Am Samstag tritt der VfB beim Hamburger SV, dem nächsten direkten Konkurrenten um den Klassenerhalt, an. Wir haben HSV-Fan Tanja (@fschmidt77) zum Spiel und ihrem Verein interviewt.
Rund um den Brustring: Hallo Tanja, vielen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, mit uns zu reden. Erzähl bitte zunächst etwas über Dich: Wie bist Du zum HSV gekommen?
Tanja: Vielen Dank für die Einladung! Wie ich zum HSV gekommen bin? Wie bei so vielen ist mein (Stief-)Vater schuld. Er war zwar kein glühender HSV-Fan, aber er weckte mein Interesse am Fußball und nahm mich mit zu meinem ersten Live-Spiel – das Pokalfinale 1987 gegen euren kleinen Lokalrivalen Stuttgarter Kickers. Es war der bis dato letzte große Titel für den HSV, und ich bin nie wieder von dem Klub weg gekommen.
Rund um den Brustring: Über die Erfahrungen im Abstiegskampf können Fans des Hamburger SV mittlerweile ein Buch schreiben. Letzte Saison vermied man dank eines Sieges am letzten Spieltag gegen Wolfsburg immerhin die dritte Relegationsteilnahme in vier Jahren. Auch wenn die Frage wahrscheinlich leichter zu stellen als zu beantworten ist: Wieso kommt der HSV nicht da unten raus?
Tanja: Ich glaube, es sind ganz viele Faktoren und ein ganz großer davon ist einer gewisser “Größenwahn”. Immer war die Rede davon, dass wir der große HSV sind und ins internationale Geschäft gehören, um Titel mitspielen müssen. In einem gewissen Maße kennt ihr das auch ganz gut, oder? Bei uns wurde deswegen immer wieder in vermeintlich große Namen investiert. Die Spieler konnten dann aber den riesigen Erwartungen nur in den seltensten Fällen gerecht werden. Es heißt dann immer, dass die Spieler bei uns schlechter wurden.
Mittlerweile bin ich aber der Meinung, dass die Spieler hier quasi verheizt werden, dass zu hoher Druck aufgebaut wird, Erwartungen auf die Spieler projiziert werden, die sie unmöglich erfüllen können. Wenn man dazu dann noch die ständigen Trainerwechsel nimmt, die oftmals ja auch durchaus zu Recht vorgenommen wurden (Bruno kennt ihr ja auch noch aus leidlicher eigener Erfahrung), dann fehlt auch ein übergeordnetes Konzept, in das sich Spieler einfügen können bzw. nach dem Spieler ausgesucht werden. Es scheint derzeit so, dass wir zumindest im Nachwuchsbereich jetzt schon mal ein Konzept haben, das Bernhard Peters, auch durchaus gegen interne Widerstände, durchgesetzt hat. Wenn uns das vielleicht auch bei den Profis gelänge und sich alle einfach mal mit Mittelmaß zufrieden gäben und nicht gleich wieder von höheren Sphären träumen würden, dann könnte zumindest der ewige Abstiegskampf vielleicht mal ein Ende haben.
Rund um den Brustring: Eine Reizfigur für Nicht-HSV-Fans, aber ich nehme an auch für Anhänger des Vereins, ist Investor Klaus-Michael Kühne. Mein letzter Stand ist, dass er den HSV in Zukunft nicht mehr finanziell unterstützen will. Wie lebt es sich als HSV-Fan mit ihm und kann man Eure Situation insofern mit der von 1860 München vergleichen, als dass der Verein ohne den Investor am Boden läge?
Tanja: KlauMi, wie wir ihn auch (wenig liebevoll) nennen, ist der große Drogendealer für den HSV. Er schießt zwar viel Geld rein, will aber gleichzeitig mitbestimmen, was mit dem Geld passiert. Und so wurden etliche Millionen in Transfers versenkt, die besser in der Schuldentilgung aufgehoben gewesen wären. Aber einmal angefixt vom Geld haben sich zu viele Sportchefs und Vorstandsvorsitzende verleiten lassen und brauchten dann immer mehr. Und so wurden viele der finanziellen Löcher nur aufgerissen, weil man sich auf KlauMis Millionen verließ. Hätte man zu einem früheren Zeitpunkt Vernunft regieren lassen und sich einem Spardiktat unterzogen, wäre die Abhängigkeit wohl nicht so gegeben. Auch wenn das mit einem hohen sportlichen Risiko verbunden gewesen wäre, hätte man langfristig etwas aufbauen können. So haben wir immer noch Saison für Saison ein hohes sportliches Risiko und zu allem Überfluss auch noch eine fragile Finanzsituation.
Was das Ganze noch verschlimmert, ist die Personalie Volker Struth, der, obwohl das natürlich alle abstreiten, doch einen ziemlich großen Einfluss auf unsere Transferpolitik ausübt. Selbst wenn er offiziell nicht mehr KlauMi berät, so redet Struth aber wohl immer noch regelmäßig mit KlauMi und ist auch noch mit Markus Gisdol befreundet. Und dann ist es halt sehr auffällig, wenn im Sommer plötzlich (ohne große Not) der Struth-Klient Andre Hahn für sechs Mio. verpflichtet wird und dem Struth-Klienten Bobby Wood das Gehalt verdoppelt wird. Ein Schelm, wer da Böses denkt…
Rund um den Brustring: Auch in dieser Saison scheint sich der Trend der letzten Spielzeiten fortzusetzen. In Stuttgart war bei vielen nach mehreren Jahren Überlebenskampf am Ende emotional die Luft raus, manche sehnten fast ein Erholungsjahr in der zweiten Liga herbei. Wie ist die Stimmung in Hamburg, was das angeht? Und wie lebt ihr damit, dass es mittlerweile viele gibt, die dem HSV gerade nach den knappen Rettungsaktionen der letzten Jahren den Abstieg wünschen?
Tanja: Es gibt ja sogar bei uns in den Reihen einige, die meinen, ein Abstieg täte dem HSV gut. Da ich sehr am zweifeln bin, ob wir einen Abstieg finanziell überleben würden, möchte ich allerdings doch lieber auf das Experiment “2. Liga” verzichten. Auf der anderen Seite muss ich gestehen, dass Phasen mit ungeschlagenen (Heim-)Spielen oder mehreren Siegen hintereinander sehr, sehr gut tun. Aber wenn wir das unbedingt wollen, können wir ja mittlerweile einfach zu unserer U21 in die Regionalliga Nord gucken. Die sind ungeschlagen Tabellenführer und bieten teilweise sogar richtig guten Fußball.
An den Spott, die Häme und teilweise völlig unsachliche Kritik haben wir uns mittlerweile gewöhnt und können es ganz gut ignorieren. Zumal selbst dem Postillon mittlerweile die Ideen ausgehen und einfach nur alte Witze immer wieder recycelt werden, die dadurch aber auch nicht lustiger werden. Mit anderen Worten: Das ist die wirkliche Krise! 😉
Rund um den Brustring: Um auf Ursachensuche zu gehen: Woran liegt es deiner Meinung nach, dass Ihr mittlerweile seit Ende August kein Spiel mehr gewonnen habt?
Tanja: Es geht natürlich los mit der Verletzung von Nicolai Müller, der ein ganz wichtiges Puzzlestück in den Offensivplänen von Markus Gisdol darstellte. Als dann kurz darauf auch noch Filip Kostic das Fußballspielen für ein paar Wochen einstellen musste, war’s ganz aus. Man konnte zwar sehen, dass die Mannschaft sich mühte, aber in den entscheidenden Momenten schien es, als würden sie immer die falsche Entscheidung treffen: Abspielen, wo ein Schuss besser gewesen wäre, das Dribbling, wo der Pass hätte kommen müssen, der Pass in die Tiefe eine Sekunde zu spät. Besonders deutlich zu sehen war das bei Bobby Wood, Andre Hahn und defensiv bei Mergim Mavraj. Und so kommst Du in einen Teufelskreis, in der die alte Plattitüde “wer keine Tore schießt, kann auch nicht gewinnen” zu einer immer schwerer werdenden Last wurde.
Rund um den Brustring: René Adler verließ den HSV vor der Saison nach fünf Jahren Richtung Mainz, mit Sicherheit neben Lasogga (nach Leeds) euer namhaftester Abgang. Dafür kam eine Reihe von bekannten Spielern wie zuletzt Salihovic, oder auch André Hahn aus Mönchengladbach. Wie zufrieden bist Du mit den Sommertransfers Deines Vereins?
Tanja: Die Abgänge waren allesamt nachvollziehbar. Auch wenn Adler zum Beispiel ein guter Torwart ist, war er einfach vom Gehalt her sehr teuer. Da er bei uns da keine Abstriche machen wollte (aber jetzt in Mainz …), konnte es zu keiner Verlängerung des Vertrags kommen. Und: Wenn wir uns eines (leider wohl fernen) Tages finanziell erholen wollen, müssen die Gehälter sinken. Da tut man gut daran, wenn man Verträge mit Großverdienern, die auch keine nennenswerte Ablöse mehr einbringen, schlicht und ergreifend auslaufen lässt.
Auf der anderen Seite muss ich allerdings auch sagen, dass ich zumindest die Verpflichtungen von Julian Pollersbeck und Andre Hahn immer noch nicht nachvollziehen kann. Hahn rackert zwar wie ein Blöder, leider gehört er aber auch zu der Fraktion, die im Zweifel, sagen wir mal, nicht ganz so intelligent entscheidet auf dem Platz.
Bei der (endgültigen) Verpflichtung von Papadopoulos bin ich immer noch etwas skeptisch, weil Papa für seine Verletzungsänfälligkeit ganz schön teuer war, aber auf der anderen Seite ist er ein absolutes Kampfschwein (erste Gelbsperre nach sieben Spielen muss man erstmal schaffen), einer jener Spieler, die von allen gegnerischen Fans gehasst, von den eigenen aber im höchsten Maße verehrt werden.
Rund um den Brustring: Einige VfB-Fans rieben sich verwundert die Augen, als unser ehemaliger Spieler Gotoku Sakai, der bei uns sowohl sportlich als auch abseits des Feldes eher ein Mitläufer war, im vergangenen Jahr von Markus Gisdol zum Kapitän ernannt wurde. Wie macht er sich denn in seiner Rolle?
Tanja: Und wir wundern uns die ganze Zeit, warum ihr Gotoku für’n Appel und nen Ei habt gehen lassen. Seit seiner Ernennung zum Kapitän hat er zwar Ende der vergangenen bis Anfang dieser Saison ein Formtief gehabt, aber wir haben ihn trotzdem sehr, sehr gern. Schon alleine, weil er sich, als er sich dann auf der Bank wiederfand, hingestellt hat und meinte, er würde sich bei seiner augenblicklichen Verfassung auch nicht aufstellen. Oder weil Go sich bei seinem Konkurrenten Diekmeier entschuldigt hat, als er nach einer Verletzung zu früh wieder spielen wollte und so dem fitteren Diekmeier den Platz nahm. Mit anderen Worten: Go ist ein großartiger Kapitän, der sich voll und ganz in den Dienst der Mannschaft stellt.
Rund um den Brustring: Sakai ist aber nicht der einzige ehemalige VfB-Spieler bei Euch im Kader. Während Sven Schipplock bei uns nie die große Rolle spielte, war Filip Kostic einer der wenigen Lichtblicke in unserer Abstiegssaison. Wie zufrieden seid Ihr mit ihm?
Tanja: Seine erste Saison bei uns war, wenn man es positiv ausdrücken möchte, durchwachsen. Aber gerade von Kostic werden hier auch quasi Wunderdinge erwartet wegen der hohen Ablösesumme. Welchen Wert er aber mittlerweile auch hat, konnten wir sehen, als er neulich gerade verletzt war. Unser (ohne Müller) eh schon recht bescheidenes Offensivspiel brach quasi komplett zusammen. Ich mag an Kostic seine Bissigkeit, die Schnelligkeit, dass er auch deutlich besser defensiv arbeitet als seine Konkurrenz auf der Position. Und ich glaube daran, dass wir erst in dieser Saison erleben werden, wie wertvoll Filip tatsächlich für den HSV sein kann.
Rund um den Brustring: Die Reihe der Ex-VfBler vervollständigt Ari Ferati, der beim VfB als großes Talent gehandelt wurde. Wieso hat er sich noch nicht bei Euch in der Bundesliga durchgesetzt?
Tanja: Ari Ferati ist noch so ein Struth-Klient. Das Bemerkenswerteste an ihm: Obwohl Ferati jetzt schon in seinem zweiten Vertragsjahr beim HSV ist, hat er noch kein einziges Training hier bestritten. Gleich bei der Verpflichtung wurde er für ein Jahr an Fortuna Düsseldorf verliehen, wo er sich wohl nur so halbwegs behaupten konnte. Und so kam im Sommer gleich die nächste Verleihe hinterher, diesmal nach Aue, wo er sich unter seinem Lieblingstrainer durchsetzen wollte. Unglücklicherweise heißt der Tedesco und wechselte eine Woche nach Feratis Unterschrift zu Schalke. Und das ist tatsächlich alles, was ich über Ferati zu berichten weiß. Ich vermute, auch nach der jetzigen Leihe wird er es schwer haben, beim HSV Fuß zu fassen.
Rund um den Brustring: Was sind denn die Stärken und Schwächen der aktuellen HSV-Mannschaft? Wovor müssen wir uns in Acht nehmen?
Tanja: Unsere Schwächen habe ich jetzt wohl schon reichlich beleuchtet. Daher hoffe ich einfach mal sehr darauf, dass ihr euch vor allem vor der Unberechenbarkeit unserer Jüngsten in acht nehmen müsst. Tatsuya Ito und Jann-Fiete Arp sind 20 bzw. 17 und spielen einfach drauf los. Die Entscheidungen, die die beiden treffen, sind zumeist halt nicht offensichtlich falsch, vielleicht auch nicht richtig, aber zumindest für den Gegner sehr oft unerwartet und deshalb sehr gefährlich. Ito ist ein laufender Meter (163–166 cm), schnell und dribbelstark, ähnlich wie Nicolai Müller laufen groß gewachsene Abwehrspieler da einfach Gefahr den zu übersehen und schwupps, ist er durch. Fiete Arp hat gegen Berlin bewiesen, dass er den klassischen Torriecher hat. Wo Bobby Wood derzeit wohl erst noch überlegt hätte, um dann auf den schlechter postierten Mitspieler zu passen, kommt der Ball zu Arp, der aus der Drehung direkt abschließt und trifft. (Er hatte natürlich Glück, dass der Ball vom Innenpfosten ins Tor springt, aber so eine Reaktionsschnelle fehlte uns zuletzt sehr.)
Rund um den Brustring: Viele von uns waren schon mal in Hamburg, ob zu einem Auswärtsspiel oder einfach so. Hast Du einen Geheimtipp für Hamburg-Besucher, die am Wochenende nicht das übliche Touristenprogramm durchhecheln wollen?
Tanja: Nun ist die Wettervorhersage fürs Wochenende (wenig überraschend für Hamburg) nicht gerade sonnig, daher empfehle ich für den Kneipenbummel jenseits vom Kiez den Stadtteil St. Georg (nicht Pauli!), direkt neben dem Hauptbahnhof. Wie in Bahnhofsvierteln oftmals üblich, gibt es da einige Spelunken, in denen man auch schnell Ärger bekommen kann, wenn man welchen sucht, aber der Stadtteil ist mittlerweile so weit gentrifiziert, dass der Großteil der Bars, Kneipen und Restaurants zu den Geheimtipps gehört. Wer es noch abseitiger mag, der fährt weiter nach Barmbek. Dort findet man zum Beisiel noch ganz klassische Arbeiter-Eckkneipen mit ihrem ganz eigenen Charme.
Sollte es wider Erwarten doch gutes Wetter geben und ihr Lust auf Sightseeing haben, dann empfehle ich immer gerne zum einen das Treppenviertel in Blankenese oder, etwas zentraler, die Krameramtsstuben (Nähe Michel) mit umliegenden Großneumarkt, dann Richtung Planten und Bloomen eventuell mit einem Abstecher in die besetzen Überreste des historischen Gängeviertels.
Rund um den Brustring: Zum Abschluss. Dein Tipp fürs Spiel?
Tanja: Eigentlich habt ihr ja noch was gut bei uns, wo eure Ausgliederung so eindeutig nach Hamburger Muster verlief, was mir ehrlich leid tut. Aber wir brauchen so verdammt dringend mal wieder einen Sieg, daher bleiben die Punkte durch ein 2:1 in Hamburg.
Rund um den Brustring: Vielen Dank fürs Gespräch, Tanja!
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