Am Sonntag tritt der VfB im Westfalenstadion bei Borussia Dortmund an. Vor dem Duell mit dem Tabellendritten haben wir uns mit BVB-Fan Jens (@Baumwollhose) von schwatzgelb.de unterhalten.
Rund um den Brustring: Hallo Jens und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Stell Dich doch zunächst einmal bitte kurz vor: Wie bist Du zum BVB-Fan geworden? Und was machst Du bei schwatzgelb.de?
Jens: Vielen Dank für die Einladung! Ich lebe schon immer in Neuss bei Düsseldorf, sodass ich eigentlich prädestiniert dafür gewesen wäre, Fan vom Effzeh, der Fortuna oder der falschen Borussia zu werden. Aber als ich damals in das Alter kam, in dem man sich dann eben mehr für Fußball interessiert, spielten diese Klubs sportlich keine große Rolle und die ‘Gladbach-Fans in meinem Umfeld waren irgendwie auch alle doof. Also verlor ich mein Herz an das Team, das man im Fernsehen gut und häufig spielen sah: den BVB. Die Meisterschaften ’94 und ’95 haben daran vermutlich ähnlich großen Anteil wie die gelben Trikots, die man trotz Verschlüsselung bei Premiere einigermaßen gut erkennen konnte. Und natürlich magische Champions-League-Abende im Privatfernsehen! 2007 gelangte ich dann irgendwie in diesen liebenswert-chaotischen Haufen, der sich schwatzgelb.de nennt. Ich bin dort Mitglied des Podcast-Teams von Auffe Ohren, schreibe unregelmäßig über das, was rund um den BVB passiert, und kümmere mich außerdem ein wenig um den Shop, mit dem wir die Seite finanzieren.
Als ich vor dem Hinspiel mit Stefan (@Surfin_Bird) sprach, saßen sowohl beim VfB, als auch beim BVB noch andere Trainer auf der Bank. Wie bewertest Du die Arbeit von Peter Stöger ein halbes Jahr später? War die Entlassung von Peter Bosz die richtige Entscheidung? Und wie geht es nach der Sommerpause auf dieser Position weiter?
Dass Peter Bosz hier, leider Gottes, irgendwann gehen musste, war zwar schade — aber eben auch folgerichtig. Ich glaube, er war hier einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und hätte unter anderen Umständen sicher ein hervorragendes Team beim BVB geformt. Die Bewertung sowohl Peter Bosz’ als auch Peter Stögers muss allerdings sehr differenziert und unter Berücksichtigung der letzten anderthalb Jahre geschehen, in denen mehrere Dinge diesen Verein offenbar nachhaltig zerrüttet haben. Was Peter Stöger betrifft: Seine Punkteausbeute in der Bundesliga ist hervorragend und er hat den BVB von Platz 8 wieder in die Champions-League-Ränge geführt. Auf der anderen Seite stehen aber auch das recht unrühmliche Ausscheiden aus der Europa-League sowie die Klatsche in München und generell ziemliche spielerische Armut auf dem Rasen.
Peter Stöger verfolgt dabei augenscheinlich den sehr pragmatischen Ansatz, das Team einigermaßen konservativ einzustellen und über Einzelaktionen zum Erfolg zu gelangen. Das hat in der Liga außergewöhnlich gut geklappt, ist allerdings auch relativ fragil, wie das Spiel in München offenbarte. Die Schuld dabei allein bei Stöger zu suchen, wäre allerdings nicht gerecht. Er wurde hier für ein recht klares Ziel verpflichtet und ich bin sehr gespannt, wie es bis zum Saisonende weitergeht. Danach wird sich der BVB aber wohl großflächig neu aufstellen. Dass man mit Matthias Sammer als Berater und vermutlich Sebastian Kehl als Zuständigen für die Lizenzspielerabteilung zwei zusätzliche Leute in die Führungsebene geholt hat, ist nur der erste Schritt. Diese Führungsebene muss nun eine übergreifende Strategie für den BVB erarbeiten, einen passenden Trainer finden und den Kader entsprechend umsortieren. Das wird sicher ein arbeitsreicher Sommer in Dortmund, zumal sowohl Trainer- als auch Spielermarkt nicht unbedingt reichhaltig bestückt sind, was verfügbare Verbesserungen angeht.
Wo wir gerade beim Thema Trainer sind: War die Entlassung von Hannes Wolf beim VfB unter BVB-Fans eigentlich ein Thema? Schließlich wurde ja immer mal wieder über eine Rückkehr Wolfs nach Dortmund spekuliert?
Das wurde natürlich zur Kenntnis genommen. Ich glaube, auch bei Hannes Wolf war es wie bei Peter Bosz: Per se haben beide wohl nicht so viel falsch gemacht, die Ergebnisse haben aber einfach nicht den Erwartungen entsprochen — und daran wird im Fußball eben alles gemessen. Eine Rückkehr von Hannes Wolf halte ich deshalb mittelfristig aber nicht für ausgeschlossen, sie wäre nur vermutlich besser gelaufen, hätte er sich jetzt zwei, drei Jahre in der Bundesliga beweisen können. Aber: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Man hat das Gefühl, dass bei der Borussia in dieser Saison irgendwie der Wurm drin ist. Eine Serie von sieglosen Spielen in der Hinrunde, der Trainerwechsel, dazu das Ausscheiden aus dem Europapokal. Nichtsdestotrotz steht der BVB weiterhin auf einem Champions League-Platz. Klagen auf hohem Niveau oder wirkliche Krise, was meinst Du?
Dass der BVB mit dieser Spielweise überhaupt so weit oben steht, ist auch für viele BVB-Fans unbegreiflich. Ebenso das Abschneiden des nicht ansehnlicher spielenden Nachbarn aus Gelsenkirchen. Ich glaube, Borussia profitiert gerade während einer wirklichen Schwächephase massiv davon, dass die Bundesliga generell in ihrem Niveau letzthin deutlich nachgelassen hat und spielerisch recht einseitig geworden ist. Denn beim BVB ist nicht erst in dieser Saison der Wurm drin, es kommt nur erst jetzt wirklich zu Tage. Die letzten anderthalb Jahre in diesem Club waren, vor allem nach der absoluten Ruhe unter Jürgen Klopp, ein ziemliches Erdbeben und es wird mit Sicherheit auch noch dauern, bis alle Auswirkungen daraus wirklich verarbeitet wurde. Dafür müssen jetzt viele, große Änderungen angestoßen und Entscheidungen getroffen werden. Wenn man es nicht Krise nennt, so ist das zumindest ein Scheidepunkt, an dem der BVB gerade steht.
Der letzte negative Höhepunkt dieser seltsamen BVB-Saison war sicherlich — Du hast es bereits angesprochen — die 0:6‑Niederlage am Samstag bei den Bayern. Kannst Du Dir erklären, wie man als Tabellendritter so untergehen kann?
Nachdem ich den BVB auch in den letzten Monaten regelmäßig spielen sah: Ja! Schon in Mönchengladbach haben wir mit mehr Glück als Verstand gewonnen, dann war uns Salzburg in beiden Spielen schlicht und ergreifend überlegen — der BVB hat zuletzt deutlich besser gepunktet, als die Spiele es vermuten ließen. Das ist insofern ärgerlich, als dass es zwischendurch immer wieder gute Phasen gab, die Hoffnung machten, dass bald Besserung eintreten würde. Aber wenn dir dann mit Toprak der beste Verteidiger sowie Reus und Kagawa wichtige Angriffsspieler verletzt fehlen und der FC Bayern wirklich in Topform ist, wirst du da schlicht und ergreifend überrollt, wenn deine Mannschaft nicht gefestigt ist. Und das ist der BVB, allen guten Ergebnissen in der Liga zum Trotz, leider ganz und gar nicht.
Was meinst Du, wie die Mannschaft diese Saison zu Ende spielen wird? Berappelt sie sich noch einmal und qualifiziert sich erneut für die Champions League?
Das finde ich wirklich schwer zu sagen. Gegen München bekam sie richtig auf die Fresse, gegen Hannover zuvor hat sie eigentlich ein sehr gutes Spiel gemacht — und war dennoch nicht souverän. Das und die kommenden Gegner macht die letzten Spiele wirklich interessant und ich wage es nicht, eine definitive Prognose abzugeben. Das kann ganz gut laufen, das kann aber noch bitter in die Hose gehen. Deshalb beschränke ich mich darauf, von der Mannschaft ein gutes Derby zu verlangen — den Rest sieht man dann.
Wie zufrieden bist Du mit den Winter-Neuzugängen Manuel Akanji (vom FC Basel) und Michy Batshuayi? Wo siehst Du im Sommer Transferbedarf?
Oh, wo soll ich nur anfangen? Akanji hat sich nach einigen Wochen wirklich als Verstärkung herausgestellt und während zu Beginn seiner Zeit hier die Frage lautete, wer auf die Bank muss, damit er Spielzeit bekommen kann, ist jetzt eher die Frage, wer neben ihm spielen darf. Zusammen mit Ömer Toprak war das zuletzt recht stabil und ich denke, dass sich Sokratis mittelfristig wieder häufiger auf der Bank finden wird. Um all seine Stärken, vor allem auch im Spielaufbau, richtig ausspielen zu können, wird Akanji aber noch mehr Zeit mit der Mannschaft verbringen müssen. Langfristig freue ich mich sehr über den Transfer. Batshuayi hat sich wirklich gut eingefügt und überzeugt als Torjäger absolut. Am Anfang wirkte er allerdings noch ein bisschen umtriebiger und taktisch nicht ganz so wild, wie er inzwischen auftritt. Da hat er zweifellos Defizite. Er bringt aber gewiss Körperlichkeit in unser Angriffsspiel und kann Bälle gut festmachen, auch wenn er bei der folgenden Verteilung nicht immer die richtige Entscheidung im richtigen Tempo trifft. Der Preis, der für ihn aufgerufen wird, ist für uns aber definitiv nicht zu stemmen und deshalb sieht sich der BVB auch nach einer Alternative um.
Das ist aber nur die erste Stelle, die im Sommer neu besetzt werden muss. Roman Weidenfeller hängt die Handschuhe an den Nagel, da benötigen wir zweifelsohne Ersatz. Und dann macht das Team in den letzten Monaten wirklich nicht den Eindruck, mental in der Lage zu sein, eine Einheit zu bilden oder hochklassigen Fußball zu spielen. Ich denke, dass uns da relativ große Veränderungen erwarten und rund um Reus, Dahoud und Akanji ein neues Team aufgebaut werden wird. Auch, weil es sicher einige Spieler gibt, denen in Folge des letzten Aprils eine Luftveränderung wirklich gut tun würde, um aus dem Umfeld herauszukommen, in dem sie dieses schreckliche Attentat erleben mussten. Das sitzt wohl tiefer, als der Klub öffentlich bisher eingesteht
Zum Spiel am Sonntag. Der VfB geht natürlich als Außenseiter in dieses Duell. Vor wem müssen wir uns besonders in Acht nehmen? Was sind die Stärken des BVB?
Batshauyi ist natürlich immer für ein Tor gut, wenn man ihm zuviel Platz lässt. Davon ab fällt mir die Beantwortung dieser Frage nach den letzten Wochen und Monaten eher schwer, wenn ich ehrlich sein soll. Wir kommen zuviel über Einzelaktionen als über strukturierte Angriffe und die sind natürlich immer schwierig zu verteidigen — allerdings benötigt es dafür auch Einzelkönner in Form, und die können wir aktuell kaum aufweisen. Pulisic ist ein Juwel, das immer einen Trick aus dem Hut ziehen kann und auch Dahoud zeigt zuletzt, weshalb wir ihn verpflichtet haben. Davon ab überzeugt der BVB aber zuletzt nicht unbedingt.
Und wie könnte es dem VfB gelingen, wie im Hinspiel dem BVB ein bis drei Punkte abzuknöpfen?
Indem sie mindestens genau so häufig treffen wie Borussia. 😉 Spaß beiseite: Wir sind defensiv nicht sonderlich stabil und offensiv zuletzt auch nicht sehr gut strukturiert. Mit enger Manndeckung und schnellen Kontern dürftet ihr sicher was holen können, das haben die Bayern eindrucksvoll demonstriert. Ihr dürftet aber glücklicherweise nicht ganz die Qualität haben, um jeden unserer Fehler so gnadenlos zu nutzen, ich habe also noch nicht alle Hoffnung auf einen Sieg des BVB aufgegeben.
Die Begegnung ist das 49. Bundesliga-Auswärtsspiel des VfB in Dortmund. Trotzdem gibt es abseits des Westfalenstadions bestimmt Sachen in Dortmund zu sehen oder zu tun, die Gästefans noch nicht kennen. Hast Du eine Empfehlung für uns?
Dortmund wird nicht grundlos als Bierstadt betitelt, also gönnt euch reichlich Export und macht vielleicht sogar eine Brauereiführung im Hövels! Dann haben wir natürlich noch das Fußballmuseum des DFB — auch wenn ich nicht weiß, wie empfehlenswert das ist. Wenn das Wetter mitspielt, lohnt sich vielleicht noch ein Ausflug in den Westfalenpark oder an den Phoenixsee
Zum Abschluss: Dein Tipp fürs Spiel?
Hört euch den biederen 1:0‑Sieg des BVB lieber im Radio an, schön wird das nämlich nicht, fürchte ich.
Jens, vielen Dank für das Gespräch!