Geht’s wieder?

Der VfB berap­pelt sich und wirft den HSV mit 2:1 nach Ver­län­ge­rung aus dem Pokal. War die gan­ze Auf­re­gung also umsonst? Und woher kommt die eigent­lich?

Ach­tung, Phra­sen­alarm: Fuß­ball ist ja schon irgend­wie eine bemer­kens­wer­te Frei­zeit­be­schäf­ti­gung und Pokal­wett­be­wer­be erst recht, denn die haben ihre…ok, las­sen wir das. Aber nach­dem mich die 2:6‑Klatsche im Liga­spiel beim HSV am ver­gan­ge­nen Sams­tag im Rück­blick zu einem Rund­um­schlag in Sachen Unzu­frie­den­heit mit dem VfB ver­an­lass­te, war ich nach dem spä­ten Sieg in der zwei­ten Pokal­run­de so zufrie­den wie lan­ge nicht mehr nach einem Spiel. Aber war­um und woher rühr­te die über­bor­den­de Unzu­frie­den­heit in den Spie­len davor, nicht nur bei mir, son­dern auch bei ande­ren?

Die Lernkurve

Die Zufrie­den­heit nach dem Pokal­spiel lässt sich vor allem dadurch erklä­ren, dass Mann­schaft und Trai­ner wie gefor­dert die Leh­ren aus dem Liga-Deba­kel zogen.

Dass eine sol­che Lern­kur­ve vor­han­den war, wur­de nicht nur am Ergeb­nis deut­lich, mit dem der VfB zum drit­ten Mal in den letz­ten sechs Jah­ren ins Ach­tel­fi­na­le ein­zog. Ließ man sich am Sams­tag noch von den Ham­bur­gern über­ren­nen und durch zwei frü­he Gegen­to­re aus dem Kon­zept brin­gen, lief das Spiel dies­mal in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung. Bevor über­haupt nur ein HSV-Spie­ler den Ball berührt hat­te, lag die­ser bereits im Tor der Haus­her­ren. Beein­dru­ckend, mit wel­cher Cool­ness Nico­las Gon­za­lez, gera­de nach der letz­ten Sai­son, vor der Ham­bur­ger Heim­kur­ve den Elf­me­ter ver­senk­te. Zwar glich der HSV sei­ner­seits durch einen etwas zwei­fel­haf­ten Elf­me­ter — die Grät­sche von Ascací­bar war zwar unnö­tig, aber eben auch ohne Berüh­rung des Gegen­spie­lers — aus, anders als am Sams­tag fiel die Mann­schaft aller­dings nicht aus­ein­an­der.

Neue Möglichkeiten

Der kürz­lich als so furcht­bar stur ver­ru­fe­ne Tim Wal­ter ersetz­te die Rau­te im Mit­tel­feld durch ein 4–3‑2–1, die am Sams­tag über­for­der­ten Awoud­ja und Insua durch Bad­s­tu­ber und Cas­tro und ließ Gon­za­lez als ein­zi­gen Stür­mer auf­lau­fen. Was auf­fiel: Kempf und Bad­s­tu­ber, ohne Zwei­fel das ball­si­chers­te Duo in der Vie­rer­ket­te, schob zwar wei­ter­hin im Spiel­auf­bau nach Wal­ter­scher Maß­ga­be nach vor­ne, aber nicht so extrem wie es Kempf und Awoud­ja am Sams­tag getan hat­ten. So konn­ten sie die wesent­lich weni­ger aggres­siv anlau­fen­den Ham­bur­ger bes­ser unter Kon­trol­le hal­ten und hat­ten zudem ins­be­son­de­re mit Cas­tro eine ball­si­che­re und zwei­kampf­star­ke Absi­che­rung, die viel­leicht auch eine Zwi­schen­lö­sung bis zu Bor­na Sosas end­gül­ti­ger Gene­sung ist.

Ungewohnt cool: Nicolas Gonzalez. © Getty/Bongarts
Unge­wohnt cool: Nico­las Gon­za­lez. © Getty/Bongarts

Auch im Spiel nach vor­ne stell­te sich der VfB geschick­ter an. Zwar gab es auch in die­sem Spiel wie­der eini­ge lan­ge Bäl­le, die­se wur­den aber nicht ein­fach nur aus Ver­zweif­lung, son­dern meist mit Kal­kül geschla­gen. Eine wei­te­re Vari­an­te waren ver­ti­ka­le Bäl­le ent­lang der Außen­li­nie, die dann von den Außen­bahn­spie­lern Manga­la und Ascací­bar sowie Förs­ter und Kle­ment dia­go­nal Rich­tung Straf­raum getra­gen wur­den. Zwar blieb in der Offen­si­ve immer noch vie­les Stück­werk, das war aber einer­seits mit zuneh­men­der Spiel­dau­er auch dem do-or-die-Cha­rak­ter eines Pokal­spiels geschul­det, ande­rer­seits war der Geg­ner nun auch nicht gera­de Fall­obst. Und dann gab es da noch eine ent­schei­den­de Ände­rung zum Liga­spiel:

Balsam nach anstrengenden Tagen

Die Mann­schaft woll­te unbe­dingt die rich­ti­ge Reak­ti­on auf die sams­täg­li­che Bla­ma­ge zei­gen und sie tat es auch, wie der Ver­ti­kal­pass fest­hält. Der HSV hat­te auch des­halb nicht so leich­tes Spiel, weil die Brust­ring­trä­ger vor­ne und hin­ten wach waren und sich jeden ver­lo­ren gegan­ge­nen Ball zurück­ho­len woll­ten. Spiel­ent­schei­dend war viel­leicht am Ende, dass sich Tim Wal­ter zwei sei­ner ins­ge­samt vier mög­li­chen Wech­sel (im Pokal darf ja in der Ver­län­ge­rung ein zusätz­li­ches Mal gewech­selt wer­den) für die Ver­län­ge­rung auf­hob. Auch Waman­gi­tu­kas beein­dru­cken­der Lauf, der in einem Pfos­ten­schuss ende­te, kann ein Fin­ger­zeig für die nächs­ten Spie­le sein, der Sieg­tref­fer vom kurz zuvor ein­ge­wech­sel­ten Al Ghad­dioui war auf jeden Fall Bal­sam auf geschun­de­ne Fan­see­len.

Denn die drei Tage und ehr­li­cher­wei­se auch die Wochen davor waren anstren­gend. Gab der Erfolg dem Trai­ner vor dem Wies­ba­den-Spiel recht, fiel die­se Argu­men­ta­ti­ons­li­nie mit jeder der drei fol­gen­den Nie­der­la­gen in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung immer mehr in sich zusam­men. Obwohl der VfB nach zehn Spie­len nach expec­ted goals die zwei­te Liga anführ­te wur­de aus dem sport­lich erfolg­rei­chen Sai­son­start schnell eine Serie von wenig über­zeu­gen­den, glück­lich gewon­ne­nen Spie­len.

Und ganz schnell hieß es: Wenn wir jetzt im Pokal auch noch auf die Fres­se krie­gen, ist Wal­ter so gut wie weg und viel­leicht ist das ja auch gut so, denn der passt mit sei­ner über­heb­li­chen Art über­haupt nicht zu uns und mit sei­ner Stur­heit erin­nert er uns ungut an Alex­an­der Zor­ni­ger.

Vorhang auf für seine Horror-Show!

Lehrt VfB-Fans heute noch das Fürchten. © Getty/Bongarts
Lehrt VfB-Fans heu­te noch das Fürch­ten. © Getty/Bongarts

In die­sem Ver­gleich liegt mei­ner Mei­nung nach auch der Kern der hef­ti­gen Emo­tio­nen und Trai­ner­dis­kus­sio­nen der ver­gan­ge­nen Tage. Denn auch wenn der Ver­gleich zwi­schen Wal­ter und Zor­ni­ger gewal­tig hinkt — Wal­ter will den Ball haben, Zor­ni­ger den Geg­ner mit Ball jagen; Wal­ter scheint in einer Mann­schaft mit vie­len jun­gen Spie­lern ein gutes Stan­ding zu haben, Zor­ni­ger schei­ter­te an sei­ner Spie­ler­an­spra­che und an der Bequem­lich­keit der Füh­rungs­spie­l­er­rie­ge — so offen­bart er doch einen ziem­lich guten Ein­blick in das Gemüt vie­ler VfB-Fans: Angst und Ent­täu­schung.

Denn auch wenn der Abstieg 2016 viel­schich­ti­ge­re Grün­de hat, ist Alex­an­der Zor­ni­ger für vie­le von uns immer noch das Schreck­ge­spenst. Der Mann, der Man­ches­ter City schlug und sei­ne Mann­schaft mit vol­ler Über­zeu­gung ins Ver­der­ben ren­nen ließ, der damit den Boden berei­te­te für den ers­ten Abstieg seit 40 Jah­ren, den vie­le schon lan­ge erwar­tet hat­ten, der auf­grund des Sai­son­ver­laufs dann doch über­ra­schend kam. Vier Jah­re spä­ter trifft ein selbst­be­wuss­ter und von sei­nen Metho­den über­zeug­ter Tim Wal­ter auf eine tief ver­un­si­cher­te Fan­sze­ne, die nach Jah­ren der gro­ßen Ver­spre­chun­gen und Zie­le, der Rück­schlä­ge und Ent­täu­schun­gen, ein­fach nur noch, salopp gesagt, aufn Arm will. Am liebs­ten kei­ne Expe­ri­men­te, kei­ne Span­nung, kein 5:4, son­dern ein­fach nur eine ent­spann­te Sai­son im kusche­li­gen Mit­tel­feld der Erst­li­ga-Tabel­le. Es soll bit­te, bit­te auf­hö­ren, immer schlim­mer zu wer­den.

Holt uns ab!

Ist nicht Alex Zorniger. © Getty/Bongarts
Ist nicht Alex Zor­ni­ger. © Getty/Bongarts

Das sind kei­ne all­zu hohen Ansprü­che, trotz­dem tut man sich beim VfB der­zeit schwer damit, die Fans in die­sem Gemüts­zu­stand abzu­ho­len. Das offen­ba­ren die Inter­view-Aus­sa­gen von Hitzl­sper­ger und Mislin­tat, aber auch die Aus­sa­gen von Wal­ter auf der Pres­se­kon­fe­renz nach dem Liga-Spiel in Ham­burg. Hitzl­sper­ger, Mislin­tat und Wal­ter, alle noch nicht so furcht­bar lan­ge im Amt, kön­nen zwar nichts dafür, aber die Skep­sis und das Miss­trau­en und die dar­aus resul­tie­ren­den Emo­tio­nen hat sich der Ver­ein selbst zuzu­schrei­ben. Wir wur­den mit unrea­lis­ti­schen Cham­pi­ons League-Träu­me­r­ein für dumm ver­kauft, als ahnungs­lo­se Voll­idio­ten beschimpft, uns wur­de mehr­fach ein radi­ka­ler Neu­start ver­spro­chen, der nie ein­trat. Dass vie­le VfB-Fans den sport­lich Ver­ant­wort­li­chen nicht wei­ter trau­en, als sie sie wer­fen kön­nen, ist haus­ge­macht.

Das gilt auch für die Ver­eins­po­li­tik. Die Bekannt­ga­be der bei­den Kan­di­da­ten für die Prä­si­den­ten­wahl am 7. Novem­ber steht ja kurz bevor und als ob in den letz­ten Tagen auf dem Rasen nicht schon genug los war, sorg­te der VfB erst mit der Bekannt­ga­be einer vier Namen umfas­sen­den Short­list und der Nicht-Berück­sich­ti­gung von Gui­do Buch­wald für Auf­se­hen, son­dern befin­det sich der­zeit noch in einem schein­bar ziem­lich ver­fah­re­nen Rechts­streit mit dem Dienst­leis­ter, der auf der geschichts­träch­ti­gen Mit­glie­der­ver­samm­lung im Som­mer für das W‑LAN zustän­dig war. In frü­he­ren Zei­ten hät­te man sich viel­leicht über die Bekannt­ga­be einer Kan­di­da­ten­lis­te an einem Frei­tag­abend gewun­dert (ehr­li­cher­wei­se hät­te man sich schon dar­über gewun­dert, dass es mehr als einen Kan­di­da­ten gibt), im Herbst 2019 schie­ßen hin­ge­gen sofort die Spe­ku­la­tio­nen ins Kraut: War­um steht Gui­do Buch­wald nicht zur Wahl? Wer sind Mar­tin Bizer und Susan­ne Schos­ser? Mit wem von denen war Wil­fried Porth schon Maul­ta­schen essen? Ähn­lich ist es bei der W‑LAN-Debat­te, bei der der VfB einer­seits nam­haf­te Gut­ach­ter auf sei­ner Sei­te hat, die ihn von jeg­li­cher Schuld frei­spre­chen, ande­rer­seits aber die Macht des Zwei­fels: Es ist der VfB, die wer­den es schon wie­der irgend­wie falsch gemacht haben.

Der Preis des Opportunismus

Er ist weg, seine Strukturen nicht. © Getty/Bongarts
Er ist weg, sei­ne Struk­tu­ren nicht. © Getty/Bongarts

Auf die­ser Ebe­ne ist das Miss­trau­en und die Ent­täu­schung gegen­über dem Ver­ein fast noch gra­vie­ren­der als beim Trai­ner. Wir wur­den in den letz­ten Jah­ren mehr­fach sys­te­ma­tisch belo­gen, für dumm ver­kauft, belei­digt und zu schlech­ter Letzt auch noch mit Netz­na­zis in einen Topf gewor­fen und bei der Poli­zei ange­zeigt. Wolf­gang Diet­rich ist weg, aber die Struk­tu­ren und Per­so­nen, die ihn för­der­ten und stütz­ten sind fast voll­stän­dig noch da. Vor allem jene, die eine Ver­ant­wor­tung gegen­über den Mit­glie­dern haben, sind gera­de schwer damit beschäf­tigt, die­se davon zu über­zeu­gen, dass beim VfB wie­der alles mit rech­ten Din­gen zugeht. Dass sie sich dabei mit einem Dampf­plau­de­rer wie Gui­do Buch­wald aus­ein­an­der­set­zen müs­sen und damit, dass des­sen Vor­wür­fe bei vie­len Fans gro­ße Reso­nanz haben, ist der Preis des Oppor­tu­nis­mus. Wer die Prä­si­dent­schaft Wolf­gang Diet­richs für alter­na­tiv­los hielt, muss sich jetzt ein­ge­ste­hen, dass die Alter­na­ti­ven nicht nur vor­han­den, son­dern bes­ser sind.

Also lie­ber Tim Wal­ter, lie­ber Sven Mislin­tat, lie­ber Tho­mas Hitzl­sper­ger und lie­ber Ver­eins­bei­rat: Die­ser Ver­ein hat in den letz­ten Jah­ren auf allen Ebe­nen jeg­li­che Vor­schuss­lor­bee­ren und jeg­li­chen Kre­dit bei sei­nen Fans auf­ge­braucht, um nicht zu sagen ver­schwen­det. Teil­wei­se ist das Eure Schuld, teil­wei­se nicht. Aber wun­dert Euch nicht über unse­re Skep­sis, unse­re Ver­schwö­rungs­theo­rien, unse­re Zwei­fel und unse­re Ver­zweif­lung. Wir schie­ßen zwar manch­mal übers Ziel hin­aus, aber Schuld an unse­rer Angst sind nicht wir. Ihr als Ver­ein müsst Euch unser Ver­trau­en erst wie­der erar­bei­ten.

Nicht nachlassen!

Kurz zurück zum Sport­li­chen, auch damit ich noch die Kur­ve zur Über­schrift krie­ge. Ist jetzt plötz­lich wie­der alles gut? Tim Wal­ter wie­der ein aus­ge­wie­se­ner Trai­ner­fuchs, nach­dem der den Trai­ner­fuchs Die­ter Hecking über­lis­tet hat? Natür­lich nicht. Mit Dres­den tref­fen wir wie­der auf einen Abstiegs­kan­di­da­ten, der alles dafür tun wird, unbe­scha­det aus dem Aus­wärts­spiel beim Abstei­ger und Tabel­len­drit­ten raus­zu­kom­men. Aber der Sieg sorgt hof­fent­lich für Selbst­ver­trau­en, für die Ein­sicht, dass der VfB in jedem Zweit­li­ga­spiel an sei­ne Gren­zen gehen muss und für ein paar Inspi­ra­tio­nen, wie wir in Zukunft zu mehr Toren kom­men. Nach Dres­den kommt mit Osna­brück ein wei­te­res Team aus dem Tabel­len­kel­ler und danach kommt das Der­by. Der VfB darf jetzt kei­ne Sekun­de und kei­nen Zen­ti­me­ter nach­las­sen, son­dern muss sei­nen Ball­be­sitz end­lich für eine sta­bi­le Defen­si­ve und eine gefähr­li­che Offen­si­ve nut­zen.  

Titel­bild: © Getty/Bongarts

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