Der VfB hat gewonnen. Zu Hause zu Null. Ist das wirklich passiert oder war das nur eine Phantasie?
The waiting seems eternity
The day will dawn of sanity
Is this a kind of magic?
It’s a kind of magic
- Queen, 1986
Als ich das erste Mal das Neckarstadion betrat, war ich 14 und das weite Rund hieß offiziell Gottlieb-Daimler-Stadion. Der VfB verspielte am letzten Spieltag der Saison 1999/2000 eine 3:0‑Führung gegen Arminia Bielefeld und stieg im Folgejahr beinahe ab. Zu diesem Zeitpunkt war ich aber das, was damals noch als Herzschmerz galt, bereits gewohnt. Hatte ich doch zwei Jahre zuvor vorm Fernseher bereits Gianfranco Zola verflucht und in der Zwischenzeit bereits viele Bilder von Balakov und Bobic aus meiner BravoSport ausgeschnitten. Ich wusste also einigermaßen, was mich im Mai vor knapp 23 Jahren erwartete.
Im Familienblock
Am Wochenende nahm ich zum ersten Mal meine dreijährige Tochter mit ins Neckarstadion, das mittlerweile Mercedes-Benz-Arena genannt wird — und dachte, ich wüsste was mich erwartet: Ein VfB, der sich selbst schlägt, während ich mich im Familienblock krampfhaft zusammenreiße um niemanden und erst recht nicht meine Tochter zu verschrecken. Denn auch wenn sie mit drei Jahren natürlich weniger von dem versteht, was da vor sich geht als ich damals, wollte ich sie ja nicht verschrecken. Ein Stadion mit knapp 50.000 Menschen, die Lautstärke und die vielen Eindrücke sind schließlich aufregend genug. Auf der anderen Seite bräuchte ich dann vielleicht keine Gewissensbisse haben, dass ich ihr diesen Verein nähergebracht habe. Immerhin sang sie nach zweimalige Hören auf der Hinfahrt schon bei “Stuttgart kommt” mit.
Ok, genug Hornby. Ich möchte trotzdem festhalten: Ihr erster Stadionbesuch war auch für mich etwas Besonderes. Und der VfB trug magischerweise seinen Teil dazu bei. Oder war sie am Ende der Glücksbringer? Lassen wir das, die letzten Jahre haben mich jeglichen Aberglaubens beraubt, weil wir selten eine Siegesserie hatten, die sich durch irgendein Ritual ließen. Nein, das der VfB dieses Spiel gegen den 1. FC Köln gewann, hatte ganz handfeste Gründe. Zunächst einmal ganz offensichtlich die Schusstechnik von Gil Dias, der im vierten Pflichtspiel im Brustring bereits den zweiten Distanzschuss versenkte. Der VfB kam also gut rein ins Spiel, was bedeutete, dass man minütlich mit einem katastrophalen Fehlpass, Eigentor oder einem Platzverweis rechnen musste.
Selektive Wahrnehmung
Den es eigentlich auf der Gegenseite hätte geben müssen.
Video wurde entfernt hier nochmal pic.twitter.com/6aCPzKZ2us
— Backup ACC (@VfBgfx) February 18, 2023
Ich mein: Ganz ehrlich, was ist da los bei Deutschlands Schiedsrichtern? Nicht falsch verstehen, wenn ich mich jetzt nur auf den VfB beziehe, die Szenen sind mir eben am präsentesten. Aber erst sieht Naouirou Ahamada in Hoffenheim gelb-rot für etwas, das außer Florian Badstübner niemand zu ahnden scheint. Dann lässt sich Sascha “Ich seh da gar nix” Stegemann seine auf dem Feld getroffene und entsprechend verkaufte Entscheidung vom VAR ausreden und dann sieht sich keiner gezwungen, eine Grätsche die nur in die Beine geht, mit Rot zu bestrafen? Nochmal, es geht mir nicht um die Bedeutung eines Platzverweises für das Spiel am Samstag, aber was bringt der VAR, wenn er nicht komplett falsche Entscheidungen revidiert und offensichtlich falsche Entscheidungen bestehen lässt? Und was sagt es über das deutsche Schiedsrichterwesen aus, dass teilweise solang nicht gepfiffen wird, bis der VAR kommt? Ich weiß, wahrscheinlich durfte in der obskuren VAR-Logik die gelbe Karte nicht zurückgenommen werden oder so. Wer weiß. Am Besten ist, man schießt genug Tore.
Und das tat der VfB, nachdem er den Rest der ersten Halbzeit zwar alles andere als sattelfest wirkte, aber nicht einbrach. Auch nicht in Person von Fabian Bredlow, der seine Startelfnominierung mit einem soliden Auftritt und einer Glanzparade über die Latte rechtfertigte. Offensiv blieb trotz vorhandener Räume vieles Stockwerk, weil die Brustringträger bei Ballgewinnen oder erfolgversprechenden Pässen mit der Behäbigkeit eines Öltankers Richtung gegnerischen Tor aufdrehen und so viele Chancen im Keim erstickten. Und gleichzeitig trotzdem bereits in der ersten Halbzeit höher hätten führen können. Und als man es fast nicht mehr aufhielt, schnappte sich Borna Sosa den Ball und verwandelte einen direkten Freistoß. Einen direkten Freistoß!
Deckel drauf, Luft holen
Endlich war der VfB mal drauf und dran, den Deckel auf ein Spiel drauf zu machen. Wem das nicht wundersam genug vorkam, konnte dann beobachten, wie eine zuletzt zutiefst verunsicherte Mannschaft vor Überzeugung nur so strotzte und der eingewechselte Tanguy Coulibaly eine Kopie seines Traumtores gegen Dortmund vor etwas mehr als zwei Jahren im Netz versenkte. Am Ende hielt die Mannschaft sogar zum ersten Mal nach 31 Heimspielen in Folge die Null zu Hause. Und weil Hoffenheim gegen Augsburg verlor, Bochum gegen Freiburg und Hertha gegen Dortmund, findet sich der VfB, der Tordifferenz sei Dank, auf Platz 14 wieder. Zumindest stimmungsmäßig das absolute Kontrastprogramm zum letzten Heimspiel und dem darauffolgenden Auswärtsspiel.
Was natürlich nichts zu bedeuten hat, außer dass der VfB, Magie des Augenblicks hin oder her, wieder etwas Luft zum Atmen hat im Tabellenkeller. Ob die Mannschaft, nachdem sie jeglichen Schwung aus dem letzten Heimspiel gegen Köln im miserablen Saisonstart versenkt hat, dieses Spiel als Ausgangspunkt für eine Erfolgsserie nimmt, werden wir kommenden Samstagabend in Gelsenkirchen sehen. Schalke hat jetzt vier Mal in Folge 0:0 gespielt, eine weitere Nullnummer wäre für beide zuwenig. Auf Schalke gilt es erneut, Widerstände zu überwinden und ich bin gespannt, ob die Mannschaft dazu in der Lage ist. Auch wenn meine Tochter nicht im Stadion ist.
Nichts verändert
Was dem Spiel die Magie — zumindest aus meiner Warte — etwas nahm, war der nicht behängte und auch sonst nicht so lautstarke Gästeblock. Und das hatte Gründe.
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Beim Auswärtsspiel in Stuttgart
wurden Busse mit 500 FC Fans zur Durchführung von Körper- und Buskontrollen von der Polizei kurz vor der Stuttgarter Stadtgrenze von der Autobahn geleitet. pic.twitter.com/PN6chPNrXZ— Kölsche Klüngel (@Fanhilfe_Koeln) February 18, 2023
Man hatte ja Hoffnung, bevor Corona die Stadien leerte. “Mit unseren Stadionallianzen haben wir Pionierarbeit geleistet. Kommunikation auf Augenhöhe statt Konfrontation, Vertrauen statt Misstrauen, gemeinsam statt gespalten – Vereine, Verbände, Fanprojekt, Kommunen und Polizei haben für die Sicherheit bei Fußballspielen in Baden-Württemberg zusammen angepackt und an einem Strang gezogen”, ließ sich Innenminister Thomas Strobl im vergangenen Mai zitieren. Die Realität sieht leider schon wieder anders aus. Beim Auswärtsspiel in Freiburg schreibt die örtliche Polizei etwas von Ausschreitungen und Festnahmen, die kaum jemand mitbekam (und vergisst dabei eleganterweise, daß nicht nur der VAR den Gästeblock zur Weißglut brachte, sondern auch die Freiburger Fans auf der angrenzenden Tribüne) und jetzt wurden Kölner Fans unter Generalverdacht gestellt und wären einer Kontrolle unterzogen worden, die ein rechtzeitiges Eintreffen am Stadion unmöglich gemacht hätte. Nicht das erste Mal, dass man als VfB-Fan froh sein muss, ins eigene Stadion nicht auswärts fahren zu müssen. Dann wird man nämlich auch nicht von Wasserwerfern und Maschinengewehren empfangen und muss nicht die Rückreise über die Autobahn antreten, ohne diese zu verlassen. Selbst wenn der Gästeblock im Mai ziemlich brannte und die organisierte Kölner Fanszene bisweilen etwas seltsam unterwegs ist: Was für ein Bild von Fußballfans offenbart ein solches Procedere, das sonst nut Schwerverbrechern oder Schwertransporten zuteil wird? Wer sich ans letzte Derby in Stuttgart erinnert, weiß: Es hat sich nichts geändert.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass frägt (sorry): “War das jetzt der Labbadia-Fußball, mit dem der VfB die Klasse hält?” und blickt zurück auf die VfB-Karriere des Vaters eines FC-Spielers. Stuttgart.International beobachtet: “Endlich sehen die nicht gerade erfolgsverwöhnten Zuschauer in Stuttgart mal wieder so etwas wie richtigen Fußball.”
Titelbild: © Adam Pretty/Getty Images
Die Schiedsrichterkritik kann ich leider nur teilen. Wenn man sich allein diesen Spieltag anschaut. Es gab da eine vergleichbare Szene mit der roten Karte für Losilla.
Losilla spielt sogar den Ball und trifft Höfler dann mehr oder weniger unglücklich mit der offenen Sohle am Knöchel. Zwayer gibt rot. Das ist in meinen Augen keine rote Karte. Aber Freiburg ist ja zurzeit Liebling des DFB.
Parallel gibt es für Skhiri nur eine gelbe Karte für eine eingesprungene Grätsche von hinten, die mit offener Sohle nur in den Mann geht. Da wird doch echt mit zweierlei Maß gemessen.
Ich glaube beide Male schält sich der VAR nicht ein. Sorry aber das ist Woche für Woche ein Witz mit Anlauf.