Ganz beendet ist die Vorstellung zwar noch nicht, aber auch der vorletzte Akt macht wenig Hoffnung, dass es noch eine Zugabe gibt oder das Stück gar in der nächsten Spielzeit erneut aufgeführt wird.
Ich hatte ja nach dem frühen 1:0 durch Christian Gentner wirklich nochmal gehofft. Als Gentner, den ich am liebsten gar nicht in der Startaufstellung hatte sehen wollen, seinen Fuß an den Ball kriegte und anschließend vor Freude durchs halbe Stadion rannte. Ich hätte es besser wissen müssen. Alles was in den letzten Jahren im Saisonendspurt für uns lief, läuft dieses Jahr gegen uns. Die anderen Mannschaften punkten und wir lassen uns von Mainz auseinander nehmen, gegen die eigentlich, gerade im obligatorischen Heimspiel kurz vor Saisonende, immer etwas ging.
So gut wie abgestiegen
Es bringt jetzt auch nichts, die einzelnen Verfehlungen und Unkonzentriertheiten einer völlig auseinander fallenden Ansammlung von VfB-Spielern noch einmal zu analysieren. Der VfB ist so gut wie abgestiegen. Es gehört wohl zu den zahlreichen Grausamkeiten, die man als Fan des Brustrings in diesem Jahr durchleiden muss, dass Bremen in Köln nicht über ein 0:0 hinaus kam und dem VfB damit noch die Minimalchance auf die Relegation erhielt. Aber mal ganz ehrlich: Wer von uns glaubt schon an einen Auswärtssieg einer völlig demoralisierten Mannschaft gegen eine besser besetzte, wenn auch unmotivierte Betriebsmannschaft aus Wolfsburg? Oder dass man in der Relegation dem Angstgegner aus Nürnberg über zwei Spiele Paroli bieten könnte?
Für einen Abgesang, einen Saisonrückblick ist es jetzt noch zu früh. Vielleicht erkennt man erst mit ein bißchen Distanz, welches wirklich jenes Spiel war, welches der Mannschaft den entscheidenden Knacks gegeben hat. Denn das ist das bitterste an dieser ganzen Scheißsaison: Wir waren schon auf einem sehr guten Weg zum Klassenerhalt. Dass die Mannschaft es seit dem Heimsieg gegen Berlin im Februar (!) nur noch einmal schaffte, das Ruder rumzureißen, ist unbegreifbar.
Tränen im Platzsturm
Dass viele Spieler, darunter Christian Gentner und Kevin Großkreutz nach dem Spiel den Tränen nahe waren und auch welche vergossen, ehrt sie. Es hilft uns aber allen nichts. Genauso wenig wie ein Platzsturm im Übrigen. Verständlich ist beides dennoch. Natürlich: Auch ich will solche Bilder nicht sehen, denn als VfB-Fan kennt man sie nur aus anderen Vereinen. Fans, die auf der Tribüne in ihren Schal weinen, Spieler, die wie ein Häufchen Elend auf dem Platz liegen, eine Menschenmenge, die sich den Weg auf den Platz bahnt und wie so häufig bei Platzstürmen gar nicht weiß, was sie da jetzt anfangen soll — bis auf die Vollidioten, die den Ausflug auf den heiligen Rasen des Neckarstadions für ein Selfie nutzten, das sie später wahrscheinlich stolz im Festzelt beim Frühlingsfest herumzeigten.
Es wird darüber wahrscheinlich in den kommenden Tagen noch eine hitzige Debatte geführt, der DFB wird den VfB wahrscheinlich ähnlich sinnlos bestrafen, wie er es bereits mit Eintracht Frankfurt getan hat. Wie bereits gesagt: So etwas sollte, in einer perfekten Welt, nicht passieren. Aber beim VfB ist keine heile Welt mehr. Um die Kirche ein wenig ins Dorf zurück zu versetzen: Der Platzsturm vom Samstag ist die erste richtige Überreaktion der Kurve seit Dezember 2009, als der VfB nach einem 1:1 gegen Bochum am 16. Spieltag (!) auf Platz 11 (!!) abrutschte und Fans vor dem Eingang zur Haupttribüne zum Teil sangen “Wenn Ihr absteigt, schlagen wir Euch tot”. Das waren wahrscheinlich nicht die gleichen Menschen, die die Spieler am Samstag teilweise sehr ruppig herumschubsten und ins Einzelgespräch verwickelten. Und käme dieser Abstieg aus heiterem Himmel, wäre die ziemlich unkontrollierte Lage auf dem Rasen wahrscheinlich eskaliert. Stattdessen blickte man vor allem in traurige, ja verzweifelte Gesichter.
Der VfB ist kaputt
Ich musste den Fernseher zur Halbzeit ausmachen. Zu groß war die Anspannung, zu groß die Angst, weitere Treffer der Mainzer anschauen zu müssen. Jetzt befinden wir uns in einer seltsamen Zwischenwelt: Schon so gut wie abgestiegen, aber eben nur so gut wie. Und trotzdem in dem Bewusstsein, dass bei unserem Herzensverein gerade sehr viel kaputtgeht. Da ist der Wechsel von Vereins-Urgestein Ebbo Trautner in den Gummibärensaft-Erlebnispark nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen beim Leichenschmaus desVfB. Zum ersten Mal, zumindest seit ich mich erinnern kann, werden Spieler den Verein verlassen, nicht nur weil es woanders mehr zu verdienen oder bessere Perspektiven gibt, sondern weil es woanders Bundesliga gibt. Von der ganzen persönlichen Häme, die einen jetzt von dem VfB schlecht gesonnenen Menschen entgegenschlägt, mal abgesehen: Viele von uns können sich den VfB gar nicht anders, als in der ersten Liga vorstellen.
Ich bin ja normalerweise niemand, der gerne Köpfe rollen sieht. Aber die letzten Monate haben offenbart: Der VfB muss jetzt einmal in seine Bestandteile zerlegt und wieder neu zusammengesetzt werden. Das fängt bei der Mannschaft an, die ein jüngeres und vor allem hungrigeres Gesicht bekommen muss. Und das endet bei einer sportlichen Leitung, die jetzt endlich mal ein Konzept zeigen muss, mit der VfB langfristig wieder erstklassig wird. Ohne nutzlose Panikkäufe im Winter. Ohne große Reden im Sommer, sondern mit großen Taten. Oder einfach sinnvollen Taten. Ob das die jetzt handelnden Personen sind oder ob von Kramny über Dutt bis hin zu Wahler und dem dreiköpfigen Aufsichtsrat alle ausgetauscht werden, ist mir persönlich relativ egal: Das Ergebnis zählt.
Leere und Stille
Für einen Rückblick auf das schlimmste Heimspiel der jüngeren Vereinsgeschichte war das jetzt alles relativ nüchtern. Aber wie ich schon nach dem Bremen-Spiel schrieb: Ich kann einfach nicht mehr. Der VfB hat mich in den letzten drei Jahren emotional so ausgesaugt, dass mir nach so einem Spiel nicht einmal mehr die Tränen kommen. Vielleicht kommen sie am Samstag in Wolfsburg. Jetzt ist auch nicht die Zeit um alle mir in den Sinn kommenden Schimpfwörter zu gebrauchen, um diese Katastrophe zu beschreiben. Jetzt ist da einfach nur eine traurige Stille.