Fünf Unentschieden und eine Niederlage vs vier Unentschieden und eine Niederlage: Der VfB und sein nächster Gegner Werder Bremen sind sich gerade sehr ähnlich. Vor dem Spiel am Nikolaustag sprachen wir mit Werder-Fan Julie (@juliegoeths) über weitere mögliche Parallelen und die Lage an der Weser.
Rund um den Brustring: Hallo Julie und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Stell Dich doch bitte kurz vor: WIe bist Du Werder-Fan geworden?
Julie: Mein erster Berührungspunkt zum Fußball war die WM 2006 – das erste Fußballturnier, an das ich mich komplett erinnern kann und das ich intensiv verfolgt habe. Gleichzeitig hatten wir in der Schule Fußball im Sportunterricht, was mir Spaß gemacht hat. Dabei geblieben bin ich aber nicht. Spätestens als ich im gleichen Sommer meinen Vater in Bremen besucht habe, und wir – unabhängig von einem Spieltag – am Stadion vorbeigelaufen sind, ist es passiert und Werder Bremen war ab sofort mein Verein. Im Laufe der nächsten Jahre bin ich dann Mitglied geworden und über die kostenlosen Eintrittskarten für Mitglieder unter 18 Jahren auch ins Stadion und alleine in die Ostkurve gekommen. In den vergangenen vier bis fünf Jahren habe ich dann viele Werder-Fans kennengelernt. Unser Fanclub #Twerder, den wir 2015 gegründet haben, und die daraus entstandenen Freundschaften haben ganz sicher auch etwas damit zu tun, dass ich die Strecke von Aachen nach Bremen immer wieder auf mich nehme.
In der letzten Saison gelang der Klassenerhalt für Werder erst in der Relegation gegen Heidenheim. Wie sehr hattest Du dich schon mit dem Gedanken eines Abstiegs angefreundet?
Es war eine ganz seltsame Situation. Dadurch dass wir alle zu dem Zeitpunkt bereits mehrere Monate nicht ins Stadion konnten, kam bei mir bis zur Relegation nie diese krasse Angst vor dem Abstieg auf. Emotional haben mich die Spiele vor leeren Stadien und die Folgen für die Tabelle echt wenig berührt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich die zweite Liga nicht unattraktiv fand oder finde. Die finanziellen Folgen mal außen vorgelassen: Als Fans hätten wir neue Stadien kennengerlernt. Mich reizt es auch mehr, gegen Vereine wie den HSV, Osnabrück oder Darmstadt zu spielen, als gegen Leipzig oder Hoffenheim. Bei den Relegationsspielen selbst war ich dann aber doch nicht mehr so ruhig. Das zweite Spiel war auch das erste, das ich komplett alleine gucken wollte. Ich wusste ja nicht, wie ich drauf sein werde, wenn wir wirklich abgestiegen wären. Von anfreunden kann deswegen keine Rede sein.
Die letzten Jahre pendelte Werder zwischen einem einstelligen Tabellenplatz und der Abstiegszone und es wirkt immer wieder, als würde der SVW auch den Weg des VfB und des HSV gehen müssen. Wie ist der Verein, der ein den 2000ern noch regelmäßig zu den Top 6 der Liga gehörte, da unten reingerutscht und was macht Dich zuversichtlich, dass Werder es den beiden eben genannten Vereinen nicht gleichtun wird?
Ich glaube, es gibt keine Standardantwort auf den ersten Teil der Frage. Vielmehr gibt es zahlreiche Antworten, die alle irgendwo stimmen und ihre Berechtigung haben. Anspruch und Realität lagen irgendwann zu weit auseinander. Teure Spieler haben sich als Flop herausgestellt und die Abwehr wackelte fast traditionell. Da ist das Abrutschen in den Tabellenkeller und die damit fehlenden Einnahmen aus dem europäischen Wettbewerb nur folgerichtig. Den dann anstehenden Spagat zwischen sparen und sportlich konkurrenzfähig bleiben, hat Werder lange Zeit nicht hinbekommen. Die letzten Jahre zeigen allerdings, dass wir auf einem guten Weg sind, der aber – ebenfalls lange – noch nicht vorbei ist. Zuversichtlich stimmen mich Funktionäre, denen Werder am Herzen liegt und die (hoffentlich) aus den vergangenen Jahren auch lernen konnten. Von Sicherheit sind wir aber weit entfernt. Die Pandemie zeigt uns, wie sehr Werder, aber auch die anderen Vereine auf die Einnahmen aus den Spieltagen angewiesen sind.
Aktuell steht Werder mit der gleichen Bilanz wie der VfB im Mittelfeld der Tabelle, hat wie der VfB auch mehrere Unentschieden aneinander gereiht und am letzten Wochenende verloren. WIe zufrieden bist Du mit dem Start in die Saison und wo siehst Du den SVW an deren Ende?
Wie du schon angesprochen hast: Die Unentschieden machen es schwer einzuschätzen, wohin die Reise geht. Das Unentschieden gegen Bayern München war hingegen sowohl im Ergebnis überraschend, als auch in der Abwehrarbeit. Wahrscheinlich das beste Spiel von uns. Die Niederlage gegen Wolfsburg war spektakulär, effizient und dumm gleichzeitig. Ich bin gespannt, wie sich die quasi nicht vorhandene Winterpause auswirkt. Ich würde mich freuen, am Ende eine Saison zu erleben, in der früh sicher ist, dass wir mit dem Abstieg nichts zu tun haben. Mehr sollte nach der letzten Saison nicht als Ziel ausgerufen werden.
Im (Spät-)Sommer hat Werder mit Felix Agu, Tahith Chong und Patrick Erras drei Spieler neu verpflichtet, aber auch viele Spieler wie Nuri Sahin, Davy Klaassen und Fin Bartels abgegeben. Wie bewertest Du die Transfers und wo muss Werder im Winter nachlegen?
Dass Davy Klaassen weg ist, ist richtig bitter gewesen, aber finanziell war es nicht anders möglich. Auch bei Fin Bartels fand ich es sehr schade, weil er menschlich – soweit ein Fan das beurteilen kann – sehr gut nach Bremen gepasst hat. Sportlich ist es aber, wie auch bei Philipp Bargfrede und Nuri Sahin, absolut vertretbar. Einen neuen Sechser hätten im Sommer und natürlich auch jetzt im Winter wohl alle gerne gesehen, war aber ohne einen Verkauf von Milot Rashica nicht machbar. Außerdem ist Jean-Manuel Mbom nach seiner Leihe in Uerdingen zurück in Bremen. Er muss mit seinen 20 Jahren natürlich noch viel lernen, aber das gehört dazu und es lohnt sich, ihn im Blick zu haben.
Im Kader steht mit Davie Selke auch ein ehemaliger VfB-Jugendspieler. Wie läuft es für ihn bei Euch?
Er war einmal in der Startelf, hatte drei kurze Einsätze, war dann verletzt und zuletzt auf der Bank. Trainer Kohfeldt sagt, dass Selke noch sehr wichtig werden wird. Das hoffe ich auch, denn sollten wir nicht absteigen, greift im kommenden Sommer die Kaufpflicht und wir müssen rund zehn Millionen an die Hertha überweisen.
Florian Kohfeldt stand als Trainer vergangene Saison schon auf der Kippe, hat seinen Job aber behalten. Die richtige Entscheidung? Wie bewertest Du seine Arbeit und wie lässt er Werder in dieser Saison spielen?
Ab einem gewissen Punkt in der Saison ergibt ein Trainerwechsel oft nicht mehr so viel Sinn – vor allem wenn man nach nachhaltigen Lösungen sucht. Werder hat an Kohfeldt festgehalten und glücklicherweise damit recht behalten. Nach der überstandenen Relegation stand eine große Analyse an und das Ergebnis war die Vertragsverlängerung. Ich bin da relativ nüchtern und sage, dass wenn er und das Trainerteam einen Plan haben, ich diesen auch erstmal unterstütze. Kohfeldt hat als Trainer schon immer sehr viel mit der Öffentlichkeit kommuniziert und Entscheidungen ausführlich erklärt. In dieser Saison mit der Änderung, dass er die Gegner groß redet und das eigene Team klein. Das ist ungewöhnlich und etwas Neues bei ihm. Er hat davor immer eine deutlich höhere Anspruchshaltung vermittelt.
Vor wem müssen wir uns am Sonntag in Acht nehmen und wo liegen die Schwächen der Werder-Mannschaft?
Richtig stark ist Ömer Toprak. Nachdem er in der vergangenen Saison fast die ganze Zeit verletzt war und auch in dieser bei den ersten drei Spielen nicht dabei sein konnte, zeigt er, wie wichtig er für uns ist. Die Ausfälle von Kevin Möhwald und Mbom machen die Doppel-Sechs, die sich doch ganz gut entwickelt hat, zu unserer Schwäche. Gerade gegen den VfB, der untypisch für einen Aufsteiger, mutig und sehr gerne durch das Zentrum spielt.
Zum Abschluss: Dein Tipp fürs Spiel?
Es würde mich nicht wundern, wenn wir mal wieder ein Unentschieden sehen.
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