Aufbruch statt Zusammenbruch: In Mönchengladbach verdient sich der VfB die ersten drei Punkte der Saison durch eine Leistungssteigerung und kann so entpannter in die Spiele gegen die beiden Champions League-Finalisten gehen.
Unterm Strich will ich mich natürlich nicht beschweren: Wenn die Mannschaft sich im Laufe eines Spiels steigert und sich verdient die Punkte holt, ist mir das lieber als wenn sie wie zuletzt stark anfängt und dann genauso stark nachlässt. Trotzdem lief bei den Brustringträgern in der ersten Halbzeit am Niederrhein nicht so wirklich viel zusammen, wenn man einmal von Deniz Undav absieht, der so aufmerksam wie schlitzohrig zum 1:0 abstaubte. Aber sonst sah man vor allem das, was uns schon in den späten Phasen der Spiele in Leverkusen, in Freiburg und gegen Mainz die Punkte — und den Pokal — gekostet hat: Unsaubere Ballannahmen, schlampige Pässe und eine generelle Zurückhaltung was Pressing und Zweikämpfe anging.
Eigentlich unerklärlich, dass sich die Mannschaft erneut von der Intensität des Gegners überrumpeln ließ, denn das Gladbach nicht mehr das instabile Konstrukt der vergangenen Spielzeit ist, haben die ersten Spiele der Fohlen bereits angedeutet. Mal ganz abgesehen davon, dass uns Tim Kleindienst schon letztes Jahr das Leben schwer gemacht hat. Der Ausgleich, der für den Torschützen zugleich die Auswechslung bedeutete, zeichnete sich daher auch mehr als deutlich ab, erneut konnte eine gegnerische Mannschaft einen Ball ohne Gegenwehr im Fünf-Meterraum des VfB querlegen und unbedrängt einköpfen.
Beruhigende zweite Halbzeit
So enttäuschend und angesichts der kommenden Gegner erschreckend die erste Halbzeit in Mönchengladbach war, so beruhigend war die zweite. Der VfB machte zwar zunächst ähnlich schlafmützig weiter, nahm aber Stück für Stück das Spiel wieder in die Hand. Die Fehlpässe wurden weniger, die Ballsicherheit nahm zu und schließlich gelang es endlich, die fraglos vorhandene Qualität auch auf den Platz zu bringen — in mehrfacher Hinsicht. Denn zum einen zeigte Fabian Rieder mit zwei Vorlagen und insbesondere bei seinem Slalomlauf um Schiedsrichter und Gegenspieler, warum er für die Nati aufläuft und vom VfB ausgeliehen wurde. Abgesehen von der Stärke bei Standards war es die Lauf- und Einsatzbereitschaft des Mittelfeldspielers, die für die Vorentscheidung sorgte. Auch wenn der VfB möglicherweise ein wenig Glück hatte, dass Jeff Chabots Aufstützen nicht geahndet wurde.
Aber auch Ermedin Demirović, der bereits seinen dritten Saisontreffer im dritten Spiel erzielte, war ein Qualitätsbeweis an diesem Abend. In Freiburg hatte er schon artistisch getroffen, am Samstagnachmittag zeigte er sich zwei Mal abgezockt, so dass man nach drei Stürmertoren in einem Spiel auch die Diskussion um Ablösesummen zunächst in den Hintergrund schieben kann. Im Anschluss an die Tore zeigte Sebastian Hoeneß, was in seinem Kader alles drin steckt. Rouault und Zagadou stabilisierten bei ihren Comebacks die Abwehr zusätzlich, Chris Führich und insbesondere Enzo Millot hoben das Offensivspiel in der Schlussphase auf ein höheres Level, nur der Pfosten verhinderte am Ende einen höheren Sieg.
Befreit geht’s auf die Reise
Aus diesem Spiel Rückschlüsse auf die Auswärtsfahrt zur derzeit besten Vereinsmannschaft Europas (ich kann immer noch nicht glauben, dass ich das schreibe) zu ziehen, ist natürlich schwierig. Natürlich ist die Bundesliga unser täglich Brot und der erste Sieg der Saison schon allein für die Tabelle wichtig. Aber genau deswegen hat er auch Auswirkungen auf die Rückkehr auf die internationale Bühne nach etwas mehr als elf Jahren. Die Mannschaft kann im Bernabéu befreit von Diskussionen über einen verpatzten Saisonstart aufspielen und muss nicht fürchten, dass es im Spiel gegen Dortmund am Sonntagnachmittag genau darum wieder geht.
In Madrid sind wir natürlich krasser Außenseiter, wie sollte es anders sein und eine erste Halbzeit wie die in Gladbach können wir uns auch dort nicht erlauben. Ich habe allerdings großes Vertrauen, dass die Mannschaft wie häufig in der vergangenen Spielzeit bei großen Spielen mit dem Kopf voll da ist. Und das ist bei allen Qualitätsunterschieden ein echtes Pfund. Es war nämlich in den letzten Spielen auch nicht die mangelnde Qualität — übrigens auch nicht die eines Anrie Chase — die uns die Punkte kostete, sondern die generelle Kopflosigkeit. Dass rechtzeitig zum großen Spiel die Optionen in der Defensive vielfältiger werden, ist ein zusätzlicher Pluspunkt.
Hunger auf Europa
Und dennoch wird dieses Spiel für uns — und damit meine ich vor allem uns Fans — vor allem ein Erlebnis. Zum ersten Mal seit 14 Jahren laufen unsere Spieler wieder zur Champions League-Hymne ein, wir spielen gegen den Titelverteidiger in dessen Stadion, in dem wir noch nie zu einem Pflichtspiel angetreten sind. Zum ersten Mal seit elf Jahren galt es wieder, Flieger zu buchen, einen Platz zum Schlafen zu finden und nicht zuletzt ein Ticket zu ergattern. Der Hunger auf Europa ist im letzten Jahrzehnt ins Unermessliche gewachsen und endlich können wir ihn stillen. Egal wie das Spiel ausgeht — es wird ein Genuss — mit dem Wissen im Hinterkopf, was die Mannschaft am Samstag in der Liga geleistet hat.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass ist gedanklich auch schon in Madrid. Und Stuttgart.international — dessen Name endlich ohne Augenzwinkern gelesen werden kann, findet: “Die Herausforderung dieser Saison besteht darin, die Bundesliga ernst zu nehmen und die Highlight-Spiele in der Champions-League trotzdem nicht abzuschenken.”
Titelbild: © Lars Baron/Getty Images