim Walter seinem typischen „Walterball“ treu geblieben, der natürlich auch in Nuancen variiert. In den letzten Saisonspielen war jetzt aber deutlich sichtbar, dass der HSV auch anders spielen kann. Nicht wenige vermuten, in Vorbereitung auf die Relegationsspiele. In den Spielen gegen Fürth und Sandhausen hatte der HSV deutlich weniger Ballbesitz als gewohnt und ließ den Gegner mehr kommen. Anschließend ging es über lange Bälle auf die schnellen Außen nach vorne. Otto Rehhagel würde hier sagen, „kontrollierte Offensive“.
Wo siehst Du die Stärken und Schwächen Eurer Mannschaft?
Unsere größte Stärke ist eindeutig der Zusammenhalt innerhalb der Truppe. Auch nach Rückständen schüttelt die Mannschaft dies meist ab und kommt oft durch einen schnellen Anschlusstreffer oder Ausgleich zurück. Trainer, Staff und Spieler bilden eine echte Einheit.
Als größte Schwäche würde ich tatsächlich das Defensivverhalten unserer Außenspieler und unsere Konterabsicherung benennen. Dies ist natürlich größtenteils geschuldet durch die Spielweise von Tim Walter. Man darf gespannt sein, ob die bereits von mir erwähnte defensivere Spielweise in einer der beiden Partien zum Einsatz kommt. Erwischt man den HSV auf dem falschen Fuß, gewinnt den Ball im Mittelfeld und spielt ihn dann schnell nach vorne, wird es oft gefährlich, da der HSV häufig sehr hoch steht. Gerade Miro Muheim und Moritz Heyer haben hier gegen schnelle Spieler oft das Nachsehen.
Robert Glatzel ist mit 19 Toren Euer bester Torschütze. Auf wen müssen wir in den beiden Spielen sonst noch aufpassen?
Bobby Glatzel hat in der aktuellen Phase der Saison eine kleine Transformation durchlaufen. Er ist ein sehr variabler Spieler, den man mittlerweile ohne schlechtes Gewissen als spiel gestaltenden Stürmer bezeichnen darf. Er kann sowohl innerhalb der Box durch seine Größe und Kopfballstärke für Gefahr sorgen als auch das Spiel außerhalb des Strafraums durch seine Passsicherheit und Spielübersicht gestalten und damit andere Spieler in Szene setzen. Hier denke ich besonders an unsere schnellen Außenspieler Bakery Jatta und Jean-Luc Dompé. Wenn Baka in den Strafraum kommt, wird es eigentlich immer gefährlich. Des Weiteren hat der HSV mit Luovit Reis und Sonny Kittel zwei sehr spielstarke Mittelfeldspieler im Kader, die oft in den Strafraum nachrücken und so für Torgefahr sorgen. Von der Bank können der schnelle, abschlussstarke Ransi Königsdörffer und der quirlige Anssi Suhonen oft neue Impulse setzen. Gerade von Anssi Suhonen bin ich persönlich großer Fan.
Nach drei vierten Plätzen tritt der HSV zum zweiten Mal in Folge in der Relegation an. Kannst Du beschreiben, was ein Wiederaufstieg nach fünf Jahren für Euch bedeuten würde und was ein erneutes Scheitern?
Was der Aufstieg für den HSV und seine Fans emotional bedeuten würde, hat man ziemlich gut am Sonntag sehen können. Natürlich ist es der Wunsch und auch das Ziel des Vereins, aufzusteigen und sich dann wieder als festes Mitglied der Bundesliga zu etablieren. Aus diesem Grund wurde in dieser Saison auch ganz klar der Aufstieg als Saisonziel ausgegeben. Sollte dieses Saisonziel verpasst werden, muss sich der HSV natürlich sportlich hinterfragen und die notwendigen Schlüsse daraus ziehen. Wie ich ja bereits erwähnte, kann ich mir jedoch gut vorstellen, dass auch im Falle eines Scheiterns mit Tim Walter und Jonas Boldt weitergearbeitet wird, insofern man sich in der Relegation gut verkauft. Natürlich würde der Aufstieg nächste Saison noch schwerer werden als in den Jahren zuvor, da Leistungsträger wie Robert Glatzel und Ludovit Reis den Verein höchstwahrscheinlich verlassen werden und die Konkurrenz an der Tabellenspitze mit Hertha und Schalke auch nochmal größer wird.
Zum Hinspiel: Wer fällt denn bei Euch aus?
Leider hat sich László Bénes im Spiel gegen Sandhausen einen Muskelfaserriss zugezogen und fällt somit für beide Relegationsspiele aus. Für ihn rückt wohl der junge Mittelstürmer Tome Sanne in den Kader. Außerdem fehlen von den Stammkräften Noah Katterbach aufgrund eines Kreuzbandrisses und der junge, talentierte Stürmer András Németh wegen eines Knöchelbruchs. Diese beiden Spieler sind aber schon länger verletzt. Zudem fällt natürlich Mario Vuskovic wegen seiner Dopingsperre aus.
Mit welcher Elf wird der HSV deiner Meinung nach im Hinspiel auflaufen? Und was ist Dein Tipp für die beiden Spiele?
Wir vermuten, dass der HSV im 4–2‑3–1 auflaufen wird. Die Viererkette bilden Muheim, Schonlau, David, Heyer. Auf der Doppelsechs werden Reis und Meffert agieren. Auf der 10 vermuten wir Sonny Kittel. Auf den Außen werden Bakery Jatta und Jean-Luc Dompé agieren und im Sturmzentrum ist Bobby Glatzel gesetzt.
In meine Augen wird sich sehr viel im Hinspiel in Stuttgart entscheiden. Schaffen wir es hier, das Ergebnis knappzuhalten, ist mit dem Heimpublikum im Volksparkstadion einiges möglich. Ich tippe auf ein 1:1 im Hinspiel und einen 3:2 Sieg für den HSV im Rückspiel.
Liebe Grüße aus dem hohen Norden und allen Lesern und Leserinnen gute Nerven für die beiden Spiele.
Titelbild: © Stuart Franklin/Getty Images