Der VfB ist gegen Freiburg nicht wirklich schlechter, aber auch nicht gut genug, um einen erneut frühen Rückstand auszugleichen.
Es passiert nicht häufig, aber mindestens einmal pro Spiel ist es viel zu einfach, gegen den VfB Tore zu schießen. Ito ist im Ballbesitz und schlägt am eigenen Strafraum einen ziellosen Ball zur Mittellinie. Vielleicht hat der Empfänger auch einfach gepennt. In diesem Moment ist der VfB in der Vorwärtsbewegung, Außenbahnspieler Josha Vagnoman befindet sich gar jenseits der Mittellinie. Freiburg holt sich den Ball, schaltet um, bleibt aber 20 Meter vor dem VfB-Strafraum an zwei Brustringträgern hängen. Ritsu Doan, einer der wenigen Lichtblicke in der Bielefelder Abstiegsmannschaft der letzten Saison, holt sich den Ball aber wieder und legt ihn raus auf den 20jährigen Kilian Sildillia, von dem vor dem Spiel wahrscheinlich keiner von uns was gehört hat. Nach dem Ballgewinn Doans hört die komplette Hintermannschaft des VfB einfach auf, Fußball zu spielen. Sildillia kann unbedrängt aus dem Halbfeld flanken und vorne sehen sich Gregoritsch und Grifo drei VfB-Verteidigern gegenüber: Waldemar Anton, der sich von Gregoritsch löst, den Ball aber nicht ins Aus köpft, Dinos Mavropanos, der Grifo hinter sich vergisst und Josha Vagnoman der in gemäßigtem Tempo nach hinten trabte, durch den Ballverlust rechtzeitig ankam und am Ende doch Grifo durchlaufen ließ.
Warum ich das so detailliert beschreibe? Weil diese Szene einerseits exemplarisch für unser mitunter katastrophales Umschaltverhalten nach hinten steht und weil den Freiburgern andererseits dieser noch nicht mal besonders anspruchsvolle, aber offenbar eingeübte Spielzug reichte, um den VfB in Schach zu halten. Der Kicker zitiert Sven Mislinat
“Das haben wir nicht sauber verteidigt bekommen, das muss man ganz klar sagen”, stellte Stuttgarts Sportdirektor Sven Mislintat am Mikrofon von “Sky” nüchtern fest. Und das obwohl gerade solche Situationen “eine ihrer maximalen Stärken sind”. Die Freiburger Mannschaft verstehe es, aus “jeder Situation gute Flanken zu schlagen, Räume gut zu besetzen, durchzulaufen auf den zweiten Pfosten”. Die Stuttgarter Defensive hatte das in dieser Szene wohl vergessen.
Dabei zeigte die Lernkurve der Brustringträger nach 20 völlig wehrlosen Minuten gegen Bremen eigentlich nach oben. Die Mannschaft war vor — und nach — dem Gegentreffer gut im Spiel, spielte sich gefällig ihre Kombinationen heraus…und scheiterte dann an der eigenen Unbeholfenheit oder an der konsequenten Verteidigungsarbeit der Freiburger. Ein Kopfball von Mavropanos nach 35 Minuten war der erste gefährliche Ball, den Gästekeeper Flekken auf seinen Kasten bekam. Ansonsten war es ein Festival der versprungenen Bälle, verstolperten Dribblings oder verzogenen Abschlüsse. Vorher sah das alles gut aus: schöne Diagonalbälle gutes Umschalten nach Ballgewinnen, aber der Aufwand, den Freiburg betreiben musste, um den eigenen Kasten sauber zu halten, blieb überschaubar. Was auch dadurch deutlich wurde, dass der VfB aus 17 Schüssen Richtung Tor nur 0,7 expected goals generierte. Heißt: Im Schnitt hatte ein Torschuss des VfB eine vierprozentige Wahrscheinlichkeit, das Tor zu treffen.
Disbalance zwischen solide und harmlos
Den Freiburgern hingegen reichen halb so viele Torschüsse, um aufaddiert in etwa das von der Statistik erwartete Tor zu schießen. Und drei Punkte mitzunehmen, weil es gegen uns halt reicht, einmal hellwach zu sein und für den Rest der Spielzeit den Ball laufen zu lassen, abgesehen von der Umstellung auf Fünferkette nach einer Stunde, die gegen die sehenswerten aber harmlosen Angriffe des VfB wahrscheinlich Kräfte für die im Herbst anstehende Dreifachbelastung sparen soll. Spielerisch standen sich da zwei Mannschaften auf Augenhöhe entgegen, aber die abgezocktere nahm die Punkte mit. Ich will mich hier gar nicht in Nebenkriegsschauplätzen wie acht Minuten Nachspielzeit oder einem möglichen Gewinn beim Handspielroulette verlieren: Was der VfB über 98 Minuten defensiv zeigte, war — mit einer Ausnahme — solide. Was der VfB über 98 Minuten offensiv zeigte, war schön, aber harmlos. Aus dieser Disbalance resultiert die erste Pflichtspielniederlage seit eben der unsäglichen Pleite in Berlin Ende April.
Wahrscheinlich reicht das gegen genügend Bundesligamannschaften, die defensiv wie offensiv ähnliche Probleme haben, um am Ende die Klasse zu halten. Der VfB nimmt das Spiel wieder von der ersten bis zur letzten Minute an, schießt sich aber mit seinen Umschaltproblemen ins Knie und ist anders als gegen Bremen nicht mehr in der Lage, die konzentriert verteidigenden und gefährlich konternden Gäste zu knacken. Die müssen wiederum nur einen überschaubaren Aufwand betreiben, um zu gewinnen: Gegen uns reicht es halt. Wir müssen nur aufpassen, dass es trotz der Probleme gegen Gegner wie Köln, Schalke, Augsburg oder Hertha reicht. Dafür muss die Mannschaft ihr Potenzial voll ausschöpfen. Ein Chris Führich beispielsweise trifft offensiv zu häufig die falsche Entscheidung, zu viele Spieler übersehen den besser postierten Mitspieler und wollen mit dem Kopf durch die Wand. Hinten muss es jemanden geben, der das ganze Spiel über hellwach ist, und notfalls seine Nebenleute wachrütteln kann. Eine Niederlage gegen Freiburg ist schon lange keine Schmach mehr. Vielmehr nervt jetzt das Unentschieden in Bremen. Aber auch aus dem Freiburg-Spiel muss man seine Lehren ziehen.
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