Auch am ominösen Deadline Day hat der VfB noch einmal auf dem Transfermarkt zugeschlagen und angesichts der aktuellen Verletzungsmisere mehr Geld in die Hand genommen, als man es zuletzt vermutet hätte: Vom dänischen Erstligisten Vejle BK kommt der 18jährige Stürmer Wahid Faghir. Wir haben uns für Euch in Dänemark umgehört.
“Ihr habt ihn gefordert, ihr bekommt ihn” — mit diesen ungewohnt dramatischen Worten gab das Social Media-Team des VfB gegen viertel vor sechs am Dienstagnachmittag die Verpflichtung von Wahidullah — kurz Wahid — Faghir vom dänischen Superligisten Vejle Boldklub bekannt. Der 18jährige Mittelstürmer unterschrieb unter den wachsamen Augen von Thomas Hitzlsperger einen Fünfjahresvertrag (das mit Hitzlsperger suggeriert zumindest das Foto) und löste auf Twitter Jubelstürme aus, anderswo mindestens Anerkennung. Wer also ist Faghir, den man in Deutschland zuletzt bei der U21-Europameisterschaft aus nächster Nähe betrachten konnte als er die dänische Mannschaft in Führung schoss, später aber mit ihr im Elfmeterschießen ausschied? Um das herauszufinden, haben wir uns mit zwei Experten unterhalten: Zum einen Toke Theilade (@TokeTheilade), eigentlich Fan von Vejles Ligakonkurrent Brøndby, aber auch ein Fußballjournalist, der sich in Dänemark auskennt und die Seite Vilfortpark.dk betreibt, zum anderen Martin Hildebrandt (@MartinHildebr13), ein VBK-Fan.
Wie so häufig bei jungen Talenten ist die Vorstellung ihrer Vita relativ kurz. Bei Faghir ist sie sogar ziemlich monothematisch: Vejle. In der 58.000-Einwohner-Stadt in der Region Süddänemark (das ist die Region, die an Deutschland angrenzt) wurde er 2003 geboren und dort begann er auch mit sechs Jahren mit dem Fußballspielen bei jenem Verein, der Martin zufolge nur wenige Kilometer von Faghirs Elternhaus sein Stadion stehen hat und dem er bis eben zum 31. August 2021 angehörte: dem Vejle Boldklub oder auch Jyllands Rubin, wie es in Martins Twitter-Bio heißt, der Rubin Jütlands, des westlichen Landesteils von Dänemark. Der Rubin Jütlands lebt aktuell vor allem von seiner Vergangenheit, von fünf Meistertiteln — der letzte 1984 — und fünf Pokalsiegen — zuletzt 1981 — und von Helden vergangene Tage: Allan Simonsen, Europas Fußballer des Jahres 1977 und Spieler in Mönchengladbach, oder Thomas Gravesen, HSV-Spieler der 90er Jahre. Wie Toke feststellt, hat Faghir also große Fußstapfen auszufüllen, aber auch eine erstklassige Ausbildung genossen. Nicht umsonst bezeichne VBK ihn als das größte Talent, das der Verein je hervorgebracht habe, so Toke. 2018 stieg dieser Verein von der 1. Division in die Superligaen auf, 2019 aber — parallel zum VfB, direkt wieder ab. 2020 gelang die Zweitligameisterschaft und in der abgelaufenen Saison in der zehn Spiele dauernden Abstiegsrunde der Klassenerhalt, zum ersten Mal seit über zehn Jahren, wie Martin berichtet.
Der 17jährige Stammspieler im Abstiegskampf
Im vergangenen Jahr begann auch die Profikarriere Faghirs bei seinem Heimatklub, als er im Juni nach der Corona-Pause am 24. Spieltag sein Debüt gab und im Spiel darauf beim 5:3 gegen Hvidovre IF gleich sein erstes Tor schoss — etwa einen Monat vor seinem 17. Geburtstag. In den verbleibenden Spielen sollten zwei weitere Treffer folgen. Nach dem Aufstieg wurde er in der Superligaen zum Stammspieler, stand in allen 22 Partien auf dem Platz, 20 Mal in der Startelf, schoss fünf Tore und bereitete zwei vor. Die anschließende Abstiegsrunde verpasste er zur Hälfte durch eine Oberschenkelverletzung, steuerte aber in den letzten vier Partien noch ein Tor bei. Dass Faghir als 17jähriger im Sturm gesetzt war, obwohl Vejle noch einige andere Stürmer auf Leihbasis verpflichtete, findet Martin “ziemlich beeindruckend”. Zu den fünf Erstliga-Toren der vergangenen Saison kamen in der aktuellen Spielzeit zwei weitere, womit er laut Martin der jüngste Spieler ist, der in der ersten dänischen Liga sieben Tore erzielt hat. Auch während eines Leistungsabfalls der Mannschaft, der auch ihn ereilte, habe er gegen den späteren Meister Brøndby getroffen und nach seiner Verletzung die Mannschaft in der Abstiegsrunde geprägt. Bereits in der Hauptrunde sei er eine wichtige Stütze des Teams gewesen, ergänzt Toke, trotz seines jungen Alters.
Blicken wir mal abseits der Scorerpunkte, auch wenn die, anders als auf anderen Positionen, natürlich bei einem Stürmer schon einen guten Anhaltspunkt liefern. Martin zufolge habe Faghir in Vejle meist in einem 3–5‑2 oder einem 4–4‑2 als Mittelstürmer agiert, jedoch nicht als reiner Strafraumspieler, wie Martin betont: “Ab und zu geht er gerne etwas außerhalb des Strafraums, um den Ball aufzunehmen – er ist gut darin, seine Physik zu nutzen, um den Ball zu decken und die Verteidiger fernzuhalten”. Toke führt das weiter aus: Faghir sei wichtig für das Aufbauspiel gewesen, insbesondere weil Vejle als Aufsteiger meist sehr tief stand. Faghir sei in der Lage gewesen, den Ball gut mit dem Rücken zum gegnerischen Tor abzuschirmen und seine nachrückenden Mitspieler in Position zu bringen. Toke sieht ihn deshalb als ziemlich kompletten Stürmer, der sowohl als Sturm- wie auch als hängende Spitze agieren kann. Stärken sehen beide Experten vor allem in seiner Physis, seiner guten Technik und seinem Überblick im Spiel ohne Ball — “er sucht nach Torchancen”, so Martin. Ein tieferer Blick in die Zahlen unterstreicht nochmal Faghirs Stärken: seinen sechs Treffer in der vergangenen Spielzeit stehen nur 3,7 expected goals (Quelle: Superligaen) gegenüber und das obwohl das gesamte Team in 32 Saisonspielen auf den ligaweit niedrigsten Wert von 35,3 xG kommt. Er machte also viel aus seinen Chancen, hatte aber auch nicht viel Unterstützung. Faghir hat laut Toke, der diese Statistiken für uns rausgesucht hat, zudem mit 20 Prozent die zehntbeste Trefferquote aller Spieler mit mehr als 30 Torschüssen und erarbeitete 21 Chancen für seine Mannschaft. Eine Schwäche sieht Martin höchstens im Kopfballspiel sieht, obwohl Faghir gegen Brøndby ein “perfektes Kopfballtor” erzielt habe und bei gegnerischen Standards auch vor dem eigenen Tor aushelfe. Toke sieht ihn aufgrund seiner Größe von 186 Zentimetern und seiner Physis für Kopfballduelle gut gerüstet.
Ein teurer Vorgriff
Nicht nur in der Liga, auch im Nationaltrikot sorgt der Teamkollege von Nikolas Nartey und Ex-VfB-Spieler Jacob Bruun Larsen für Aufmerksamkeit. Er debütierte nach Einsätzen in den jüngeren U‑Mannschaften im März bei der ersten Hälfte der Europameisterschaft in der U21 und erzielte beim Viertefinalaus nach Elfmeterschießen gegen den späteren Europameister Deutschland mit Mateo Klimowicz drei Minuten nach seiner Einwechsung den Treffer zum 1:0. Natürlich ist er auch der jüngste Debütant in der dänischen U21, bei der er aktuell auch wegen der Länderspielpause weilt und am kommenden Dienstag ein Testspiel in Kasachstan bestreitet. Die Hoffnung, dass er in wenigen Jahren auch in der A‑Nationalmannschaft spielt, ist genauso groß wie der Sprung von einer U‑Mannschaft zu den Herren. Und von der Superligaen in die Bundesliga übrigens. Martin vermutet, dass nur die dänischen Topteams eine Chance beim südlichen Nachbarn hätten, gleichzeitig hätten es schon viele Dänen in die Liga geschafft, so dass er auch davon ausgeht, dass Faghir in dieser Saison zu Einsätzen kommt. Weswegen viele Vejle-Fans den Transfer auch positiv sehen: Faghir brauche Spielpraxis im Herrenbereich auf einem höheren Level, keine Einsätze in den Jugendmannschaften oder auf der Bank.
Nun, wie bewertet man einen solchen Transfer? Laut Kicker legt der VfB für Faghir mindestens 4,5 Millionen Euro auf den Tisch, eine Summe, die nach gängiger Lesart für diesen Sommer nicht mehr eingeplant war.
Wenn du dein Transferbudget um mehrere Millionen überziehen musstest, weil ein paar Verrückte auf Twitter es gefordert haben:#VfB pic.twitter.com/BczFR1QQjd
— der Laokrat (@der_Laokrat) August 31, 2021
Gleichzeitig weist Toke daraufhin, dass die Ablösesumme gut und gerne doppelt so hoch gewesen wäre, wenn Faghir bei einem größeren Club spielen würde. Wahrscheinlich war die Gelegenheit, ihn zu verpflichten, für Sven Mislintat einfach zu gut, um sie auszulassen. Gleichzeitig dürfte klar sein, dass der VfB damit einen finanziellen Vorgriff auf die Winter- und vielleicht sogar die kommende Sommertransferperiode tätigt. Sollte der Neuzugang, was man aktuell leider betonen muss, verletzungsfrei bleiben, kann das eine durchaus sinnvolle Strategie sein. Denn Sasa Kalajdzics Vertrag läuft Stand jetzt 2023 aus und Faghir scheint von der Spielweise eine 14 Zentimeter kleinere und sechs Jahre jüngere Version von Sasa zu sein. Sollte er sich ähnlich entwickeln, hätten wir jetzt schon einen Ersatz.
Optionen mit Potenzial
Womit wir zum Knackpunkt des Transfers kommen, dem Knackpunkt vieler Transfers von jungen Spielern: Das Potenzial scheint anders als bei älteren Spielern riesig, was auf dem Weg bis zur annähernden oder vollen Ausschöpfung dieses Potenzials passiert, ist jedoch offen. Natürlich haben Spieler wie der ebenfalls vor kurzem 18 Jahre alt gewordene Beyaz oder eben Faghir bereits Erfahrungen im Herrenfußball gesammelt, aber eben auch noch nicht auf Bundesliga-Niveau und auch größere Leistungsschwankungen sind bei jungen Spielern nichts ungewöhnliches. Gleichzeitig fällt es aktuell sehr schwer, bei VfB-Transfers besonders pessimistisch zu sein, nachdem ein Spieler aus der österreichischen und der zweiten französischen Liga in der letzten Saison für und die Bundesliga in Grund und Boden schossen und ein Jugendspieler von PSG den BVB nass machte. Wobei gerade Tang Coulibaly auch ein gutes Beispiel ist, wie eine kometenhafte Entwicklung zumindest kurzzeitig ins Stocken geraten kann.
Ich denke dennoch: Wir können nach den bisherigen Erfahrungen ein gewisses Grundvertrauen in Sven Mislintat und Pellegrino Matarazzo setzen und uns auf die Debüts von Beyaz und Faghir im Brustring freuen — den beiden aber gleichzeitig nicht die Erwartungshaltung aufbürden, genauso performen zu müssen wie ihre Mannschaftskollegen im vergangenen Jahr. Keiner der beiden und auch nicht Omar Marmoush wird die Tore von Sasa und Silas alleine ersetzen können. Aber wir haben, wie ich bereits gestern zur Marmoush-Leihe schrieb, wieder mehr Optionen. Jetzt und in der Zukunft.
Titelbild: Claus Fisker
lalalalalalalaaaaaaah, VfBeeeeeeeeeeeeeeh Stuttgaaaaaaaaaart.
We are young, we are wild, we are Stuttgart D Y N A M I TE.
The team with the red frontring!
VfB ein Leben lang.
Es grüßt 1893seit1976
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