Einskommasieben

Nein, das ist Michael Wimmers Abschlussnote beim Trainerlehrgang, sondern der Gegentorschnitt des VfB seit dem Wiederaufstieg.

Wir haben ein Problem. Also wir haben natürlich wie immer beim VfB viele Probleme, aber eines sticht heraus:

Denn der VfB zieht zwar regelmäßig ein ganz passables Offensivspiel auf, mal effektiv, mal weniger effektiv, abhängig vom Gegner. Beim Freitagabendspiel in Mönchengladbach klappte das unterm Strich nicht so gut, auch wenn der VfB dem Ausgleich zwischendurch gefühlt sehr nahe war. Aber die Chancen sind da und mal überwiegt das Pech, mal das Unvermögen, wenn es wieder mal nicht für Punkte reicht. Dumm nur, dass wir seit Jahren darauf angewiesen sind, einen Haufen Tore zu erzielen, um die Klasse zu halten. Konkret: Letzte Saison waren wir unter den letzten sechs der Tabelle die Mannschaft mit den meisten Toren, aber auch mit den drittmeisten Gegentoren. 2020/2021 schossen wir mehr Tore als das vor uns platzierte Union, kassierten aber mehr als einige Mannschaften hinter uns. Und aktuell haben nur Leverkusen, Bochum und Schalke mehr Tore hinnehmen müssen. In Sachen Heimspiele in Folge, die nicht zu Null enden haben wir unsere Serie mittlerweile auf 28 ausgebaut, ein Auswärtsspiel haben wir eh zuletzt vor fast einem Jahr gewonnen, aber eine Zahl finde ich viel erschreckender: 1,7.

So viele Tore kassiert der VfB im Schnitt pro Spiel seit dem Wiederaufstieg. Oder in absoluten Zahlen: 138 Tore in 81 Spielen. Oder konkret: Der VfB kassiert in jedem Spiel mindestens ein Tor, in jedem zweiten sogar ein zweites. Im Schnitt! Und 18 Prozent, also knapp jedes fünfte dieser Tore fiel in der Anfangsviertelstunde. So auch in Mönchengladbach. Die Borussia, bekanntermaßen in dieser Saison mit viel Ballbesitz unterwegs, konnte sich in aller Seelenruhe durch die VfB-Abwehr durchspielen, bevor Jonas Hofmann einfach durch das riesige Loch zwischen Naouirou Ahamada und Chris Führich durchspazierte und geradezu lächerlich locker zum 1:0 traf, nach nicht einmal vier Minuten. Konnte man das 1:0 der Augsburger in der Vorwoche noch größtenteils Zagadous körperloser Abwehrarbeit zuschreiben, versagte hier mal wieder das Kollektiv, auch wenn in dieser Szene speziell Ahamada nach einem kurzen Anlaufversuch gegen Hofmann jegliche taktische Disziplin fahren ließ und fortan den Sechserraum nur noch als interessierter Beobachter des Spielgeschehens besetzte.

Eine Masse an Gegentoren

Ich könnte Sven Mislintat den Gefallen tun und jede Situation, die zu den frühen Gegentoren oder den vielen Gegentoren generell führt, einzeln zu betrachten und gleichzeitig die Reaktionen der Mannschaft loben. Aber, so schön die Aktion von Tiago Tomás und so hochkarätig die Chance von Serhou Guirassy auch war: Der VfB stellt sich mit der Masse an Gegentoren selbst ein Bein und geht neuerdings durch die frühen Gegentore direkt mit einem Handicap ins Spiel, das nicht nur Kräfte kostet, sondern auch jeden Matchplan über den Haufen wirft. Woran es liegt, hat noch niemand so wirklich herausgefunden, eine Lösung haben aber weder Pellegrino Matarazzo, noch Michael Wimmer bisher gefunden. Offensive Spielweise hin, Verletzungspech her: Die Gegentore gegen den VfB fallen teilweise so einfach, dass man im kollektiven Abwehrverhalten am Vorhandensein der taktischen Grundlagen zweifeln muss. Einer pennt immer, lässt sich aus der Position ziehen und irrt dann so orientierungslos durch den Strafraum wie Pascal Stenzel direkt vor der Auseinandersetzung zwischen Bensebaini und Anton. Die sich leider auch diese Saison wieder einschleichenden Torwartfehler von Florian Müller sind dabei zwar ein gewichtiger, aber nicht der ausschlaggebende Faktor. Es fehlt an der Qualität und zwar vor allem an der mentalen. Dass manche Mannschaften unserer Defensive spielerisch überlegen sind, lässt sich nicht verhindern. Aber der VfB kann dem nichts entgegensetzen. Und kann dann nur noch reagieren.

Wer auch immer im Januar an der Seitenlinie steht, muss dafür eine Lösung finden. Mental und mannschaftstaktisch, denn an der grundsätzlichen Qualität der Mannschaft mangelt es eigentlich nicht, auch wenn niemand heraussticht, der mit seiner individuellen Qualität die mentalen und taktischen Defizite ausgleichen kann. Aber die Kassen scheinen weiterhin leer zu sein. Ob Michael Wimmer der Mannschaft dieses Rüstzeug für die Rückrunde mitgeben kann, wage ich aktuell zu bezweifeln. Zu sehr wiederholen sich seit zwei Jahren die gleichen Muster, weswegen auch der Hinweis auf die sich aktuell ständig wechselnde Defensivformation ins Leere läuft. Der VfB muss sich endlich defensiv stabilisieren, ohne dabei das durch mangelnde Chancenverwertung eh schon geschwächte Offensivpflänzchen zu zertreten. Mit 1,7 Gegentoren pro Spiel wird es sonst sehr schwer mit dem Klassenverbleib.

Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass sieht gegen Mönchengladbach nur Dumm und Dümmer. Stuttgart.International konstatiert: “In der Bundesliga reicht es eben nicht, talentierte Spieler zu haben. Du brauchst Wettkämpfer, die pünktlich zum Anpfiff in der Lage sind, ihre Qualität auf den Platz zu bringen.”

Titelbild: © Lars Baron/Getty Images

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