Der VfB spielt im Relegationshinspiel gegen Union Berlin 2:2 und hinterlässt bei seinen Fans ein emotionales Schlachtfeld.
Eigentlich hatte ich ja gedacht, dass mich der diesjährige Kampf um den Klassenerhalt und ein möglicherweise schlechter Ausgang dieses Kampfes weniger mitnehmen würde als in der Vergangenheit. 2016 war schlimm, weil es mein erster Abstieg war, auch wenn er sich lange und überdeutlich angekündigt hatte. Als ich am Donnerstagabend nach Stuttgart fuhr, war ich trotzdem so aufgeregt wie seit langem nicht mehr vor einem VfB-Spiel. Ich erinnere mich an ein Europapokal-Heimspiel gegen St. Petersburg, bei dem ich zuletzt ähnlich nervös war. Der ganze Mist der letzten zehn Jahre, den ich hier bei 120minuten noch einmal aufgeschrieben habe, war zwar anstrengend, aber es war ein schleichender Niedergang, auf den man sich einstellen konnte und den man in diesem schleichenden Tempo irgendwie verarbeiten konnte. Der Gedanke aber, dass schlimmstenfalls schon nach dem Hinspiel so gut wie alles vorbei sein könnte, schlug mir schwer aufs Gemüt.
Hohe Hürde
Ihr erwartet hoffentlich an dieser Stelle keine detaillierte Analyse des 2:2. Dazu war, dazu bin ich gerade mental nicht in der Lage. Auch zwei Tage nach dem Spiel – und zwei Tage vor dem Rückspiel – ist die Enttäuschung über die Leistung der Mannschaft genauso groß wie die Angst vor dem, was am Montag in Berlin passiert. Und irgendwo dazwischen sitzt die Hoffnung, dass das doch alles irgendwie gut geht und dass die wenigen positiven Ansätze, die ich in den letzten Wochen bei der sportlichen Führung gesehen habe, nicht durch einen Abstieg in kannibalisiert werden. Abgesehen davon, dass ich keine Lust habe, nach einer derartigen Enttäuschung noch mitten in der Nacht quer durch die Republik nach Hause zu fahren.
Natürlich: Der VfB kann das noch schaffen. Die Mannschaft kann sich mit einem Sieg den Arsch retten und das Allerschlimmste verhindern. Aber sie hat mit der Leistung des Hinspiels die Hürde unnötig erhöht und das Stuttgarter Rössle springt bekanntlich immer nur so hoch, wie es muss – oder auch nicht. Dass beide Spiele knapp werden würden, war erwartbar, aber wenn Du in einem Wettbewerb mit Hin- und Rückspiel und Auswärtstorregel antrittst, darfst Du einfach zu Hause nicht zwei Tore kassieren. Erst recht nicht auf die Art und Weise, wie es der VfB getan hat, von daher ist das in der Überschrift verwendete Zitat von Christian Gentner schon ein ziemlicher Euphemismus.
Irgendwie durchwurschteln!
Die Relegation ist ja an sich schon ein unwürdiges Spektakel. Die eine Mannschaft ist zwar auf dem Papier stärker besetzt, aber moralisch angeschlagen, die andere Mannschaft verfügt zwar nicht über die Masse an guten Einzelspielern, hat aber eine ziemlich erfolgreiche Saison gespielt. Für die eine Mannschaft ist es die letzte Chance, die Saison zu retten, für die andere ein Umweg, um sich für eine gute Leistung doch noch zu belohnen. Egal was in den zehn Monaten vorher gut oder schlecht lief, alles wird auf diese zwei Spiele komprimiert. Als Unbeteiligter eine schöne Unterhaltung. Als Fan des beteiligten Erstligisten eine Qual, die Du Deinen schlimmsten Feinden nicht angedeihen lassen möchtest.
Was gut lief: Der Angriff der zum 1:0 führte. Anastasios Donis setzte zu einem seiner unnachahmlichen Flankenläufe an und legte den Ball in die Mitte, wo Christian Gentner diesen im Fallen über die Linie brachte. Das war der VfB, der eben solche Spieler wie Donis in seinem Kader hat und mit dessen Geschwindigkeit die Abwehr der Gäste in diesem Fall offensichtlich überfordert war. Auch der zweite Treffer des VfB war ein Abbild der wenigen Highlights dieser Saison: Mario Gomez lief an der Mittellinie los und ließ sich den Ball bis zum Schuss einfach nicht abnehmen. Sein schwacher Schuss wurde dann so abgefälscht, dass er hinter dem Union-Torwart ins Netz trudelte. Irgendwie durchgewurschtelt hat.
Angst!
Leider waren auch die beiden Gegentreffer typisch VfB. Der erste kam direkt nach der Führung, als wir gerade unsere ganze Erleichterung und Freude herausgeschrien hatten. Ein langer Ball der Berliner, ein verlorenes Kopfballduell und ein behäbig geführter Zweikampf brachten uns zurück auf den Boden der Tatsachen und führten uns wieder vor Augen, dass unsere Mannschaft ein nur bedingt bundesliga-taugliches Defensivspiel hat. Mindestens genauso ernüchternd war der erneute Ausgleich Unions: Nach einer Ecke musste Unions Friedrich nur einen Schritt nach hinten machen, um sich von seinem Stuttgarter Gegenspieler zu lösen und den Ball ins Tor zu köpfen. Und wenn Ron-Robert Zieler nicht gewesen wäre, hätte uns Union auch noch zum dritten Mal eingeschenkt.
Seitdem schwankt man als VfB-Fan zwischen Weltuntergangsstimmung und trotziger Hoffnung. Das Stadion an der alten Försterei wird am Montag brennen (im übertragenen Sinne, Herr Beuth!), so viel ist klar. Lässt sich unsere Mannschaft davon beeindrucken? Zerbricht die gegnerische Mannschaft am Druck, den Verein in die Bundesliga führen zu können? Wovor ich eigentlich genau Angst habe, weiß ich gar nicht. Enttäuschende Niederlagen sind genauso wenig etwas Neues für mich wie ein erneuter Abstieg, denn mit dieser Perspektive muss ich mich schon die ganze Saison auseinander setzen. Ich glaube, es ist die Aussicht, 90 Minuten lang je nach Spielverlauf zwischen Erleichterung und Frustration hin- und hergeworfen zu werden, bei der sich mir jetzt schon der Magen zusammenzieht.
Noch einmal alles reinwerfen!
Das sind die Momente, in denen man sich fragt, warum und wie lange noch man sich das eigentlich antut. Eigentlich bräuchte ich nach Montag erstmal eine VfB-Auszeit. Das wird schon allein deshalb nicht klappen, weil schon Mitte Juli eine Mitgliederversammlung ansteht, auf der so einiges aufgearbeitet werden muss. Vorher nehmen wir Anfang Juni die VfB-Viererkette live im Stuttgarter Fanprojekt auf und ganz egal wie das Spiel am Montag ausgeht wird sich beim VfB auch in diesem Sommer wieder einiges ändern. Da bleibt eigentlich keine Zeit zum Durchschnaufen. Gesund ist das auf jeden Fall nicht, was der Verein, beziehungsweise die AG da mit uns macht.
Aber jetzt müssen wir erstmal die Zeit bis Montagabend in diesem emotionalen Schwebezustand rumbringen und dann, solange bis ein Ergebnis feststeht, alles für diesen Verein und diese Mannschaft reinwerfen, was wir haben. Mindestens einmal mehr in völliger Ekstase im Gästeblock wegen eines VfB-Tores eskalieren als über ein Gegentor ärgern. Die Mannschaft mit der brachialen Lautstärke antreiben, die die Cannstatter Kurve auch am Donnerstag in der ersten Halbzeit an den Tag legte. Und dann ist es vorbei und wir sind entweder abgestiegen oder auch nicht. Aber es ist endlich vorbei.