Gegen Bremen holt der VfB endlich den ersten Saisonsieg — mit viel Glück, Schmerzen und Tränen.
Wie ordne ich dieses Spiel jetzt ein, gerade im Hinblick auf die Auftritte der Brustringträger in den letzten Wochen? Da ist einerseits die Rückkehr von Daniel Didavi und Anastasios Donis in die Startelf und ihr wundervolles Zusammenspiel zum 1:0. Da ist andererseits die nächste Slapstick-Aktion der VfB-Abwehr, vielleicht die größte von allen. Da ist einerseits die mentale Stärke, trotz dieses schockierenden Gegentreffers erneut in Führung zu gehen. Da ist aber andererseits auch das Unvermögen, aus knapp 55 Minuten Überzahl mehr Kapital zu schlagen. Da ist einerseits endlich mal wieder richtiges Konterspiel zu sehen, andererseits aber auch ein heulender Nicolás González, der von seinen Mitspielern und seiner Kurve wieder aufgebaut werden muss.
Mit der Raute gegen Werder
Aber der Reihe nach. Tayfun Korkut sah sich ja in den letzten Wochen teilweise durchaus berechtigter Kritik ausgesetzt. Er reagierte am Samstag mit einem Offensivkonzept, das zum ersten Mal in dieser Saison erfolgversprechend aussah. Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass Daniel Didavi wieder fit genug war, um zumindest in der Startelf zu stehen. Er bildete die vordere Spitze einer Raute bestehend aus Dennis Aogo auf der Sechs sowie Christian Gentner und Santiago Ascacíbar links und rechts daneben. Vorne spielte der bereits erwähnte Anastasios Donis zusammen mit Gomez. Bei einer Gästemannschaft, die nach bester Bremer Tradition Lust auf ein offensives Spiel hatte, nicht die schlechteste Idee.
Die gute Nachricht: Das Offensivkonzept ging auf. Der VfB fand endlich die Mittel, aber gegen diesen Gegner auch den Platz, um ein vernünftiges Konterspiel aufzuziehen. Exemplarisch steht dafür natürlich das 1:0, eine Mischung aus dem Vertikalpass von Pavard gegen Fürth und dem Auftritt von Donis in München im Mai.
— VfB-FR GIFs (@VfBFilmRoom_GIF) September 29, 2018
Was ein fucking Traumtor! Natürlich “ausgerechnet” von Donis, an dessen Ein- und Auswechslungen in den letzten Wochen gefühlt das Seelenheil des Vereins und der Job von Tayfun Korkut hing. Sind Didavi und Donis vielleicht die Puzzlestücke für den Erfolg in den nächsten Spielen, mit denen uns Tayfun Korkut eines besseren belehrt? Wir werden es nicht erfahren, denn in der zweiten Halbzeit musste Donis einen weiteren vielversprechenden Konter an der Seitenlinie abbrechen und wurde verletzt ausgewechselt: Muskelbündelriss im Oberschenkel. Es ist zum Kotzen.
Bremen steht sich selber im Weg
Davon wussten wir allerdings in der ersten Halbzeit noch nichts, stattdessen nährte der Platzverweis für den Gegner in der 36. Minute die Hoffnung, den noch ungeschlagenen und offensichtlich spielstarken Bremern beikommen zu können, trotz des schlechten Saisonstarts. Nun ja. Wie sich herausstellte, waren es vor allem die Bremer, die sich selbst im Weg standen, außerdem zwei Mal der Pfosten neben Ron-Robert Zieler. Auch mit einem Mann mehr bekam der VfB das Spiel nicht unter Kontrolle. Jetzt ist Werder vielleicht nicht unbedingt der Gegner, den man über einen gewissen Zeitraum dominieren kann, wie Stefan Rommel das im Rasenfunk im Spiel gegen Düsseldorf erwartet hätte. Aber ein wenig mehr Ruhe hätte schon sein dürfen vor dem eigenen Strafraum. Stattdessen:
werder spielt mit zwei spielern sechs stuttgarter aus.
— Stefan Rommel (@knallgoewer) September 29, 2018
Und deswegen kann man auch nicht so richtig davon sprechen, dass der Ausgleich unverdient gewesen wäre. Dass er fiel war jetzt auch nicht völlig überraschend — nur wie. Mittlerweile habt ihr das Video sowieso schon zehntausend Mal gesehen, jeder Sportjournalist und jeder, der sich dafür hält, hat schon eine griffige Formulierung für Zieler gefunden und Twitter hat sich einmal schlapp gelacht. Passt ja auch irgendwie in die leider von ein paar Fehlern getrübte bisherige Saison der Nummer 1 im Brustring. Auch ich schob, von der Cannstatter Kurve aus zuschauend, zunächst einmal ihm die Schuld zu. So einfach ist es dann aber doch nicht:
Was ein Tor für #Werder heute #VfBSVW, da sehen #Sosa + #Zieler nicht gut aus. Man kann aber eigentlich beiden keinen Vorwurf machen – beide sind voll drin im “Tunnel des Spiels” & spulen ihr Ding runter in dem Moment. Egal! Spielte zum Glück keine Rolle das #EigentordesJahres
— Timo Hildebrand (@Hildebrand_884) September 29, 2018
Der VfB-Zirkus ist in der Stadt
Natürlich ist es jetzt einfach, auf den Torhüter drauf zu kloppen. Ich sehe hier aber Sosa und seinen abrupten Einwurf nach hinten, genau aufs Tor, genauso in der Schuld. Am Ende hat keiner von beiden so richtig mitgedacht. Wie auch immer: Es wird ein Einzelfall bleiben, das Eigentor des Jahres heißt ja nur aufgrund seiner Einzigartigkeit so. Da es am Ende auch nicht spielentscheidend war, können wir es glücklicherweise als das abhaken, was es war: Ein Freak-Ereignis. Viel ärgerlicher war wie gesagt, dass Werder auch ohne solche Zirkusstücke zu Torchancen kam.
Natürlich machten die Gäste hinten irgendwann noch weiter auf, als sie das aufgrund ihrer Spielanlage sowieso schon taten — was hätten sie auch sonst tun sollen bei den Möglichkeiten, die ihnen der VfB bot? Gott sei Dank gelang es dem VfB erneut in Führung zu gehen, die er danach eigentlich noch hätte ausbauen müssen. Nach dem 2:1 von Gonzalo Castro, sehenswert eingeleitet von Gomez und González, spielte der VfB wieder mit dem Glück und den Nerven seiner Fans. Denn alter Fußballerweisheit zufolge bestraft Dich der Fußballgott oder der Gegner, wenn Du zu leichtfertig mit Deinen Chancen umgehst. Dass der VfB überhaupt zu diesen kam, anders als in den letzten beiden Spielen, in denen Gomez und Kollegen nur einen mickrigen Schuss aufs Tor zustande brachten, lag natürlich diesmal auch am Gegner. Solche Konterchancen kriegst Du nicht in jedem Spiel.
Schwieriges Umfeld tröstet Stürmer
Und damit kommen wir zum tränenreichen Teil des Abends. Nicolás Gonezalez war in der 74. Minute für den äußerst blassen Christian Gentner aufs Feld gekommen und wollte unbedingt den Sack zumachen. Un-be-dingt. Genauso so verkrampft wirkte er dann auch vorm Tor, das er gleich drei Mal aus aussichtsrecher Position nicht traf. Neben Donis der zweite VfB-Spieler des Nachmittags, mit dem man eigentlich nur Mitleid haben kann. Nur zur Erinnerung: Der Junge ist erst dieses Jahr 20 geworden und spielt zum ersten Mal außerdem Argentiniens. Das kann natürlich nicht immer eine Entschuldigung für Fehlschüsse sein, aber ihm aus diesem Spiel einen Strick zu drehen, wäre falsch. Das sah auch die Kurve so, die mal wieder ihr Feingefühl bewies und González mit Sprechchören bedachte. Wie war das nochmal mit schwierigen Umfeld? Achja: Geile Choreo, Leute!
Was machen wir jetzt also aus diesem Spiel? Alles wieder gut, haben wir uns in Mannschaft und Trainer doch geirrt? Es war auf jeden Fall ein Spiel der besonderen Umstände. Hätte der VfB das Spiel noch gewonnen, wenn Bremen sich nach dem 1:1 mit zehn Mann hinten reingestellt hätte? Wahrscheinlich nicht. Hätte Bremen mit einer defensiveren Spielweise in Unterzahl den Ausgleich selber erzielt? Unwahrscheinlich. Sowohl Korkut, als auch die Mannschaft scheinen aus den letzten Spielen etwas gelernt zu haben: für Kontertore muss man sich bewegen und mit Didavi auf der Zehn und einem schnellen Stürmer kann man auf Konter spielen. Dennoch ist die Abwehr weiterhin nicht sattelfest. Dennoch war das, bei aller Spielstärke der Bremer etwas wenig mit einem Spieler mehr. Wie man so schön sagt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer (Das Phrasenschwein sagt danke).
Etwas Luft — mehr nicht
Mit dem 2:1 verschaffen sich die Brustringträger etwas Luft, müssen aber am Samstag gegen den neuen Tabellenletzten Hannover direkt nachlegen. Immerhin ist bei viel Unglück in diesem Spiel auch ein wenig Glück für den VfB dabei gewesen, anders als in den letzten Spielen. Ich hoffe ja immer noch, dass wir nicht den Trainer wechseln müssen und Tayfun Korkut noch die Kurve kriegt. Einfach weil ein Trainerwechsel halt doch selbst einen so wechselerfahrenen Verein wie den VfB jedes Mal ein wenig durchrüttelt. Deswegen freue ich mich einfach zunächst einmal über die drei Punkte. Mehr aber auch nicht.