Rund um das Corona und Fußball in Darmstadt

Vor dem letzten Geisterspiel dieser Saison haben wir uns mit Darmstadt-Fan Markus (@ariakethama) über die Situation in Darmstadt und bei den Lilien unterhalten.

Rund um den Brustring: Hallo Markus und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Zunächst einmal: Wie geht es Dir, wie waren die letzten Monate für Dich?

Markus: Mir geht es soweit gut. Ich bin bereits seit Anfang März im HomeOffice – und da ich im Online-Bereich arbeite, war der Übergang zumindest technisch keine Herausforderung. Ich würde allerdings lügen, wenn ich sagen würde, dass die Gesamtsituation spurlos an mir vorübergezogen ist. Mir fehlt der persönliche Kontakt zu den Kolleg*innen sehr und ich schätze es, im Normalfall im Büro zu sein. An dieser Umstellung hatte ich besonders zu Beginn ziemlich zu knapsen, inzwischen habe ich mich aber mit der Situation arrangiert. Ansonsten ist die Stadt Darmstadt glücklicherweise weit davon entfernt ein Corona-Ballungsgebiet zu sein, sodass die Lage hier zu keiner Zeit auch nur annähernd dramatisch war.

Zum Sportlichen: Die Lilien können die Saison schlechtestenfalls auf Platz 6 abschließen. Zufrieden? Oder ärgerst Du Dich, dass es am Ende nicht für mehr gereicht hat?

Ich bin mit dieser Saison absolut zufrieden. Man darf ja nicht vergessen, dass wir noch am 9. Spieltag auf einem direkten Abstiegsplatz standen und uns erst mit den starken Ergebnissen der Rückrunde Stück für Stück aus der Abstiegsregion nach oben gekämpft haben. Zudem hat die Mannschaft aus meiner Sicht gerade im Defensivbereich eine sehr ordentliche Entwicklung hingelegt. Trotzdem wäre es natürlich irgendwie auch lustig gewesen, die Aufstiegsaspiranten noch ein paar Spieltage länger den heißen Atem des Underdog-Verfolgers im Nacken spüren zu lassen. Aber wie gesagt: Ich bin sehr zufrieden.

Am Sonntag ist die wohl außergewöhnlichste Saison, die wir je erlebt haben, zuende. Wie lautet Dein Fazit zu den letzten Monaten und wie blickst Du auf die neue Spielzeit?

Die letzten Monate waren glaube ich für alle Fußballfans weltweit ungewohnt. Ich habe aber auch ein gewisses Verständnis für die Bundesliga-Vereine, dass sie sich dafür stark gemacht haben, die Saison ohne Zuschauer in den Stadien zu Ende zu spielen. Dass das ohne Zuschauer nicht cool ist, darüber brauchen wir nicht reden. Aber auch die Vereine, die inzwischen ja (leider) eher Wirtschaftsunternehmen sind, haben eine Verantwortung gegenüber ihren Angestellten – und da meine ich hier explizit nicht die Spieler. Und es ist ja kein Geheimnis, dass der Großteil der Einnahmen aus den TV-Geldern stammt, die nun mal nur dann fließen, wenn der Spielbetrieb weiterläuft. Ich kann daher – wenn man es mal vollkommen nüchtern betrachtet – auch die ganze Diskussion um die Sonderstellung, die dem Fußball angedichtet wurde, nur bedingt nachvollziehen. Warum sollte der Blumenladen an der Ecke unter Auflagen wieder öffnen dürfen, um sein Geschäft zu retten und seine Angestellten zu bezahlen und Fußballvereine aber nicht wieder spielen dürfen, um ihrerseits Angestellte zu bezahlen? Ja, der Vergleich mag hinken. Aber die Versäumnisse und Probleme liegen doch viel tiefer. Daran sollte nun dringend gearbeitet werden und wir Fans sollten dabei durchaus eine unbequeme Position einnehmen und die Vereine gemeinsam zum Handeln auffordern.

Was die neue Spielzeit angeht, bin ich zunächst einmal auf die Transferphase gespannt. Die steht dieses Mal ja auch stark unter den Corona-Auswirkungen und eine Kaderzusammenstellung dürfte durchaus knifflig werden. Ansonsten blicke ich mit sehr gemischten, wenn nicht sogar gedämpften Gefühlen auf die neue Saison. Eine Abkehr von Geisterspielen sehe ich so schnell nicht und der bunte, laute und lebendige Fußball, den wir alle so lieben, wird wohl noch eine ganze Weile nicht möglich sein.

Wie stehst Du zu einem Start der Saison 2020/21 mit Geisterspielen?

Natürlich würde ich mir wünschen, dass wir um weitere Geisterspiele herumkommen. Das halte ich in der aktuellen Situation aber für äußerst unrealistisch und auch unverantwortlich. Von daher gehe ich fest davon aus, dass die neue Saison vor leeren Rängen starten wird. Das finde ich zwar maximal ungeil, aber die derzeit einzige praktikable Lösung.

Kannst Du die Kritik, die in den letzten Monaten an der Branche laut wurde, nachvollziehen?

Wie weiter oben bereits erwähnt, habe ich für beide Seiten Verständnis. Die Kritik an der Branche kann ich aber absolut nachvollziehen. Alleine die Explosion der Transfersummen und Gehälter lässt sich uns normalsterblichen Fans ja nur noch schwer bzw. eigentlich gar nicht mehr vermitteln. Hier muss aus meiner Sicht dringend ein Umdenken stattfinden und nach Lösungen gesucht werden. Ob das nun eine Gehaltsobergrenze, die Deckelung von Transfersummen oder auch eine Art wirkliches Financial Fair Play ist, das diesen Titel nicht nur spazieren trägt, muss man sehen. Auf jeden Fall muss etwas passieren. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Welche Solidaritätsaktionen seitens der Fans gab und gibt es denn in Darmstadt für Risikogruppen und Einsatzkräfte? Hat sich der Verein daran beteiligt?

Bei uns in Darmstadt wird Solidarität seit jeher großgeschrieben – sowohl bei den Fans als auch im Verein. Unsere aktive Fanszene hatte bereits sehr früh mit Solidaritätsbekundungen auf Spruchbändern vor Krankenhäusern für Aufsehen gesorgt. Zu lesen waren darauf unter anderem Botschaften wie „Wenn ihr an eure Grenzen geht, seid sicher, dass diese Stadt hinter euch steht“. Es folgten Danksagungen an die Mitarbeiter von Supermärkten per Flugblättern und an andere systemrelevante Berufsgruppen.

Die größte Aktion in Darmstadt läuft unter dem Namen #soliDArisch. Dabei handelt es sich um eine Corona-Hilfe-Koordination für Darmstadt und Umgebung, bei der der SV Darmstadt 98 mit Unterstützung der Stadt Darmstadt sowie der Fan- und Förderabteilung und der aktiven Fanszene zwischen Hilfesuchenden und Hilfebietenden vermittelt: vom Einkauf für ältere Menschen über die Betreuung von Kindern berufstätiger Eltern bis hin zur psychologischen Unterstützung bei Fragen oder Ängsten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.

Wie hat sich der SVD deiner Meinung nach in der Krise und vor allem während der Spielpause verhalten und hat sich dein Verhältnis zum Profifußball allgemein und Deinem Verein im Speziellen verändert?

Da ich bereits seit einiger Zeit ehrenamtlich in der Fan- und Förderabteilung des SV Darmstadt 98 aktiv bin, kann ich sagen, dass das Verhältnis gerade was den Informationsaustausch zwischen Verein und Fans sowie das Miteinbeziehen der verschiedenen Fangruppen angeht, noch einmal intensiviert werden konnte. Nun sind wir in Darmstadt ohnehin in der glücklichen Lage, einen regelmäßigen, sehr offenen und vertrauensvollen Austausch zwischen Verein und Fanvertretern zu haben, wie wichtig und hilfreich das ist, hat die Corona-Krise aber noch einmal zusätzlich verdeutlicht.

Was mein persönliches Verhältnis zum Profifußball angeht, hat sich dieses nicht erst seit Corona sehr gewandelt. Ich liebe den Fußball schon seit ich ein kleiner Junge war. Eine Zeitlang habe ich sogar selbst beruflich davon profitiert und jedes Spiel im TV mitgenommen: Bundesliga, 2. Liga, DFB-Pokal, Supercup, Permier League, Primera Division, Serie A, Europapokal, Länderspiele – das volle Programm. Doch in den letzten Jahren habe ich mich mehr und mehr vom Profifußball entfernt. Die ständige Preistreiberei an allen Ecken und Enden verhagelt mir zunehmend den Spaß an diesem großartigen Sport. Und wenn ich daran denke, mit welcher Gier Rechteinhaber und Verbände versuchen, die Terminkalender immer voller und voller zu klatschen und den Fußball immer mehr ausquetschen zu wollen wie eine Zitrone, dann wird mir schlecht dabei. Zumal die Zitrone schon länger kaum noch einen Tropfen Saft hergibt.

Dennoch werde ich dem SVD aber natürlich auch weiterhin treu sein und möglichst viele Spiele pro Saison live verfolgen. Die festen Rituale rund um einen Stadionbesuch, die immer gleichen Nasen, die immer gleichen blöden Sprüche, fettige Wurst, lauwarme Getränke – so ganz ohne all das geht’s dann ja doch nicht 😉 .

Titelfoto: © Pool/Tom Weller/Pool via Getty Images

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