Gleich zwei Spieler hat der VfB am vergangenen Montag verpflichtet und am Dienstag standen sie in Paderborn bereits auf dem Platz: Genki Haraguchi bestritt eine Halbzeit im Brustring, während Gil Dias sogar zum Ausgleich traf. Auch wenn ihr von beiden schon einen Eindruck im Brustring gewinnen konntet, wollen wir sie Euch trotzdem ausführlich vorstellen — wie immer mit Unterstützung von Fans und Experten, die sie bei ihren vorherigen Stationen haben spielen sehen.
Da sind sie also: Die ersten “richtigen” Transfers von Fabian Wohlgemuth, nachdem er die Verpflichtung von Jovan Milosevic ja vermutlich nur noch abwickeln musste. Und die Reaktionen waren mitunter vorhersehbar: Man lässt mit Naouirou Ahamada und Alexis Tibidi zwei junge Spieler mit Potenzial für vermeintlich viel zu geringe Ablösesummen gehen und verpflichtet stattdessen Spieler, die jenseits der 25 sind und entweder keinen hohen Wiederverkaufswert mehr bringen oder bei denen angeblich zweifelhaft ist, ob sie den VfB angesichts ihrer Vita überhaupt verstärken können. Kurz: Es gab schon mehr Vorfreude auf Neuzugänge als bei Gil Dias von Benfica und Genki Haraguchi von Union Berlin. Und auch ich muss zugeben: Die beiden, unabhängig von ihrer sportlichen Qualität, regen nicht unbedingt die Phantasie an, wie es ein Wahid Faghir, ein Silas, ein Sasa Kalajdzic oder ein Ömer Beyaz getan haben. Es sind pragmatische Transfers, die bestimmte Lücken schließen sollen so wie beispielsweise Dan-Axel Zagadou die ausgedünnte Innenverteidigung verstärken sollte und Joshua Vagnoman die Außenbahnen variabler gestalten sollte. Hinzu kommt: Wintertransfers sind häufig Notkäufe, der Markt ist schwierig, gerade nach der Weltmeisterschaft. Wie als sind Dias und Haraguchi einzuschätzen? Eher wie Tiago Tomás, der dem VfB nach seinem Leihwechsel vor einem Jahr teilweise die Saison rettete, oder eher wie Federico Barba, Alexander Esswein oder Steven Zuber? Ihr merkt schon an der Menge der aufgezählten Spieler, dass der VfB in den vergangenen Wintern nicht unbedingt ein glückliches Händchen mit Transfers hatte. Herausfinden werden wir es erst im Laufe der Rückrunde, einen Eindruck der beiden wollen wir Euch jetzt schon vermitteln. Beginnen wir mit
Gil Dias
genau genommen Gil Bastião Dias, der am 28. September 1996 und damit vor knapp 26,5 Jahren im in Portugal eher nördlich gelegenen Gafanha de Nazaré geboren wurde. Bereits mit zehn Jahren fand er seinen Weg in den Nachwuchs von Sporting bevor ihn der SC Braga in der Jugend übernahm und mit 19 Jahren für schlappe fünf Millionen Euro an die AS Monaco verkaufte. Für die sollte er jedoch zunächst kein Spiel machen — nur einmal saß er auf der Bank — und wurde im Winter zum ersten Mal verliehen. Für Zweitligist Varzim SC traf er in 15 Spielen sechs Mal nach seiner Rückkehr nach Monaco und einem siebenminütigen Kurzeinsatz ging es im Spätsommer 2017 dann weiter zur Fiorentina, für die er in 27 Serie A‑Spielen zweimal netzte. Auch 2018 war mit mittlerweile 22 Jahren und ein wenig Erstliga-Erfahrung immer noch kein Platz in Monacos Kader für ihn, so dass er im Sommer an Nottingham Forest verliehen wurde, der Verein von Orel Mangala spielte damals noch in der Championship, der zweiten englischen Liga. Angesprochen auf diese Transferpolitik, die an Chelseas loan army — und die anderer Vereine — erinnert, erklärt mir Monaco-Experte Damien Dellerba vom Fanportal La Diagonale, dass Monaco zu dieser Zeit nicht mehr in der Lage war, Stars wie Falcao, Moutinho oder James zu verpflichten, wenn sie nicht die Regeln des Financial Fair Play verletzen wollten. Stattdessen sollten junge Talente verpflichtet werden, in der Hoffnung, diese teuer zu verkaufen. Da sowohl der damalige Sportdirektor Luis Campos, als auch Präsident und Vizepräsident der ASM enge Kontakte zum bekannten Spieleragenten Jorge Mendes pflegten, vermuten Damien nicht unbedingt sportliche Gründe hinter der Verpflichtung des jungen Portugiesen (der übrigens aktuell die gleiche Beratungsagentur hat wie Carlos Mané *Herzleaugen*). Es sei offensichtlich gewesen, so Damien, dass Dias damals nicht das Niveau für die internationalen Ambitionen Monacos hatte.
Da Dias bisherige Stationen zu weit zurückliegen, um daraus Schlüsse auf sein Leistungsvermögen im Jahr 2023 zu ziehen, steigen wir in der Hinrunde der Saison 2018/2019 detaillierter in seine Karriere ein. Bis Januar 2019 spielte Dias also beim englischen Zweitligisten aus Nottingham, die in jener Saison nicht nur ihn, sondern auch seinen Landsmann João Carvalho für 15 Millionen verpflichteten, neben weiteren portugiesischen Spielern. Dem Forest All Over Podcast zufolge sei man durchaus gespannt auf Dias als Teil dieser portugiesischen Reisegruppe gewesen. Für Forest absolvierte er insgesamt 21 Liga- und drei Liga-Pokalspiele und stand insgesamt 13 Mal in der Startelf. Einen großen Stellenwert habe er allerdings nicht in der Mannschaft gehabt sondern sei eher ein Anhängsel der Carvalho-Verpflichtung gewesen. Auf jeden Fall sei er damals nicht unbedingt auf Championship-Level gewesen, erklären die Podcaster, bei einem Auswärtsspiel in Norwich kam er in der 83. Minute beim Stand von 3:1 für Forest aufs Feld, bei Abpfif stand des 3:3, was auch seiner Abwehrleistung als Innenverteidiger angelastet wurde. Davon habe er sich nicht mehr erholt. Deswegen, aber vielleicht auch weil Manager Aitor Karanka zeitgleich gehen musste, verlieh Monaco ihn im Winter weiter und zwar in die griechische Super League zu Olympiakos Piräus.
Von England nach Griechenland
Dort traf er auf seinen Landsmann Pedro Martins, der Olympiakos im April 2018 übernommen hatte und die Mannschaft nach einer für die Verhältnisse des Vereins kastastrophalen Saison 2017/2018 neu aufbaute, wie Ari vom Podcast Gate 7 International zu berichten weiß. Martins habe lange gebraucht, um eine eingespielte Mannschaft zu finden, als Dias im Januar 2019 dort ankam, fehlte es der Mannschaft vor allem auf den Flügeln an Kadertiefe. Auf Linksaußen hatte man Daniel Podence, so Ari, auf der anderen Seite fehlten die Optionen. Dias sollte die Offensivgefahr auf der rechten Seite erhöhen. Letzten Endes brachte er es bis zum Saisonende nur auf sieben Einsätze in der Liga, zwei UEFA-Pokal-Spiele und ein Spiel im griechischen Pokal. Ein Grund dafür sei die fehlende Chancenverwertung gewesen. Er traf zwar in einem seiner ersten Spiele gegen Dynamo Kiev mit einem sehenswerten Distanzschuss (jap), sein einziges anderes Tor gelang ihm allerdings im Pokal. Zudem hab er sich zuwenig ins Defensivspiel eingebracht, was ihm bei Martins, der dies von allein seinen Spielern erwartete und fleißige Spieler auch mal den talentierteren vorzog, keine Vorteile einbrachte. Letzlich entschied sich Olympiakos dagegen, die Kaufoption zu ziehen, so dass sich Dias im Sommer 2019 mal wieder in Monaco einfand.
Dort traf er wieder auf einen portugiesischen Trainer, diesmal Leonardo Jardim, der Anfang des Jahres nach nur drei Monaten den Nachfolger seiner ersten Amtszeit in Monaco, Thierry Henry beerbte. Unter ihm kam Dias zu weiteren Einsätzen für die AS, genauer gesagt 13 in der Ligue 1, bei denen ihm aber weder ein Tor, noch ein Assist gelang. Damien zufolge sei sein Spiel zwar technisch anspruchsvoll und attraktiv gewesen, aber leider wenig effektiv, was auch an der Entscheidungsfindung gelegen habe. Offensiv habe ihm die Qualität gefehlt, um wirklich einen Unterschied zu machen. Und so wurde er im Januar 2020 erneut verliehen, diesmal an den spanischen Erstligisten Granada CF. Dort kam er in zwölf Spielen in der Rückrunde auf gerade mal 349 Minuten. Der knappe Kommentar von José Ignacio Cejudo Romero von der lokalen Zeitung Ideal:
He barely played here. He was used as a left back in a few games by the end of the season because of injuries. He didn’t seem to play any focused sometimes. The coach didn’t like him. He was signed as a desperate option for the attack and he did not help at all.
Auf Deutsch: Er spielte kaum und kam nur wegen Verletzungen überhaupt zu Einsätzen. Ihm habe die Konzentration gefehlt, der Trainer habe ihn nicht gemocht und überhaupt sei seine Verpflichtung eine Verzweiflungstat gewesen und er keine große Hilfe gewesen. Immerhin reichte es am letzten Spieltag der Saison zu einem Assist. Nächste Station: FC Famalicão in seiner portugiesischen Heimat.
Und wieder zurück nach Portugal
Über seine Zeit dort konnte mir Diogo Matos von der Sportzeitung Record berichten, mit dem ich vor kurzem erst über Roberto Massimos Hinrunde in Viseu gesprochen habe. Famalicão liegt im Bezirk Braga im Norden Portugals und war nach langen Jahren in anderen Ländern für Dias wahrscheinlich auch so eine Art Heimkehr. Dort absolvierte er auch endlich mal eine ganze Spielzeit bei einem Verein, lief 31 Mal in der Liga auf, sammelte beim am Ende Tabellen-Neunten immerhin zwei Assists und traf im Pokal zwei Mal. Man habe gute Erinnerungen an eine seiner früheren Leihstationen bei Rio Ave gehabt, erklärt Diogo, außerdem sei sein Stammverein Monaco ein renommierter Club, die Erwartungen seien also definitiv hoch gewesen. In Famalicão spielte er endlich auch eine wichtige Rolle in einer Mannschaft, hatte die zweitmeisten Spielminuten und aufgrund seiner Vielseitigkeit — dazu gleich mehr — sehr wichtig. In einigen Spielen sei der mittlerweile 24jährige sogar als Kapitän aufgelaufen.
Es wird seine Leistung in dieser Saison gewesen sein, die Benfica dazu verleiteten, Dias im Sommer 2021 für angeblich 1,5 Millionen von Monaco zu verpflichten. Dort kam er in der vergangenen Saison auf 653 Minuten in zwölf Einsätzen, in der aktuellen Spielzeit lief er nur im Pokal auf. Immerhin traf er im vergangenen April zum 2:0 für Benfica im Derby gegen Sporting. Abgesehen davon kehrte er bei Benfica in die Rolle des Reservisten zurück, die er zuvor schon oft bekleidet hatte. Tomás da Cunha, der unter anderem für TribunaExpresso schreibt, war von dem Transfer genauso überrascht wie Cristiano Oliveira vom englischsprachigen Benfica Podcast. Dias sei vor allem als Ergänzungsspieler geholt worden. Auch Monaco-Fan Damien war überrascht über den Transfer und habe sich gefragt, ob man in Lissabon vielleicht etwas in Dias gesehen habe, was man im Fürstentum übersehen habe, da Benfica normalerweise auf dem Transfermarkt wenig Fehler mache. Wie mir beide Benfica-Experten berichten, habe es bei ihm aber einfach nicht für den Club gereicht.
Cristiano sagt über Dias:
The issue with Dias is that he continues to be the type of player that could explode at any time but for one reason or another it never happens. Every club has been tempted by his potential and with the hope that with the right conditions and the ideal environment, perhaps he could finally reach that potential.
Dribbler mit Potenzial, aber ohne Durchbruch
Dias sei die Art Spieler, dem gefühlt jederzeit der Durchbruch gelingen könnte, was aber aus dem einen oder anderen Grund nicht passiere. Jeder seiner zahlreichen Vereine erlag der Hoffnung, dass er im richtigen Umfeld sein Potenzial endlich ausschöpfen könnte. Nun also auch der VfB. Eine Hoffnung, die ich durchaus nachvollziehen kann. Es gibt Spieler oder Trainer, die einfach ein bestimmtes Level nicht erreichen. Es gibt jene, die überall funktionieren, eben weil sie die Qualität haben. Und dann gibt es noch jene, die nur in bestimmten Konstellationen funktionieren. Simon Terodde in der zweiten Liga ist das beste Beispiel dafür. Also: Herrschen beim VfB die richtigen Rahmenbedingungen? Begeben wir uns auf Spurensuche.
Zu Dias Stärken zählen alle Experten seine Offensivdribblings und seinen attraktiven Spielstil sowie seine Schusstechnik, von der sich bereits der SC Paderborn am Dienstag überzeugen konnte. Ari erzählt, in Piräus habe er eine Schussgenauigkeit von über 60 Prozent gehabt. Diogo unterstreicht auch seine Schnelligkeit, Tomás ergänzt das um seine Beschleunigung mit dem Ball. Seine Schwächen sehen mehrere Experten vor allem in der Entscheidungsfindung, etwas, was sich also in den letzten Jahren — vielleicht auch mangels Spielpraxis, nicht verbessert hat. In Piräus habe er auch taktische Defizite gehabt, so Ari, sowohl in der Rückwärtsbewegung, als auch im Pressing. Ari dazu: “Kinda just plays whats in front of him.” Auch bei Benfica, ergänzt Tomás, sei sein Offensivspiel nicht immer ganz durchdacht gewesen.
Und was ist mit der Vielseitigkeit? Nun, seine Positionskarte auf transfermarkt.de sieht so aus:
Es wird offensichtlich, dass Gil Dias auf den Außenbahnen beheimatet ist, was bei den Stärken auch keine Überraschung ist. Bei Forest spielte er vor allem auf der linken Seite, bei Olympiakos auf auf dem rechten Flügel, von wo er nach innen zog, um mit seinem stärkeren linken Fuß abzuschließen — siehe Paderborn. In Monaco wiederum wurde er auf der linken Seite eingesetzt, Damien sah ihn sogar lieber auf einer defensiveren Position, um seine Technik besser zur Geltung zu bringen, ohne dass seine Abschlussschwäche so sehr ins Gewicht fiel. Gleichzeitig sei er aber auch nicht besonders defensivstark gewesen. Auch wenn er mitunter als Linksverteidiger und Wingback eingesetzt wurde, im französischen übrigens “piston”, mustte ich auch erstmal googlen, legen sich fast alle Experten darauf fest, dass Gil Dias als Flügelstürmer am Besten aufgehoben ist, je nach Bedarf auf der rechten oder linken Seite.
Ist der VfB das richtige Umfeld?
Und ist nun die Bundesliga das richtige Umfeld für ihn? Damien weist darauf hin, dass ihm in Monaco die Intensität im Spiel gefehlt habe, was sich aber mit der Zeit gelegt zu haben scheint. Diogo ist durchaus der Meinung, dass er bei einem Verein wie dem VfB, der “ein paar Level unter Benfica ist” (ich kann mich noch an einen 3:0‑Heimsieg vor 15 Jahren oder so erinnern!) durchaus wichtig werden könnte. Unsere Benfica-Experten, die ihn zuletzt haben spielen sehen, sind der Meinung, dass ihm seine Geschwindigkeit und seine Dribblingstärke in der Bundesliga zugute kommen.
Betrachtet man Dias bisherige Karriere und seine Stärken und Schwächen, so wird zumindest nachvollziehbar, warum Fabian Wohlgemuth ihn verpflichtet hat: Das auch mit 26 Jahren durchaus vorhandene Potenzial, welches er in Famalicão unter Beweis stellen konnte. Dias mag in seiner Karriere ein paar aufsehenerregende Tore geschossen haben, was er vor allem benötigt, ist Spielpraxis und Vertrauen. Er scheint auf jeden Fall, ähnlich wie Thomas Kastanaras bei seinem Startelf-Debüt, etwas gradliniger unterwegs zu sein also beispielsweise ein Juan Perea oder auch ein Chris Führich, die im Zweifelsfall nochmal eine Schleife zu viel drehen. Ich sehe ihn, wenn auch womöglich auf einem anderen Level, eher wie Silas, dem ebenso manchmal die überlegte Entscheidungsfindung abgeht, was er zumindest vor seinen Verletzungen aber mit seinem Tempo und seinen Dribblings kaschieren konnte.
Bleibt nur die Frage, ob der VfB Dias die angesprochene Spielpraxis geben kann. Weder Führich noch Silas überzeugten zuletzt auf den Halbstürmerpositionen komplett, mit Dias hat der VfB hier zumindest einen weiteren Herausforderer im offensiven Mittelfeld, der zumindest im ersten Spiel gleich das gemacht hat, was Li Egloff verpasst hat: Er hat seine Chance genutzt. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich der VfB in den kommenden Spielen in der Offensive zurechtrüttelt. Sollten Zagadou und Sosa in die Startelf zurückkehren, hat Labbadia im Defensivbereich mehrere Optionen mit zumindest vielversprechenden spielerischen Ansätzen. In der Offensive muss es dem VfB gelingen, zu mehr und zu gefährlicheren Torschüssen zu kommen und als Rückfallebene zumindest Serhou Guirassy geschickt einzusetzen. Beim VfB hat Dias einen Vertrag bis 2025 unterschrieben. Genug Zeit, um endlich einen Trainer vollends von sich zu überzeugen. Ob ihm das gelingt, hängt auch davon ab, wie diese Saison ausgeht und ob er in der Lage ist, dem Offensivspiel des VfB auch gegen schwer zu bespielende Gegner die Explosivität zurückzugeben, die wir schon lange nicht mehr gesehen haben. Kurz: Seine Verpflichtung schadet nicht, seine Ablöse hat er fast eh schon wieder eingespielt. Ob er uns hilft, auch mittel- und langfristig, bleibt abzuwarten.
Eine wesentlich überschaubarere Vita hat unser zweiter Winterneuzugang,
Genki Haraguchi
Denn der spielte, bevor er beim VfB unterschrieb, in Deutschland nur bei vier Vereinen: Hertha BSC, Fortuna Düsseldorf, Hannover 96 und Union Berlin. Seine halbjährige Leihe nach Düsseldorf lasse ich mal außen vor, aber für die anderen drei Stationen habe ich mir wieder kompetente Fans und Experten an meine Seite geholt. Mit Journalist und Hertha Base-Gründer Marc habe ich über Haraguchis erste Zeit in Berlin geredet, wohin er 2014 von den Urawa Red Diamonds wechselte. Mit 96-Fan Tobias habe ich schon länger nicht mehr gesprochen, seitdem sich unsere Vereine konsequent aus dem Weg gehen, er stand mir aber für Fragen zu Haraguchis Zeit in der niedersächsischen Landeshauptstadt zur Verfügung, die v0n 2018 — der Saison in der Hannover zum letzten Mal aus der Bundesliga abstieg — bis 2021 andauerte. Dann kehrte er zurück nach Berlin, diesmal allerdings nach Köpenick. Sebastian habt ihr schon mal bei uns im Podcast gehört, hier berichtet er über Haraguchis Zeit bei Union.
Stammspieler in Berlin und Hannover
Haraguchi wurde am 9. Mai 1991 in Kumagaya in der zentral gelegenen Präfektur Saitama geboren. Mit 13 fing er bei den Red Diamonds an, zehn Jahre später zog es ihn als Herrenspieler zur Hertha. Für deren Fans sein er eine Wundertüte gewesen, berichtet Marc, niemand habe ihn zuvor spielen sehen. Man hegte jedoch die Hoffnung, dass er sich unter Pal Dardai gut entwickeln würde, der in seiner ersten Amtszeit viele Spieler verbessert habe und sich mit der Mannschaft in den dreieinhalb Jahren, die Haraguchi dort verbrachte, von Platz 15 auf Platz 6 hocharbeitete. Für Hertha lief Haraguchi 106 Mal auf, kam aber in seiner letzen Saison in Berlin, 2017/2018, nur noch sporadisch zum Einsatz. Marc zufolge lag das zum einen an der Konkurrenzsituation auf seiner Position, die damals noch auf dem Flügel war. Mathew Leckie traf direkt im ersten Saisonspiel jener Saison zwei Mal (ratet mal gegen wen) und Valentino Lazaro, wie Leckie in jenem Sommer verpflichtet, galt als vielversprechendes Talent. Nachdem Haraguchi also drei Jahre lang zum erweiterten Stamm der aufstrebenden Hertha-Mannschaft gehörte, war im Winter 2017/2018 erstmal Schluss in Berlin, nach eine Rotsperre wurde er für den Rest der Hinrunde auch nur noch einmal eingesetzt. In Düsseldorf spielte in der Rückrunde fast durchgängig, steuerte — ebenfalls als Flügelspieler — zwei Assists zur Zweitligameisterschaft und dem Aufstieg Fortunas bei.
Er sollte jedoch nicht nach Berlin zurückkehren, Marc zufolge eine Trennung im Guten: “Solange er da war, war alles okay und als es sportlich nicht mehr reichte, gab es eine sehr saubere Trennung.” Im Sommer 2018 folgte dann der Wechsel zu Hannover 96, die parallel zum VfB in der ersten Saison nach dem Wiederaufstieg den Klassenerhalt erreicht hatten und nun danach trachteten, sich in der Liga wieder zu etablieren. Das war auch die Erwartung, die unter anderem Tobias an Haraguchi hatte: Er sollte der Mannschaft mit seiner in Berlin gesammelten Bundesliga-Erfahrung helfen und diese stabilisieren. Das klappte in Hannover bekanntlich genauso wenig wie beim VfB, die 96er verpflichteten in jenem Sommer auch Spieler wie Walace, Kevin Wimmer, Florent Muslija oder Takuma Asano und stiegen am Ende ab. Sowohl unter Breitenreiter, als auch unter Doll sei Haraguchi Stammspieler gewesen, so Tobias, in den folgenden zwei Jahren wurde er dann in der zweiten Liga zum Leistungsträger, verpasste nur zwei Ligaspiele und traf 15 Mal und bereitete zum Beispiel Hannovers Ausgleich zum 2:2 in Tim Walters letztem Spiel als VfB-Trainer vor. In Hannover, so Tobias, habe er immer zum besseren Teil des Kaders und meist auch der Startelf gehört, eine Entwicklung habe er aber bei ihm nicht sehen können. Im Sommer 2021 lief sein noch aus Bundesliga-Zeiten gut dotierte Vertrag aus. Haraguchi wäre wohl bei einem Bundesliga-Aufstieg in Hannover geblieben, so Tobias, den aber verpasse der Verein, der sein Gehalt auch nicht mehr hätte zahlen können und wollen.
Arbeitstier ohne Killerinstikt
Stattdessen ging es zurück nach Berlin, wo sich Union überraschend für die Conference League qualifiziert hatte und den Kader mit vielen ablösefreien Spielern und dem damaligen Rekordtransfer Taiwo Awoniyi verstärkte. Sebastian erklärt die Transferpolitik jenes Sommers so:
Man brauchte einen großen Kader und Flexibilität, gerade im Mittelfeld. Dafür wurden Spieler benötigt, die sich gut ins Gesamtgefüge einpassen und deren Transfers wirtschaftlich kein allzu großes Risiko darstellten. Das traf auf Genki komplett zu. Man sah Potenzial bei ihm und der finanzielle Rahmen war überschaubar.
In jener Saison lief Haraguchi 30 Mal in der Bundesliga für Union auf, fünf Mal im Pokal und sieben Mal im Europapokal, insgesamt kommt er für den FCU auf 61 Einsätze, in der aktuellen Saison spielte allerdings nur beim Auswärtssieg gegen den VfB durch. Haraguchi sei ein fester Bestandteil der Rotation in einem hart umkämpften Mittelfeld gewesen, erklärt Sebastian. Wurde er bei Hertha noch auf dem Flügel und in Hannover unter diversen Trainern auf verschiedenen Positionen eingesetzt, etablierte er sich bei Union im zentralen offensiven Mittelfeld, wo er ja auch im Pokal am Dienstag zum Einsatz kam. Sebastian sagt zu seiner Rolle: “Unter dem Strich war Genki ein wichtiger und wertvoller Baustein im Mannschaftsgefüge von Union. Ich hatte immer das Gefühl, dass genau diese Rolle auch die Intention des Vereins war und dass das am Ende auch so für alle Seiten gut funktioniert hat.” Eine Entwicklung habe er bei Haraguchi nicht entdecken können, was aber sicherlich auch dem Alter geschuldet ist, vielmehr habe ihn seine Konstanz beeindruckt. Ähnlich wie sein erster Abschied aus Berlin sei auch sein Transfer zum VfB für alle nachvollziehbar gewesen, denn auch bei Union reichte es für Haraguchi am Ende nicht mehr regelmäßige Einsatzzeiten?
Was also zeichnet Haraguchi aus, was wir vielleicht am Dienstag noch nicht gesehen haben? Marc berichtet, dass Hertha unter Dardai ein bisschen wie Union gespielt habe: Kompakt und diszipliniert gegen den Ball mit einem Fokus auf Konter über Ibisevic oder Kalou. Haraguchi habe da gut reingepasst, da er sich aufopferungsvoll in jeden Zweikampf warf. Gegen den Ball passte seine Spielweise ziemlich gut in Dardais System, so Marc, offensiv habe ihm aber der “Killerinstinkt” gefehlt. In der Tat kommt Haraguchi in 160 Bundesliga-Spielen nur auf für einen Offensivspieler erschreckende sechs Tore und immerhin 18 Vorlagen. Er sei bereits mit einem gewissen Grundniveau nach Berlin gekommen, weil er erst mit 23 wechselte, entwickelte sich jedoch in diesem Bereich nicht weiter. In Hannover hingegen attestierte ihm Tobias auch einen guten Umgang mit dem Ball, auch mit dem ruhenden, er habe aber selten übermäßigen Einsatz und Leidenschaft gezeigt, wenn es mal nicht gelaufen sei. Bei Union sei er viele Wege gegangen, habe auch das ein oder andere erfolgreiche Dribbling hingelegt und offensiv viele Ballgewinne verzeichnet. Auch er sieht bei Haraguchi die mangelnde Torgefahr — was aber bei Union auch nicht seine Aufgabe gewesen sei — und attestiert ihm einen großen Einsatz fürs Team. Tobias weist darauf hin, dass Haraguchi, wenn er ein gewisses Standing im Team hat, durchaus auch mal Probleme laut und öffentlich anspricht, die anderen beiden attestierten ihm zudem die fast schon klischeehaft typische japanische Zurückhaltung und Ruhe, die vielleicht für einen zentralen Mittelfeldspieler gar nicht mal das Schlechteste ist.
Puzzleteile
Marc, Tobias und Sebastian trauen Haraguchi durchaus zu, ein wichtige, wenn auch nicht unbedingt eine herausragende Rolle für den VfB im Abstiegskampf spielen zu können. Klar ist: Nachdem die Verpflichtung von Joshua Guilavogui scheiterte, soll nun er dem VfB mit seiner langjährigen Bundesliga-Erfahrung zu mehr Stabilität in der Mitte verhelfen. Dort klafft nach dem Abgang von Ahamada nun neben Wataru Endo, der in den letzten Monaten und auch während Orel Mangalas Ausfallzeiten defensiv und offensiv immer mehr Löcher stopfen musste, als einem lieb sein konnte, eine Lücke, die auch Ankersechser Atakan Karazor nicht füllen könnte. Sebastian attestiert ihm auch eine bisweilen unterschätzte fußballerische Qualität. Was deutlich wird: Haraguchi rettet dir nicht alleine die Saison, aber wenn es für ihn gut läuft, kann es auch für den VfB gut laufen.
Wie kann man die Transfers also zum jetzigen Zeitpunkt einschätzen? Nun, sowohl finanziell als auch sportlich war klar, dass der VfB im Winter nur an kleinen Stellschrauben drehen kann. Und in der Tat fehlt es der Mannschaft ja nicht unbedingt an spielerischer Qualität, sondern eher an einer gewissen Abgezocktheit im Kopf und Klarheit in den Aktionen. Beide Spieler kosteten relativ wenig Ablöse, Haraguchi hat gar nur einen Vertrag über eineinhalb Jahre. Wenn alles gut läuft, hat der VfB mit geringem Einsatz seine Mannschaft soweit ergänzt und stabilisiert, dass sie den Klassenerhalt schafft und im Sommer vielleicht endlich den Übergang zu einem wieder etablierten Bundesligisten einleiten kann. Sollte am Saisonende erneut der Abstieg stehen, muss man sich natürlich fragen lassen, ob man mit der Ablöse für Ahamada und Tibidi nicht wenigstens eine Neuverpflichtung mit mehr direktem Impact hätte verpflichten können. Beide Spieler werden den Verein nicht alleine vor dem Abstieg bewahren. Es liegt nun an Bruno Labbadia, endlich die richtigen Teile für sein Personalpuzzle zu finden und an den Spielern, seine Vorgaben konzentriert umzusetzen. Zu beidem können Dias und Haraguchi ihren Teil beitragen. Nicht mehr und nicht weniger.
Titelbildmontage: © Maja Hitij/Getty Images (Haraguchi) / © MIGUEL RIOPA/AFP via Getty Images
Vielen Dank Lennart für die wieder umfassenden Informationen zu unseren Neuzugängen.
Was euer Netzwerk über Dias sagt, liest sich ziemlich erschreckend und ich wundere mich, dass wir der neunte Verein sind, der einen Spieler mit solch einer Vita verpflichtet. Bin mal gespannt.
Aufgefallen ist mir noch “und im Sommer vielleicht endlich den Übergang zu einem wieder etablierten Bundesligisten einleiten kann.” Was sollte sich finanziell bis zum Sommer ändern? Es würde mich überhaupt mal sehr interessieren, warum wir gefühlt von Heute auf Morgen nicht einmal mehr bescheidene Mittel für Transfers haben. Mit Corona hatten alle zu kämpfen und die ca. 60 Mio. aus dem Stadionumbau (dass Wehrel ständig von 130 Mio. redet finde ich höchst fragwürdig) sind auf viele Jahre verteilt. Weißt du, wo man darüber nachlesen kann, wie sich der Personaletat in den letzten 10 Jahren entwickelt hat?
Hallo Thomas,
gerne! Auf Dias bin ich auch gespannt. Mit 26 ist er ja eigentlich im besten Fußballeralter, die Frage ist halt, unter welchen Umständen er funktioniert. Bei Famalicao in der ersten portugiesischen Liga hat es ja geklappt, vielleicht ist das eher sein Niveau im Gegensatz zu Benfica oder Monaco.
Finanziell wird sich nicht viel ändern, aber ein Abstieg würde uns um Jahre zurückwerfen. Wenn Du die Klasse hältst und vielleicht nächste Saison nicht so krass underperformst, muss man 2024 vielleicht nicht wieder bis in die Nachspielzeit des letzten Spieltags zittern. Denn von der Leistungsstarke der Mannschaft her müsst Du nicht so da stehen wie aktuell. Wir sind nur einfach nicht clever genug, was natürlich auch eine Qualitätsfrage ist.
Die Bundesliga veröffentlicht regelmäßig die Jahresabschlüsse der Bundesligisten, da kann man es nachlesen. Wir leiden natürlich mit nem großen Stadion etwas mehr unter Corona. Ich glaube neben dem — im Vergleich zu Freiburg oder Union — hohen Personaletat ist es auch der KfW-Kredit, den man noch bedienen muss. Und was uns von Vereinen wie Augsburg unterscheidet, neben der obskuren Investorenstruktur sind eben die zwei Abstiege.
Viele Grüße, Lennart