Tim Walter behielt recht: Der VfB gewinnt das Derby mit drei zu null Toren. Ist die Mannschaft jetzt auf dem richtigen Weg oder müssen wir uns auf den nächsten Rückschlag gefasst machen?
Zwei Wochen Länderspielpause bedeuten normalerweise zwei Wochen, in denen es hier etwas ruhiger zugeht, in denen man sich etwas entspannen kann vom wöchentlichen Stress der mit dem Dasein als VfB-Fan einhergeht. Nicht so dieses Mal. Bereits nach dem Abpfiff des Spiels in Osnabrück wurde ich nervös ob des Derbys, obwohl das erst 14 Tage später stattfinden sollte. Woher diese Nervosität rührte? Nun, nach vier Niederlagen in den letzten fünf Ligaspielen, darunter eine 2:6‑Klatsche beim direkten Konkurrenten und peinliche Punktverluste gegen Aufsteiger und Kellerkinder, war klar, dass eine Niederlage im Derby den schwelenden Brand in der Mercedesstraße vollends entfachen würde. Würde Tim Walter, dieser ehemalige Jugendtrainer des blauen Rivalen, auch noch das Derby und damit gleichzeitig gegen den dritten Aufsteiger verlieren, wäre es mit der Ruhe endgültig vorbei. Vom für den Aufstieg prekären Tabellenstand mal ganz abgesehen.
Ruhe, bitte!
Nervös war ich auch vor dem Dresden-Spiel gewesen und hinterher erleichtert, dass der VfB nach den Spielen gegen den HSV scheinbar wieder in die Spur gefunden hatte. Die Erleichterung war aber bereits nach dreieinhalb Minuten des folgenden Spiels dahin und wich eben erwähnter Nervosität und ehrlich gesagt auch schlechter Laune gegenüber meinem Herzensverein. Und dann kam die Pressekonferenz vorm Derby und Tim Walter trug nicht unbedingt zu meiner Beruhigung bei. Sicher: Man kann selbstbewusst in ein solches Spiel gehen, vielleicht muss man das auch, wenn sich die Fans zwei Wochen lang Sorgen machen. Gleichzeitig muss einem aber bewusst sein, was die eigenen Worte auslösen: Die Medien, unter anderem der kicker, schreiben von einem “versprochenen” Derbysieg zu null und in Karlsruhe nimmt man das dankend an, um den dem Verein angeborenen Minderwertigkeitskomplex zu bedienen. Selbst in Aue, die den VfB am Freitagabend kurzzeitig überholen und in Berlin-Köpenick, wo man scheinbar immer noch nicht mit Walter fertig ist, gibt es Reaktionen.
Dabei geht es mir nicht mal um die Person Tim Walter an sich. Der ist mir ehrlich gesagt gar nicht mal so sympathisch wie es beispielsweise Hannes Wolf war. Das ist aber irrelevant. Mir geht darum, dass der VfB nicht den zehnten Umbruch wieder abbricht, indem er im Herbst wieder alles über den Haufen wirft. Ich schätze zwar Hitzlsperger und Mislintat nicht so ein, eine Derbyniederlage hätte aber den Druck auf die beiden weiter erhöht, nicht nur im Netz, sondern irgendwann auch im Stadion. Klar ist aber auch bei aller notwendigen Geduld: Bei einer gewissen Anzahl an nicht zufriedenstellenden Auftritten der Brustringträger hat man auch irgendwann keine Wahl mehr. Deswegen wäre ein Derbysieg für meine Seelenruhe und die des Vereins so wichtig gewesen
Schön, aber auch nachhaltig?
Und: Der VfB gewinnt das Derby. Neuer Spielstand: Stuttgart? Drei! Karlsruh? Nuuuuull! Und das ist auch? Gut so! Welch eine Erleichterung, dass Walter mit seiner Ankündigung (!) Recht behalten sollte. Wie gut, dass die Mannschaft doch noch das Tor treffen kann und drei ihrer vier Schüsse aufs Tor (plus ein Aluminiumtreffer) auch darin versenkt. Wie gut, dass die expected goals (2,5) diesmal den geschossenen Toren entsprechen und der VfB endlich mit der Intensität spielt, die man für einen Derbysieg braucht. Herausragend, dass Wataru Endo in seinem ersten VfB-Startelfeinsatz einen ball- und passsicheren Sechser gibt, dass Försters Billardschuss reingeht und dass Mangala endlich mal humorlos ins Tor statt kunstvoll an den Pfosten schießt. Das ist alles schön, wirft aber unweigerlich die Frage auf: Warum nicht gleich und immer so?
Müssen wir uns in Sandhausen, selbst wenn es auf den Tribünen wahrscheinlich wieder ein Heimspiel wird, wieder auf eine überhebliche, zahnlose Mannschaft einstellen, die den Ball mit ihren halbgaren Angriffsversuchen nicht mal ansatzweise im Tor unterbringt, so wie das teilweise in Osnabrück der Fall war? Oder war der Derbysieg der Startschuss für einen goldenen Dezember, in dem der VfB nicht nur gegen Sandhausen, sondern auch gegen die Mitabsteiger Nürnberg und Hannover sowie in Darmstadt endlich das zeigt, wozu er imstande ist? Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, mich am kommenden Sonntag bereits wieder von meiner guten Laune verabschieden zu müssen, weil irgendein Sandhausener unsere erneut umgestellte Viererkette mit einem Bauerntrick übertölpelt.
Denn so schön es auch war, dass der VfB um jeden Ball kämpfte, das Spiel mit mutigen Vertikalbällen über die Flügel aufzog und dank klugem Nachrücken auch die Spielfeldmitte gut besetzte und seine Chancen nutzte: Das Derby taugt nur bedingt als Blaupause (haha!) für die kommenden Spiele. Denn wie schon beim letzten Heimsieg zeigte der Gegner nicht unbedingt, warum man seinetwegen hätte nervös sein sollen. Die angeblich gefürchteten Karlsruher Standardsituationen verpufften allesamt an der zugegebenermaßen konzentriert verteidigenden VfB-Abwehr und auch Sieben-Tore-Stürmer Philipp Hofmann war blass. Und das war es ehrlich gesagt auch schon mit den Karlsruher Stärken. Hinten ließen sie dem VfB zu viel Platz den er wie gegen Dresden nutzte. In der ersten Halbzeit noch mit überhasteten Volleyabnahmen, obwohl genug Zeit für eine platzierten Schuss gewesen wäre, in der zweiten Halbzeit durch die erwähnten Treffer.
Mindestens eine Schrecksekunde pro Spiel
Und dennoch hätte das alles furchtbar schief gehen können, weil ausgerechnet Kapitän Marc Oliver Kempf einen komplett gebrauchten Tag erwischte. Hatte sich die Mannschaft zu Beginn des Spiels noch von der allgemeinen Nervosität im Umfeld anstecken lassen, sich dann aber in das Spiel reingebissen, so war sie nach Wiederanpfiff komplett von der Rolle, wie eigentlich in jedem Spiel nach einem der beiden Anpfiffe. Kempf konnte sich am Ende bei Gregor Kobel bedanken, der seinen gedankenlosen Fehlpass ausbügelte. Als der Kapitän dann aber kurz vor Abpfiff mit beiden Beinen in seinen Gegenspieler reinsprang, ohne auch nur die geringste Chance auf eine Ballberührung, war auch Kobel machtlos. Mag sein, dass Kempf durch eine Monstergrätsche ein Zeichen setzen wollte, dass seine Mannschaft nicht gewillt war, die 2:0‑Führung herzugeben. Vielleicht hatte er auch einfach nur einen Knick in der Optik und dachte, er könne Ball und Gegner abräumen. Auf jeden Fall müssen wir uns wahrscheinlich bis Weihnachten wieder mit Nathaniel Philipps oder Maxime Awoudja behelfen, die beide bei ihren Einsätzen nicht den sichersten Eindruck machten. Das ist jetzt der vierte Platzverweis im 14. Spiel. Ja, nicht alle waren berechtigt, aber in der Summe ist das trotzdem viel zu viel.
Nach der Ernüchterung des Osnabrück-Spiels weigere ich mich standhaft, den Derbysieg als mehr als die drei Punkte zu betrachten, die er einbringt. Es war ein wichtiger Sieg, es tat gut, mal wieder ungefährdet zu gewinnen, aber dass das der Beginn einer Trendwende ist, glaube ich erst, wenn ich es in Sandhausen sehe. Nicht einmal die Tatsache, dass Endo vielleicht die Antwort auf die Probleme der Mittelfeldreihe sein könnte, lässt mich grenzenlos optimistisch auf das nächste Spiel blicken. Es bleibt nur zu hoffen, dass der Neuzugang aus Belgien seine Form genauso beibehält wie ein Großteil seiner Mitspieler.
Trouble in Untertürkheim
Soweit zum Sportlichen. So ein Derby ist aber natürlich viel mehr als nur die Tatsache, dass die Badenser das Neckarstadion traditionell ohne Punkte wieder verlassen. Es geht auch um eine Rivalität der Fans, die ich aus geographisch-biographischen Gründen vielleicht nicht so lebe, wie es andere VfB-Fans tun, die mir aber trotzdem wichtig ist. Schon allein weil es diesen Verein gibt, dessen Fans größtenteils nicht nur einen erheblichen Minderwertigkeitskomplex gegenüber meinem Lieblingsverein haben, sondern ihn geradeheraus hassen. Das drückt sich dann meistens in lautem Mimimi in den sozialen Netzwerken aus und in unlustigen bis peinlichen Spruchbändern und Aktionen im Stadion.
Nichtsdestotrotz braucht es für ein Derby zwei Seiten und wahrscheinlich würden alle vor diesen Spielen ein wenig langsamer am Rad drehen, wenn sie nicht nur jedes zweite Schaltjahr stattfänden. Ob die Vorkommnisse, die sich dem Vernehmen nach zwischen dem Bahnhof Untertürkheim und dem Gästeblock abspielten, dadurch verhindert worden wären, ist nach dem, was ich bis jetzt mitbekommen habe, zweifelhaft. Dazu gleich vorab: Ich war nicht dabei, kann also nur die Quellen interpretieren, die mir online zur Verfügung stehen.
Aber eigentlich konnte es keinen mehr überraschen. Denn bereits in der vergangenen Saison erreichte quasi bei jedem Heimspiel die organisierte Fanszene des Gastvereins erst mit Verspätung den Gästeblock. Das mag, wie auch am Sonntag, teilweise die Schuld der Fans sein. Ich war bei keinem der Vorfälle dabei und die Wahrheit über solche Ereignisse liegt für gewöhnlich irgendwo zwischen der Pressemitteilung der Polizei und der Stellungnahme der Fanszene. Es fällt mir aber nach den Erfahrungen der letzten Saison und dem, was ich im Allgemeinen über Polizeitaktik bei Fußballspielen mitbekomme, schwer zu glauben, dass das Fehlverhalten nur bei den Gästefans lag. Natürlich geht so etwas, wenn es der Wahrheit enspricht, überhaupt nicht:
Auf dem Fanmarsch der KSC-Fans wurden Einsatzkräfte mit Absperrmaterial, Warnbaken und pyrotechnischen Gegenständen beworfen. #Polizei #Stuttgart #VfBKSC #Fußballeinsatz #derbyinfo19
— Polizei Stuttgart (@PP_Stuttgart) November 24, 2019
Auf der anderen Seite muss man sich auf Seiten der Behörden die Frage gefallen lassen, ob man das nicht allein dadurch hätte verhindern können, dass die organisierte Karlsruher Fanszene, wie scheinbar besprochen, mit Bussen direkt zum Gästeeingang gebracht worden wäre:
Laut Sicherheitheitsbesprechung war abgeklärt dass die Busse bis ans Stadion fahren. Die Polizei weiß hier nach 5 Minuten nicht mehr, was sie vorher gesagt hat. #derby #vfbksc #polizei #fanhilfe @bpol_bw @PP_Stuttgart
— Fanhilfe_Karlsruhe (@Fanhilfe_KA) November 24, 2019
Brüchige Allianz
Dabei hat man doch in Baden-Württemberg nicht zuletzt seit den Vorfällen beim letzten Derby 2017 diese Stadionallianzen, auf die Innenminister Strobl so stolz ist. Deren Ziel ist laut DFL-Homepage
die Intensivierung und Weiterentwicklung der Zusammenarbeit von Clubs, Fanprojekten, städtischen Behörden und polizeilichen Sicherheitsbehörden bei der Organisation und Durchführung von Fußballspielen.
Dabei geht es, wie auch in einem Artikel in der 11Freunde beschrieben, vor allem darum, überflüssige Personalkosten der Polizei zu reduzieren, weil es die Sicherheitlage einfach nicht erfordert. Eigentlich ein hehres Ziel, wenn ich mich daran erinnere, was für ein Polizeiaufgebot uns beispielsweise 2007 nach dem Sieg gegen Mainz am Cannstatter Bahnhof erwartete, obwohl das Spiel für die Mainzer weder auf dem Rasen noch auf den Rängen eine sportliche Brisanz hatte. Im Falle des Derbys 2019 scheint es aber mit der Zusammenarbeit gerade zwischen Stuttgarter Behörden und Karlsruher Fanprojekt nicht weit her gewesen zu sein, wie die Pressemitteilung der Fanhilfe Karlsruhe offenbart. Ganz abgesehen von der Frage, welchen Wert Allianzen haben, in denen man sich scheinbar nicht an Absprachen hält muss auch diskutiert werden, ob wirklich alle ca. 600 Personen, die am Ende die Rückreise nach Karlsruhe antreten mussten, für die oben beschriebenen Aktionen verantwortlich waren. Der Vertikalpass fragt in seinem Spielbericht zurecht
Ist das die Zukunft des Derbys? Ein Spiel, in dem die aktiven gegnerischen Fans ausgesperrt werden?
und in der Tat kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass jegliche Vorkommnisse im Stadion vor allem dadurch verhindert werden sollten, dass man viele organisierte Karlsruher Fans in Sippenhaft nimmt und damit kollektiv am Stadionbesuch hindert.
Es kann uns genauso gehen
Warum wir uns hier dem Thema so ausführlich widmen? Weil zu jedem Hinspiel ein Rückspiel gehört, welches logischerweise ebenfalls im Bundesland der Stadionallianzen stattfindet. Das heißt: Es kann uns in Karlsruhe ganz genauso passieren, dass auch (!) Fans, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, stundenlang eingekesselt werden und ohne das Spiel sehen zu können die Heimreise antreten müssen. Und selbst wenn wir nicht betroffen waren und selbst wenn sich ein Teil der Karlsruher Fans vor zwei Jahren benommen hat wie Gehirnamputierte und auch gestern mit Sicherheit nicht alle Badenser Engel waren, sollten wir als Fußballfans aufmerksam sein, wie rund um Fußballspiele mit uns umgegangen wird, egal welche Farben wir tragen. Ich bin gespannt, ob und wie dieses Thema aufgearbeitet wird.
Trotz alledem genieße ich jetzt erst einmal ein halbes Jahr lang die bragging rights, in der Hoffnung, dass die Mannschaft jetzt endlich den Schalter umgelegt hat.