Kontrolliert. Anders kann man den 2:0‑Heimsieg des VfB gegen Hoffenheim nicht bezeichnen. Sinnbildlich für diesen Auftritt steht ein Spieler.
O Captain! my Captain! our fearful trip is done,
The ship has weather’d every rack, the prize we sought is won,
The port is near, the bells I hear, the people all exulting (…)
- Walt Whitman, 1865
Ich will hier natürlich keine historische Parallele zwischen Gonzalo Castro und dem amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln ziehen, dessen Ermordung Whitman zu diesem Gedicht inspirierte. Aber ein bisschen passt es dann doch, schließlich war der Mittelfeldspieler nach seinem Wechsel zum VfB 2018, eine ganze Zeit lang sportlich Totgesagte, bevor Nico Gonzalez im Rückspiel gegen den HSV bis auf die Grundlinie durchging und dem damals noch ohne Binde spielenden Castro per Querpass zurief “O Captain! my Captain! rise up and hear the bells!” Nachdem er gegen Frankfurt zunächst auf der Bank saß, zeigte der Captain (nein, nicht Capitano. Ich kann diesen seit 2006 inflationär gebrauchen Begriff nicht mehr hören), warum er so wichtig und zu was er in der Lage ist.
Viele erfreuliche Auftritte
Natürlich, man könnte auf viele Punkte dieses Spiels eingehen, dessen Ergebnis den VfB 15 Punkte vom Relegationsplatz entfernte und ihn gleichzeitig auf vier Punkte an Platz 6 heranrücken ließ. Etwa auf Sasa Kalajdzic, der einfach trifft und trifft und trifft. Oder Silas Wamangituka, der beide Tore einleitete, weil er endlich wieder den Platz für seine Tempoläufe bekam, von denen seine Gegenspieler Ryan Sessegnon und Chris Richards regelmäßig überfordert waren. Oder Naouirou Ahamada, der bereits gegen Ende der ersten Halbzeit den verletzten Orel Mangala ersetzen musste und eine sehr stabile Partie bot. Oder aber Gregor Kobel, der die wenigen gefährlichen der insgesamt 16 gegnerischen Torschüsse samt und sonders entschärfte und zum vierten Mal in dieser Saison zu Null spielte.
Alles sehr erfreulich, genauso wie die Leistung der gesamten Mannschaft, die wieder defensiv ziemlich sicher stand und offensiv immer wieder gute Ansätze zeigte, auch wenn nicht jeder Pass am Strafraum saß und Sosa gegen Kaderabek diesmal eher blass aussah. Aber es gab eben Gonzalo Castro, der zwei Mal den Unterschied machte, als er Silas Wamangituka auf die Reise schickte und damit den oft übersehenen, aber meist vorentscheidenden vorletzten Pass vorm Torerfolg spielte. Beim 1:0 war es ein Doppelpass mit dem pfeilschnellen Außenstürmer, der im Eigentor des Hoffenheimers Adams mündete, beim 2:0 ein locker aus dem Gelenk geschütteter Außenristpass. Castro behauptete im offensiven Mittelfeld zudem immer wieder den Ball, setzte auch einmal selber zum Torschuss an und war über weite Teile des Spiels Antreiber und Taktgeber einer sowieso schon sehr gut funktionierenden VfB-Mannschaft.
Das Saisonziel vor Augen
Die hat mit dem Sieg, und damit komme ich zurück zu Whitmans Gedicht, the price we sought so gut wie gewinnen, the port, also der Klassenerhalt, is near. Das war er für mich eigentlich schon nach dem Frankfurt-Spiel. Aber es ist sehr beruhigend zu sehen, dass erstens beim VfB selber niemand vor diesem Heimsieg schon offensiv davon sprach, das Saisonziel erreicht zu haben und dass zweitens die Mannschaft deshalb auch keinen Grund sieht, nachzulassen. Wofür die Punkteausbeute dieser Saison am Ende reicht, werden wir sehen, schließlich spielen wir noch gegen München, Dortmund, Wolfsburg und Leipzig, es ist aber letztlich auch zweitrangig. Wichtig ist erstmal, dass der VfB sehr wahrscheinlich auch in der kommenden Saison in der Bundesliga aufläuft. Hoffentlich in vollen Stadien. Und vielleicht sogar mit Gonzalo Castro.
Titelbild: © imago
Zeit der Zärtlichkeit
(oder: dem VfB kommt man nur noch mit Superlativen bei … )
Zwischen Game of Thrones und der ganz großen Lyrik (der Literaturnobelpreis 2021 ist dem VfB nicht mehr zu nehmen — die Begründung der Jury ist bereits durchgesickert : “für den einzigartigen Klangreichtum in Rhythmus, Vers und Strophe”):
Gewaltiges tut sich an den Gestaden des Neckar !
Dem VfB ist zu wünschen, dass er sich diesmal (dieses eine Mal!) nicht vom unweigerlich aufkommenden Gesang der Sirenen in den Abgrund reissen läßt … Es wird allmählich Zeit für Zärtlichkeit. Zeit für das (lang währende) Happy End …