Der VfB hat gestern einen neuen Innenverteidiger geholt: Marcin Kamiński, ein 24jähriger linksfüßiger Innenverteidiger, der ablösefrei vom polnischen Erstligisten Lech Posen kommt. Wir haben mit Jacek Staszak (@jaceksta), einem polnischen Sportjournalisten über Kamiński gesprochen, um mehr über den neuesten Brustringträger zu erfahren.
Rund um den Brustring: Hallo Jacek, vielen Dank, dass Du dir die Zeit genommen hast, Fragen zu unserem Neuzugang zu beantworten. Vielleicht erstmal kurz zu Dir: Was machst Du, für wen schreibst Du?
Jacek Staszak: Hallo Lennart. Ich bin 25 Jahre alt und schreibe für die polnische Sport-Webseite sport.pl, die zur überregionalen polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza gehört. Ich lebe in Posen, berichte aber auch über andere Vereine der Ekstraklasa.
Rund um den Brustring: Zu Marcin Kamiński. Was sind seine Stärken, was seine Schwächen?
Jacek Staszak: Seine Hauptstärke ist das Stellungsspiel, auch wenn er manchmal unkonzentriert ist, und das Passpiel. Er ist kein Verteidiger, der sich nur auf Grätschen verlässt, eher versucht er vorherzusehen, was passiert. Seiner Meinung nach kann man mit dieser Art zu spielen erfolgreich sein. Meiner Meinung nach sagt er das aber auch, weil ihm die Physis fehlt. Ihm fehlt die körperliche Stärke, um Zweikämpfe erfolgreich zu bestreiten, er hat auch nicht viele während eines Spiels. Bei 191 cm sind 76 kg auch etwas wenig. Hebert von Piast Gliwice beispielsweise, ist elf Kilo schwerer und setzt sich besser gegen Stürmer durch. Kaminski hat auch ein Problem damit, Risiken im Spiel richtig einzuschätzen. Nicht in dem Sinne, dass er unvorsichtig grätscht und sich damit eine rote Karte holt — eher das Gegenteil. Als Lech im April bei Legia gespielt hat, hätte er Prijovics Schuss mit einer Grätsche unterbinden können, stattdessen hat er nur zugeschaut, was passiert.
Rund um den Brustring: Die Abwehr die uns zum Abstieg geführt hat, war ziemlich erbärmlich. Sie waren weder besonders zweikampfstark, noch konnten Sie das Spiel gut mit intelligenten Passen nach vorne eröffnen. Kann Kaminski uns in diesen Bereichen verstärken?
Jacek Staszak: Zweikämpfe sind nicht seine Stärke. Aber wenn es darum geht, das Spiel zu eröffnen, ist er der richtige Mann für Euch. In Polen ist er bekannt als ein Verteidiger, der den Ball ohne Probleme direkt zum Stürmer durchstecken kann. Selbst in der Rückrunde der Ekstraklasa, als Lech nicht so gut war, leitete er einige Angriffe ein, die in Tore mündeten. Mir sind da zwei Tore in Erinnerung geblieben:
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Rund um den Brustring: Wie gut ist sein Stellungsspiel und seine Schnelligkeit? Sein Vorgänger Toni Sunjic ist nicht der schnellste. Außerdem, wenn auch nicht ganz ernst gemeint: Wir haben den Rekord für die meisten Eigentore in einer Saison erzielt. Wie “treffsicher” ist Kaminski?
Jacek Staszak: Kamiński ist eher schnell. Als Jugendlicher spielte er auf dem Flügel erst vorne, dann hinten, bevor er zum Innenverteidiger wurde. Er verliert nur selten ein Sprintduell, auch weil sein Stellungsspiel ziemlich gut ist. An Eigentore kann ich micht nicht erinnern. 🙂
Rund um den Brustring: Wie gut ist er offensiv? Können wir ihn bei Ecken einsetzen?
Jacek Staszak: Er hat selten nach Ecken getroffen, aber Lech trifft auch generell kaum nach Standardsituationen.
Rund um den Brustring: Unser anderer Innenverteidiger ist gerade erst 20 geworden. Kann Kaminski, obwohl er erst 24 ist, auf dem Platz führen, oder braucht auch er jemanden, zu dem er aufschauen kann? Das ist für uns besonders wichtig, weil die Mannschaft unter Druck steht, sofort wieder aufzusteigen.
Jacek Staszak: Nein, ein Anführer ist er nicht gerade, er braucht jemand starken neben sich. Ich weiß nicht, ob ihm die Trainer das gesagt haben, aber schaut oft nach Unterstützung suchend zu Arajuuri oder Kadar rüber. Was Druck angeht, gibt es wenige Clubs in Polen, wo der größer ist, als bei Lech. Das berichten auch viele Spieler und Trainer. Kamiński hat das viele Jahre lang abbekommen. Er wurde häufig für Niederlagen verantwortlich gemacht und wurde zum Sündenbock für den Absturz von Lech.
Rund um den Brustring: Wieso wurde sein Vertrag mit Lech Posen nicht verlängert? Wollten sie ihn loswerden, oder wollte er weg?
Jacek Staszak: Er hat sich nach einem neuen Verein umgesehen, wollte aber zu einem vernünfigen. Bei Lech zu bleiben, stand für ihn außerfrage. Er braucht eine neue Umgebung. Aber er verlässt Posen mit gemischten Gefühlen. Lech ist sein Verein, er hat hier seine Karriere begonnen und immer alles gegeben. Aber er erfüllt nicht die Erwartungen der polnischen Fans, die von Spielern immer erwarten, dass sie laufen, grätschen, schießen und angreifen. Die Lech-Fans haben ihm bei seinem letzten Spiel beschimpft und er hat das Spielfeld direkt nach Abpfiff verlassen. In einem Interview für das Clubfernsehen sagte er dann, dass das Ende für Ihn besonders traurig war.
Aber auch Lech wollte eine Veränderung. Der Vorstand hat schon im letzten Jahr gesagt, dass der Club eine Revolution braucht. Wahrscheinlich ist der Wechsel das Beste für beide Seiten.
Rund um den Brustring: Da der VfB gerade abgestiegen ist, fragen wir uns: Warum wechselt er zu einem deutschen Zweitligisten? Hatte er zuvor schon andere Angebote aus dem Ausland?
Jacek Staszak: Im Winter hatte NEC Nijmegen, wo sein Freund Wojciech Golla spielt, Interesse an ihm, aber sie boten ihm weniger als das, was er in Posen verdient. Er hatte auch ein Angebot aus den USA. Kürzlich wurde er mit Trabzonspor und Eintracht Braunschweig in Verbindung gebracht. Die 2. Bundesliga hat ein hohes Ansehen in Polen, als Möglichkeit für überdurchschnittliche Ekstraklasa-Spieler die regelmäßig spielen und dann in eine bessere Liga wechseln wollen. Manchmal funktioniert das aber auch nicht, Beispiele dafür sind Waldemar Sobota (St. Pauli) oder Piotr Ćwielong (Bochum)
Rund um den Brustring: Weißt Du zufällig, wie gut sein Deutsch ist? Przemyslaw Tyton, der letztes Jahr zu uns kam, hatte zu Beginn einige Sprachprobleme.
Jacek Staszak: Er kommt aus Großpolen [Region um Posen], das nahe der deutschen Grenze liegt. Ich vermute, dass er ziemlich durschnittlich Deutsch spricht. Seine Freundin spricht hingegen viele Sprachen. Ich würde mir aber keine Gedanken um Sprachprobleme machen. Er ist ein sehr intelligenter Mensch, mit dem man sich gut unterhalten kan. Er liest Bücher und geht ins Theater. Kein typischer Fußballer also. 🙂
Rund um den Brustring: Warum spielt er mittlerweile nicht mehr für die polnische Nationalmannschaft?
Jacek Staszak: In Adam Nawalkas erstem Spiel als Nationaltrainer machte Kamiński einen schrecklichen Fehler und war deshalb eine ganze Weile lang außen vor. Dann sackte seine Form ab und er hatte keine Chance mehr in der Nationalmannschaft. Polen hat ein Problem in der Innenverteidigung, aber es gibt noch einige Verteidiger, die ihm gegenüber die Nase vorn haben. Nawalka wollte, dass Kamiński Erfolg hat, weil er einen solchen Verteidiger braucht: gut am Ball, gut im Stellungsspiel. Schade, dass er die Erwartungen nicht erfüllen konnte.
Rund um den Brustring: Vielen Dank für Deine Antworten, Jacek!
Übersetzt aus dem Englischen.