Eine heillos überforderte Polizei verändert in aller Stille ihr komplettes Einsatzkonzept, das sie vorher noch ungewöhnlich offen kommuniziert hatte, will sich danach für nichts rechtfertigen müssen und sorgt dafür, dass Hunderte KSC-Fans das Derby nur von der Benzstraße, gefangen in einem Polizeikessel, verfolgen können. Was ist da schiefgelaufen? Ein Kommentar.
Der Ablauf
Die Geschichte fängt schon am Tag vor dem Derby am Sonntag, den 24.11. an. Denn in einer Kontrolle des Gästeblocks wird Rauchpulver gefunden, das mit Gaffatape heimlich dort festgeklebt sein soll, so belegt es zumindest ein Bild der Badischen Neusten Nachrichten.
Daraufhin, so die Fanhilfe Karlsruhe, beziehungsweise laut Pressemitteilung der Polizei Stuttgart aufgrund der Tatsache, dass sich die Fans in den Bussen schon auf einem Parkplatz unterwegs vermummt und mit Pyro herumgespielt haben sollen, beschließt die Polizei, das wochenlang ausgearbeitete Einsatzkonzept komplett über den Haufen zu werfen. Statt eines Plan B tritt aber wohl ein Plan X in Kraft: Keiner weiß etwas, nicht einmal alle beteiligten Polizisten. Denn am Spieltag werden die Gästefans, die mit 12 Bussen angereist sind, nicht wie verabredet direkt an der Benzstraße am Eingang des “Gästeschlauchs” zur Vorkontrolle herausgelassen, sondern müssen laut Angaben der Fanhilfe Karlsruhe erst einmal eine Stunde in den Bussen warten, bevor sie gemeinsam mit den Zugfahrern aus den zwei Sonderzügen zu einem Fanmarsch in Richtung Stadion zusammengeschlossen werden.
Was ist passiert?
Laut Angaben der Polizei soll es bereits beim Aussteigen aus den Bussen zu Gewalt gegen Einsatzkräfte gekommen sein, auf dem Weg soll dann mehrfach (sic!, die Formulierung ist hier wichtig, denn am Einsatztag hatte die Polizei noch von “massiv” gesprochen) Pyrotechnik abgebrannt und auf Polizisten geworfen worden sein.
Nun muss man klar stellen: Auch das VfB-Fanprojekt war bei den Einsatzbesprechungen, die zuletzt am Dienstag (19.11.) stattgefunden hatten, dabei. Dort und in den Besprechungen davor war immer klar kommuniziert worden, dass Gewalt gegen Sachen und Personen nicht toleriert würde — verständlich, bei den Vorkomnissen des Derbys in Stuttgart zwei Jahre zuvor.
Was lief also falsch?
Woran sich die Kritik entzündet: Die Straftaten gegen die Polizisten wurden bereits im Bereich Untertürkheim verübt. Auch die (nur von der Polizei) immer wieder erwähnten “Absperrmaterialien”, die von der Marschspitze auf Polizisten geworfen worden sein sollen, befindet sich weit am Anfang des Weges. Statt die Straftäter also gleich herauszuziehen, warteten die Polizisten den ganzen Weg bis zum Eingang des Gästeblocks ab. Dort trennten sie den vorderen Teil des Marsches von dem hinteren und durchsuchten diesen Teil der Gästefans ausgiebig.
Laut Angaben der Fanhilfe sogar zweimal: Denn nach einer ersten Kontrolle durch die Polizei seien die Fans nicht ins Stadion gelassen worden, sondern vielmehr einer erkennungsdienlichen Behandlung zugeführt worden, wonach alle einen Platzverweis erhalten hätten und nach dem Spiel zurück nach Karlsruhe gebracht wurden. Praktischerweise dauerte die Untersuchung bis nach Spielende, sodass alle Fans gemeinsam (die aus dem Stadion und die aus der Kontrolle) gemeinsam wieder zurück gebracht werden konnten.
Nun: Jeder, der schon mal bei der Karawane Cannstatt mitgelaufen ist, kennt das Phänomen wohl sehr gut: Die Leute, die im Tunnel am Bahnhof vorne stehen, sind nicht unbedingt die, die am Stadion als erstes ankommen. Denn Leute lassen sich zurückfallen, laufen mal nach vorne, reden miteinander und außer den ersten fünf Reihen bleibt da selten jemand, wo er ganz am Anfang war.
So ist es passiert, dass auch Jugendliche in der separierten Gruppe waren. Nicht nur die Busfahrer, die ja so gefährlich sein sollen, weil sie auf dem Weg nach Stuttgart aufgefallen sind, und nicht nur die Böllerwerfer aus dem Fanmarsch. Es wurde gefischt, und es war ordentlich Beifang dabei.
Welche weiteren Kritikpunkte gibt es?
- Individuell angereiste Gästefans wurden teilweise trotz des veränderten Einsatzes weiterhin zum Parkhaus P7, wie zuvor vereinbart, geschickt. Nur dass dort kein Einlass war, weil wegen dem veränderten Fanmarsch dort plötzlich ein Wasserwerfer den Weg versperrt haben soll. (KSC und Fanhilfe KA) Deswegen wurden die Fans laut KSC auf einen Parkplatz von Heimfans weitergeleitet. Nach all den Maßnahmen zur Fantrennung, die laut Bundespolizei auch erfolgreich war, lässt man dann plötzlich das zu?
- Laut Fanhilfe KA, Karlsruher SC und VfB-Fanprojekt sollen keinerlei Toiletten zur Verfügung gestanden haben und das für eine Maßnahme, die fünf Stunden andauerte. Vor den Augen vieler sich zu erleichtern, ist für Männer schon unangenehm, aber für Frauen inakzeptabel. Hier soll die Polizei durch unangebrachtes Verhalten, wie auch einiger dummer Sprüche, aufgefallen sein. Die Polizei schreibt in ihrem Einsatzbericht davon, dass Dixi-Klos zur Verfügung standen, wie auch Getränke für die kontrollierten Fans. Laut VfB-Fanprojekt-Informationen aber womöglich nur für die diejenigen, die sich umgehend den Maßnahmen der Polizei gegenüber kooperativ verhalten haben.
- Szenekundige Beamte aus Karlsruhe sollen nicht informiert und schon gar nicht involviert gewesen sein. Das zumindest schreibt der KSC in einer Stellungnahme.
- Auch der KSC selbst wurde nicht über die Änderung des Einsatzkonzeptes informiert.
- Einschüchterndes Verhalten der Polizei: Die abgetrennten Gästefans wurden mitten auf der Straße untersucht, umstellt von Polizeiautos und ‑beamten und mit einem Wasserwerfer im Rücken. Inwiefern diese Drohgebärden zu kooperativem Verhalten anregen sollen, erschließt sich mir nicht wirklich.
- Die Polizei schreibt in ihrer Pressemitteilung, die sich ab der zweiten Hälfte wie eine reine Rechtfertigung liest, dass sie von 591 Personen die Identität festgestellt habe — anscheinend inklusive Fotos und erkennungsdienstlicher Behandlung. Inwiefern Familien, die möglicherweise individuell angereist waren und sich dem Marsch irgendwo auf dem Weg angeschlossen hatten, noch irgendwann in Zukunft ein ruhiges Fußballspiel erleben sollen, schreibt sie nicht.
Ja, die Übervorsicht der Polizei ist teilweise zu verstehen. Ja, Gewalt gegen Dinge und insbesondere gegen Personen ist schärfstens zu verurteilen und selbstverständlich zu ahnden. Inwiefern die Polizei aber so einen massiven Einsatz rechtfertigt, schreibt sie nicht einmal in ihrer eigenen Pressemitteilung.
Interessant ist auch, wie sich die Pressemitteilungen der verschiedenen Polizeieinheiten unterscheiden. Am Abend des Spieltags schrieb die Bundespolizei Stuttgart (die BPOL‑S, nicht die POL‑S), von einem ruhigen Einsatz, davon, dass es keine Verletzten auf den Wegen zum Stadion gegeben habe, und dass man die zwei (sic!) Personen, die Böller auf Polizisten geworfen habe, durch Videoaufnahmen von dem Marsch habe identifizieren können, genauso wie einen 27-jährigen, der gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen habe.
Was stimmt jetzt also?
Keiner weiß es. Die Widersprüche von Fanhilfe und Polizei sind eklatant und um diese aufzuarbeiten, veranstaltet die Fanhilfe ein Treffen für Betroffene. Auch der Verein Karlsruher SC hat sich über das Vorgehen der Polizei beschwert. Das Fanprojekt des VfB erkennt im Gespräch mit dem BrustringTalk auch große Mängel am Vorgehen der Polizei. Und was die neue “Stadionallianz BW” gebracht haben soll, muss wohl noch einmal separat diskutiert werden.
Was bleibt?
Fakt ist, dass die Stimmung unterirdisch war. Statt sich gegenseitig zu pushen, statt einer stimmgewaltigen Auseinandersetzung, war dieses Derby kein Derby. Es war ein Zweitligaspiel mit dem besseren Ausgang für den VfB. Die Stimmung nach dem Spiel kann man wohl als “geschäftsmäßig” beschreiben. Und es bleibt die Angst, dass das in ein paar Monaten in Karlsruhe genauso laufen wird.
Wenn man während eines Derbys die Spieler sich gegenseitig Kommandos zurufen hört, ist etwas gewaltig schief gelaufen. Denn so macht das ganze überhaupt keinen Spaß. Es war ein sportlich wichtiger Sieg und es war dennoch ein enttäuschendes Spiel.