Auf ein Neues! Gelingt dem VfB nach nach dieser Länderspielpause endlich die Wende?
Diese Saison geht mir echt an die Nerven. Und auf die Nerven. Weswegen ich diese zweiwöchige VfB-Pause, als man aus Bad Cannstatt kaum etwas vernahm außer einem Testspiel und zwei Transfers, wirklich genossen habe. Klar, man kennt das im Abstiegskampf: Das Gefühl, am Wochenende wieder enttäuscht zu werden, steigert nicht unbedingt die Vorfreude. Gerade jetzt, wo zumindest bis zu diesem Spiel wieder hilflos vor dem Fernseher saß und den Frust über fünf tor- und sieglose Spiele nur ins Sofakissen statt in den den Stuttgarter Nachmittagshimmel schreien konnte. Aber es ist nicht nur die Angst vor der nächsten Enttäuschung, die mich umtreibt, sondern etwas Grundsätzlicheres. Es ist die Angst vor dem erneuten Scheitern des VfB. Die Angst, dass der neue VfB trotz neuer Gesichter, neuer Haltung und neuer personeller Kontinuität doch der alte VfB ist und das macht, was er seit über zehn Jahren tut, nämlich uns nach kurzen Zwischenhochs wieder abgrundtief zu enttäuschen. Versteht mich nicht falsch: Ich erwarte nicht, dass es mit dem VfB nach letzter Saison steil bergauf geht. Aber es wäre schön, wenn man sich nach dem Nullpunkt des Abstiegs und der zweiten Liga und dem Zwischenhoch mit Platz 9 in der vergangenen Saison wieder irgendwo in der gesunden Mitte einpendeln würde.
Früher lag diese gesunde zwischen Hoch (Platz 1 bis 5) und Nullpunkt (Abstiegskampf) irgendwo in der Mitte der Tabelle, heute liegt er zwischen Platz 10 und Platz 15. Mehr ist für den VfB mittelfristig im Mittel (!) nicht drin und das ist auch erst mal gut so. Wir brauchen die Zeit und die Ruhe um wieder ein halbwegs normaler Bundesliga-Verein zu werden, junge Spieler auszubilden, interessante Spieler zu holen und sie für viel Geld wieder zu verkaufen — und zwar nicht aus Not oder um den Kader komplett umzukrempeln — und um uns wirtschaftlich einigermaßen zu konsolidieren. Und wenn dann doch einmal ein sportlich Verantwortlicher geht, dann weil er für uns zu groß geworden ist oder nochmal etwas anderes machen möchte und nicht weil mal wieder Köpfe rollen müssen in Bad Cannstatt. Das mag für manche eine Utopie sein, auf jeden Fall ist es bis dahin noch ein langer Weg. Ich sehe das in der aktuellen Konstellation keinesfalls als Utopie an, fürchte aber, dass ein erneuter Abstieg dieses Ziel wirklich utopisch werden lässt. Vielleicht geht mir diese Saison auch deshalb so an die Nerven, weil ich es uns, und den Beteiligten auf und neben dem Platz wünsche, dass der VfB es nicht schon wieder verkackt. 2015/2016 war ich zermürbt und ermüdet von Jahren des sportlichen Missmanagements. 2018/2019 war ich einfach nur noch wütend auf die effizente Inkompetenz der Vereinsführung unter anderem in sportlichen Fragen.
Und nun kommt der VfB aus einem Trainingslager in Marbella, das alles in allem so gelaufen zu sein scheint, wie sich Sven Mislintat und Pellegrino Matarazzo, der auf der gestrigen Pressekonferenz voll des Lobes über seine Mannschaft war, sich das vorgestelt haben.
Pellegrino #Matarazzo: „Die Mannschaft ist fokussiert und bereit. Das spürt man bei jedem Spieler. Wir sind Feuer und Flamme. Wir freuen uns auf das Heimspiel am Samstag.“#VfB | #VfBPK
— VfB Stuttgart (@VfB) February 3, 2022
Was das alles wert ist, sehen wir natürlich erst am Samstagnachmittag, wenn die Frankfurter Eintracht ins Neckarstadion kommt. Wir haben es schon im letzten Podcast gesagt und es gilt jetzt umso mehr: Die Zeit der Ausreden ist vorbei. Natürlich waren die Gründe für die schlechte Hinrunde handfest und auch, dass die sich nicht über Weihnachten in Luft auflösen. Enttäuschend war aber am Spiel in Freiburg nicht unbedingt die Niederlage an sich oder die weiter prekäre Tabellensituation, sondern die Tatsache, dass die Mannschaft nach dem Leipzig-Spiel in jeglicher Hinsicht wieder einen Schritt zurück gemacht hat. Ich erwarte, dass zumindest in der Haltung zum Spiel solche Rückschritte in den verbleibenden 14 Spielen nicht mehr vorkommen. Wer jetzt noch nicht kapiert hat, was auf dem Spiel steht, hat in der Startelf nichts zu suchen und mittlerweile ist der Kader des VfB auch in einem Zustand, der diese Forderung zulässt.
Kommen wir also zur
Personalsituation
Dass Florian Schock am Donnerstag seinen Vertrag bis 2024 verlängert hat ist natürlich erstmal schön, hat aber für das Spiel am Samstag erstmal keine Relevanz. Borna Sosa scheint seine Weisheitszahn-OP gut überstanden zu haben und scheint wie Silas auf der rechten Seite in der Startelf stehen zu können. Anders sieht es wohl bei Nikolas Nartey aus, der operiert werden muss und etwa zwei Monate ausfallen wird. Auch wenn nicht alle Spieler, die von langen Verletzungen zurück gekommen sind, schon bei 100 Prozent zu sein scheinen — hier sind auch Sasa Kalajdzic und Orel Mangala zu nennen — kann der VfB zumindest auf dem Papier aus dem Vollen schöpfen. Vielleicht mit Ausnahme von Li Egloff und Tanguy Coulibaly, die Anfang der Woche noch angeschlagen waren und auf jeden Fall mit Ausnahme von Omar Marmoush, der am Wochenende auf jeden Fall noch beim Africa Cup im Einsatz ist. Dafür aber mit Tiago Tomás, den wir Euch hier vorgestellt haben.
Wie sortiert sich das Ganze also?
Mögliche Aufstellung
Hier wird es interessant sein zu sehen, ob Pellegrino Matarazzo in der Länderspielpause neue Spielformen hat einüben lassen und zwar zu einem Grad, dass die Mannschaft diese gegen Frankfurt auf den Platz bringen kann. Von der Idee eines Trichters mit Ata Karazor hinter Mangala und Endo scheint sich Matarazzo zwischenzeitlich wieder verabschiedet zu haben. Einerseits spricht meiner Meinung nach viel für eine solche Variante, weil sowohl Freiburg als auch Leipzig bei ihren entscheidenden Treffern jeweils zum 2:0 das mangelhafte Umschaltverhalten des VfB nach hinten und den Raum zwischen Dreierkette und Doppelsechs nutzten. Andererseits ist Karazor mitunter von offensiven Mittelfeldspielern höheren Niveaus auch durchaus mal spielerisch überfordert und wird so zum Unsicherheitsfaktor, außerdem fehlt dir mit drei Leuten im defensiven Zentrum natürlich vorne ein Spieler und was wir noch dringender brauchen als eine zusätzliche defensive Absicherung sind Spieler, die vorne aufs Tor schießen oder andere so häufig wie möglich in möglichst aussichtsreiche Schusspositionen bringen.
Ich glaube nicht, dass Matarazzo, wie mitunter auch wegen des ersatzlosen Abgangs von Marc Oliver Kempf vermutet, grundsätzlich auf Viererkette umstellt. Sicherlich könnte Sosa mittlerweile anders als 2018/2019 auch einen klassischen Linksverteidiger spielen und ein Mavropanos oder ein Stenzel wären hinter einem seiner Defensivaufgaben weitestgehend entbundenen Silas eine solide Absicherung. Andererseits beraubt das den VfB meiner Meinung nach im Offensivspiel seiner Dynamik und die dürfte in den nächsten Wochen von großer Bedeutung sein. Ich könnte mir vorstellen, dass Matarazzo Tibidi zumindest was die Startelf angeht, mal eine Pause gönnt und eher auf das Überraschungsmoment Tomás setzt. Philipp Förster scheint sich aktuell ziemlich aus der Mannschaft gespielt zu haben, statt ihm könnte ein Chris Führich, der etwas zielgerichteter auftritt und die gefährlichen Standards der vergangenen Spiele wieder herausholt, gemeinsam mit Tomás für genügend Unruhe sorgen. Goalgetter sind sie alle beide nicht, es hängt immer noch viel von Sasa Kalajdzic ab, aber vielleicht hilft der frische Wind auf der rechten Mittelfeldseite auch Silas, weil er in Tomás einen neuen Anspielpartner hat, der für mehr Bewegung sorgt, als das Coulibaly in den letzten Spielen zu leisten imstande war. Gerade nach dieser Pause tue ich mich aber extrem schwer, eine Aufstellung zu prognostizieren.
Und wie sieht die
Lage beim Gegner
aus? Darüber haben wir mit SGE-Fan Nik (@Nik_Staiger) gesprochen.
Wie ist Dein Gefühl vorm Spiel?
Die Saison der Eintracht verläuft nicht unbedingt linear, weshalb man sich nicht zu sicher sein sollte, jedoch geht der Trend doch klar nach oben. Die Rückschläge zuletzt (Niederlagen gegen Dortmund und Bielefeld, Unentschieden gegen Augsburg) verunsichern mich deshalb nicht zusätzlich. Was einen nachdenklicher macht, ist der Fakt, dass die Eintracht statistisch gegen das obere Tabellendrittel am ehesten Punkte holt – und sie gegen schwächere Gegner zu gerne liegen lässt. Ansonsten stimmt mich die – sorry – erschreckende Form des VfB aber positiv. Die fünf torlosen Spiele sind nicht plötzlich verschwunden, weil Länderspielpause war und man Tiago Tomas verpflichtet hat (der auch selbst kein Goalgetter ist). Dieses Spiel sollte die Eintracht eigentlich gewinnen, auch wenn die Personallage Sorgen bereitet.
Wer fehlt bei Euch?
Die Eintracht fährt ohne zwei Leistungsträger nach Stuttgart. Filip Kostic kämpft mit einem grippalen Infekt und kann deshalb nicht antreten. Daichi Kamada konnte seinen Muskelfaserriss über die Länderspielpause nicht vollständig auskurieren. Beide Stammspieler werden der Eintracht fehlen und es könnte spannend werden, wie sie ersetzt werden sollen. Eine große Systemumstellung hat Oliver Glasner auf der Pressekonferenz ausgeschlossen, ein zweiter Stürmer könnte für Kamada aber aufs Feld kommen. Jens-Petter Hauge wäre hier zwar der logische Ersatz, Goncalo Paciencia könnte aber auch in die Startelf rücken.
Dazu ist auch die Lage um Rafael Borre unklar. Der Kolumbianer war in der Länderspielpause bei der Nationalmannschaft und es gab wohl Probleme mit dem Rückflug, weshalb er erst im Laufe des Freitags zurückkehren wird. Es ist also möglich, dass sowohl Hauge als auch Paciencia in der Startelf gebraucht werden. Auch Neuzugang Ansgar Knauff könnte auf den Halbpositionen aushelfen – mit dem Kostic-Ausfall wird seine Offensivkraft aber wohl auf dem Flügel gebraucht. Gut möglich, dass er für Kostic links einspringt und wir rechts wieder Timothy Chandler oder Danny da Costa sehen. Er könnte aber auch auf der rechten Seite debütieren, dann füllt Linksverteidiger Christopher Lenz für Kostic auf.
Mit Ragnar Ache (Muskuläre Probleme) und Diant Ramaj (Meniskus-Operation) fallen außerdem zwei Backups aus. Das bedeutet aber auch, dass ihr VfB-Fans euren Ex-Spieler Jens Grahl auf der Frankfurter Ersatzbank sehen werdet.
Was sind aktuell Eure Stärken und Schwächen und auf wen müssen wir besonders Acht geben?
Mit Kamada fällt bei der Eintracht sehr viel Kreativität aus, die die Eintracht gefährlich gemacht hat. Filip Kostic hinterlässt eine Lücke vor allem bei Wucht, Tempo und Flanken. Ein zuletzt sehr erfolgreiches Element war die Geschwindigkeit und Dribblingstärke von Jesper Lindström. Aus dem rechten Halbraum startete er immer wieder in die Tiefe und ist in gute Abschlusssituationen gekommen, war jedoch unglücklich im Abschluss. Wenn er diese Pechsträhne ablegt, könnte er gerade den oft sehr hoch stehenden Stuttgartern (wobei sich das zuletzt etwas defensiver gestaltete) gefährlich werden.
Wenn Makoto Hasebe in der Abwehrzentrale spielte, waren lange Bälle im Spielaufbau immer ein funktionierendes Element. Hasebe dribbelte gerne ins Mittelfeld an und überspielte dann anlaufende Gegner mit Bällen zwischen die Ketten. Spielt jedoch Martin Hinteregger zentral, macht sich zuletzt etwas die fehlende Spielkreativität bemerkbar. Besonders ohne Kostic und Kamada könnte Frankfurt Schwierigkeiten haben, offensive Ideen zu entwickeln. Für Stuttgart könnte es also empfehlenswert sein, etwas tiefer zu warten und dann die hohe Schnelligkeit von Spielern wie Silas, Borna Sosa oder auch Neuzugang Tiago Tomas auszuspielen.
Kostics Fehlen bietet Frankfurt aber auch einen positiven Aspekt, denn in seinem Rücken gab es immer wieder Löcher für den Gegner. Das hatte Glasner zuletzt mehrfach angesprochen. Da er sowieso Linksfüße links präferiert, wird wohl Lenz hier auflaufen und gerade gegen Silas eine stabilere Defensivarbeit leisten, als das von Kostic zu erwarten wäre – Lücken, die wiederum beim VfB hinter Silas entstehen, könnten dann aber ebenfalls nicht so effizient ausgenutzt werden.
Statistik
Die Eintracht hat sich nach schwachem Saisonstart mittlerweile ins entspannte Tabellenmittelfeld vorgearbeitet: Platz 9, 28 Punkte, 30:30 Tore. Nach einer kleinen Siegesserie im Dezember mit Erfolgen gegen Leverkusen, Gladbach und Mainz rumpelte es aber zuletzt ein bisschen, ließ man gegen die beiden Konkurrenten des VfB, Augsburg und Bielefeld, Federn und insgesamt vier Punkte. Erstaunlicherweise holte die Eintracht ihre Dreier vor allem gegen die Mannschaften des oberen Tabellendrittels: Siege gelangen gegen Bayern, Frankfurt, Union und eben Leverkusen. Rafael Borré und Jesper Lindström liefern mit sechs, respektive vier Treffern zwar keine Torrekorde, aber doch ziemlich solide ab. Es ist das insgesamt 102. Aufeinandertreffen der beiden Vereine, wenn man wie der Kicker ein Spiel im Hallenpokal 2001 dazurechnet. 97 davon fanden in der Bundesliga statt, der letzte Sieg und Heimsieg gegen die Eintracht gelang dem VfB wie gegen manch anderen Gegner in der Korkut-Rückrunde 2018: Ein Tor von Thommy nach 13 Minuten und unterm Strich 38 Prozent Ballbesitz sicherten damals den Sieg. Und wenn man in die weitere Historie blickt muss man festhalten: Die spannenderen Spiele gegen die Eintracht fanden eher in deren Waldstadion statt.
Ausblick
Aber wir brauchen ja auch Punkte und keine Spannung. Ich habe es eingangs schon angesprochen: Der VfB muss, muss, muss, muss dieses Spiel gewinnen. Muss er natürlich nicht, weil die Eintracht immer noch viel individuelle Klasse aufs Parkett bringt, aber der VfB braucht jetzt endlich so ein Spiel mit Signalwirkung wie das 3:2 gegen Hamburg in der zweiten Liga. Wir befinden uns gerade in einer ähnlichen Situation, wenn auch früher in der Saison: Das anvisierte Ziel scheint in Gefahr zu sein, eine weitere Niederlage wäre ähnlich verheerend wie es der damalige Halbzeit-Rückstand war. Sei es eine Einzelaktion oder eine neu gefundene Spielidee, die den Schalter umlegt (ja, ich weiß, bald hab ich alle sprachlichen Bilder durch): Es muss dringend passieren und zwar am Besten schon am Samstag und nicht die Woche drauf in Leverkusen, wenn man sich wahrscheinlich für eine gute Leistung wieder nicht mehr als warme Worte abholen kann. Der VfB hat in dieser Saison schon zu viele Chancen liegen gelassen, moralisch wichtige Siege zu feiern. Auch wenn die Saison nicht am 5. Februar endet: Gegen Frankfurt haben sie, endlich wieder vor immerhin hoffentlich 10.000 Zuschauern, die Gelegenheit, den schlechten Eindruck vom Freiburg-Spiel zu widerlegen. Egal, wer bei Frankfurt auf dem Platz steht: Die Mannschaft muss dazu in der Lage sein.
Titelbild: © Matthias Hangst/Getty Images