Auch gegen Frankfurt setzt es eine Niederlage für den VfB und allerorten scheint sich neben der steigenden Angst vorm Abstieg vor allem Ratlosigkeit breit zu machen.
Normalerweise schaue ich mir die Pressekonferenz nach dem Spiel nicht an, sondern begnüge mich damit, über die verschriftlichten, meist recht eintönig gehaltenen Statements drüberzulesen: “Enttäuscht, nächste Woche, bla bla”. Sollte ich aber vielleicht häufiger mal machen, denn es war so erschreckend wie aufschlussreich. Erschreckend war zum Beispiel, dass Oliver Glasners Co-Trainer Michael Angerschmid in der Halbzeit entdeckt hatte, dass der VfB bei den zahlreichen Ecken, die ihm in den ersten 44 Minuten um die Ohren flogen, den Rückraum bestenfalls halbherzig besetzte. Auf die Frage, wer beim 1:2 seinen Job nicht gemacht habe, antwortete Pellegrino Matarazzo leicht genervt mit “Spieler X”, weil er niemanden an den Pranger stellen wollte und ergänzte, dass es hier an taktischer Disziplin gemangelt habe. Wenn aber die zweite Führung der Frankfurter auf Erkenntnissen der ersten Halbzeit beruht — was sagt das über die grundsätzliche taktische Disziplin aus?
Überhaupt wirkte Matarazzo auf der Pressekonferenz ziemlich konsterniert ob der Diskrepanz zwischen der vor dem Spiel bei seiner Mannschaft wahrgenommen Fokussiertheit und dem Auftritt auf dem Platz. Natürlich plaudert da kein Trainer aus dem Nähkästchen. Aber man muss sich schon fragen, was da eigentlich aktuell genau schief läuft beim VfB. Nachdem man zwei Wochen und ein Trainingslager in Marbella mit fast der gesamten Mannschaft Zeit hatte, alles anders zu machen, blieb unterm Strich doch alles Beim Alten: Die Mannschaft hält hinten nicht dicht, sabotiert sich durch Fehlpässe und schlechte Zweikämpfe den Spielaufbau und verlegt sich dann auf Bälle, die so lang sind, dass sie nicht einmal Sasa Kalajdzic mit seinem zwei Metern erreicht oder die dem annehmenden Spieler vor der Auslinie keinen Platz mehr zur Weiterverarbeitung lassen. Und ich verstehe es nicht.
Was genau spielt Ihr da?
Ich verstehe nicht, liebe Herren mit dem Brustring auf dem Trikot, warum ihr nur so selten das gepflegte Kombinationsspiel aufzieht, mit dem ihr das 2:2 erzielt habt oder das Alexis Tibidi hätte veredeln können, hätte Sasa Kalajdzic ihn gesehen. Warum muss es immer wieder jener lange Ball sein, der meist in Räumen landet, wo für Steil/Klatsch-Kombinationen kein Platz mehr ist. Oder der einfach beim Gegner landeten, weil fürs Gegenpressing so weit vorne das Personal fehlt? Whatever happened to Bälle in die Halbräume und zwischen die Linien spielen? Matarazzo sprach auf der Pressekonferenz von jenen Zonen, in denen man ins Risiko gehen könnte und jenen, in denen man lieber den sicheren Ball spielen sollte. Was seine Spielidee in der vergangenen Saison und auch im Vergleich zu seinem Vorgänger auszeichnete, war der kontrolliert flache Aufbau hinten raus, der statt in Waltersche Passstaffetten in risikoreichere Steilpässen mündete. Ein Risiko, dass man mit Gegenpressing besser und mit Restverteidigung schlechter eingrenzen konnte. Stattdessen: Lange Bälle hinten raus, die postwendend zurückkommen und aufwändig wegverteidigt werden müssen.
Und warum lässt Ihr Euch direkt nach beiden Anpfiffen hinten reindrücken? Warum redet ihr nur über Frust und Feuer, statt diese in Energie auf dem Platz umzuleiten? Warum gelingt es auch jenen, die nicht an Spätfolgen von Verletzungen laborieren, nicht, an ihre mentalen und fußballerischen Grenzen und darüber hinaus zu gehen? Und warum verdammt nochmal haltet Ihr Euch nicht an taktische Vorgaben, die echt nicht zu komplex sind und das scheinbar nicht zum ersten Mal in dieser Saison? Zweimaliger Ausgleich hin oder her: Das 1:2 und seine Hintergrundgeschichte sind ein Armutszeugnis für jeden, der es im Profifußball zu etwas bringen will. Ist es zu viel verlangt, auf dem Platz selber die Verantwortung für Lösungen zu übernehmen, die Euch der Trainer offensichtlich lässt?
Warum setzen wir nicht auf unsere Stärken?
Oder ist vielleicht das das Problem, lieber Pellegrino Matarazzo? Wenn ich es richtig verstanden habe, rückte Waldemar Anton in der neu eingeführten Viererkette auf die Außenverteidiger-Position, weil er da mal ein paar Spiele für Hannover gemacht hat und das gerne wollte? Überhaupt wirft diese Viererkette bei mir Erklärungsbedarf auf. Klar, man muss jetzt sicherlich auch mal Impulse setzen und natürlich bieten Außenverteidiger mehr Absicherung für Flügelspieler als eine Dreierkette und mit etwas Glück auch mehr Offensivoptionen. Und natürlich haben wir auch schon immer gegen den Ball mit einer situativen Viererkette gespielt. Aber, mal abgesehen von der Innenverteidiger-Rochade: Warum berauben wir uns der wenigen Stärken die wir haben, in dem wir Sosa auch mit dem Ball in die Kette zurückziehen?
Warum schließen wir die Lücke, die Wataru Endo und Orel Mangala mit ihren derzeitigen Schwächen offenbaren, nicht mit einem soliden Ata Karazor, so wie es auch ein solider Pascal Stenzel als Rechtsverteidiger getan hätte? Mit Philipp Förster einen pressingstarken Spieler aufzustellen kann ja sinnvoll sein, aber auch nur, wenn die Gelegenheit zum Pressing besteht. Sind denn die zu langen Bälle pure Verzweiflung oder am Ende doch Plan? Wäre es nicht vielleicht doch sinnvoller gewesen, mit Tiago Tomás schon früher einen Überraschungsmoment einzusetzen, wenn der Rest der Mannschaft scheinbar sowieso nicht in der Lage ist, die Spielidee umzusetzen, auch wenn sie schon länger dabei sind? Sicherlich: Ich hab weder eine Trainerlizenz noch bin ich im Training dabei. Aber gegen Frankfurt schien kaum eine der Änderungen zu fruchten, die sehenswerte Kombination zum 2:2 wurde auch dadurch möglich, dass Sosa sich aus der Viererkette löste.
Wie soll es besser werden?
Pellegrino Matarazzos Entscheidungen und seine Einflussmöglichkeiten auf die Mannschaft in Frage zu stellen, möchte ich übrigens nicht als Forderung nach einem Trainerwechsel missverstanden wissen.
Bin übrigens durchaus offen für eine mit sinnvollen Argumenten geführte Trainerdiskussion, die aus mehr als zwei Worten besteht. Das war auf allen Ebenen hilflos heute, in einer Phase, in der man langsam einen Weg raus aus dem Mist erkennen muss. #VfB
— Lennart Sauerwald (@l_sauerwald) February 5, 2022
Die Replies auf diesen Tweet zeigen, dass es derzeit keine einfachen Lösungen gibt. Und nein, auch nicht den Trainer der U19. Sven Mislintats am Sonntag geäußertes Bekenntnis zum Trainer und zu einem möglichen Zweitligisten VfB sind bemerkenswert und aller Ehren wert, vor allem aber passen sie zu seiner bisherigen Haltung. Das hatte beim VfB in der Vergangenheit Seltenheitswert, wo man Lügen schon mal zum Selbstverständnis eines sportlich Verantwortlichen erklärte. Die zweite Liga ist mittlerweile — mal wieder — eine reale Option und wurde und wird offensichtlich einkalkuliert.
Alles andere wäre auch fahrlässig, gleichzeitig vermisse ich Lösungsansätze und Erklärungen, wie wir aus der aktuellen Situation, auf die wie Mislintat betont, niemand Lust hat, wieder rauskommen. Interessant auch, dass Thomas Hitzlsperger und Sven Mislintat hier gerade im Hinblick auf die Ansprache an die Mannschaft nicht mehr komplett einer Stimme sprechen. Good Cop, Bad Cop? Und wie steht eigentlich der neue Vorstandsvorsitzende zu dem Ganzen, der im Laufe des Aprils und damit unmittelbar vor Saisonende das Ruder übernimmt? Wenn es darum geht, einen Abstieg in letzter Minute abzuwenden oder zu moderieren, steht am Ende er in der Verantwortung. Nicht der Trainer, nicht der Sportdirektor und nicht der Aufsichtsrat.
Blickt man darauf, wie die Ergebnisse des VfB zustande kommen und wie sich die Tabellensituation gerade entwickelt, wird man nach der Erfahrung von zwei Abstiegen — wenn auch unter anderen Rahmenbedingungen — das Gefühl nicht los, dass das diese Saison in dir Hose geht. Weil einfach zu viel zusammen kommt. Das erklärt für mich aber immer noch nicht die Fehler, die zum sechsten sieglosen Spiel in Serie geführt haben. Und es erklärt nicht, wie man sich beim VfB das Zustandekommen einer Kehrtwende vorstellt.
Bitte erklärt mir, was das gegen Frankfurt sollte und warum ihr glaubt, dass so viel besser wird, dass es am Ende für den Klassenerhalt reicht. Denn ich verstehe es nicht.
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Titelbild: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images