Am vergangenen Sonntagabend gegen 19 Uhr erreichte der VfB Stuttgart den Tiefpunkt seiner jüngeren Vereinsgeschichte. Jetzt kann es nur noch besser werden. Aber wir müssen etwas dafür tun.
Der Streit muss aufhören. Wenn der VfB wieder erfolgreich sein soll, benötigen wir die Mitglieder, den Daimler, die Allesfahrer, die Bruddler, den Freundeskreis, die Sponsoren, die OFCs, die Ultras, die nicht-organisierten Fans und alle anderen, deren Herz an unserem Club hängt.
— Mietmaul (@Das_Mietmaul) July 17, 2019
Besser kann man es nicht ausdrücken. Nachdem der VfB Stuttgart sich am Sonntagabend nach der sportlichen Peinlichkeit des zweiten Abstiegs in drei Jahren auch organisatorisch bis auf die Knochen blamiert hat, ist es an der Zeit, dass es wieder aufwärts geht. Was zunächst einmal nicht schwer ist, denn viel schlimmer als nach der abgebrochenen Mitgliederversammlung kann es eigentlich nicht mehr kommen. Der Rücktritt von Wolfgang Dietrich war der erste wichtige Schritt in die richtige Richtung, auch wenn es mir persönlich lieber gewesen wäre, er wäre durch eine Abwahl aus dem Amt geschieden. Sei es drum. Die nächsten Schritte müssen wir als Verein jetzt unternehmen. Und zwar alle. Denn wir haben viel Arbeit vor uns.
Das Ende der Amtszeit von Wolfgang Dietrich ist eine Chance für uns alle. Für jene, die gegen eine Abwahl waren oder gegen sie gestimmt hätten, weil ihnen Kontinuität wichtig ist und sie dafür waren, dass Dietrich nächstes Jahr in einer regulären Wahl durch eine Alternative ersetzt wird. Aber auch für jene, die, wie ich beispielsweise, für eine Abwahl waren, weil sie Wolfgang Dietrich aus diversen, bereits mehrfach aufgeführten Gründen nicht einen Tag länger als bis zum 14. Juli an der Spitze von Verein und AG sehen wollten.
Die Verantwortung des Vereinsbeirats
Denn am Rücktritt lässt sich nichts mehr ändern und die Suche nach Alternativen beginnt jetzt. Lasst uns also jetzt schauen, dass wir eine Alternative finden, die unseren Erwartungen entspricht. Denn die dürften sich, egal wie man zu Wolfgang Dietrich stand, nicht so groß unterscheiden: Wer auch immer jetzt Präsident — oder Präsidentin, übrigens — wird, sollte bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Ehrlichkeit und Transparenz gegenüber den Mitgliedern sollten selbstverständlich sein, ebenso wie eine dem Verein und der Situation in der er sich befindet angemessene Repräsentation nach außen. Das heißt: Der VfB Stuttgart muss sich nicht kleiner machen als er ist, aber er muss die kommenden Aufgaben mit der notwendigen Demut angehen, die sich aus dem Abstieg und dem Chaos der letzten Jahre ergibt. Am wichtigsten ist aber: Diese Person muss die Interessen der Mitglieder des VfB Stuttgart vertretenm nicht die eines Sponsors oder Investoren und sie muss das ohne jeglichen externen Abhängigkeiten tun.
Dem Vereinsbeirat, aus dessen Mitte jetzt Hans H. Pfeifer interimsweise ins Präsidium berufen wurde, hat in den nächsten Monaten eine große Verantwortung. Denn anders als 2016, als Wolfgang Dietrich auf Vorschlag des Aufsichtsrats-Trios Schäfer-Porth-Jenner zur Wahl stand, ist es jetzt eben jener Vereinsbeirat, der die Kandidaten auswählt. Dass am Ende zwei zur Wahl stehen sollten, versteht sich mittlerweile von selbst, ich möchte es aber hier noch einmal betonen. Auch hier ist Transparenz und Offenheit wichtig, denn die Gremien des VfB Stuttgart müssen bei einem Großteil ihrer Mitglieder verlorenes Vertrauen erstmal wieder zurück holen. Eine Wahl zwischen zwei Kandidaten sollte auch dafür sorgen, dass vor der Wahl im Dezember keine Drohszenarien aufgebaut werden müssen, wie es 2016 der Fall war.
Wachsam bleiben!
Wir Mitglieder müssen also weiter wachsam sein, was in unserem Verein passiert. Wir müssen aber auch offen sein. Offen für einander und offen für die Vereinsführung, in diesem Falle den Vereinsbeirat. Das bedeutet nicht, dass jegliche Entscheidung kritiklos hingenommen wird oder alle einer Meinung sein müssen. Aber wir müssen wieder lernen, aufeinander zuzugehen und in der Sache zu streiten, nicht um das Verhalten und die Amtsführung einer Person. Das bedeutet mitunter auch, Gräben, die in den zweieinhalb Jahren entstanden sind, nicht wieder aufzureißen, sondern nach vorne zu schauen. Es bedeutet übrigens auch, sich auf Mitgliederversammlungen ausreden zu lassen.
Aber nochmal: Alte Fehler dürfen sich nicht wiederholen! Das gilt zum Beispiel für den Umgang mit dem Ankerinvestor Daimler. Die Ausgliederung ist durch und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden und auch den Daimler haben wir jetzt im Boot. Es lässt sich nicht mehr ändern, also machen wir das Beste daraus. Dazu gehört, dass man sich von einem Investor, der lediglich 11,75 Prozent an der VfB AG hält und im VfB e.V. überhaupt nichts zu sagen hat, eben auch nichts sagen lässt. Weder bei der Auswahl der Sponsoren, noch bei der Auswahl des Personals. Wenn der Verein beispielsweise in Person von Dr. Bernd Gaiser als interimsmäßigen Aufsichtsratsvorsitzenden beschließt, er wolle eine Person als Vorstandsvorsitzenden der VfB AG einstellen, dann muss der Minderheits-Anteilseigner das akzeptieren, egal wie die Meinung dessen Aufsichtsratsvertreters zu dieser Person ist.
Wetterfest für die Zukunft
Wir müssen unseren Verein wieder wetterfest für die Zukunft machen. Dazu gehört zunächst einmal eine Satzung, die nicht zu einem solchen Debakel führen kann, wie es bei der Mitgliederversammlung geschah. Denn über die Durchführung einer nicht-elektronischen Abstimmung hätte, wie bereits mehrfach erläutert, elektronisch abgestimmt werden müssen. Wie im Podcast Logbuch Netzpolitik ab Minute 1:28:51 erklärt wird, ist das mit den elektronischen Abstimmungen sowieso nicht so die allerbeste Idee. Außerdem könnte man sich satzungstechnisch an Düsseldorf ein Beispiel nehmen:
Bei #F95 haben sich übrigens über 97% der Mitglieder dafür ausgesprochen, #Geschenke bei der #Mitgliederversammlung per Satzung auszuschließen.
Ein #Antrag, der Schule machen sollte… #Bundesliga #2Liga #3Liga
Stabil bleiben, #VfB! #VfBMV https://t.co/crrrG0IkWv— Sue Rudolph (@Medienfreundin) July 14, 2019
Kurz: Mitglieder und Verein und ja, auch die AG, müssen sich wieder auf Augenhöhe begegnen, müssen einander ernst nehmen, sich zuhören und dürfen sich nicht mehr gegenseitig als Intriganten einerseits oder als leicht zu köderndes Stimmvieh andererseits betrachten. Wetterfest heißt aber auch: Wer wieder versucht, die Mitglieder durch unpassende Vergleiche oder unzulässige Gleichsetzungen zu spalten, dem muss widersprochen werden.
Denn klar ist auch: Nur weil Wolfgang Dietrich nicht mehr im Amt ist, sind die Strukturen, die ihn getragen und gestützt haben, nicht weg. Manche Strukturen mögen aus Opportunismus entstanden sein, andere aus Überzeugung. In einem neuen VfB darf für Strukturen, die eine Amtsführung wie die von Wolfgang Dietrich erleichtert haben, kein Platz mehr sein.
Richtiger Dialog
Wir müssen wieder mehr mit- statt übereinander reden. Eine Veranstaltung wie “VfB im Dialog”, bei der Fragen und Anmerkungen “von unten” auf vorbereitete Statements “von oben” treffen, ist dabei nicht wirklich zielführend. So etwas hingegen eher:
Ja, und ein echter “VfB im Dialog”, also z.B. ein Format, bei dem VfBler mit einem Familienvater von der Gegengerade, einem Ultra, einem Bruddler, der nicht mehr ins Stadion geht, und jemanden aus der Business Lounge zusammenhocken und einfach mal über den VfB reden.
— Mietmaul (@Das_Mietmaul) July 17, 2019
So ein Dialog setzt auch voraus, dass man sich nicht gegenseitig in Stereotypen betrachtet. Das beste Argument dagegen war die Mitgliederversammlung, als der Vertreter der Ultras auf der Bühne genauso sachlich argumentierte, wie der 18jährige Fan aus der Kurve oder andere, die man eher auf der Haupttribüne oder unter jenen vermutet hätte, die Dietrich-Kritiker diffamieren würden. Das Commando Cannstatt hat beispielsweise bereits klar gemacht, dass es für einen Neuanfang zur Verfügung steht.
Das inszenierte Gegeneinander von vernünftigen Mitgliedern gegen die Krakeeler aus der Kurve ist eine Beleidigung. Intellekt und Vernunft sind keine Frage des Standorts im Stadion.
Eine kulturelle Rundumerneuerung des VfB Stuttgart ist unumgänglich. Wir, das Commando Cannstatt stehen für diesen Neuanfang bereit und appellieren in diesem Zuge an die Führungsetagen von Verein und AG, sämtliche Ausschüsse, Beiräte, Freundeskreise und Mitmacher, endlich eine offene, transparente und integrative Kultur beim VfB zu schaffen, die gewillt ist, alle Mitglieder mit- und ernst zu nehmen.
Ich finde einen solchen Ansatz gut. Der VfB muss auch im Millionengeschäft Profifußball wieder nahbarer, anfassbarer werden. Ein Verein, mit dem man sich identifizieren kann. Nicht nur, weil es einem in die Wiege gelegt wurde oder weil man es schon seit 40 Jahren tut. Sondern weil man sich mit ihm identifizieren will.
Die Mannschaft muss ihren Beitrag leisten
Ein großer Teil der Identifikation findet, machen wir uns nichts vor, über den sportlichen Erfolg statt. Objektiv gesehen wird das nach dem Abstieg schwierig und es ist angesichts des vollzogenen Kaderumbruchs und des Wandels in der Spielkultur auch nicht ausgeschlossen, dass sich der sportliche Erfolg eher mittel- als kurzfristig einstellt.
Dass die Mannschaft weiterhin so sensationell unterstützt wird wie während und trotz der erbärmlichen Spiele in der vergangenen Saison, ist selbstverständlich. Auch wenn der Saisonauftakt holprig wird. Aber die Mannschaft muss auch zeigen, dass sie willens ist, die Vorgaben des Trainers umzusetzen und den VfB wieder in die erste Liga zu führen. Auch sie steht in der Verantwortung, diesen Verein wieder zu reparieren und in ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Besonders wird es auf die Spieler ankommen, die nach dem Abstieg geblieben sind und jene, die schon erfahrener sind. Jedem muss die Situation in der wir uns befinden, zu jedem Zeitpunkt bewusst sein, genauso wie der Weg, den wir beschreiten müssen. Es gilt das gleiche Credo, was auch für die Vereinsführung gilt: Selbstbewusst, aber mit der Demut vor der Aufgabe und der Situation.
Die Verantwortung der Medien
Ein letztes Wort noch an diejenigen Medien und Journalisten, die das bisher noch nicht getan haben: Berichtet anständig über den VfB. Versucht nicht, durch unsauberen Journalismus die Vereinspolitik zu beeinflussen. Nehmt Fans und Mitglieder und ihre Anliegen ernst, lasst beide Seiten mit der gleichen Wertschätzung zu Wort kommen und hört auf, in Schubladen und Stereotypen zu denken. Auch wenn Ihr nicht Teil des Vereins seid, so habt Ihr doch eine große Verantwortung.
Wir haben alle eine Menge Arbeit vor uns. Packen wir es an!
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