Da ist sie, die erste Niederlage des VfB in dieser Saison. Ausgerechnet gegen den Tabellenletzten und obwohl wir fast alle Statistiken dominierten. Und jetzt?
Nachdem Stefan Rommel die erste Saisonniederlage ja schon für das Spitzenspiel in Bielefeld prophezeit hatte, entschied sich der VfB stattdessen für die klischeehafteste aller Niederlagen: Zu Hause, gegen den Tabellenletzten und zeitweise in Überzahl. Noch dazu mit einer drückenden Überlegenheit in fast allen Statistiken, Tore und Zweikämpfe mal ausgenommen. Jetzt haben wir uns schon dran gewöhnt, dass die Brustringträger in jedem Spiel versuchen, Pass- und Ballbesitzquote möglichst nah an die 100 Prozent zu schrauben, dass man allerdings über 800 Pässe spielte und davon die meisten erfolgreich, während die Gäste gerade mal 69 Zuspiele überhaupt an den Mann brachten, ist absurd. Genauso wie die Tatsache, dass der VfB dieses Spiel noch verlor.
Genug Möglichkeiten
Denn Gelegenheiten, aus den peinlichen ersten 20 Minuten doch noch drei Punkte zu machen, gab es genug. Und dennoch hätten die Gastgeber viel mehr machen können. Denn die zahlreichen Chancen — knapp 30 Torschüsse, davon sechs aufs Tor und vier an den Pfosten — waren vor allem Beleg für die defensive Hilflosigkeit der Gäste, als der VfB richtig aufdrehte. Das Problem lag aber in diesem Spiel weniger in den unglücklichen Abschlüssen, sondern viel mehr im vorgelagerten Bereich des Spielfelds: im Mittelfeld. Hier erging sich die Mannschaft in einem Pass-Festival, welches zwar anschließend auf dem Papier beeindruckend aussah, nach vorne jedoch relativ wenig bewirkte. Anstatt den Ballbesitz und die Kontrolle zu nutzen, um den Wehen Wiesbadener Abwehrriegel aufzubrechen, wurde er zum Selbstzweck und zur Selbstvergewisserung, dass es schon irgendwie klappen würde mit dem Tor. Hatte es ja zuletzt auch.
Diese Mischung aus Überheblichkeit und Schläfrigkeit führte dazu, dass die Mannschaft nach vorne statt Vertikalpässen, die neue Spielsituationen hätten enstehen lassen können, meistens entweder Querpässe spielte, oder versuchte, das Mittelfeld mit hohen Bällen oder Flankenwechseln zu überbrücken, was meistens scheiterte. Wäre man vor dem Tor nicht so artistisch gescheitert, wäre es mal wieder trotzdem gut gegangen, am Ende war es aber mit Wehen Wiesbaden der unwahrscheinlichste Gegner, der unsere Schwächen ausnutzte. Die verletzungsbedingte Auswechslung von Daniel Didavi war da auch nicht hilfreich. Der sah zwar gegen tiefstehende Mannschaften auch nicht immer gut aus, ist aber zumindest für eine Überraschung gut. Was die VfB-Abwehr bei den zwei Gästetoren geritten hat? Vielleicht die gleiche Überheblichkeit und Sorglosigkeit, letztlich ist es aber egal, denn diese Fehler hätte man wie gesagt korrigieren können.
Heilsamer Schock?
Ich sehe auch weiterhin kein Problem mit dem Versuch, Tim Walters System beim VfB umzusetzen. Das Problem ist meiner Meinung nach weiterhin aber die Umsetzung. Die Mannschaft muss bissiger werden und darf sich nicht auf dem Ballgeschiebe ausruhen, sondern muss dieses aktiv als Weg zum Tor einsetzen. Dazu gehört natürlich auch, dass Spieler wie Ascacíbar, Karazor oder auch Sosa ihre volle Leistungsfähigkeit abrufen, denn es lag auch an ihnen, die aus dem Mittelfeld heraus kaum Impulse setzen konnten. Am Meisten nervt mich auch an dieser Niederlage nicht der Punktverlust an sich, sondern die Offensichtlichkeit, mit der der VfB hier stolperte. Vor Wochenfrist noch die Bielefelder geschlagen, jetzt an einem Wochenende die Tabellenführung wieder abgegeben und Bielefeld wieder näher herangelassen.
Trotzdem bin ich eigentlich relativ entspannt. Diese Niederlage könnte für die Mannschaft ein heilsamer Schock gewesen sein, der sie davor bewahrt, nach der Länderspielpause gegen Kiel — ohnehin ein brisantes Spiel — ähnlich verschlafen aufzutreten. Mir fehlt deshalb auch jegliches Verständnis für Pfiffe gegen den zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden Tabellenführer, der gerade Gefahr läuft, sein erstes von zehn Saisonspielen zu verlieren. Und wo wir gerade bei Verständnis sind: Wieso müssen wir uns zwei Jahre nachdem es außer Coen Kasteels kaum jemanden interessierte, wie es Christian Gentner geht, schon wieder eine Szene beobachten, in der ein Spieler klar signalisiert, dass etwas gesundheitlich nicht stimmt und keiner der Schiedsrichter, ihrer Assistenten oder Assistenten-Assisten bekommt etwas mit? Ich finde es einfach nur erschreckend, wie sehr das System hier wieder versagt hat. Hoffen wir, dass Sosa, der leider sonst kein gutes Spiel machte, nicht ähnliche Langzeitfolgen davon trägt wie Timo Baumgartl.