Wie schlägt sich der VfB am Samstag beim Tabellenführer aus München? Über das Spiel und die Lage bei den Bayern haben wir mit FC-Expertin Louisa (@Schnittstelle__) von MiaSanrot gesprochen.
Rund um den Brustring: Hallo Louisa und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Stell Dich doch bitte kurz vor: Was verbindet Dich mit dem FC Bayern und wie bist zu Miasanrot gekommen?
Louisa: Mein Name ist Louisa Ramsaier, ich bin 26 Jahre alt und habe selbst eine Leistungsfußballvergangenheit im Raum Stuttgart. Aus diesem Grund stehe ich auch dem VfB nahe und habe meine ersten Stadionerfahrungen im (damals noch) Gottlieb-Daimler-Stadion gemacht. Böse Zungen bezeichnen mich als Erfolgsfan, da ich weniger einer bestimmten Mannschaft nahestehe, sondern einfach guten Fußball liebe. Ich schaue die Spiele des FCB deshalb seit Jahren ungebrochen gerne an, weil das taktische und individuelle Niveau so hoch ist. So bin ich dann über einen Kontakt zu Justin Kraft, dem Chefredakteur, zu Miasanrot gekommen.
Der FC Bayern scheint aktuell bei vier Punkten Vorsprung auf Leipzig mal wieder auf dem besten Wege zum Meistertitel zu sein. Meinst Du, die Mannschaft wird dieses Jahr noch abgefangen?
Nein, ich glaube nicht, dass sie noch abgefangen werden. Ich muss gestehen, dass ich es gerne gesehen hätte, wenn eine andere Mannschaft den Bayern zumindest etwas hätte entgegensetzen können. Ich habe aber den Eindruck, dass die Konstanz – manche würden wohl sagen der Bayern-Dusel oder die Abgebrühtheit – aktuell von keiner anderen Mannschaft erreicht wird. Selbst wenn Bayern Schwächephasen hat, punkten sie dennoch recht stabil und Leipzig scheint (noch) nicht auf diesem Niveau zu sein.
Hansi Flick hat sich beim FCB einen guten Namen als Vereinstrainer gemacht, nicht zuletzt durch den Champions-League-Sieg im vergangenen Jahr. Jetzt wird über eine Rückkehr zum DFB spekuliert. Wie bewertest Du Flicks Arbeit, wie lässt er die Mannschaft antreten und was würde ein Abgang für die Mannschaft bedeuten?
Bewerten kann ich lediglich, was ich auf dem Platz sehe, alles andere wären Spekulationen. Flicks Einfluss ist für meine Begriffe vor allem in folgenden Punkten erkennbar:
- Sehr hohes Angriffspressing (v. a. durch den ballnah hochschiebenden Außenverteidiger)
- Positionsspiel (v. a. die Linie im Angriffsdrittel)
Das Positionsspiel unter Flick ist zwar nicht so ausgeprägt wie noch unter Guardiola, er bringt aber einen eigenen Ansatz mit, der auf die Stärken seiner Spieler abgestimmt ist. Er setzt dabei auf eine konsequente Besetzung der Flügel, der Halbräume und des Zentrums. Daraus ergibt sich häufig eine 5er-Konstellation auf der Linie im Angriffsdrittel, wobei die Ausgangspositionen immer besetzt sind, egal von welchem Spieler.
Problematisch an diesem Spielstil ist vor allem die defensive Anfälligkeit, wenn das hohe Angriffspressing überspielt wird. In dieser Saison haben wir bereits häufig gesehen, dass die Restverteidigung nicht ausreichend war oder durch einen einfachen hohen Ball ausgehebelt wurde. Nicht umsonst stehen die Bayern bereits jetzt bei 35 Gegentoren (zum Vergleich: Am 34. Spieltag der Saison 2019/20 standen sie bei 32 Gegentoren). Randnotiz: Der VfB steht bei 37 Gegentoren.
Mir persönlich gefällt Flicks Spielstil. Auch wenn er anfällig für Gegentore ist, finde ich das aggressive Anlaufverhalten gepaart mit extremer Ballsicherheit im Aufbauspiel und dem raumschaffenden Positionsspiel im letzten Drittel sehr schön anzusehen.
Was ein Abgang für die Mannschaft bedeuten würde, hinge wohl stark vom Nachfolger ab. Dass die taktische Ausrichtung einen großen Einfluss auf die Spielweise und den Erfolg der Mannschaft hat, zeigte die Zeit unter Niko Kovac und der Umbruch nach der Übernahme durch Flick. Die individuelle Qualität ist eine gute Voraussetzung, aber nicht immer entscheidend, wenn die Mannschaft mit der Spielweise nicht zurechtkommt.
Stärken hat die Mannschaft der Bayern offensichtlich so viele, dass die Frage danach fast banal ist. Dennoch sticht mit Robert Lewandowski, der nicht nur auf Tore, sondern auch auf Rekordejagd ist, immer wieder einer heraus. Was macht seine Spielweise so besonders und erfolgreich?
Den absolut außergewöhnlichen Spieler Robert Lewandowski mit seinen Stärken habe ich zuletzt ausführlich auf Miasanrot beleuchtet. Zusammengefasst halte ich seine Spielweise aus folgenden Gründen für so besonders und erfolgreich:
- Konstanz – nicht nur seine Trefferquote ist konstant hoch, auch ist Lewandowski nicht verletzungsanfällig und kann nahezu jedes Spiel verlässlich bestreiten
- Treffsicherheit – Lewandowskis xG-Wert liegt aktuell bei 23. Er hat aber bereits 32 Saisontore erzielt. Die eine Interpretation ist, dass Lewandowski überperformt. Die wahrscheinlichere Schlussfolgerung ist, dass er erheblich mehr Qualität mitbringt als die Spieler, die für die Vergleichswerte sorgen.
- Komplettpaket – Er hat Abschlussqualitäten mit beiden Füßen und dem Kopf, kann verschiedene Rollen ausfüllen: Lewandowski funktioniert als reiner Strafraumstürmer, kann sich aber auch am Spielaufbau beteiligen und sich Bälle abholen.
- Torhunger – Lewandowski strahlt mit jeder Faser seiner Präsenz einen absoluten Siegeswillen und Torhunger aus.
- Situationsangemessenes Handeln – Lewandowski weiß, wann Geduld und Ruhe gefragt sind und wann es Zeit ist, zu „explodieren“.
Aktuell steht mit Benjamin Pavard lediglich ein Ex-VfB-Spieler im Kader beim FCB. Wie läuft es aktuell für ihn? Ein weiterer Ex-VfBler verließ den Verein letztes Jahr mit Sven Ulreich. Sein Nachfolger, Alexander Nübel, scheint mit der Rolle hinter Manuel Neuer nicht so wirklich zufrieden zu sein, so dass Hasan Salihamidzic dem Vernehmen nach schon Ulreichs Nach-Nachfolger sucht. Wie ist Deine Sicht auf das Thema?
Pavard hatte ein überragendes erstes Jahr beim FC Bayern, in dem er sich als unumstrittener Stammspieler auf der Rechtsverteidiger-Position festspielen konnte. Defensiv war er stets eine sichere Bank. Flick braucht solche Spieler in der Defensive aufgrund des bereits angesprochenen Risikos seiner Philosophie. Pavard konnte sich aus einer insgesamt tieferen Position heraus auch immer wieder klug ins Aufbauspiel der Bayern einbringen. Sein Passspiel und seine Zuverlässigkeit in der Defensivarbeit sind ausschlaggebend dafür gewesen, dass er regelmäßig spielte. Ein netter Nebeneffekt war es für die Bayern, dass Kimmich (übrigens auch ein Ex-VfB-Spieler) dadurch auf seine Lieblingsposition im Mittelfeldzentrum rücken konnte.
Pavard ist kein Außenverteidiger, der regelmäßig Torbeteiligungen liefert, aber er kann die Kernaufgaben seiner Rolle im Flick-System mit großer Präzision ausüben. In dieser Saison hat er jedoch einen kleinen Durchhänger, womöglich bedingt durch die vielen Spiele, die er im letzten Jahr absolviert hat. Er ist insgesamt nicht mehr so stabil. Es wird spannend zu beobachten sein, ob er zu seiner Stabilität aus der Vorsaison zurückfindet. Gründe für die durchwachsene Form gibt es allein schon aufgrund der Belastung zur Genüge.
Was Nübel angeht, ist die Situation recht unklar. Es wäre nachvollziehbar, würde er eine Leihe zu einem anderen Klub präferieren. Beim FC Bayern wird er auch in der kommenden Saison voraussichtlich nicht mehr Minuten sammeln. Prinzipiell war ja auch von Anfang an klar, dass Neuer die Nummer 1 ist und worauf er sich in München einlässt.
Nochmal zum Kader: Dass Dayot Upamecano, mit dem auch der VfB in dieser Saison so seine Probleme hatte, im Sommer aus Leipzig kommt, steht bereits fest. Wo siehst Du noch Handlungsbedarf?
In dieser Saison war vor allem auffällig, dass der Abgang von Thiago eine große Lücke im 6er-Raum gerissen hat. Joshua Kimmich füllt seine Rolle als 6er auf Weltklasse-Niveau aus. Sobald Kimmich fehlt, gibt es allerdings keinen adäquaten Ersatz. Roca bekommt von Flick nicht das Vertrauen und kommt trotz passabler Leistungen und guter Anlagen nicht ansatzweise an Kimmichs Niveau heran. An dieser Stelle sehe ich Handlungsbedarf. Zudem würde ich auf den Außenverteidigerpositionen nachlegen. Sarr bekommt, ebenso wie Roca, wenig Chancen. Die wenige Einsatzzeit, die er hat, konnte man bisher nicht als Eigenwerbung verbuchen. Jüngst spielt deshalb immer wieder Niklas Süle auf der AV-Position. Er macht das überraschend gut und zeigt Qualitäten, die man von ihm bisher nicht kannte. Eine Dauerlösung scheint mir das jedoch nicht zu sein.
Zurück zu dieser Saison. Über die Stärken des FCB sprachen wir schon. Welche Schwächen könnte der VfB, ähnlich wie Eintracht Frankfurt oder Arminia Bielefeld ausnutzen?
Durch die extrem hochstehende Kette und häufig auch Raum auf der ballfernen Seite bieten sich für Gegner hauptsächlich zwei Möglichkeiten:
- Schnelle Gegenstöße nach Ballgewinn und Ausnutzen der häufig schwach besetzten Restverteidigung
- Überspielen des Angriffspressings der Bayern mit hohen Bällen oder Schnittstellenpässen, um ebenfalls die schwach besetzte Restverteidigung auszuhebeln – hier bieten sich vor allem Seitenverlagerungen an.
Zum Abschluss: Dein Tipp fürs Spiel?
Der VfB macht diese Saison richtig Spaß und ist vor allem durch Wamangituka immer für eine Überraschung gut. Ich glaube nicht, dass sie die Bayern schlagen werden, könnte mir aber ein spannendes Spiel mit vielen Toren vorstellen. Deshalb: 4:2!
Titelbild: © imago/Pressefoto Baumann