Rund um das Spiel auf St. Pauli

Am Sams­tag will der VfB im Aus­wärts­spiel am Mill­ern­tor nach dem Heim­sieg gegen Hei­den­heim nach­le­gen. Mit St. Pau­li-Fan Tim (@tim_ecksteen) vom Mill­ern­ton spra­chen für über die Par­tie und sei­nen Ver­ein.

Rund um den Brust­ring: Hal­lo Tim und vie­len Dank, dass Du Dir Zeit für unse­re Fra­gen nimmst. Zunächst ein­mal zu Dir: Wie bist Du St. Pau­li-Fan gewor­den und wie bist Du zum Mill­ern­ton gekom­men?

Tim: Ich will ganz ehr­lich sein: Ich habe dank mei­nes Opas eine Ver­gan­gen­heit mit einem ande­ren Ver­ein aus Ham­burg. Erst als ich 15–16 Jah­re alt war und Punk & Poli­tik Ein­zug in mein Leben hiel­ten, ver­lor ich mein Herz an den FCSP. Den Mill­ern­Ton in der jet­zi­gen Form mit Blog und Pod­cast auf einer Sei­te gibt es erst seit gut 20 Mona­ten. Vor­her war ich beim Fan­zine DER ÜBERSTEIGER aktiv (Print und Blog) und noch davor hat unser Fan­club Nice Guys Sankt Pau­li nen klei­nen Blog betrie­ben.

Auf dei­nem Twit­ter­ka­nal und auch in die­ser Rück­run­den­vor­schau beim Mill­ern­ton führst Du die expec­ted Goals-Wer­te, die fivethir­ty­eight ermit­telt, regel­mä­ßig zu einer Über­sicht zusam­men. Dar­an sehe ich, dass der VfB wesent­lich mehr Tore schie­ßen müs­sen, was in Stutt­gart nie­man­den über­rascht. Wie fällt der Ver­gleich zwi­schen xG und geschos­se­nen Toren für den FCSP aus und wie aus­sa­ge­kräf­tig ist das für Eure bis­he­ri­ge Sai­son?

Die xG-Wer­te sind über­ra­schend gut mit den erziel­ten und gefan­ge­nen Toren des FCSP ver­gleich­bar. Also ziem­lich beschei­den. So rich­tig ein Trend zu einer Unter- oder Über­per­for­mance ist da also nicht zu erken­nen.

Der Restrundenauftakt verlief für St. Pauli nicht optimal. © Getty/Bongarts
Der Rest­run­den­auf­takt ver­lief für St. Pau­li nicht opti­mal. © Getty/Bongarts

Nach­dem St. Pau­li direkt vor der Win­ter­pau­se über­ra­schend mit 3:0 gegen Tabel­len­füh­rer Bie­le­feld gewann, setz­te es unter der Woche eine Nie­der­la­ge in Fürth. Wie erklärst Du dir das Ergeb­nis?

Da muss ich etwas aus­ho­len: Grund­sätz­lich fällt es dem FCSP leich­ter gegen Teams „von oben“, die eine eige­ne Idee vom Ball­be­sitz­fuß­ball mit­brin­gen, zu spie­len, als gegen „Feh­ler­ver­mei­der“. Daher ist es auch nicht ver­wun­der­lich, dass wir in der Hin­run­de gegen den hsv gewon­nen haben, vier Punk­te aus den Spie­len gegen Bie­le­feld geholt und auch gegen den VfB Stutt­gart zumin­dest nicht baden gegan­gen sind.

Gegen Fürth hat es nun zum Auf­takt aus mei­ner Sicht vor allem des­we­gen nicht geklappt, da die Grund­for­ma­ti­on des FCSP der von Fürth unter­le­gen war. Und das ist für Jos Luhuk­ay und sein Ana­lys­ten-Team eigent­lich ziem­lich unty­pisch. Wir haben qua­si ohne ech­ten Sech­ser gespielt, Fürth dafür (recht über­ra­schend) mit zwei Stür­mern begon­nen. Dadurch ergab sich ein doch recht beacht­li­ches Loch im Sech­ser­raum des FCSP, wel­ches Fürth in den ers­ten 60 Minu­ten gut bespielt hat und so der FCSP eigent­lich nie wirk­lich Spiel­kon­trol­le erlan­gen konn­te. Es wirk­te dann ein wenig so, dass wir nicht mit der rich­ti­gen Aggres­si­vi­tät zu Wer­ke gehen wür­den, aber wir haben auch ein­fach kei­nen rich­ti­gen Zugriff auf Fürth gene­rie­ren kön­nen.

Aktu­ell steht Ihr in einer erneut sehr engen zwei­ten Liga mit 21 Punk­ten auf Platz 12, nur einen Punkt vor einem Abstiegs­platz. Machst Du Dir Sor­gen um den Klas­sen­er­halt, oder bist Du da ent­spannt?

Joa, doch schon, bei nur einem Punkt Vor­sprung musst Du dich zwangs­läu­fig damit befas­sen. Alles ande­re wäre ja an der Rea­li­tät vor­bei. Es könn­te auf jeden Fall eine enge Kis­te wer­den. Häu­fig machen ja Klei­nig­kei­ten den Unter­schied aus in der 2.Liga. Und da haben wir in den meis­ten Spie­len die­se Sai­son immer den Kür­ze­ren gezo­gen, teil­wei­se auch enorm ver­un­si­chert gespielt. Wenn sich die­ser nega­ti­ve „Flow“ wie­der­ein­stellt, dann kann das sehr eng wer­den.

In der Win­ter­pau­se ver­ließ Mats Mol­ler Dah­li den Ver­ein und spielt jetzt unter unse­rem Ex-Trai­ner Han­nes Wolf in Genk. Wie schwer wiegt der Ver­lust und soll­te der Ver­ein hier noch nach­le­gen, um ihn zu erset­zen?

Na klar soll­te der Ver­ein da noch nach­le­gen. Aber so einen Spie­ler des Kali­bers von Mats gibt der Markt ver­mut­lich nicht für einen Zweit­li­gis­ten in die­ser Situa­ti­on her. Der Ver­lust ist aus fuß­bal­le­ri­scher Sicht rie­sig. Aus mensch­li­cher Sicht ist er aber noch viel schlim­mer, da Mats die Wer­te des Ver­eins rich­tig ver­in­ner­licht hat­te und die­se auch offen­siv nach außen getra­gen hat.

Traf im Hinspiel noch gegen den VfB und kickt jetzt unter Hannes Wolf: Mats Moller Dahli (2.v.r.). © Getty/Bongarts
Traf im Hin­spiel noch gegen den VfB und kickt jetzt unter Han­nes Wolf: Mats Mol­ler Dah­li (2.v.r.). © Getty/Bongarts

Im Hin­spiel schoß eben­je­ner Mol­ler Dah­li den FCSP in Füh­rung, bevor der VfB die Par­tie in letz­ter Minu­te durch ein Tor von Gon­za­lez noch dreh­te. Wie war damals Dei­ne Stim­mung nach dem Spiel?

Die gan­ze Som­mer­vor­be­rei­tung des FCSP war ja von Que­le­r­ei­en geprägt. Zum einen hat­ten sich vie­le Spie­ler mit Ver­let­zun­gen her­um­ge­schla­gen. Und der vor­ma­li­ge Sport­chef Uwe Stö­ver hat­te einen auf­ge­bläh­ten Kader hin­ter­las­sen, der auch nicht viel Bewe­gung auf dem Trans­fer­markt zuließ und kurz vor dem ers­ten Spiel­tag hat Jos Luhuk­ay den gesam­ten Ver­ein man­geln­de Ein­stel­lung vor­ge­wor­fen. Das hat schon ziem­lich geses­sen. Es folg­te ein 1–1 in Bie­le­feld und eine ernüch­tern­de 1–3 Nie­der­la­ge gegen Fürth. Das Spiel in Stutt­gart zeig­te dann, dass wir doch schon noch mit­hal­ten kön­nen, auch mit dem VfB. Wir waren da tat­säch­lich die ers­ten 60 Minu­ten das bes­se­re Team. Ent­spre­chend war die Nie­der­la­ge sehr ärger­lich, aber zeig­te auch, dass wir doch noch zu etwas fähig sind.

Euer Kapi­tän Chris­to­pher Ave­vor ver­letz­te sich beim Hin­spiel in Fürth und ver­passt jetzt auch das Rück­spiel gegen den VfB. Wie schmerz­lich wird er in der Abwehr ver­misst?

Die Ver­let­zung schmerz­te zual­ler­erst direkt im Spiel, da wir uns im glei­chen Spiel­zug das 0–1 und noch in Schock­star­re das 0–2 fan­gen. Im Anschluss an die Ver­let­zung wur­de James Law­rence ver­pflich­tet, der das Feh­len von Ave­vor auf­fan­gen konn­te (inzwi­schen lei­der ver­letzt). Und dann hat sich der etat­mä­ßi­ge Links­ver­tei­di­ger Dani­el Bubal­la in die Rol­le des Innen­ver­tei­di­gers rein­ge­spielt und auch Phil­ipp Zier­eis ist nach sei­nem Kreuz­band­riss wie­der fit.
Aber klar, Chris Ave­vor ist nicht umsonst zum Kapi­tän bestimmt wor­den. Der ist schon immer vor­an­ge­gan­gen und das hat an der ein oder ande­ren Stel­le in der Hin­run­de sicher gefehlt.

Für Ex-VfBler Boris Tashchy (ganz links) läuft es in Hamburg nicht optimal. © Getty/Bongarts
Für Ex-VfBler Boris Tash­chy (ganz links) läuft es in Ham­burg nicht opti­mal. © Getty/Bongarts

Unser ehe­ma­li­ger Stür­mer Boris Tash­chy wech­sel­te im Som­mer nach Ham­burg, konn­te aber noch kein Tor erzie­len. Wie läuft es für ihn?

Nicht so pri­ckelnd. Er hat­te sich direkt zu Beginn der Vor­be­rei­tung ver­letzt und ist dann in der gesam­ten Hin­se­rie dem Team hin­ter­her­ge­lau­fen. Nun in der Win­ter­vor­be­rei­tung scheint sich die Rang­lis­te vor­ne im Sturm etwas ver­scho­ben zu haben, sei­ne Ein­wechs­lung gegen Fürth spricht jeden­falls dafür.

Wesent­lich treff­si­che­rer sind Dimi­tri­os Dia­man­t­a­kos (fünf Tore) und Vik­tor Gyö­ke­res (sechs Tore). Auf wen müs­sen wir noch auf­pas­sen?

Defi­ni­tiv Henk Veer­man. Den könnt ihr aber auch gar nicht über­se­hen, der ist näm­lich 2,01 Meter groß (und trotz die­ser Grö­ße geht er fast jedem Kopf­ball aus dem Weg). Von der Grö­ße soll­te man sich aber nicht täu­schen las­sen. Der Typ ist tech­nisch sicher der bes­te Spie­ler bei uns im Kader und kann ohne Über­trei­bung pro­blem­los meh­re­re Spie­ler auf engs­tem Raum aus­spie­len. Dazu kommt eine gera­de­zu gespens­ti­sche Fähig­keit hohe Bäl­le run­ter­zu­fi­schen wie einst Den­nis Berg­kamp. Und er sieht auch nicht danach aus, aber ist auf den ers­ten Metern rich­tig schnell.

Und was sind der­zeit die Schwä­chen der Mann­schaft?

Zwar haben wir mit Vic­tor Gyö­ke­res und Ryo Miyai­chi zwei recht gute Beset­zun­gen auf den Außen­po­si­tio­nen, aber dahin­ter wird der Kader dünn. Und zwar so rich­tig dünn. Das liegt zum einen an der nun schon län­ge­ren Ver­let­zung von Chris­ti­an Conteh, der zu Beginn der Sai­son groß auf­spiel­te (ihr erin­nert euch viel­leicht an sei­ne Vor­la­ge im Hin­spiel), aber außer ihm hat kein ein­zi­ger Spie­ler im Kader da wirk­lich Druck auf die Stamm­spie­ler auf­bau­en kön­nen. Da kanns­te dann auch nicht mehr viel von der Bank brin­gen, wenn einer der bei­den mal nicht so rich­tig in Fahrt kommt bei nem Spiel. Das ist schon bit­ter.  

Jos Luhuk­ay ist jetzt seit einem knap­pen Drei­vier­tel­jahr Trai­ner. Wie bewer­test Du sei­ne Arbeit bis­her und glaubst Du, sein Stuhl könn­te wackeln, wenn St. Pau­li noch unten rein­rutscht?

Lei­der ja. Ehr­lich gesagt ist Jos schon seit Anfang an sehr umstrit­ten in der Fan­sze­ne. Ihr habt ihn und sei­ne Art ja auch beim VfB ken­nen­ler­nen dür­fen. Das kommt nicht bei jedem gut an, vor allem, wenn es dann auch von den Ergeb­nis­sen her nicht läuft. Ich per­sön­lich hal­te Jos Luhuk­ay aus fach­li­cher Sicht für einen der bes­ten Trai­ner, die es in den letz­ten Jah­ren beim FCSP gege­ben hat. Es ist zum Bei­spiel zum ers­ten Mal seit Jah­ren eine wirk­li­che Idee vom Spiel bei eige­nem Ball­be­sitz vor­han­den, Struk­tu­ren und Mus­ter, die sich wie­der­ho­len und die funk­tio­nie­ren. Zusätz­lich stellt die Nie­der­la­ge gegen Fürth vor allem des­we­gen eine Aus­nah­me da, weil da der Match­plan nicht auf­ge­gan­gen ist. Das ist in die­ser Sai­son bis­her sel­ten pas­siert. Gegen euch im Hin­spiel ist der Match­plan von ihm ja auch zu Beginn per­fekt auf­ge­gan­gen.

Wel­che The­men beschäf­ti­gen denn die St. Pau­li-Fans der­zeit abseits des grü­nen Rasens?

Viele Themen beschäftigen die Fanszene des FCSP gerade. © Getty/Bongarts
Vie­le The­men beschäf­ti­gen die Fan­sze­ne des FCSP gera­de. © Getty/Bongarts

Tra­di­tio­nell vie­le. Sehr vie­le. Und das ist auch gut so. Ich nen­ne mal zwei aktu­el­le The­men: Letz­te Woche hat der DFB lan­ge ver­han­delt, ob der FCSP eine Stra­fe für eine Soli­da­ri­täts-Cho­reo für kur­di­sche Gebie­te in Syri­en, die von der Tür­kei im Herbst ange­grif­fen wur­den (#riseup4rojava) aus­spricht. Hier hat der DFB wohl Druck vom tür­ki­schen Ver­band und der FIFA bekom­men und soll­te die­se Cho­reo ankla­gen (in Sta­di­en sind ja eigent­lich jeg­li­che poli­ti­schen Trans­pa­ren­te etc. ver­bo­ten). Das war schon ziem­lich arm­se­lig vom DFB. Ein zwei­tes The­ma wer­det ihr am Sams­tag im Sta­di­on und vor allem danach mit­be­kom­men. In Ham­burg soll ein neu­es Poli­zei­ge­setz kom­men, wel­ches die Befug­nis­se der Poli­zei gera­de­zu uner­mess­lich aus­wei­ten wür­de. Dage­gen regt sich bereits seit Mona­ten Wider­stand (übri­gens auch beim hsv). Am Sams­tag wird es direkt nach dem Spiel eine gro­ße Demo gegen die­ses Poli­zei­ge­setz geben, die auch direkt am Sta­di­on star­tet.

Und das waren nur die Din­ge, die uns in den letz­ten Tagen bewegt haben. Sicher eines der gro­ßen The­men der Sai­son war die Cau­sa Cenk Sahin, der sich soli­da­risch mit dem tür­ki­schen Krieg gegen die kur­di­sche Min­der­heit zeig­te. Damit mach­te er sich unhalt­bar für den Ver­ein. Und dann gab es noch eine geplan­te Ver­an­stal­tung mit dem Ham­bur­ger Innen­se­na­tor Andy Gro­te, der in der Süd­kur­ve (übri­gens die Kur­ve der Ultras) bei einer Podi­ums­dis­kus­si­on zum The­ma „Wer­te im Fuß­ball“ mit­dis­ku­tie­ren woll­te. Das sorg­te auch für mas­si­ves Unver­ständ­nis in der Fan­sze­ne.   

Zum Abschluss: Dein Tipp fürs Spiel und für die Sai­son des FC St. Pau­li?

Ich bin da hoff­nungs­lo­ser Opti­mist und tip­pe auf ein 2–0 Heim­sieg. Was die Sai­son angeht: Ganz schwie­ri­ger Tipp. Zwi­schen Platz 4 und 18 ist alles mög­lich, ist halt die Fra­ge wel­cher Weg jetzt ein­ge­schla­gen wird. Ich neh­me daher die Mit­te und sage wir lan­den auf Platz 11 😉

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