Der VfB schlägt den HSV im Hinspiel der Relegation mit 3:0 und ist dabei noch gnädig. Damit stehen die Brustringträger mit einem Bein in der kommenden Bundesliga-Saison, oder?
Ok, ich gebe zu: Die Überschrift ist ein bisschen provokant und wird ein paar dumme Kommentare von Überschriftenlesern nach sich ziehen, weil seit Donnerstagabend möchten wir ja unsere Mannschaft von Kaderplatz 1 bis 18 wieder ans Herz drücken, weil sie uns die erste große schwere Last von ebenjenem genommen haben: 3:0 gegen den HSV, das doppelte Lottchen des VfB mit noch weniger Geld und noch weniger Erfolg, ausgerechnet mit Ex-Trainer Tim Walter, der auch dreieinhalb Jahre nach seiner Entlassung beim VfB immer noch so von sich und seiner Spielweise überzeugt ist wie damals. Aber irgendwie stimmt es schon, ein bisschen dämlich haben wir uns angestellt. Was schon an der absurden Situation abzulesen ist, dass halb Fußballdeutschland dem VfB derzeit zum Klassenerhalt gratuliert, während sich VfB-Fans Donnerstag Nacht schlaflos im Bett wälzten, heimgesucht von den Schreckgespenstern möglicher Szenarien, in denen der VfB diesen Drei-Tore-Vorsprung noch verspielt. Hätte uns das mal jemand nach dem saudämlichen 2:2 im Hinspiel gegen Union (mit Auswärtstorregel!) erzählt.
Und es ist ja auch nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Jungs mit dem Brustring einen Hang dazu haben, sich das Leben unnötig schwer zu machen, so komfortabel die Situation auch sein mag. Siehe die Spiele in Berlin und Schalke, die man schon viel früher in die zweite Liga hätte schicken müssen. Siehe Hoffenheim. Oder siehe Florian Müller, der erst den Ball aufnahm, dann vergaß, dass er jetzt einen Abschlag ausführen musste und keinen Abstoß und den Ball kurzerhand den Hamburger Stürmern fast vor die Füße warf. Oder Serhou Guirassy, Der den VfB nach Dinos Mavropanos Wucht- und Wirkungstreffer in der 45. Sekunde (!) schon vor der Pause mit 3:0 in Front hätte bringen müssen. Als Schiedrichter Tobias Welz zur Halbzeit zur Halbzeit pfiff, war ich schon völlig fertig mit den Nerven, weil ich mir schon ausmalen konnte, dass der VfB in der zweiten Halbzeit wieder Murphy’s Law im Reallabor testen würde: Alles was schiefgehen kann, wird schiefgehen.
Das gute Nervenflattern
Zum Glück berappelte sich die Mannschaft wieder und nutzte die Schwächen der Hamburger bei Pässen in die Spitze und bei Standards knallhart aus. Vagnoman und endlich dann auch Guirassy machten den Deckel auf zumindest das Hinspiel, ehe sich die Hamburger mit zwei brutalen Fouls endgültig selber den Stecker zogen. Wobei, auch ohne den frühen Gegentreffer, das Licht beim HSV relativ schnell aus war. Der VfB hätte dieses Hinspiel eigentlich mindestens mit 5:0 gewinnen und das Rückspiel endgültig zur Formsache machen müssen. Ich habe den HSV in der zweiten Liga nicht beobachtet, aber was sie an diesem Abend ablieferten, war erschreckend. Die einzigen guten Angriffsmöglichkeiten, abgesehen von Robert Glatzels von Flo Müller stark pariertem Kopfball, entstanden durch zu zögerliches Anlaufen oder durch Nervenflattern bedingte Fehler des VfB. Zum Glück die Art von Nervenflattern, bei dem Du die ganze Zeit denkst, dass ein Tor in der Luft liegt, es aber am Ende doch nicht fällt.
So deutlich wie der VfB haben in der zwischenzeitlich unterbrochenen Geschichte der Relegation erst zwei Mannschaften das Hinspiel gewonnen: Nürnberg 2011 in Cottbus mit 3:0 — als Zweitligist wohlgemerkt — und Frankfurt 1984 in Duisburg mit 5:0. Natürlich sind Auswärtsspiele etwas anderes als Heimspiele, gerade in solchen Situationen und besonders für den VfB. Und vielleicht — oder sogar wahrscheinlich — kann der HSV besser spielen, als er es am Donnerstag gezeigt hat. Gleichzeitig hat aber auch der VfB bewiesen, dass er mit diesem HSV umgehen kann, selbst wenn er sich zwischenzeitlich die Tore fast selber reinlegt. Selbst wenn die Hamburger im Rückspiel am Montag ein Tor schießen sollten, muss unsere Mannschaft in der Lage sein, den Vorsprung aus der ersten Halbzeit, wie Sebastian Hoeneß es nennt, über die Zeit zu bringen.
Nie mehr zweite Liga, nie wieder Relegation!
Aber es ist halt der VfB, weswegen ich mir bis Montagabend weiter Mut zusprechen werde, dass die Mannschaft nicht dämlich genug sein kann, um das noch zu verspielen. Was mich positiv stimmt, ist die mutige Herangehensweise im Hinspiel, als man sich nicht allein auf Konter verließ, um eine knappe Führung über die Zeit zu schaukeln. Außerdem scheint zumindest den öffentlichen Aussagen nach die Mannschaft begriffen zu haben, dass das Ergebnis nichts ist, auf dem man sich ausruhen kann, so absurd das bei 3:0 klingt. Ich wäre auch lieber mit einem 5:0 — was auch in der Höhe verdient gewesen wäre — aus diesem Spiel rausgegangen, aber so ist es eben. 3:0 ist der Ritt auf der Rasierklinge, der eigentlich keiner ist. Hoffen wir, dass die Mannschaft nicht mal ansatzweise so nervös ist wie ich immer noch — im Hinterkopf das Martyrium der Rückfahrt aus Köpenick 2019.
Alexander Wehrle hat weiterhin Unrecht: Relegation macht keinen Spaß. Wäre dies ein normales Liga-Spiel gewesen, wäre mein Wochenende gerettet. Trotzdem bin ich mir unterm Strich sicher, wir werden das schaffen. Aber lasst uns bitte nie, nie, nie wieder in eine solche Situation kommen.
Zum Weiterlesen: Auch der Vertikalpass warnt: “Aber auch nach dem mitreissenden Auftritt im Neckarstadion dürfen wir nicht vergessen: Wir dürfen dem VfB nicht trauen, man weiß nie, was der Mannschaft wieder einfällt.” Stuttgart.international ist sich sicher: “Wenn der Trainer seine Mannschaft genauso gewissenhaft vorbereitet, wird sich auch am Montag die größere individuelle Klasse des VfB durchsetzen.”
Titelbild: © Alexander Hassenstein/Getty Images
Ja, Lennart, genauso geht’s uns grad allen. Vor dem Spiel hätte jeder das 3:0 mit Kusshand genommen, jetzt befürchten wir, dass es 1, 2 Tore zu wenig waren. Eben weil’s unser VfB ist. Zuversichtlich stimmt mich unser Trainer. Und auch Endo, dem wohl nach dem Spiel beim Klettern über die Bande eingefallen ist, dass noch nix erreicht ist und er dann sehr bedacht wieder zurück gezogen hat. Eine Halbzeit fehlt uns noch. Wir alle wissen, was das heißt. Und wir können nur hoffen, dass das wirklich Allen bewusst ist. Ich will nicht erleben was passiert, wenn die Hamburger in Führung gehen. Von Herzen wünsche ich uns ein Spiel, das wir auch mal genießen können (Kann man das ausgerechnet in der Relegstion erwarten? Ja, können wir, soviel wie wir die letzten Jahre gelitten haben!) und auf den letzten Metern der letzten Chance einen guten Auftritt unserer Mannschaft. Was dann im Sommer passiert, werden wir sehen. Jetzt gilt erstmal nur dieses eine Spiel. Auf geht’s, Jungs aus Cannstatt!