Am 17. April gewann der VfB dank eines Cacau-Doppelpacks zum letzten Mal ein Heimspiel gegen Leverkusen. Endet am Samstag auch diese Negativserie? Vor dem Spiel haben wir mit Bayer-Experte Sebastian Bergmann (@Rarename2k14) von der Rheinischen Post gesprochen.
Rund um den Brustring: Hallo Sebastian und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Wir kennen Dich ja bereits von früheren Interviews zu Leverkusen-Spielen, deswegen kommen wir gleich zum Thema: Bayer ist mit einem 7:0 im Pokal gegen Norderstedt in die Saison gestartet, danach gab es ein 0:0 in Wolfsburg und ein 1:1 gegen Leipzig. Wie bewertest Du den Saisonauftakt? Stottert der Motor in der Liga noch oder war in den beiden Spielen nicht mehr drin?
Sebastian: Zum Liga-Start in Wolfsburg lief nach vorne nicht viel zusammen. Das sah in der Woche darauf gegen Leipzig schon deutlich besser aus. Allen voran Patrik Schick hat gegen seinen Ex-Klub angedeutet, dass er eine direkte Hilfe ist und gut zur Spielweise von Bayer-Coach Peter Bosz passt. Dass es aber insgesamt wohl noch eine Weile dauern wird, bis das Team im Spiel nach vorne dieselbe Effektivität entwickelt wie in den Jahren zuvor, sollte auch klar sein.
Nach dem enttäuschenden 12. Platz 2016/2017 hat sich Leverkusen mittlerweile wieder unter den Top 5 der Liga etabliert. Traust Du dem Club mittelfristig mehr zu oder ist das das Ende der Fahnenstange?
Bayern und Dortmund sind der Liga enteilt, dahinter hat aktuell Leipzig die Nase vorn. Allerdings sollte es der Anspruch des Werksklubs sein, jedes Jahr mindestens einen Platz zwischen 3 und 5 zu ergattern. Aufgrund der Mittel, die Bayer 04 zur Verfügung stehen, sind zwischen 55 und 65 Punkte auch jedes Jahr im realistischen Bereich. Allerdings wird sich in der öffentlichen Wahrnehmung der Werkself nichts ändern, sollte Bayer nicht bald einen Titel gewinnen. Der letzte Triumph liegt immerhin schon fast drei Jahrzehnte zurück.
Mit Kai Havertz, der zu Chelsea gewechselt ist und Kevin Volland, der jetzt bei der AS Monaco spielt, haben zwei Offensivspieler den Verein verlassen, die vergangene Saison die Hälfte der 61 Leverkusener Saisontore erzielt haben, insgesamt verließen damit 49 Scorerpunkte den Verein. Meinst Du, Patrik Schick, den man von der Roma geholt hat und der letzte Saison zehn Tore in 22 Spielen für Red Bull schoss, kann die beiden ersetzen?
Ein Spieler wie Kai Havertz ist für Bayer nicht zu ersetzen. Florian Wirtz wird zumindest mittelfristig eine ähnliche Entwicklung zugetraut, doch er steht noch ganz am Anfang seiner Karriere. Sportdirektor Simon Rolfes hat zuletzt betont, dass die Verantwortlichen unter dem Bayer-Kreuz mehr von den Verpflichtungen vor und während der vergangenen Saison erwarten. Damit sind natürlich allen voran Kerem Demirbay und Nadiem Amiri gemeint. Aber auch bei den mitunter für viel Geld verpflichteten Talenten wie Paulinho (fällt derzeit mit einem Kreuzbandriss aus), Exequiel Palacios oder Daley Sinkgraven ist noch Luft nach oben. Während der Verlust von Havertz nur im Kollektiv aufzufangen ist, dürfte Schick den Abgang von Volland verkraftbar machen, auch wenn der in den vergangenen Jahren sicher zu den konstantesten Bayer-Profis gehörte. Im Idealfall kann der Tscheche sogar noch ein paar Tore drauflegen.
Wie bewertest Du allgemein die bisherigen Transferaktivitäten? Meinst Du, da passiert bis Montag noch was, oder siehst Du die Mannschaft für die Saison gerüstet?
In der Defensive herrscht bei Bayer aktuell noch ein Überangebot. Es ist durchaus vorstellbar, dass Leverkusen noch einen Innenverteidiger abgibt. Kandidaten sind Panagiotis Retsos, Aleksandar Dragovic und Tin Jedvaj. Auch Wendell könnte Bayer noch vor Ablauf der Transferperiode verlassen. Als Allrounder für die Abwehr hat sich Leverkusen auf Sead Kolasinac fokussiert. Sollte er kommen, hätte Coach Peter Bosz endlich den von ihm geforderten Linksfuß für die Verteidigung. Durch die Leihe von Rechtsverteidiger Santiago Arias von Atlético Madrid sollte es möglich sein, Ex-Kapitän Lars Bender die dringend benötigten Verschnaufpausen in dieser Saison zu geben. Außerdem könnte noch eine weitere Offensivkraft zur Werkself stoßen.
Was glaubst Du, wo Bayer am Saisonende landen wird?
Ich denke, dass Leverkusen wieder um den letzten Champions League-Platz spielen wird – und dieses Mal vor Gladbach in der Tabelle landet.
Vor wem müssen wir uns denn besonders in Acht nehmen am Samstag und wo siehst Du die Schwächen der Bayer-Elf?
Moussa Diaby mit seiner Schnelligkeit und seinen Dribblings ist bisweilen kaum zu stoppen. Schafft er es, im letzten Drittel schnörkelloser zu spielen, könnte das seine Saison werden. Mit Patrik Schick im Sturmzentrum verfügt die Werkself nun über einen Zielspieler, der sowohl kopfball- als auch abschlussstark ist. Dass man auch Kerem Demirbay nicht unbedrängt schießen lassen sollte, hat er bei seinem Traumtor zum Ausgleich gegen Leipzig bewiesen. An guten Tagen ist auch Karim Bellarabi noch immer eine Waffe. Verwundbar ist Leverkusen bei Kontern und über die Außen.
Peter Bosz ist bereits seit Anfang 2019 Trainer in Leverkusen. Wie bewertest Du seine Arbeit und seine Spielweise?
Er hat eine klare Vorstellung vom Spiel und lässt sich auch von Rückschlägen nicht beirren. Nach außen wirkt er ruhig, strahlt dabei ein ihm eigene, natürliche Autorität aus. Sollte es aber nicht laufen, kann ich mir auch gut vorstellen, dass er in der Kabine laut wird. Im Umgang mit den Spielern hat er offenbar ein gutes Händchen: Dass einige Reservisten unzufrieden sind, lässt sich höchstens vermuten.
Im Februar schied der VfB nach einem guten Auftritt mit 1:2 in Leverkusen aus dem Pokal aus. Was ist Dein Tipp für die Begegnung am Samstag?
Ich tippe auf einen 2:1‑Auswärtssieg der Werkself. Nach den beiden Unentschieden zum Auftakt muss es Bayers Anspruch sein, beim Aufsteiger den ersten Sieg einzufahren.
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