Vier Punkte aus fünf Spielen und jetzt geht es nach München. Wird aus dem mittelmäßigen Saisonstart ein schlechter?
Denn das Problem ist ja nicht, dass der VfB bislang noch kein Spiel gewonnen, aber auch nur eins verloren hat, sondern dass wir die Punkte nicht in den Spielen geholt haben, in der die Erfolgsaussichten größer waren als beim anstehenden Auswärtsspiel beim Meister oder dem darauffolgenden Heimspiel gegen den Europapokalsieger, der zwar nicht unbedingt die letzte Saison wiederholt, aber mühelos jene Leipziger mit 4:0 wegfidelt, gegen die wir uns am ersten Spieltag ein Unentschieden erkämpft haben. Dass uns eine Option im Sturm und ein Wingback fehlen, hilft da auch nicht unbedingt. Aber dazu gleich mehr, ebenso zum Zustand des Kaders nach dem Abschluss der Transferphase im Allgemeinen — sollte eigentlich ein eigener Artikel werden, aber ach, wenn der Tag nur mehr Stunden hätte. Der VfB ist in einer Situation, die noch nicht gefährlich, aber zumindest bedrohlich ist, denn selbst gute Auftritte in den nächsten Spielen werden ohne Punkte und endlich einen Sieg auch in den Köpfen der Spieler und nicht zuletzt im Umfeld wieder gewisse Prozesse in Gang setzen. Keine Sorge, ich werde mir nicht selbst untreu und schimpfe aufs angeblich schwierige Stuttgarter Umfeld. Klar ist aber, dass der VfB in dieser Saison nicht mal ansatzweise von den Problemen der letzten Saison gebeutelt wird, sieht man mal von einem anstrengenden Transferfenster ab. Der Klassenerhalt muss weiterhin das Saisonziel sein, aber eben das Mindestziel. Ein Abstieg — der selbstverständlich noch in weiter Ferne liegt, auch wenn wir das in der letzten Saison auch schon dachten — wäre in dieser Saison, wenn sich an den Rahmenbedingungen nichts entscheidend ändert, nicht zu verkaufen.
Aber soweit ist es ja noch lange nicht. Erstmal zur
Personalsituation
Zunächst mal zum Kader allgemein. 15 Spieler haben den VfB in dieser Sommer-Transferperiode verlassen, wie Simeon Kramer im Podcast “Wir reden über den VfB” vom Zeitungsverlag Waiblingen dankenswerter Weise bereits letzte Woche vorgerechnet hat: Daniel Didavi und Erik Thommy erhielten keinen neuen Vertrag mehr, Omar Marmoush kehrte zu seinem Stammclub Wolfsburg zurück. Hinzu kamen die verkraftbaren Abgänge von Maxime Awoudja nach Rotterdam und Philipp Klement nach Kaiserslautern. Beide hatten beim VfB keine Perspektive mehr. Ein bisschen schade sind die Transfers von Philipp Förster nach Bochum und von Darko Churlinov nach Burnley, weil beide in gewissen Situationen schon einen gewissen spielerischen Wert gehabt hätten, unterm Strich reicht das aber auch nicht, um sie ein weiteres Jahr im Kader zu behalten. Bleiben noch die beiden Leistungsträger Orel Mangala — dem man nach langen Jahren beim VfB den nächsten Schritt in die Premier League durchaus gönnte — und Sasa Kalajdzic, dem man den sportlich nachvollziehbaren Sprung in die englische Mittelklasse noch mehr gegönnt hätte, hätten er und sein Berater nicht so getan, als stünden die Weltvereine mit ihren Millionen Schlange. Und natürlich die Leihspieler. Neun sind es an der Zahl und das ist selbst für VfB-Verhältnisse viel. Nicht alle davon werden eine Anschlussperspektive haben, manch einer wird sich vielleicht von seinem Berater einfach zur nächsten Filiale manövrieren lassen. Auch durch die Leihen wurde der Kader auf 25 Mann reduziert, was das Problem der Perspektive für manch einen und der Kaderhygiene für den Verein ein Jahr nach hinten verschiebt.
So zum Beispiel für Alou Kuol und Antonis Aidonis, die zwecks Spielpraxis in die zweite Bundesliga verliehen wurden und jetzt wieder in der Regionalliga quasi von vorne anfangen. Rechnen wir mal Dinos Mavropanos und Hiroki Ito, deren Leih- in Festverträge umgewandelt wurden raus, und nehmen wir mal Thomas Kastanaras raus, der im Erwachsenenbereich bisher nur vereinzelt in der Regionalliga zum Einsatz kam, ebenfalls raus, hat der VfB vier Spieler verpflichtet, von denen man direkt Bundesliga-Einsätze erwarten konnte und die diese auch schon bekommen haben. Auffällig ist dabei das Übergewicht im Sturm: Juan José Perea und Luca Pfeiffer wollen beim VfB den nächsten Schritt auf der Karriereleiter erklimmen, während Serhou Guirassy, zunächst ausgeliehen, bei uns endlich auf Erstliga-Niveau zum Stammspieler werden möchte. Sind alle eingespielt und nicht gesperrt, hat der VfB im Angriff mehr Optionen als in den vergangenen Jahren. Was nach zwei Jahren, in denen man sich zuerst recht und dann eher schlecht auf die Präsenz von Sasa Kalajdzic im Sturmzentrum verließ, mehr als angebracht erscheint. Hinzu kommt mit Josha Vagnoman, der ebenfalls für mehr Flexibilität sorgen kann — vor allem im Angriffsspiel.
Im Defensivspiel sind die Optionen überschaubarer. So steht nach dem Verkauf von Awoudja und der Leihe von Mola nach Blackburn als gelernter Innenverteidiger nur Antonis Aidonis als Backup für die Stamm-Dreierkette Mavropanos-Anton-Ito zur Verfügung. Positionsfremd könnte Pellegrino Matarazzo noch Pascal Stenzel einsetzen oder Atakan Karazor zurückziehen, sollte einer aus der Stammformation ausfallen. Optimal ist das nicht, denn auch das zieht wieder ein Personalpuzzle nach sich. Denn aktuell besteht das defensive Mittelfeld vor allem aus Wataru Endo und Nauirou Ahamada, von denen der eine etwas außer Form und der andere in seine Rolle als Mangala-Nachfolger noch hineinwachsen muss, auch wenn er gute Ansätze zeigt. Als Backup agiert aktuell Enzo Millot. Bleibt noch Ata Karazor, von dem man allerdings nicht weiß, welche Wendung sein Leben noch abseits des Platzes nehmen könnte. Es hieß mal, Sven Mislintat sei auf der Suche nach einem Defensivallrounder, also jemand, der genau die gerade diskutieren Positionen abdecken könnte. Dass man Ahamada bereits frühzeitig weitsichtig als Stammkraft im defensiven Mittelfeld aufgebaut hat, passt so gar nicht zu dem meiner Meinung nach kurzsichtigen Experiment, mit nur drei bundesligatauglichen Innenverteidigern in eine — immerhin verkürzte — Vorrunde zu gehen. Vor allem angesichts der in den ersten Spielen offenbarten Schwächen in der Rückwärtsbewegung. Eine auf schnelle Gegenangriffe spezialisierte Ausrichtung wie unsere braucht meiner Meinung nach auch qualitativ überdurchschnittliche Verteidiger, um auch gegen Ballverluste gewappnet zu sein. Es ist, wie so häufig, ein wenig Glücksspiel dabei, wenn es um die Kaderplanung geht, meiner Meinung aber in diesem Falle nicht mit den besten Karten. Davon abgesehen hat der Kader wieder viel Potenzial, aber durchaus auch genug bereits vorhandene Qualität. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Borna Sosa ncht einfach irgendwohin wechselte, sondern sich entschied, zumindest bis zum Winter beim VfB zu bleiben.
Zum Spieltag: Tanguy Coulibaly und Nikolas Nartey fehlen weiterhin verletzt, sollten aber in absehbarer Zeit, laut Matarazzo spätestens nach der Länderspielpause Ende September wieder in den Kader zurückkehren. Ein Spiel muss sich Josha Vagnoman nach der gelb-roten Karte im letzten Spiel, noch zwei Spiele Luca Pfeiffer nach der roten Karte im vorletzten Spiel gedulden. Immerhin darf der Trainer wieder an der Seitenlinie stehen. Zumindest für Teileinsätze scheinen Li Egloff und Neuzugang Serhou Guirassy zur Verfügung zu stehen.
Mögliche Startaufstellung
Rein sportlich gesehen — und ich betone das, weil die Diskussion auf anderen Ebenen sehr kontrovers geführt wird — müsste Atakan Karazor zurück in die Startelf, denn die Lücken, die der VfB seinen Gegnern in der Mitte zuletzt anbot, waren von eklatanter Größe. Silas wird Vagnoman auf der rechten Außenbahn ersetzen, meiner Meinung nach sowieso seine Paradeposition. Eine Aufstellung mit drei nominell eher defensiven Mittelfeldspielern ist natürlich immer so eine Sache, Endo und Ahamada sind jetzt anders als Karazor aber auch keine Ausputzer. Vorne werden sich zunächst Tomás und Guirassy an der Bayern-Abwehr abarbeiten und hoffentlich Upamecano einmal mehr auf dem falschen Fuß erwischen.
Statistik
Ob es hilft? Ein Blick in die Statistik verbietet sich eigentlich, denn die ist von wenigen Highlights wie dem Freak‑4:1 2018 und dem beachtlichen 2:2 im Mai natürlich nach wie vor verheerend. Auch in dieser Saison: Die Bayern haben noch nicht verloren, der VfB noch nicht gewonnen, dazu haben sie eine Vielzahl an Toren mehr geschossen. Immerhin kann uns diesmal Robert Lewandowski keinen einschenken, was ihm in 20 Spielen immerhin 13 Mal gelang, davon nur zweimal für den BVB in sechs Spielen. Dafür verteilen sich die bislang 17 Saisontore auf neun verschiedene Schützen. Machen wir es kurz: Die Statistik macht für dieses Spiel keine Hoffnung.
Fazit
Der VfB muss der Statistik also ein Schnippchen schlagen und mit der gleichen Intensität ins Spiel reingehen wie beim letzten Besuch in Fröttmaning. Schade, dass man beim DFB oder den Münchner Ordnungsbehörden scheinbar diffuse Sicherheitsbedenken über ein größeres Zuschauerinteresse an einem Nachwuchsspiel oder die langfristige Tage- und Reiseplanung von Fans stellt.
ℹ️ Das DFB-Pokalspiel der #VfBU19 am Samstag beim @TSV1860 wird aus organisatorischen Gründen von 11 auf 14:30 Uhr verschoben.#jungundwild pic.twitter.com/ByrMG5wu61
— VfB Nachwuchs (@jungundwild) September 8, 2022
Sonst hätten die in München anwesenden Fans zumindest ein Spiel mit größeren Erfolgschancen an diesem Tag gehabt. Aber dass Faninteressen, sobald sie durch die Anwesenheit in Stadien wieder sichtbar werden, von Verbänden in der gleichen Weise mit Füßen getreten werden wie vor der Pandemie, wissen wir ja spätestens seit der ersten Runde des Herren-DFB-Pokals. Nicht hat sich geändert, trotz aller Demutsbekundungen. Ich wage nicht zu hoffen, dass der VfB endlich mal wieder drei Punkte aus dem Niemandsland vor Münchens Toren entführt, ein weiteres Unentschieden wäre schon eine große Kraftanstrengung und benötigt vermutlich eine Treffsicherheit, die ich dem VfB aktuell nicht zutraue. Nach machbaren Gegnern kommen jetzt die schweren Wochen.
Nichtsdestotrotz, damit es nicht untergeht bei all der Bruddelei: Herzlichen Glückwunsch zum 129. Geburtstag, mein Herzensverein!
Titelbild: © Matthias Hangst/Getty Images