Rund um das Spiel gegen Leverkusen

Die Hin­run­de der Sai­son biegt auf die Ziel­ge­ra­de ein. Vor dem Heim­spiel gegen Bay­er Lever­ku­sen spra­chen wir mit Bay­er-Exper­te Dori­an (@Dorian1338) von der Rhei­ni­schen Post über die Par­tie.

Rund um den Brust­ring: Hal­lo Dori­an, vie­len Dank dass Du Dir Zeit für uns genom­men hast. Bit­te erzähl kurz etwas über Dich: Wie bist Du zur Rhei­ni­schen Post gekom­men und wor­über berich­test Du?

Dori­an: Ich habe 2006 wäh­rend mei­nes Stu­di­ums ange­fan­gen, für die Rhei­ni­sche Post zu schrei­ben – zunächst als Prak­ti­kant, dann als frei­er Mit­ar­bei­ter. Nach mei­nem Abschluss habe ich dann zunächst eini­ge Jah­re klas­si­schen Lokal­jour­na­lis­mus gemacht und im Lau­fe der Zeit kam immer mehr Sport­be­richt­erstat­tung dazu. Vor etwa zwei Jah­ren wur­de ich dann gefragt, ob ich mir vor­stel­len könn­te, in die Lever­ku­se­ner Redak­ti­on zu wech­seln. Ich sag­te zu. So bin ich dazu gekom­men, über Bay­er Lever­ku­sen und die Spie­le der Werks­elf zu schrei­ben. Hin­zu kommt frei­lich die wei­te­re sport­li­che Land­schaft in der Stadt, also zum Bei­spiel auch Hand­ball, Leicht­ath­le­tik, Vol­ley­ball oder Bas­ket­ball.

Nach Platz 3 2016 schloss Lever­ku­sen die ver­gan­ge­ne Sai­son im Tabel­len­mit­tel­feld ab, so schlecht wie seit 2002 nicht mehr. Auch in die­ser Sai­son fin­den sie sich dort wie­der, vor dem Spiel am Frei­tag auf Platz 9. War­um konn­te der Schwung aus der Cham­pi­ons-League-Teil­nah­me damals nicht mit­ge­nom­men wer­den und wie siehst Du die wei­te­re Ent­wick­lung bei Bay­er? War die letz­te Sai­son nur ein Aus­rut­scher?

Die ver­gan­ge­ne Sai­son war mei­ner Mei­nung nach ein Aus­rut­scher, der vie­le Grün­de hat­te. Die Spiel­zeit begann sehr selbst­be­wusst mit einer Kampf­an­sa­ge an Dort­mund, die neue Num­mer zwei im deut­schen Fuß­ball wer­den zu wol­len. Die ver­gan­ge­nen Cham­pi­ons-League-Teil­nah­men hat­ten die Brust offen­bar ziem­lich breit wer­den las­sen. Immer­hin zähl­te Bay­er 04 zu den deut­schen Klubs, die bei­na­he jedes Jahr in der Königs­klas­se unter­wegs waren. Hin­zu kamen Zugän­ge, von denen man sich viel ver­sprach – unter ande­rem auch der von Rekord­trans­fer Kevin Voll­and, der mit einer Ablö­se von 20 Mil­lio­nen Euro von der TSG Hof­fen­heim los­ge­eist wur­de. Er konn­te den Vor­schuss­lor­bee­ren in sei­ner ers­ten Sai­son indes eben­so­we­nig gerecht wer­den, wie Juli­an Baum­gart­lin­ger oder Alek­sand­ar Dra­go­vic, den man nach der ver­korks­ten Sai­son an Lei­ces­ter City aus­lieh.

Als die Ergeb­nis­se im Som­mer 2016 aus­blie­ben und es immer wei­ter Rich­tung Mit­tel­maß ging, geriet das pro­pa­gier­te Selbst­be­wusst­sein schnell ins Schleu­dern. Der dama­li­ge Trai­ner Roger Schmidt – ohne­hin ein streit­ba­rer Kopf – leis­te­te sich zudem eini­ge Eklats, zoff­te sich mit geg­ne­ri­schen Trai­nern oder wur­de vom Schieds­rich­ter auf die Tri­bü­ne ver­bannt. Die Außen- und Innen­wir­kung war fatal. Es spricht viel dafür, dass Schmidt spä­tes­tens zur Win­ter­pau­se, in die man sich mit Ach und Krach auf einem Mit­tel­feld­platz ret­te­te, einen Teil der Mann­schaft ver­lo­ren hat­te. Sei­ne tak­ti­schen Vor­ga­ben, die sich auf ein gera­de­zu bedin­gungs­lo­ses Pres­sin­g/­Ge­gen­pres­sing-Dog­ma redu­zie­ren las­sen, wur­den nicht mehr kon­se­quent erfüllt. Dar­über hin­aus hat­ten die meis­ten Geg­ner Schmidts Spiel­idee ent­schlüs­selt und ent­spre­chen­de Gegen­maß­nah­men ergrif­fen. Er kri­ti­sier­te sei­ne Spie­ler öffent­lich und leis­te­te damit der Ent­wick­lung Vor­schub. Zwar gewann sei­ne Mann­schaft immer genau zur rich­ti­gen Zeit ein Spiel, aber im End­ef­fekt zöger­te das nur das Unver­meid­li­che hin­aus. Dazu kam ein veri­ta­bler Zoff des Ver­eins mit der Fan­sze­ne, der inzwi­schen bei­gelegt ist. Es kam also eini­ges zusam­men.

Nach dem 2:6 in Dort­mund erfolg­te die über­fäl­li­ge Tren­nung von Schmidt, dem man trotz allem zugu­te hal­ten muss, dass er Bay­er 04 in den Vor­jah­ren zwei­mal in Fol­ge in die Cham­pi­ons League geführt hat­te. Tay­fun Korkut über­nahm als Inte­rims­trai­ner eine völ­lig ver­un­si­cher­te Mann­schaft und führ­te sie wei­ter in den Kel­ler. Das tota­le Desas­ter – der Rele­ga­ti­ons­platz – konn­te erst am vor­letz­ten Spiel­tag aus­ge­schlos­sen wer­den. Die ver­gan­ge­ne Sai­son war inso­fern ein heil­sa­mer Schock. Es ist Beschei­den­heit ein­ge­kehrt, soli­des und seriö­ses Arbei­ten. Trai­ner Hei­ko Herr­lich scheint der Gegen­ent­wurf zu Schmidt zu sein. Inso­fern schockt auch nie­man­den der der­zeit „nur“ neun­te Tabel­len­platz, weil die Leis­tung bis­lang in bei­na­he jedem Spiel stimm­te. Bei den Ergeb­nis­sen war das aber nicht immer der Fall. Das erklär­te Sai­son­ziel ist ein Platz unter den ers­ten Sechs. Das scheint mir nach wie vor rea­lis­tisch zu sein, obwohl eins­ti­ge Leis­tungs­trä­ger wie Chich­a­ri­to, Kevin Kampl, Hakan Calha­no­g­lu und Ömer Toprak den Ver­ein ver­las­sen haben.

Anders gesagt: Vor einem Jahr wäre unterm Bay­er-Kreuz in einer ver­gleich­ba­ren Lage noch von „Kri­se“ die Rede gewe­sen. Davon ist man der­zeit mei­len­weit ent­fernt. Der Ver­ein scheint die rich­ti­gen Leh­ren aus der Ver­gan­gen­heit gezo­gen zu haben. Inso­fern schät­ze ich die wei­te­re Ent­wick­lung durch­aus als posi­tiv ein. Man spürt förm­lich, dass eine ande­re Men­ta­li­tät in Mann­schaft und Umfeld herrscht. Und es ist wohl­tu­en­de Ruhe ein­ge­kehrt.

Bay­er hat nach Dort­mund und Bay­ern mit 27 die zweit­meis­ten Tore geschos­sen, allein Kevin Voll­and traf neun Mal in 14 Spie­len. War­um reicht es trotz­dem nur fürs Mit­tel­feld?

Am Anfang war es ganz klar die Chan­cen­ver­wer­tung, die vie­le Punk­te gekos­tet hat. Beim Eröff­nungs­spiel in Mün­chen spiel­te Bay­er 04 vor allem in der zwei­ten Halb­zeit stark und hät­te locker mit einem Remis nach Hau­se fah­ren kön­nen. Statt­des­sen ende­te die Par­tie 1:3. Ähn­lich sah es am 2. Spiel­tag gegen Hof­fen­heim aus, wo man zur Halb­zeit 4:0 hät­te füh­ren müs­sen. Doch es blieb letzt­lich bei einem 2:2. Das Man­ko der Chan­cen­ver­wer­tung scheint inzwi­schen beho­ben zu sein. Der 5:1‑Sieg in Glad­bach am 9. Spiel­tag hat die­sen Kno­ten womög­lich end­gül­tig gelöst. Trotz­dem spielt Lever­ku­sen zu oft unent­schie­den, wenn es eigent­lich gewin­nen müss­te. In dem Zusam­men­hang soll­te man aller­dings auch nicht ver­schwei­gen, dass die Nie­der­la­gen in Mainz und Ber­lin am Anfang der Spiel­zeit völ­lig ver­dient waren. Da hat Lever­ku­sen ein­fach schwach gespielt. Zudem gibt es nach wie vor einen gewis­sen Nach­hol­be­darf bei Stan­dards. Die Mann­schaft kas­siert zu vie­le Gegen­to­re nach ruhen­den Bäl­len. Das ist seit Jah­ren ein bekann­tes Pro­blem.

Hin­ten hat der VfB sogar weni­ger Tore gefan­gen als sein Geg­ner am Frei­tag. Nichts­des­to­trotz ist Lever­ku­sen seit neun Spie­len unge­schla­gen. Wäre mit einer bes­se­ren Abwehr mehr drin als die ins­ge­samt sechs Unent­schie­den?

Es ist schwie­rig, der Abwehr die allei­ni­ge Schuld an den vie­len Gegen­to­ren zu geben. Hei­ko Herr­lich spielt eigent­lich immer sehr offen­siv und sehr mutig. Ein Mus­ter­bei­spiel ist das 2:2 gegen RB Leip­zig, als man sogar in Unter­zahl stets vor­ne drauf ging und unbe­dingt den Sieg woll­te. Dar­un­ter lei­det mit­un­ter die Absi­che­rung nach hin­ten. Die Spiel­wei­se erfor­dert, dass die offen­si­ven Spie­ler auch defen­si­ve Auf­ga­ben über­neh­men. Das scheint seit eini­gen Wochen immer bes­ser zu funk­tio­nie­ren. In Frank­furt gewann Lever­ku­sen bei­spiels­wei­se ohne Gegen­tor und auch gegen den bes­ten Angriff der Liga aus Dort­mund kas­sier­te man nur einen Tref­fer – und das erneut in Unter­zahl. Klar wäre mehr drin gewe­sen, wenn man weni­ger Tore hät­te hin­neh­men müs­sen, aber das fällt in die Kate­go­rie „hät­te, hät­te, Fahr­rad­ket­te“. Auf jeden Fall wird deut­lich, dass Herr­lich im Trai­ning kon­se­quent an den Man­kos arbei­tet und meis­tens die rich­ti­gen Stell­schrau­ben dreht – auch direkt im Spiel.

Wie bewer­test Du die Trans­fers des Som­mers, unter ande­rem die Ver­pflich­tung von Sven Ben­der und wo siehst Du in der Win­ter­pau­se noch Bedarf?

Sven Ben­der ist eine Ver­stär­kung und direkt in die Rol­le des Abwehr­chefs gewach­sen. Sein Zwil­lings­bru­der Lars ist Kapi­tän der Werks­elf und es ist schon ein Brett, wenn man bei­de Ben­der-Brü­der in einer Mann­schaft hat. Das hat sich nicht zuletzt bei den Olym­pi­schen Spie­len 2016 in Rio de Janei­ro gezeigt, wo die bei­den mit ihrer Erfah­rung und ihrer Men­ta­li­tät sicher­lich viel dazu bei­getra­gen haben, dass am Ende die Sil­ber­me­dail­le stand. Panagio­tis Ret­sos, der gera­de ein­mal 19 Jah­re alt ist und als eines der größ­ten Abwehr­ta­len­te Euro­pas gilt, ist eben­falls ein Gewinn. Der Grie­che kann links oder rechts in der Vie­rer­ket­te spie­len – oder als Innen­ver­tei­di­ger. Ange­sichts sei­nes Alters ist er zwar noch anfäl­lig für Feh­ler, aber er hat bereits mehr­fach sei­ne Klas­se ange­deu­tet. Lucas Ala­rio, um den es ein schier end­lo­ses Wech­sel­thea­ter im Som­mer gab, ist eine gute Opti­on im Sturm. Der Argen­ti­ni­er ist ein klas­si­scher Stoß­stür­mer, von dem man auch 80 Minu­ten nichts sehen kann, ehe er in der 81. Minu­te doch noch sein Tor macht. Eben­falls stark ein­ge­fügt hat sich U23-Euro­pa­meis­ter Domi­nik Kohr, der aus Augs­burg an den Rhein zurück­kehr­te, und sich zu einem Stamm­spie­ler der Werks­elf ent­wi­ckel­te. Sei­ne Kom­pro­miss­lo­sig­keit im Zwei­kampf ist bei­na­he schon legen­där in Lever­ku­sen. Der Spitz­na­me „Hard-Kohr“ kommt nicht von unge­fähr.

In der Win­ter­pau­se sehe ich – sofern kei­ne ernst­haf­ten Ver­let­zun­gen und lan­gen Aus­fäl­le pas­sie­ren – kaum bis gar kei­nen Bedarf für Neu­ver­pflich­tun­gen.

Seit Sai­son­be­ginn steht Hei­ko Herr­lich als Trai­ner an der Sei­ten­li­nie. Wie fällt dei­ne Zwi­schen­bi­lanz zu ihm aus?

Anfangs waren vie­le davon über­rascht, dass Sport­di­rek­tor Rudi Völ­ler und Geschäfts­füh­rer Micha­el Scha­de Hei­ko Herr­lich als neu­en Trai­ner der Werks­elf aus dem Hut zau­ber­ten. Aber eigent­lich ist er genau der rich­ti­ge Kan­di­dat: Er begann 1989 als damals 17-Jäh­ri­ger sei­ne Pro­fi­kar­rie­re bei Bay­er 04, wo er unter ande­rem 1993 den DFB-Pokal gewann. Es folg­ten Wech­sel nach Glad­bach und Dort­mund, wo er 1997 die Cham­pi­ons League gewann. Er kam mit der Emp­feh­lung von zwei Auf­stie­gen in Fol­ge mit Jahn Regens­burg nach Lever­ku­sen, die er von der vier­ten in die zwei­te Liga geführt hat­te. Nach holp­ri­ger Vor­be­rei­tung mit schlech­ten Test­spie­len und der eben­falls schwie­ri­gen Anfangs­pha­se der Sai­son hat er das Team sta­bi­li­siert. Die Werks­elf ist tak­tisch deut­lich varia­bler als noch vor einem Jahr, steckt auch Rück­schlä­ge wie Gegen­to­re oder Rote Kar­ten bes­ser weg und spielt meis­tens erfri­schen­den Offen­siv­fuß­ball, mal im 3–4‑3, mal im 4–4‑2. Die Mann­schaft scheint top­fit zu sein und hin­ter ihm zu ste­hen – auch die Ersatz­spie­ler. Er ist klar und kon­se­quent in der Anspra­che und stellt eine Sache ganz klar in den Mit­tel­punkt: den Team­geist. Mensch­lich und sport­lich ist er bis­lang ein Gewinn für Bay­er 04, auch wenn er nicht auf Anhieb auf einem Cham­pi­ons-League-Platz steht. Daher fällt mein Fazit posi­ti­ver aus, als es der Tabel­len­stand aus­sa­gen mag.

Vor wem muss sich der VfB, abge­se­hen von Kevin Voll­and, in acht neh­men?

Ganz klar: Leon Bai­ley. Der Jamai­ka­ner kam im ver­gan­ge­nen Win­ter vom KRC Genk nach Lever­ku­sen. Ich habe sel­ten einen Spie­ler gese­hen, der so viel Spiel­witz mit­bringt und gleich­zei­tig so schnell, wen­dig und drib­bel­stark ist. Dazu hat er einen gefähr­li­chen Abschluss und ist selbst­los genug, auch den bes­ser posi­tio­nier­ten Neben­mann zu bedie­nen. Abge­se­hen davon hat Lever­ku­sen natür­lich eini­ge wei­te­re gefähr­li­che Spie­ler in sei­nen Rei­hen. Juli­an Brandt ist zum Bei­spiel immer für einen genia­len Moment oder ein Tor gut – oder auch Kai Havertz, der für sei­ne 18 Jah­re schon erstaun­lich weit ist und dem man ohne wei­te­res unter­stel­len kann, eines der größ­ten Talen­te im deut­schen Fuß­ball zu sein. Karim Bel­lar­a­bi ist natür­lich auch ein pro­mi­nen­ter Name, aber er kam in den letz­ten Mona­ten kaum noch über die Reser­vis­ten­rol­le hin­aus.

Und wie hat der VfB eine Chan­ce, die Punk­te in Stutt­gart zu behal­ten?

Durch kon­se­quen­tes Ver­tei­di­gen und gute Stan­dards. Ein klei­ner „Nach­teil” von Lever­ku­sen ist, dass es sehr vie­le jun­ge und hoch­ver­an­lag­te, aber eben auch noch uner­fah­re­ne Spie­ler in sei­nen Rei­hen hat. Bai­ley ist 20, Havertz 18, Brandt 21, Jona­than Tah 21, Ret­sos 19, Ben­ja­min Hen­richs 20 – um nur eini­ge Bei­spie­le zu nen­nen. Dass die noch nicht mit allen Was­sern gewa­schen sind, ist klar. Inso­fern könn­te der VfB von der Uner­fah­ren­heit der Werks­elf pro­fi­tie­ren. Inwie­fern Stutt­gart dar­aus Kapi­tal schla­gen kann, wird sich zei­gen.

Abschlie­ßend: Dein Tipp fürs Spiel?

Bei aller Sym­pa­thie für den VfB den­ke ich, dass Lever­ku­sen die Punk­te mit ins Rhein­land neh­men wird: 2:1 für Bay­er.

Bild: © VfB-Bilder.de

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