Am Sonntag kommt Holstein Kiel ins Neckarstadion. Zum ersten Mal seit dem Sommer 2015 trifft der VfB wieder auf die Norddeutschen. Zeit für eine Neuauflage unseres Gegnerinterviews mit Matthias vom Holstein-Blog Calcio Culinaria (@calcioculinaria).
Rund um den Brustring: Hallo Matthias und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Zuletzt sprachen wir uns vor knapp vier Jahren, als der VfB in der ersten Pokalrunde bei Euch antrat. Erklär uns doch nochmal kurz, wie du Kiel-Fan geworden bist und was es mit Eurem Blog auf sich hat.

Matthias: Moin, das Pokalspiel ist bei uns noch in bester Erinnerung. Fast ein wenig mehr wegen des Geschehens auf den Rängen als wegen dem auf den Rängen. Unsere Kurve hatte ja die dreidimensionale Choreografie mit dem Fördedampfer (für Kieler Verhältnisse ein Meilenstein), wohingegen der Gästeblock unter „Volldampf“ und „Dauerfeuer“ stand. Hat Spaß gemacht.
Zu Holstein bin ich ein wenig per Zufall gekommen. Ich bin in der Saison 1999/2000 zum Studieren an die Förde gekommen. Meine erste WG lag in der Nachbarschaft des Holstein-Stadions. An einem schönen Sonnabendnachmittag liefen dann ein paar Leute mit Schals an meinem Fenster vorbei und ich bin einfach mal mitgegangen. Das Stadion war damals zu zwei dritteln gesperrt, der Fußball mies, genau wie die Stadionwurst. Aber da spielte immerhin ein Deutscher Meister, der relativ schnell mein Herz erobert hatte.
Der Blog hatte seine Geburtsstunde dann im Jahr 2010, unser Motto „Holstein, Hopping und die Esskultur drumherum“ beschreibt eigentlich schon ganz gut, worum es geht. Neben Spielberichten und Gedanken rund um unsere KSV, gibt es immer Groundhoppingberichte (die reichen von Kiel bis Nord-Korea) und Stadiongastro-Tests. Hinter dem Blog steht ein relativ kleines Team: Neben mir sind es Frauke (die ist vor allem Administrator und Grafikgenie), Martin, Marco und Salvatore (die in der Weltgeschichte rumwuseln). Dazu freuen wir uns immer über Gastbeiträge – speziell auch was die „Wurstgalerie“ betrifft.
Damals trat die KSV als Drittligist im Pokal an, mittlerweile seid Ihr in die zweite Liga aufgestiegen und wärt fast in die Bundesliga durchmarschiert, letztes Jahr wurdet Ihr Sechster. Hättest Du mit einer Entwicklung wie der der letzten Jahre gerechnet? Und was hättest Du von einem Durchmarsch gehalten?
Die letzten Jahre waren für viele ältere Holstein-Fans wirklich unglaublich. Immerhin dauerte es 36 Jahre, die sportlich und finanziell häufig eher dunkel waren, bis Holstein zurück in der 2. Bundesliga war. Dass es für uns Fans dann plötzlich ein Jahr später in Wolfsburg im Stadion Relegation um den Aufstieg in die Bundesliga zu sehen gab, war fast schon surreal.
Der mögliche Durchmarsch war immer ein Thema, zu dem ich sehr zwiegespalten war – und ich denke da war ich nicht der einzige in Kiel. Ein Verein muss ja auch die Chance haben wachsen zu können und in der 2. Bundesliga ist Holstein manchmal auch schon an die Grenzen gestoßen. Andererseits wäre ein bisschen TV-Geld nicht verkehrt gewesen.
Und was das Sportliche betrifft: Ansgar Brinkmann hat mal zu mir gesagt, dass es da gar keine Frage gibt. Wenn sich die Chance auf den Aufstieg bietet, muss man sie ohne Zögern mitnehmen.
Zu rechnen war mit der Entwicklung vielleicht nicht, auch dass es nach dem Weggang von Markus Anfang mit Tim Walter wieder sehr gut lief. Bisschen Glück ist ja auch immer dabei. Trotzdem wurden in der Vergangenheit auch einige richtige Entscheidungen getroffen.
Nach neun Spielen steht Ihr jetzt auf Platz 16 und habt Euch von Trainer Andre Schubert und Sportchef Fabian Wohlgemuth getrennt. Was läuft in dieser Saison bisher schief?
Holstein und Schubert war im Nachhinein gesehen wohl das klassische Missverständnis. Es fühlte sich bis zum Schluss so an, als wenn das Team noch am Beginn der Vorbereitung stehen würde. Das System und das Personal auf dem Platz wurde zu häufig verändert. Dementsprechend hat sich keine Stamm-Elf und keine Hierarchie auf dem Platz herausgebildet. Automatismen haben sich ebenfalls noch nicht entwickelt. Zudem wurden die Siege in den letzten Jahren häufig über Teamgeist und die Mentalität gewonnen, dafür muss aber auch eine Einheit auf dem Platz stehen.
Viel verlorene Zeit leider – damit heißt es diese Saison wohl Kampf um den Klassenerhalt.
Den Kader halte ich grundsätzlich für zweitliga-tauglich, allerdings steht noch der Beweis aus, dass Schindler, Karazor, Kinsombi, Benes und Co qualitativ ersetzt werden konnten. Es sind viele talentierte, aber auch sehr junge Spieler, das war in den letzten Jahren auch so und viele haben sich an der Förde positiv entwickelt. Derzeit fehlen mir ein paar mehr „alten Recken“auf dem Platz, die den „Nachwuchs an die Hand nehmen“ und voran gehen. Gerade wenn es darum geht, um Punkte für den Klassenerhalt zu kämpfen.
Den einzigen „Fehler“, den ich bei Fabian Wohlgemuth sehe, ist, dass der neue Trainer erst einen Tag vor Trainingsbeginn verpflichtet wurde. Und das, obwohl der Abgang von Tim Walter ja schon ein bisschen länger bekannt war. Auch hier verlorene Zeit.
Welche Auswirkungen hatte denn der Wechsel von Tim Walter und Mittelfeld-Spieler Atakan Karazor zu uns? Schließlich musstet Ihr ja schon im zweiten Jahr in Folge Euren Trainer ziehen lassen. Und wie zufrieden bist Du sonst mit den sommerlichen Transferaktivitäten von Holstein Kiel?

Tim Walter hätte ich gerne noch etwas länger in Kiel gesehen. Natürlich bedeutet der Walter-Stil für den Fan auch immer, kurz vor dem Herzinfarkt zu stehen – aber auch gut unterhalten zu sein. Mich hätte es interessiert, wohin es Holstein Kiel geführt hätte, wenn Tim Walter im Sommer Personal mit ausgesucht hätte.
Atakan Karazor stand bei Holstein lange im Schatten von David Kinsombi, von daher war sein Potenzial schwer einzuschätzen. Nach dessen Ausfall hat er die Position im defensiven Mittelfeld sehr gut besetzt. Auch ihn hätte ich gerne noch etwas länger in Kiel gesehen.
Zu den Transferaktivitäten möchte ich gar nicht so viel sagen. An sich bin ich nicht unzufrieden. Allerdings ist wie bereits erwähnt noch kein Team entstanden. Ob das nur an Schubert lag oder ob grundsätzlich ein, zwei Charaktere in der Zusammenstellung fehlen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.
Was glaubst Du, ist für Euch in dieser Saison noch drin? Kommt Ihr noch mal, wie in den letzten Jahren, oben dran, oder geht es dieses Jahr nur um den Klassenerhalt?
„Oben dran“ halte ich für utopisch. Allerdings waren das auch in den letzten Jahren wohl nicht die Ansprüche von Holstein. Es lief zwei Jahre lang einfach besser als erwartet. Diese Saison hätte ich mich über irgendwas rund um Platz zehn gefreut. Wenn es gut läuft, ist das auch noch drin – es ist ja zum Glück noch keine Lücke zum Mittelfeld. Im Moment und unter Umständen auch noch länger heißt es aber schlichtweg Kampf um den Klassenerhalt.
Wie ist Deine Meinung zu Eurem Interimstrainer Ole Werner? Denkst Du, er hat eine Chance auf ein längerfristiges Engagement?
Persönlich halte ich von Ole Werner sehr viel. Er ist ja schon etwas länger im Verein und hat immer tadellose Arbeit beim Nachwuchs abgeliefert. Auch von den Trainern der Liga, die er erlebt hat, gab es immer viel Lob für ihn. Leider ist die Bilanz aus drei Spielen auf dem Papier eher durchwachsen. Die 1:2‑Niederlage gegen Hannover 96, bei der Holstein erst in den letzten 30 Minuten richtig überzeugen konnte, und die 1:2‑Niederlage gegen Regensburg, ein Spiel, das man nicht hätte verlieren dürfen, stehen einem 3:0‑Sieg gegen Fürth gegenüber.
Das Spiel in Franken war allerdings eins der besseren der letzten Jahre – und Holstein hat zum ersten Mal in dieser Saison als eine Einheit auf dem Platz gestanden. Schwierige Situation. Ich beneide unseren Sportdirektor gerade nicht.
Was sind die Schwächen der Holstein-Elf in dieser Saison und vor wem müssen wir uns am Sonntag in Acht nehmen?
Eine Schwäche ist sicherlich, dass Holstein diese Saison häufig zu lange braucht, um ins Spiel zu finden. Alles andere hab ich ja schon recht gut beschrieben, denke ich. Ich hoffe sehr, dass Werner (und auch Uwe Stöver) es in der Länderspiel-Pause geschafft haben, ein wenig „Teambuilding“ zu betreiben.

Unser „Unterschiedsspieler“ in dieser Saison ist Jae-Sung Lee. Der südkoreanische Nationalspieler hat die gesamte Vorbereitung mitmachen können, und das ist zu spüren. Wenn er will, ist er der Dreh-und-Angelpunkt in der Offensive. Und in Pokal und Liga hat Lee auch immerhin schon fünfmal genetzt.
Schlüsselspieler im Kieler Spiel und einer der Leistungsträger ist für mich nicht erst seit dieser Saison Alexander Mühling. Leider gehe ich davon, dass Euer Trainer auch von dieser Stärke weiß.
Und welche Themen beschäftigen die Kieler Fans derzeit abseits des grünen Rasens?
Nachdem es inzwischen Fischbrötchen im Holstein-Stadion gibt, sind alle abgesehen von der sportlichen Situation rundum glücklich.
Abschließend: Dein Tipp fürs Spiel?
Ich persönlich wäre mit einem Unentschieden sehr zufrieden – und nach dem Walter-Stil dürfen auch paar Tore fallen. Also 4:4.
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