Das Spiel beim Meister und Rekordmeister ist der Höhepunkt einer bisher außergewöhnlich verlaufenen Hinrunde des VfB. Und findet diesmal unter ganz anderen Vorzeichen statt als sonst.
Ich gebe es offen zu: Ich boykottiere die Allianz Arena. Als ich das letzte Mal in diesem Ungetüm im Münchner Rand-Niemandsland zu Gast war, traf Ciprian Marica in der 50. Minute zum 2:1‑Siegtreffer. Das war im März 2010.
Vor etwas weniger als 14 Jahren also. In der Zwischenzeit waren die Dienstreisen des VfB nach München nur sehr selten von Erfolg geprägt. Hier mal ein Unentschieden, da mal ein freakiges 4:1. Es gab Spielzeiten, da rechnete man sich etwas mehr aus, es gab Spiele, da verhinderte Neuers (Reklamier-)Arm oder ein tragisch verschossener Elfmeter einen Punktgewinn des VfB. Und doch ging es meist darum, sich möglichst schadlos aus der Affäre zu ziehen und, Dutt-voice, den guten Aufritt gegen die Bayern im folgenden Spiel gegen Köln, Berlin, Schalke, wen auch immer zu vergolden. Was meist schief ging. Dass der VfB den Bayern zumindest in der Tabelle, aber für den Moment auch sportlich einigermaßen auf Augenhöhe begegnet, ist eben mindestens genau so lange her wie mein letzter Besuch im Münchner Schlauchboot.
Nun, am Sonntag bin ich endlich mal wieder vor Ort und passend zum Anlass hat neben anderen auch der Vertikalpass den “Südgipfel” enstaubt. Ja, es ist für den Moment wieder ein Gipfeltreffen zwischen den beiden derzeit erfolgreichsten süddeutschen Vereinen. Wenn wir mal ganz ehrlich sind war es das spätestens mit Ablauf der 2000er Jahre nicht mehr. Oder vielleicht noch länger? Um die Jahrtausendwende herum gewannen die Brustringträger mal drei Ligaspiele in Folge gegen den Rekordmeister. Sei es drum. Wie schon gegen Leverkusen gehe ich mit einer gesunden Mischung aus An- und Entspannung sowie Vorfreude in dieses Spiel. Anspannung, weil ich natürlich will, dass der VfB auch dieses Spiel mindestens nicht verliert und seine gute Position in der Tabelle bestätigt. Entspannung, weil es vermutlich nicht wie in den letzten Jahren eine Klatsche in München geben wird — wobei ausgerechnet die letzten beiden Spiele dort 2:2 endeten — und weil der VfB selbst im Falle einer Niederlage nicht aus den Top 4 rutschen kann. Und Vorfreude, weil ich wie am letzten Wochenende gespannt bin, wie sich der teilweise atemberaubende Fußball der Hoeneß-Elf gegen eine trotz der jüngsten Niederlage und den unter der Woche erlittenen Verletzungen absolute Topmannschaft durchsetzen wird. Vorfreude auf ein Spiel in München? Was ist denn hier los?
Personalsituation
Waldemar Anton hat sich ja gegen Leverkusen eine Platzwunde und unter der Woche einen Infekt zugezogen und erst am Freitag trainiert. Sein Ausfall wöge natürlich umso schwerer, weil mit Ito ein weiterer Leistungsträger in der Viererkette fehlt. So sehr ich Stergiou und Rouaults bisherige Auftritte schätze, dürfte die Bayern-Offensive sie vor ganz andere Aufgaben stellen.
Startaufstellung
Die Formation ist natürlich nicht ganz passgenau, weil Undav zentraler spielt, aber letztlich ist es die Startelf vom Leverkusen-Spiel. Warum auch etwas ändern, abgesehen vom Wackelkandidaten Anton. Rouault traue ich hier etwas mehr Stabilität zu. Ich bin gespannt, wie sich Karazor schlägt, der in den vergangenen Jahren gegen absolute Topmannschaften gerne mal überfordert war. Wie üblich würde ich Silas erst später auf eine ersatzgeschwächte Bayern-Abwehr loslassen.
Statistik
Über die Gesamtbilanz des VfB in 108 Bundesliga-Spielen gegen die Bayern brauche ich Euch nichts zu erzählen: Sie ist verheerend. Erst recht in München. Dass Harry Kane, der wohl auch einen leichten Schnupfen hat, Tore schießen kann, wisst ihr auch, ebenso Leroy Sané. Die Bayern setzen, ähnlich wie der VfB und Leverkusen, auf viel Ballbesitz und eine hohe Passquote, liegen dafür aber bei den Laufwerten eher im hinteren Drittel der Liga. Interessant: Noch vor Bayer Leverkusen haben sie die zweitwenigsten Kopfballduelle der Liga gewonnen. Auch foulen nur zwei Mannschaften weniger als der VfB: Die Bayern und Leverkusen. Kein Wunder, wenn man meist den Ball hat. Spannend auch, dass die Bayern etwa fünf Tore mehr kassiert haben als erwartet, der VfB nur knapp zwei. Understat sieht den VfB bei den expected points sogar als Tabellenführer. Bringt aber nichts, wenn wir unsere Chancenverwertung nicht verbessern. Hier liegen die Bayern mit Dortmund an der Tabllenspitze: 40 Prozent der Schüsse, die sie aufs Tor abgeben, gehen auch rein. Beim VfB ist es “nur” jeder Dritte.
Fazit
Wann wollen wir die Bayern mal so richtig ärgern, wenn nicht in der aktuellen Verfassung? Es deutet derzeit viel darauf hin, dass die Münchner lange nicht mehr auf einen so starken VfB getroffen sind. Natürlich muss ich mich emotional absichern: Es kann immer so laufen wie in Leipzig. Aber schon beim ungeschlagenen Tabellenführer bekamen die Brustringträger das Spiel wieder unter Kontrolle und die Füße nach einer kurzen Schwimmeinlage wieder auf den Boden. Nach dem Leverkusen-Spiel skandierte die Kurve, wie üblich, egal ob es gegen den Abstieg oder um die Champions League geht: “Zieht den Bayern die Lederhosen aus!”. Wird das den elf Leuten auf dem Platz und den knapp 8.000 Brustringträgern auf den Rängen am Sonntagabend gelingen? Nun, die Bayern sollten die Krachledernen auf jeden Fall enger schnallen.
Zum Weiterlesen: Stuttgart.international stellt wichtige Fragen zum Investoren-Deal der DFL, gegen den voraussichtlich auch am Sonntag beide Fanszenen die ersten zwölf Spielminuten protestierten werden.
Titelbild: © Alexander Hassenstein/Getty Images