Euphorie, wo bleibst du?

Nach einer Der­by-Nie­der­la­ge, gefolgt von einem furio­sen 5:1‑Sieg gegen Sand­hau­sen, tau­melt sich der VfB gen Auf­stieg. Auch in der Zweit­li­ga­sai­son vor drei Jah­ren war es bis zum letz­ten Spiel­tag nicht sicher, dass der VfB auf­stei­gen wür­de, den­noch herrsch­te damals eine Eupho­rie, die mit Hän­den zu grei­fen war. An was liegt es, dass Fans und Mann­schaft nicht zusam­men­wach­sen?

21. Mai 2017: Hun­dert­tau­send Fans des VfB Stutt­gart ver­sam­meln sich am Wasen, um ent­we­der nach links in Rich­tung Sta­di­on abzu­bie­gen und sich dort das Spiel gegen die Würz­bur­ger Kickers anzu­schau­en oder nach rechts zum Wasen­ge­län­de zu lau­fen, wo der VfB eine Büh­ne und eine Lein­wand auf­ge­baut hat, auf der das Spiel über­tra­gen wird. Die Stim­mung ist gut, die Vor­freu­de groß, man ist schon fast sicher auf­ge­stie­gen. Als der Abpfiff nach einem fast unge­fähr­de­ten 4:1‑Sieg ertönt, bre­chen im Sta­di­on alle Däm­me, die Fans stür­men den Rasen und fei­ern mit der Mann­schaft mit einer Eupho­rie, als wäre der VfB end­lich wie­der wer und als wür­de jetzt alles gut wer­den.

17. Juni 2020: “Jetzt nicht nach­las­sen” dürf­te wohl der häu­figs­te Satz mit dem #VfB in den sozia­len Medi­en gewe­sen sein, nach­dem der VfB den SV Sand­hau­sen mit 5:1 nach Hau­se geschickt hat und im Schne­cken­ren­nen um den Auf­stieg wich­ti­ge Punk­te geholt hat. Er hat es jetzt (schon) wie­der in der eige­nen Hand. Doch wirk­li­che Freu­de will sich nicht ein­stel­len, nach dem Spiel ist das Ungläu­bi­ge der ers­ten hal­ben Stun­de schon fast wie­der ver­ges­sen.

Woran liegt die mangelnde Euphorie?

Die Erfahrung

Im ers­ten Zweit­li­ga­jahr war alles neu: Man konn­te wie­der mehr Sie­ge fei­ern als die letz­ten Sai­sons zusam­men, ab Okto­ber spiel­te der VfB halb­wegs ansehn­li­chen Fuß­ball, es gab wirk­lich span­nen­de Spie­le in die­ser Sai­son und das Sta­di­on war immer knall­evoll. Jetzt ist das Sta­di­on oft nicht aus­ver­kauft, zur Zeit ist sogar kei­ner im Sta­di­on. Die fäl­li­gen Stand­pau­ken für schlech­te Leis­tun­gen gibt es nicht, die Spie­ler müs­sen sich selbst aus dem Matsch zie­hen, in den sie immer wie­der ohne Not hin­ein­sprin­gen. Manch­mal klappt das, manch­mal auch nicht. Die Zweit­li­ga­sai­son will man als Fan gar nicht mehr “erfah­ren”, son­dern ein­fach nur hin­ter sich brin­gen. Die Spie­le füh­len sich nicht so inten­siv, nicht so span­nend an — auch ohne Coro­na. Die Stim­mung in der Kur­ve ist ok, aber nicht so über­ra­gend. Es ist alles ein biss­chen lei­ser, ein biss­chen weni­ger auf­re­gend.

Das leere Stadion

Der VfB braucht sei­ne Fans. Es gab vor dem Re-Start genug Exper­ten, die gesagt haben, dass man­che Teams bes­ser mit dem lee­ren Sta­di­on umge­hen kön­nen als ande­re. Beim VfB weiß jetzt jeder, zu wel­cher Kate­go­rie er gehört. In der Coro­na-Tabel­le sind wir von den Abstiegs­plät­zen so weit weg wie von den Auf­stiegs­plät­zen (*). Nach einem frü­hen Gegen­tor sind die Spie­ler ent­we­der voll­stän­dig demo­ti­viert und das Spiel ist schon halb ver­lo­ren, nach einem frü­hen Tor spielt das Team plötz­lich viel bes­ser. Das Mut­ma­chen der Fans, viel­leicht auch das Aus­pfei­fen der Haupt­tri­bü­nen­brudd­ler zur Halb­zeit fehlt. Über die “schlech­te Stim­mung” und das “schwie­ri­ge Umfeld” wur­de in Stutt­gart schon so viel gere­det — jetzt mer­ken alle, dass das Umfeld weder schwie­rig noch kom­pli­ziert ist, noch, dass eine schlech­te Stim­mung herrscht. Der VfB braucht sei­ne Fans — und zwar in Hör­wei­te. Stutt­gart ist eine Stadt, die sich nor­ma­ler­wei­se voll­stän­dig mit ihrem Ver­ein iden­ti­fi­ziert. Der Stadt ist der Ver­ein wich­tig; die Stutt­gar­ter sind nicht glü­hen­de Anhän­ger, weil es ihnen wirt­schaft­lich viel­leicht nicht so gut geht und sie eine Flucht im Fuß­ball suchen; der VfB ist der Aus­gleich, das Gegen­ge­wicht zum Job. Und wenn man ganz ehr­lich ist, müs­sen die Fans ein so sta­bi­les Umfeld auch haben, um das ewi­ge Lei­den mit die­sem Ver­ein auch mit­zu­ma­chen.

Doch die Iden­ti­fi­ka­ti­on lei­det, und das liegt natür­lich auch am “ele­phant in the room”, über den wir noch nicht gespro­chen haben:

Corona

Denn neben einem lee­ren Sta­di­on führt Coro­na auch dazu, dass die Fans beim Re-Start nicht so wirk­lich am Start waren. Die Zuschau­er waren vor dem Fern­se­her, aber die Ent­frem­dung zwi­schen Pro­fi­fuß­ball und Fans wur­de durch die unglaub­lich schlech­te Kom­mu­ni­ka­ti­on von Liga, Ver­band und man­chen Mana­gern (Grü­ße an Ralf Rang­nick) noch viel grö­ßer als eh schon. Das DFL-Kon­zept wur­de mitt­ler­wei­le ange­passt, aber dass sich der Fuß­ball in einer Son­der­rol­le sieht, ist offen­sicht­lich. Wir da oben, alle ande­ren da unten. Das Geschäft muss wei­ter­ge­hen. Die eige­ne Hybris ist den Mana­gern bis­her noch nicht genug auf die Füße gefal­len.

Was bleibt, ist die Hoff­nung, dass der VfB auf­steigt und wir das unse­li­ge Kapi­tel Liga zwei hin­ter uns las­sen kön­nen; außer­dem, dass es nicht so wei­ter­geht wie immer bis­her und die Ver­ant­wort­li­chen aus­nahms­wei­se mal die rich­ti­gen Schlüs­se zie­hen.

Titel­fo­to: © Chris­ti­an Kas­par-Bart­ke/­Get­ty Images 

(*) Kor­rek­tur: In einer frü­he­ren Ver­si­on stand, dass der VfB in der Coro­na-Tabel­le dem “Abstieg näher sei als dem Auf­stieg. Tat­säch­lich sind es aber 3 Punk­te in jede Rich­tung.

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